Die Bewertung(stransparenz) im Referendariat ist aus meiner Sicht tatsächlich nicht vergleichbar mit der von Schülern in Klassenarbeiten. Auch nicht (aber schon eher) mit der von Schülern in Klausuren. Je komplexer das zu bewertende Produkt ist, desto schwieriger ist es selbstverständlich, eindeutige, transparente Kriterien zu formulieren.
Am Beispiel der Schülerprüfungen:
- In Klassenarbeiten der Sek1 ist z.B. eine verwendete grammatikalische Form ganz klar richtig oder falsch, und entsprechend erhält der Schüler einen Punkt oder eben nicht. Hier herrscht 100%ige Transparenz. Selbst die freien Texte sind so kurz und gleichförmig, dass ich hier im EWH eine maximal zu erreichende Punktzahl z.B. im Bereich Satzbau ausweise, und hiervon je Satzbaufehler einen Punkt abziehe. Es ist bei allen zu 100% gleich und man kann nachrechnen, ob ich richtig bewertet habe.
In späteren Klassenarbeiten funktioniert das so nicht mehr. Irgendwann geht die mögliche Pallette an Schülerantworten nämlich so weit auseinander, dass es stärkeren (!) Schülern gegenüber unfair wäre, wenn weiterhin jeder Satzbaufehler 1P. Abzug bedeutete, weil die stärkeren Schüler beginnen von sich aus deutlich längere Texte mit komplexeren Satzgefügen schreiben. Sie trauen sich mehr, probieren sich aus und versuchen stilistisch abwechslungsreich zu schreiben. Bei solchen längeren, komplexeren Texten passieren aber natürlich mehr Fehler. Trotzdem sind diese ganzseitigen Texte mit vllt. 10 Fehlern besser, als ein Text in Minimallänge mit nur einem Fehler, der stur dem Prinzip S-V-O-EndevomSatz folgt. Daher ändere ich den Bewertungsmodus, ziehe nicht mehr von der maximalen Punktzahl Punkte ab, sondern vergebe - je nach Qualität des gesamten Geschreibsels - eine bestimmte Punktzahl (von der weiterhin feststehenden, erreichbaren Maximalpunktzahl). In dem Moment, da ich das Verfahren umstelle, ist das erstmal frustrierend für die (schwächeren) Schüler, weil das Verfahren weniger Transparent ist und ihnen unfair erscheint. Wenn ich die Gründe aber erläutere, haben auch diese bislang immer alle eingesehen, dass das Verfahren doch fairer ist, obwohl es weniger transparent ist. Außerdem gibt es ja immer noch einen Grammatikteil, in dem weiterhin alles ganz klar geregelt ist, sodass es nicht ganz so schwer fällt, mir ein paar Punkte für den freien Text "anzuvertrauen".
- Klausuren sind nochmal deutlich komplexer als eine Mittelstufenklassenarbeit, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Im Erwartungshorizont einer Klausur, in der eine Charakterisierung geschrieben wird, kann ich nur mit "Beispielergebnissen" arbeiten. Da steht dann sowas wie "Der Schüler beschreibt Katelyn z.B. als egozentrisch, stur und selbstverliebt und belegt dies anhand passender Textstellen" (evtl. führe ich auch hier nochmal passende Textstellen auf). Mit diesen Beispielen gebe ich die ungefähre Richtung vor, in die die Charakterisierung zu laufen hat. Was dem total entgegenläuft, ist eben falsch. Ich lasse aber Spielraum offen, da Schüler womöglich andere Worte ("ichbezogen") oder Umschreibungen ("stark fokussiert auf ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen") wählen, die inhaltlich aber voll auf meiner Linie sind, oder sogar mal einen treffenden Aspekt anführen, den ich im Vorlauf der Klausur vllt. nicht auf dem Schirm hatte. Auch die Bewertung der sprachlichen Qualität läuft nur noch im "ich gebe je nach meiner Einschätzung einen bestimmten Teil der Maximalpunktzahl"-Modus. Der EWH verwässert insgesamt also im Vergleich zur Mittelstufe noch mehr, einfach weil die Produkte komplexer werden und man nur so den verschiedenen Schülern gerecht werden kann. Letzteres ist dabei aber immer mein Ziel, und die allermeisten Schüler verstehen das auch und akzeptieren meine Punktvergabe. Wenn sie das nicht tun, erkläre ich, weshalb ich welche Punktzahl gegeben habe. Zu mehr als dieser Nachfrage ist es bislang nie gekommen, auch wenn ich mir sicher bin, dass sich mancher Schüler trotzdem immer noch hier und da ein paar Pünktchen mehr gegeben hätte.
Wenn schon für schriftlich vorliegende Schülerprodukte gilt, dass mit zunehmender Komplexität der Erwartungshorizont und damit die Bewertunstransparenz notgedrungen verwässert, ist nachvollziehbar, weshalb für einen UB kein klarer Kriterienkatalog mehr vorgelegt werden kann, den man "abhaken" könnte als Fachleiter (oder auch als Reffi) und anhand dessen sich dann errechnen ließe, wie gut die geziegte Stunde war. In einer Unterrichtsstunde spielen tausendundein Faktor eine Rolle, die zusammen ein Bild ergeben, die aber auch nicht alle in jeder einzelnen Stunde überhaupt eine Rolle spielen müssen. Z.B. gibt es durchaus Stunden, an deren Ende kein sauberes Tafelbild vorn prangen muss, weil der Fokus z.B. auf Mündlichkeit lag und sich kein Tafelbild anbietet. Dann kann man die Qualität desselben nicht in die Bewertung einbeziehen, entsprechend macht es auch keinen Sinn festzulegen, dass die Qualität des Tafelbildes 5% der UB-Note ausmacht oder so. Auch gibt es Stunden, in denen eine starke Lehrerleitung wünschenswert und solche, in denen diese für den Lernfortschritt hinderlich ist, und welche, in denen der Einstieg Vorwissen reaktivieren soll und welche, in denen er das Interesse der Schüler wecken soll, etc.pp. Was ein guter Einstieg ist, hängt also immer davon ab, was im weiteren Verlauf der Stunde passieren soll, daher kann, was in Stunde 1 noch als gut bewertet wurde, in Stunde 2 schlecht sein.
Fazit: Die Kriterien zur Bewertung der UBs sind tatsächlich wenig transparent für den Bewerteten. Wie in der Schule gilt, dass der Bewertete ( = der Reffi) nachfragen kann und soll, weshalb etwas als gut oder schlecht bewertet wurde. Die Antworten werden immer komplex sein, eben weil alles mit allem zusammenhängt. Das kann man dann als Gelaber abtun und dem Bewertenden unterstellen er habe keine Gründe für die Bewertung und wolle einem etwas Böses, oder man kann es eben annehmen.
Was ich tatsächlich ärgerlich fand, war, dass in einem meiner Fächer nach den UBs nicht mal tacheles geredet wurde: Ich hätte am Ende jedes UBs gern gewusst, wie er benotet wurde. Das geschah aber nicht. Ich habe dort nie (!) eine klare Notenansage zu einer UB-Stunde erhalten, es gab nur nach dem 3. UB die "Zwischennote", wobei da auch nicht klar war, ob die sich nur auf die ersten drei UBs stützte oder auch die Arbeit im Seminar einbezogen wurde. Auch die restlichen beiden UBs wurden wieder nachbesprochen, ohne dass am Ende eine Note gestanden hätte. Jedes Mal wurde ich gefragt, wie es denn gelaufen sei, und ich konnte nur sagen "weiß nicht. Vielleicht sowas wie 2 oder 3?". Es hätte mir total geholfen, etwas Sicherheit zu gewinnen und meine Leistungen besser einschätzen zu können, hätte ich mal eine Zahl an der Hand gehabt statt der verwaschenen (s.o.) Nachbesprechungen.
In meinem anderen Fach sah das ganz anders aus, da hatte ich am Ende immer eine Note an der Hand. Da hätte ich sie aber nicht so sehr gebraucht, weil da immer alles glatt lief und ich selbst wusste, wie die Stunden waren.