Ich finde, dass an Folgendem viel dran ist:
ad 1: Hier wird ein Trend zur religiösen Ghettoisierung zunächst als Faktum in den Raum gestellt, ohne dass dafür Beweise vorliegen. Meiner Wahrnehmung nach zeichnet sich so eine Entwicklung nicht ab. Vielmehr gibt es in verschiedenen Religionen einen kleinen bis kleinsten Anteil Gläubiger, die ihren Glauben sehr absolut und vehement vertreten (--> Islamismus, div. fundamentalistische Freikirchen, ZJ, ...). Der Trend insgesamt geht m.E. zu einer Beliebigkeit von Inhalten, bzw. zu einer Patchwork-Spiritualität, die Elemente verschiedenster religiöser und spiritueller Traditionen aufnimmt und zu einem persönlichen Wohlfühlpaket zusammenschnürt. Da diese in aller Regel eher nett, bunt und friedlich sind (bissl Yoga, bissl Buddhismus, bissl alternative Medizin, an Weihnachten und Ostern in die Kirche, ...), kann man das m.E. durchaus mit einem Lächeln wahrnehmen. Da ich natürlich auch keine Belege für meine Wahrnehmung habe, ist es schwierig, den Punkt zu widerlegen. Das stat. Bundesamt hat ein paar Zahlen zur Religiosität in Deutschland, aber auch wenig, was klar eine der beiden Thesen untermauern würde...
ad 2: Die Inhalte des konfessionellen Religionsunterrichtes setzen sich aus mehreren Teilen zusammen: Information (z.B. über über die christliche Tradition und ihre jüdischen Wurzeln, über die Kirche in Geschichte und Gegenwart, über Fragen der Ökumene und des interreligiösen Dialogs sowie über philosophische und außerchristliche Deutungen von Mensch und Welt); Auseinandersetzung mit Fragen und Herausforderungen unserer Zeit mit dem Ziel, die Schülerinnen und Schüler zu einem achtsamen und verantwortlichen Umgang mit Mensch und Welt zu ermutigen; Lebenshilfe und Begleitung im Rahmen der schulischen Möglichkeiten; Offenheit für die persönliche Ansprache Gottes an den Menschen.
Drei der vier genannten Punkte sind rein erkenntnisbasiert und wissenschaftlich vielfach abgesichert. Sinn von Schule ist übrigens - anders als im Zitat - natürlich nicht nur die Vermittlung von Erkenntnissen, sondern natürlich auch die Diskussion über Standpunkte mit dem Ziel, Haltungen und Werte zu entwickeln. Schule als reine Wissensvermittlungsanstalt will hier hoffentlich niemand... Der Religionsunterricht nimmt nun die Lebens- und Glaubenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise in den Blick. Von daher ist er natürlich auch Fremdkörper im System, der sich Zeit nimmt, die Schülerinnen und Schüler in ihrem Menschsein auch aus einer anderen Perspektive als nur der des Lehrenden bzw. Lernenden anzusprechen - schön, dass es das gibt.
Bekenntnisse - gerade wenn es um Glaubensinhalte geht - sind übrigens per se nicht zu widerlegen. Das ist ein altes Ritual der GBS, das man nicht so besonders ernst nehmen kann (Behauptung der Nichtexistenz Gottes durch Berufung auf die Unmöglichkeit der Beweisbarkeit Gottes).
ad 3: "Die problematische Neigung zum konventionellen Denken" - was soll das sein? Hier sehe ich ohne Erläuterung wiederum nur ein subjektives Postulat, hinter dem ich nur eine bestimmte politische Haltung vermuten kann, die alles konservative, bewahrende per se als schlecht verurteilt. Darüber kann man natürlich streiten, aber das hat nicht viel mit dem Religionsunterricht zu tun...
ad 4: Darum nimmt der RU natürlich in der Auseinandersetzung mit ethischen Themen sowohl gesamtgesellschaftlich verbindliche Werte (z.B. des GG) wie auch religiös fundierte Werte (z.B. der christlich-protestantischen Tradition) in den Blick. M. E. hat es nur Vorteile, wenn wir SchülerInnen lehren, bei der Urteilsbildung verschiedenste Vorgehensweisen und Quellen für Werte/Normen zu berücksichtigen, damit sie zu einem möglichst ausgewogenen Urteil kommen können. Sich allein auf die Werte zu berufen, die eine Staatsmacht gerade gesetzt hat, hat sich in der Geschichte nicht durchgehend als lebensdienlich erwiesen...
ad 5: Jede Form von Erziehung und Bildung, die über die reine Präsentation von Inhalten hinausgeht, formt den Charakter der Lernenden und könnte daher als Indoktrinierung verurteilt werden. "Schule ohne Rassismus" --> Indoktrinierung! Ein Schulprogramm mit Werten --> Indoktrinierung! Das ist doch Unsinn. Wenn wir die uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen dabei begleiten wollen, zu einem guten, verantwortungsvollen Umgang mit Mensch und Welt zu finden, kommt Schule nicht ohne Werte aus. Dabei diejenigen zu nehmen, die in der Kultur, in die die Jugendlichen hineingeboren wurden, verwurzelt sind, ist m.E. nicht das Schlechteste. Erst wenn ich verstanden habe, warum die Welt unmittelbar um mich herum so tickt wie sie tickt, kann ich fundiert den Blick weiten und all das andere wahrnehmen und sinnvoll beurteilen, was sich in der Vielfalt der Möglichkeiten mir noch anbietet.
Ob RU grundsätzlich konfessionell gebunden unterrichtet werden muss, darüber könnte man lange streiten. In vielen sozialethischen Fragestellungen, in Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau, aber auch in zentralen Glaubensfragen liegen aber schon die ev. und kath. Kirche so weit auseinander, dass es häufig in einem ziemlichen Rumgeeiere ausarten würde oder eben total beliebig wäre. Die Schülerinnen und Schüler brauchen aber - so meine Erfahrung - auch religiös klare Personen, an denen sie sich reiben und an denen sie sich entwickeln können. Inwieweit das stattfinden kann, wenn keiner mehr da ist, der tatsächlich für irgendwas steht, finde ich schwierig...