Ich bin der Meinung, dass man, wenn man ein Fach namens "Mathematik" unterrichtet, den Schülern zumindest eine Chance geben sollte, zu verstehen, was Mathematik eigentlich ist.
Dazu gehörten sicherlich auch Beweise, denn es ist in der Mathematik nun mal so üblich, dass man sich versichert, dass die Annahmen, die man macht, auch korrekt sind.
Schon in der Mittelstufe lassen sich eine Vielzahl von Aussagen schülerverständlich (für manche wenigstens) und weitgehend korrekt beweisen:
- Winkelsumme im Dreieck
- Winkelsumme im n-Eck
- die Mittelsenkrechten schneiden sich in einem Punkt
- andere Kopunktualitätsbeweise
- Satz des Thales
- Satz des Pythagoras
- andere Sätze am rechtwinkligen Dreieck
- Irrationalitätsbeweise
- es gibt unendlich viele Primzahlen
Ich sage weitgehend korrekt, weil sich ein axiomatischer Aufbau der Geometrie in der Schule natürlich nicht anbietet. Bestimmte Annahmen werden einfach getroffen. Da man einen solchen formal völlig korrekten Aufbau ohnehin nicht erreichen kann, muss man natürlich auch nicht alles beweisen. Ferner sollte man i.d.R. nicht um des Beweisens willen beweisen, sondern um die Aussage plausibel zu machen.
Man kann durch diese Themen sehr gut eine Binnendifferenzierung erreichen.
Ich mache mal ein Beispiel am Satz des Thales: Setzt man in der bekannten Beweisfigur (Thaleskreis, Dreieck, zusätzliche Linie von C zu M) einen konkreten Winkel für alpha ein (etwa 33°), so sollten alle Schüler in der Lage sein, durch anwenden bekannter Sätze (Winkelsumme, Basiswinkel in Gleichschenkligen Dreiecken) die übrigen Winkel zu berechnen.
Die starken Schüler nehmen nicht 33°, sondern rechnen allgemein mit Alpha.
In der Oberstufe, auch im Leistungskurs, versuche ich bei allen Aussagen, deren Beweis sich aus unterschiedlichen Gründen hier nicht machen lässt, deutlich zu machen, dass es sich um eine beweisbedürftige Aussage handelt. Es gibt nämlich durchaus Schüler, die meinen, etwas nicht verstanden zu haben, nur weil der Lehrer es nicht für nötig hielt, dass man das mit den gegebenen Mitteln gar nicht verstehen kann.
Ein Beispiel wäre der unsägliche Beweis der Kettenregel durch Erweitern des Differentialquotienten. Das ist - von mir aus - eine Merkregel oder Plausiblemachung, aber kein Beweis!