Auch in dem Fall können die Unterlagen selbsterklärend sein. Bei uns ist es an vielen Gymnasien mittlerweile Usus, dass es Phasen gibt, in denen die SuS komplett ohne Lehrer arbeiten, dann *müssen* die Unterlagen selbsterklärend sein. Bei uns nennt sich das Konzept "Selbstlernsemester" und betrifft die Fächer Deutsch, Mathe, Englisch, Französisch und das Schwerpunktfach. In mindestens diesen Fächern müssen also alle Kollegen ihr Material so vorbereiten, dass sie als Lehrperson jederzeit vertretbar sind bzw. eben für die eigentlichen Unterrichtsstunden sogar überflüssig werden.
Ich habe auch nicht gesagt, dass es generell nicht geht. Bei mir ginge es halt zur Zeit nicht. Ich unterrichte seit einem Schuljahr und habe noch keinen großen Fundus fertiger Materialien, die von vorne bis hinten durchdacht und dann auch noch universell vom fachfremden bis fachkundigen Lehrer umsetzbar wären.
Phasen, in denen Schüler bei uns (selbstverständlich) weitestgehend ohne Lehrer arbeiten, gibt es bei uns bzw. bei mir natürlich auch in großem Umfang. Aber danach kommt eigentlich IMMER eine Phase der Plateaubildung oder Sicherung, in der die Schüler ihre Ergebnisse zusammentragen, wir Fragen klären und ein Tafelbild erstellen. Danach gibt es dann ein/zwei kleine Übungsaufgaben dazu, um zu überprüfen, ob jeder den Kern der Sache begriffen hat. Während der Erarbeitungsphase gehe ich schon vorher rum und schaue, welche Lösungen ergiebig aussehen (auch gezielt fehlerbehaftete oder komplizierte) und lasse die dann möglichst so vorstellen, dass sich mein erhofftes, aber nicht vorformuliertes Tafelbild aus den Schülerbeiträgen heraus entwickeln lässt. Mir persönlich verlangt das im Unterricht viel Konzentration und auch im Vorfeld ein klares Bild davon ab, was ich erreichen will.
Werden die Aufgaben den Kindern vorgelegt, anschließend mit der Musterlösungen abgeglichen und wird dann eine vorgefertigte Definition an die Tafel geklatscht, dann ist der Effekt ein ganz anderer. Außerdem ist das Abgleichen (meiner) Aufgaben in der Regel gar nicht so leicht, weil ich häufig in Erarbeitungen offen lasse, ob Lösungen zeichnerisch, rechnerisch, durch Schätzung oder sonstwie entwickelt werden. Oder wenn eine konkrete Lösungsstrategie verwendet werden soll, dürfen die Schüler eigene Aufgaben dazu entwickeln und sie anwenden und vergleichen.
Wenn ich im Krankheitsfall Vertretungsstunden vorbereite, dann suche ich in der Regel andere Aufgaben raus - nämlich "mechanisches Üben" oder Erarbeitungen am Text. In meinem eigenen Unterricht finde ich die Zeit dafür aber zu schade. Lesen oder mechanisch üben können die Kinder auch zu Hause im eigenen Tempo.
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Und dass du schreibst, es könne nicht sein, dass selbst Fachkollegen meine Unterrichtsvorbereitung nicht einfach so umsetzen könnten, finde ich absurd. Du kennst doch meine Vorbereitung überhaupt nicht. Natürlich kann ich sagen: "Die können jetzt grob xy, mach mal yz mit denen" oder "Üb' mal zx.". Darum ging es doch aber nicht. Es ging um konkretes Unterrichtsmaterial oder nicht?
"Mathe ist Mathe" ist auch ein eigenartiger Spruch. Wenn ich den Satz des Pythagoras unterrichte, dann kann ich das auf etlichen Ebenen verfolgen. Hinter dem Inhalt steckt noch so viel mehr. Das nennt sich bei uns "prozessbezogene Kompetenzen".
Die Intention einer Stunde zum Satz des Pythagoras kann total unterschiedlich sein:
* Experimentelles Entdecken des Satzes und Hypothesen bilden, Begriffsbildung
* Entdecken und Begründen/Argumentieren (schwer zu unterrichten, besonders wenn das Vorwissen der Schüler nicht bekannt ist oder was genau in letzten Unterrichtsstunden stattgefunden hat)
* Verständnis der Definition herausbilden, indem Beispiele und Gegenbeispiele zur Anwendbarkeit von Pythagoras gebildet und diskutiert werden
* Nach "Schema F" Anwenden des Satzes (einfach zu vertreten)
* ...
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Eigenartig finde ich auch, dass du kritisierst, dass ich einen kritisch-hinterfragenden Beitrag zu vorgefertigten Arbeitsblättern like, die man nicht weiter kommentieren muss. Es gibt Stunden, in denen Arbeitsblätter sehr wertvoll sind. Es gibt Konzepte wie bei uns die sogenannten "Studienzeiten", die ausschließlich darauf basieren (Umfang: 1,5h die Woche). Aber das heißt noch lange nicht, dass ich 100% meines Unterrichts so gestalte. Das würde ich unbefriedigend finden - vor allem für die Schüler. Einige können sich hervorragend selbst organisieren und arbeiten toll an Arbeitsblättern. Andere bringen sich aktiv in Unterrichtsgesprächen oder Vorstellungen ein, aber Konzentration allein - Fehlanzeige. Ich will alle irgendwann mal bedienen. Nur mit Arbeitsblättern und Texte lesen werde ich das nicht erreichen. Für Vertretungsstunden sind das aber sehr geeignete Methoden, denke ich.
"Meine Arbeit habe ich dabei ja schon lange vorher erledigt, indem ich die Versuche geplant und die Unterlagen so ausgearbeitet habe, dass die SuS exakt nach Anleitung erfolgreich zum Ziel kommen. Ich fördere und fordere ganz gezielt wann immer es möglich ist die selbständige Arbeit meiner SuS. Ich als Person bin dabei nur im Hintergrund wichtig."
Für Experimente in Chemie ist das sicher auch schon aus Sicherheitsgründen total sinnvoll. Meine Schüler sollen in Mathe aber möglichst häufig eigene Wege finden. Das fördere ich immer und immer wieder, wo ich kann. Sie sollen die Inhalte ja begreifen und nicht einfach die Lösungswege herunterbeten.