Mich stört an der Diskussion, dass zu viel an das Elternhaus delegiert wird.
In der ersten Klasse wurde uns Eltern eindringlich aufgegeben, täglich mit den Kindern lesen zu lernen. Haben viele gemacht.
Aber in der Klasse gab es eine Mutter, die gar kein Deutsch sprach und eine, die Analphabetin war. Die konnten das gar nicht leisten. Beide Kinder haben die erste Klasse wiederholt.
Ungut sind auch zu Hause anzufertigende Referate - entweder die Eltern sind unterstützend (oder mehr!) tätig oder die Kinder bekommen zu Hause gar keine Hilfe und stehen am Referatstag ohne irgendwas da.
Wenn man allen Kindern die gleichen Chancen geben will, dann muss die Schule auch die Übungsarbeit leisten. Das wird nur in einer Ganztagsschule gehen - mit gesundem Mittagessen, freien Phasen, kleineren Betreuungsgruppen (durch die Lehrkraft, nicht irgendwelche Rentnerinnen) und auch mit Individualisierung. Für die Anfänger muss das Tagesprogramm natürlich kindgerecht sein.
Wichtig wäre auch eine ganz frühe Elternarbeit - nicht nur mit denen, die freiwillig kommen. Da braucht es dann eben die multikulturelle Sprechstunde, in der erklärt wird, was man vom Elternhaus erwartet. Gerade in den Mahgrebstaaten ist es üblich, dass sich die Eltern aus der Schule heraushalten - man muss den Leuten erklären, wie Schule hier funktioniert. Und sich ihnen vorurteilsfrei nähern. Übrigens sind auch die Aufgabenarten völlig unbekannt, eine marokkanische Freundin ist schon im ersten Schuljahr verzweifelt, weil sie gar nicht verstanden hat, was bei den Aufgaben zu leisten war. Textaufgaben in Mathe in Klasse zwei waren ihr einfach unbekannt (und sie spricht gut deutsch). Über den Aufgaben, bei denen keine Frage mehr gegeben ist, haben wir mit zwei Familien gebrütet.
Individuelle Förderung kann durchaus nicht daraus bestehen, dass die schwachen Kinder alles daheim erledigen, was sie in der Schule nicht geschafft haben. Das führt zu massivem Frust. Dann gibt es eben unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten.
Man müsste auch überlegen, ob viele Kopien guttun oder nicht das Abschreiben von der Tafel förderlich wäre. Auch, wenn es denn mal dauert. Am Ende der ersten Klasse konnte ich damals gerade mal Sätze wie "Fu ruft Uta." lesen, meine Kinder haben nach Pfingsten in der ersten eine Klassenlektüre gelesen. Muss das sein?
Ganz schrecklich finde ich das Schreiben nach Gehör - selbst wenn man die Rechtschreiberegeln nachreicht, haben manche Kinder die Worte abgespeichert. Ich kann ein Lied davon singen, wie aufwändig es ist, die Worte richtig zu lernen. Und bis heute schleichen sich einmal gespeicherte Wörter wie "wier" und "dier" in die Texte ein. Auch die Rechtschreibleistung der "Großen", die in meiner Schule ankommen, ist grottig.
Darüber hinaus wäre ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr für alle (wenn verpflichtend, dann natürlich kostenlos) immens wichtig, um die Kinder auf Schulkurs zu bringen. So kann man eben nicht mehr davon ausgehen, dass in allen Haushalten mit Schere und Kleber gebastelt wird (ich zum Beispiel!). Besonders, wenn die Eltern voll berufstätig sind.
Gruß
Mitleserin