Ich sehe das in Summe etwa so wie Kimetto.
Trotzdem hier noch meine Sicht als jemand, der sowohl Wirtschaft als auch Lehramt kennt:
- Gibt es an Berufskollegs/schulen einen deutlich höheren Praxisbezug
als bei anderen Schulformen wie dem Gymnasium? Wie kann man sich eine
solche "Praxis-Schulstunde" vorstellen? Was wird den Schülern
hierbei vermittelt und wie?
In BaWü gibt es berufliche Schulen. Hierunter fallen berufliche Gymnasien, die Ausbildungsgänge, das Berufskolleg, die Berufsfachschule, VAB, BEJ usw.
Den höchsten Praxisbezug haben sicher die beruflichen Ausbildungsgänge, gefolgt von den BKS, der BFS und dann die beruflichen Gymnasien. Eine Praxis-Schulstunde sieht je nach Schulart anderst aus. z.B. Juniorenfirma (Praxissimulation eines Unternehmens, in der die Schüler unterschiedlilche Rollen einnehmen und selbst den Einkauf, Verkauf, HR, Marketing usw regeln müssen. Auch mit Hilfe eine ERP Systems oder einfach nur Excel und Word. Es gibt eine virtuellen Marktplatz, an denen verschiedene Junierenfirmen handeln). Wie das im Maschinenbau oder technischen Bereich genau aussieht, weiss ich nicht.
- Wie hoch ist der Theorieanteil im Allgemeinen und auf welchem Niveau im Vergleich zum Studium?
Im Vergleich zum Studium ist das Niveau sehr niedrig. Hart gesagt reichen die ersten 2 Semester des Studiums aus. Alles was theoretisch darüber hinausgeht, hilft nur dabei, den Schülern zu aufzuzeigen, warum die in der Schule vermittelten Grundlagen noch sinnvoll sein können. Als Seiteneinsteiger und Akademiker allgemein ist die notwendige didaktische Reduktion im Referendariat im Gegensatz zur Uni eine Hürde.
- Wie sind die Schüler an BK / Berufsschulen? Wie hoch ist die
Lernmotivation? Muss man sich dort ein extrem dickes Fell zulegen (im
Vergleich zu anderen Schulformen)?
Je nach Ausbildungsgang besser oder schlechter... Kann man so allgemein nicht sagen. Ein dickes Fell ist meiner Meinung nach notwendig.
- Ist es überhaupt möglich, für mich als Seiteneinsteiger mit wenig
Berufserfahrung (nur Praktika und Werkstudententätigkeit) einen "guten"
Lehrer abzugeben, der etwas zu vermitteln hat?
Ich denke, auch ohne Praxiserfahrung gibt es "gute" Lehrer. Aber ein paar JAhre in der Wirtschaft helfen auf jeden Fall! Ein zwei Praktika sind nicht das Gleiche. Ich merke immer wieder, dass wenn ich den Schülern Praxiserfahrungen zum Lernstoff erzähle, dass sie dann sehr gerne zuhören. Auch fällt mir öfters auf dass ich mich selbst im Vergleich zu den Kollegen sehr effizient organisiere und so extrem viel Zeit einspare. Ob das jetzt nur an meiner Erfahrung in der Wirtschaft oder meiner IT und BWL-Affinität liegt, kann ich nicht 100% sagen. Zudem hilft mir die Erfahrung aus beiden Bereich, viele Dinge realistischer einzuschätzen.
Ich bekomme zB bei Gehaltsdiskussionen immer wieder mit, dass zB Lehrer ohne Erfahrung in der Wirtschaft oft keine Ahnung davon haben, was Brutto von einem bestimmten Gehalt in der Wirtschaft dann Netto noch in etwa übrig bleibt. Nach dem Motto "Mein Bekannter verdient 6000€ Brutto im Monat und ist deswegen ein reicher Mann und ich bin als Lehrer so arm".
- Wie ist die Belastung des Schulalltags im Vergleich zur Arbeit in der freien Wirtschaft?
Ich war im IT Bereich im Produktmanagement. Meine Arbeitszeiten haben sich immer zwischen 40 und 50 Stunden bewegt (real, ohne Anfahrt, Abfahrt und die Mittagspausen usw schon abgezogen). Da bin ich jetzt im 5. Jahr in der Schule definitv drunter! Hier gibt es Wochen, in denen ich relativ wenige reale Arbeitsstunden habe und wieder Andere, in denen ich mehr ranklotzen muss. Für die Fächer IT und BWL würde ich sagen, dass die reine Arbeitszeit geringer ist als in der Wirtschaft. Die Zeit, die man vor der Klasse steht ist aber sehr intensiv. D.h. man ist immer im Mittelpunkt des Geschehens, kann sich nicht einfach mal 10 Minuten ausklinken und durchatmen. Zudem ist das erforderte Multitaskting teilweise echt krass! Die Belastung ist also im Lehramt meiner Meinung nach weniger quantitativ (viele Stunden), dafür aber qualitativ hoch (Anforderungen, Multitasking, soziale Komponente...). Ein Zuckerschlecken ist es nicht. Aber mir passt es besser als die freie Wirtschaft. Auch weil meiner Erfahrung nach in der Industrie ein Großteil der Energie aufgrund von Machtspielchen zwischen Abteilungen, Manager und normalen Mitarbeitern verloren geht. Das habe ich so im Lehramt nicht erlebt.
- Bereut ihr den Schritt zum Lehramt? Nennt gerne Vorteile/Nachteile
Ich bereue den Schritt nicht. Ich habe ich einen sinnvollen Job, der mir auch meistens Spaß macht. Mit den Schülern komme ich in der Regel auch gut zurecht. Das Gesamtpaket ist meiner Meinung nach auch sehr fair.
Ich kann mir einen großen Teil der Arbeit selbst einteilen (zB im Sommer mittags schwimmen gehen und dafür Abends nochmal ranklotzen). Sowas hat man in der Form in der freien Wirtschaft eher nicht. Das A13-Gehalt ist sehr fair. A14 ist mit den meisten Akademikerberufen auch absolut konkurrenzfähig. Klar, ich kenne auch ein paar Überflieger, die weit mehr verdienen in der Wirtschaft. Ich weiss aber auch, dass die in der Regel entweder theoretisch oder auch praktisch mehr drauf haben als ich, Glück/Beziehungen hatten und/oder viel mehr Stunden arbeiten. Einen großen Nachteil sehe ich auch darin, dass Urlaube teilweise viiiel teurer sind. Beispiel: Ein Bekannter von mir ist gerade nach Südafrika gefolgen für 350€ und bleibt bis ins nächste Jahr. Ich habe nach Flügen in den Weihnachtsferien gesucht. Die haben preislich bei 1700€ angefangen!
Vorteile: Sinnvoller Job, mit A13 überdurchschnittliches Gehalt (auch für Akademiker) bei meist guter Work-Life-Balance und unschlagbarer Planbarkeit und Sicherheit. Zudem ist man sein eigener Herr und kann im Rahmen des Lehrplanes und sofern die Schüler die Prüfeungen gut bestehen sehr frei agieren. Sinnlose Machtspielchen wie in der Wirtschaft habe ich der Schule zudem auch nicht erlebt.
Nachteile: Der Job kostet phasenweise sehr viele Nerven! Der Urlaub ist teilweise sehr teuer, da immer Hauptreisezeit. Ein großer Nachteil ist auch der, dass viele Menschen der Meinung sind, dass man nichts oder sehr wenig arbeitet. Oder auch dass NichtLehrer oft genau wissen, wie man als Lehrer seine Arbeit durchzuführen hat. Solch ein Phänomen gibts wohl bei keinem anderen Job.