Beiträge von Biologe

    @ Biologe:


    Da du diesen deinen Schülern sogar in der 20-Minuten-Pause erläutern kannst:


    Ich suche danach seit nunmehr bald 42 (sic!) Jahren. Könntest du einen Extra-Thread eröffnen, um mir diesen mitzuteilen? Das wäre sehr nett!

    So manche hämische Bemerkung ließe sich schon durch fehlerfreies Lesen vermeiden. Wenigestens von einem Deutschlehrer hätte ich erwartet, den Sinn des Lernens vom Sinn des Lebens unterscheiden zu können. Aber dieses Forum scheint ja Lehrer anzuziehen, die Fehler nur bei Anderen vermuten.

    Ich stimme Ihnen weitgehend zu und passe ebenfalls meinen Unterricht immer daran an, was in der jeweiligen Klasse geht oder eben nicht geht. Für die Vorführung von Hokuspokus-Unterricht plädiere ich sicher nicht, obwohl ich auch schon Schüler die verschiedenen Arten weißer Blutkörperchen habe spielen lassen, um ihnen deren Zusammenarbeit verständlich zu machen. Häufig nutze ich auch meine Pausen, um Schüler zu trösten, zu ermutigen oder ihnen den Sinn des Lernens näherzubringen. Aber Sie haben ja sicher auch schon öfter erlebt, dass schwache Schüler ungeahnte Fortschritte machen können, wenn man ihnen beim Lernen die nötige Zeit geben und ihnen so Erfolgserlebnisse vermitteln kann, die ihnen das nötige Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten geben. Weil Intelligenz und Lernfähigkeit nicht nur angeboren, sondern auch trainierbar sind, versuche ich meine Schüler möglichst individuell vor Aufgaben zu stellen, deren Lösbarkeit sie sich zunächst kaum vorstellen können, deren Bewältigung sie dann aber auch entsprechend stolz macht und weiter bringt. Aber wie Sie schon schrieben, müssen dafür die Lernenden zunächst Vertrauen in das Wohlwollen und das Urteilsvermögen ihrer Lehrer entwickeln. Sonst fangen viele gar nicht erst an, mitzudenken und sich anzustrengen. Dieses Vertrauen haben die meisten meiner Schüler auch deshalb, weil ich immer zumindest versuche, auf ihre Wünsche einzugehen, ihnen Freiräume zu verschaffen und meinen Unterricht an ihre Bedürfnisse anzupassen. So habe ich schon bockige Störer in eifrige Mitschreiber verwandeln können, indem ich ihnen einfach das Mitschreiben auf ihren Smartphones erlaubte. Und ganze Klassen oder Kurse haben ungewohnt fleißig die Fragen meiner Arbeitsblätter bearbeitet, weil sie das im Park oder auf dem Rasen vor der Schule tun durften.


    Das freie und altersgemischte Lernen in Grundschulen ist nach meiner Erfahrung eine großartige Sache, aber das erfordert natürlich auch entsprechend ausgebildete Lehrer und geht nicht ohne Selbstlernmaterial, wie es traditionell in Montessori-Grundschulen reichlich verhanden ist und den Klassenraum in eine Art Wohnzimmer mit vielen Regalen und Schränken verwandelt. In diesen Schulen überlassen die Lehrerinnen die Schüler auch nicht einfach sich selbst, sondern kontrollieren engmaschig die Lernfortschritte jedes Einzelnen. Die Kinder sind zwar auf sehr unterschiedlichen Niveaus unterwegs, aber bei allen muss es im Rahmen ihrer Möglichkeiten doch Fortschritte geben.


    Auch aufgrund meines Kraft- und Ausdauertrainings rechne auch ich nicht damit, von aufgebrachten Vätern attakiert zu werden. Außerdem habe ich mit meinem Unterricht noch keine Eltern wirklich wütend gemacht. Aber mir sind mehrere entsprechende Fälle persönlich bekannt. Und ich denke schon, dass auch Lehrer mit Angriffen rechnen müssen in einer Zeit, in der sogar Feuerwehrleute und Rettungssanitäter gewaltsam an ihrer Arbeit gehindert und Polizisten in Hinterhalte gelockt werden, um sie lebensgefährlich zu verletzen.

    @ Biologe: Ich glaube kaum, dass eine Individualisierung des Unterrichts zu einem größeren Respekt gegenüber Lehrern, Polizisten und anderen Amtspersonen führen wird. Hier spielt oftmals eine mangelnde Erziehung im Elternhaus eine Rolle. Und ehe mir jemand mit dem Argument kommt, dass diese Erziehungarbeit die Lehrer erledigen müssen, so antworte ich diesen: Die Erziehung ist die Aufgabe der Eltern (siehe auch Grundgesetz). Der Unterricht hat nix damit zu tun.


    Und die kritische Elternschaft ist sicherlich nicht an allen Gymnasien Ususu, jedoch kommt auch dieses vor (und es kann verdammt anstrengend sein, wenn man einem Vater gegenüber sitzt, der alles besser weiß und noch dazu Jurist ist und gegen alles und nix aufmuckt). Ebenso gibt es auch an Gymnasien Eltern, die sich um nix kümmern sowie Schüler, die verhaltensauffällig sind (und die Quote dieser Schüler wird im Zug von der Inklusion noch steigen). Und seien wir mal ehrlich: Mit manchen Klassen (auch am Gymnasium) ist ein freier Unterricht nicht möglich. Während Experimentierphasen muss man Angst haben, dass sie mal wieder Dummheiten machen (ähnliches gilt während Gruppenarbeitsphasen). Eine straffe Hand resp. vielen Frontalarbeitsphasen bekommt diesen Klassen dann oft am Besten.

    Selbstverständlich gehört die Erziehung zu den Pflichten der Eltern und sie sind verantwortlich, wenn Kinder nicht erzogen wurden. Trotzdem bleibt Schulen nichts anderes übrig, als auch mit unerzogenen Schülern sinnvoll umzugehen. Das freier Unterricht auch an Gymnasien schwierig bis unmöglich sein kann, weiß ich natürlich auch. Mit Ausnahme einer Klasse habe ich es allerdings bisher immer geschafft, fast alle meiner Schüler ein gutes Stück in Richtung selbständiges Lernen weiterzubringen. Vermutlich machen das die meisten Lehrer so, aber mir geht es um das Problem, dass unser Schulsystem zumindest in den Klausurenfächern einer Individualisierung der Lerntempi sehr enge Grenzen setzt. Und das ist nicht für mich persönlich ein Problem, sondern für viele Schüler und uns als Gesellschaft.

    Seiner Homepage zu Folge arbeitet er nach einer abgebrochenen Dissertation freiberuflich als Rechercheur und Autor im wissenschaftsjournalistischen Bereich und taucht im Internet öfter zum Thema BSE auf. Was den schulischen Bereich angeht, hält er sich ziemlich bedeckt, anscheinend nimmt ist er als Vertretungslehrer tätig, was einen tieferen Einblick in die Funktion des Schulsystems natürlich etwas relativiert...


    Nele

    Ich habe freiberuflich wissenschaftliche Recherchen und Gutachten gemacht, aber nicht als Wissenschaftsjournalist gearbeitet. Prionkrankheiten wie BSE waren mein wichtigster Forschungsschwerpunkt nach der Regulation der Blutbildung und der interzellulären Kommunikation durch Gap Junctions. Was den schulischen Bereich angeht, halte ich mich aber nicht bedeckt. Ein umfangreiches Glossar, Zusammenfassungen meiner Unterrichtsinhalte, Lernseiten sowie Arbeitsblätter mit Antworten erleichtern meinen Schülern zuhause das Nacharbeiten, wenn sie krank waren oder im Unterricht etwas nicht verstanden haben. Mein Einblick in unser Schulsystem wird durch meine Tätigkeit als Vertretungslehrer nicht relativiert, sondern besonders breit. Ich übernehme den Biologie-Unterricht von Klassen oder Kursen meistens zu Beginn eines Schul- oder Halbjahres und führe sie mindestens bis zu den nächsten Zeugnissen. Und selbstverständlich gehören zu den Pflichten eines Vertretungslehrers auch die Konferenzen. Nur Klassenfahrten blieben mir bisher erspart, aber dafür eleben eben Vertretungslehrer viele Schulen und Schulformen. Meines Erachtens reicht ein Jahr, um eine Schule ziemlich gut kennenzulernen. Ich finde es allerdings schade, dass hier entgegen einer Forenregel meine Person thematisiert wird, anstatt sich ernsthaft mit meinen Argumenten zu beschäftigen. Mobbende Lehrer als Reaktion auf unliebsame Thesen brauche ich eigentlich nicht.

    Ich habe Ihnen gar nichts unterstellt. Bevor ich in den 60ern als Schüler auf ein Gymnasium wechseln konnte, war ich ein Jahr auf einer Hauptschule. In dieser Zeit hatte mein Klassenlehrer drei Nervenzusammenbrüche und er wurde mehrfach von Schülern tätlich angegriffen. Als Vertretungslehrer an einer Hauptschule war ich nach wenigen Monaten froh, dass der Vertretungsbedarf endete und ich eine neue Stelle in einer Realschule antreten konnte. Ich habe seitdem die größte Hochachtung vor Hauptschullehrern, die das Jahrzehnte durchstehen. Danach habe ich mit 12-27 Wochenstunden an drei Realschulen und zwei Gymnasien unterrichtet und kann deshalb aus eigener Erfahrung feststellen, dass das Unterrichten an Realschulen viel und an Gymnasien sehr viel einfacher ist, selbst wenn der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund wie an meiner aktuellen Schule über 90% liegt. Das Problem der kritischeren Elternschaft wird nach meiner Erfahrung aufgebauscht. Sehr viel schlimmr als kritische Eltern sind die Eltern, die sich um nichts kümmern können oder wollen. Man muss dazu nur mal vergleichen, wieviele Eltern zu den Elternabenden an Gymnasien, in Realschulen oder Hauptschulen kommen. In Gymnasien gibt es ein paar kritische Eltren, die man überzeugen muss, aber auch kann. In Haupt- und Realschulen müssen Lehrer damit rechnen, von Eltern zusammengeschlagen zu werden. Das Hauptschullehrer trotz ihres wirklich harten Jobs deutlich schlechter als Gymnasiallehrer bezahlt werden, halte ich deshalb für eine große Ungerechtigkeit.


    Selbstverständlich ist die Beziehungsarbeit mit den Schülern (teilweise auch mit Eltern) die Basis, ohne die guter Unterricht gar nicht möglich ist. Und je größer die Unselbständigkeit und andere Defizite der Schüler sind, umso mehr müssen natürlich Lehrer für Ordnung und Struktur sorgen. Deshalb hatte ich ja auch geschrieben, dass Schüler möglichst von Anfang an das selbständige Lernen erst lernen müssen. Ich werfe meine Schüler auch nicht einfach ins kalte Wasser selbständigen Lernens, sondern gewöhne sie ganz langsam Schritt für Schritt an immer mehr Selbständigkeit. Aber mein Ziel ist eben nicht der lehrerzentrierte Unterricht, sondern ein möglichst selbständiges Erarbeiten des Stoffes durch die Schüler. Am Ende ihrer Schulzeit sollten sie das können, damit sie auch nach der Schule weiter lernen können. Und in der Schule ist da die Voraussetzung für wirklich binnendifferenziertes Lernen in einer Klasse.


    Meine Hauptschüler waren nicht dümmer als meine Schüler an den Realschulen und Gymnasien. Vielleicht haben Sie andere Erfahrungen gemacht, aber meine Hauptschüler waren "nur" verhaltensauffälliger. Aber spätestens an Realschulen und ganz besonders in heutigen Gymnasien ist das Spektrum der Leistungsfähigkeiten derart breit, dass ein für alle Lernenden einer Klasse gleiches Lerntempo zwangsläufig viele Schüler unter- oder überfordert. Man versucht das notdürftig mit Überspringen, Sitzenbleiben oder Schulwechseln zu reparieren, aber das Problem ist ein Systemfehler, der grundsätzlich behoben werden sollte. Das ist auch keine ideologische Frage und schon gar kein persönliches Problem meinerseits, sondern in einer Gesellschaft mit fast nur noch anspruchsvollen Arbeitsplätzen und wachsenden Nachwuchsproblemen geht es um unsere Wettbewerbsfähigkeit, um unsere Attraktivität und Stabilität als Wirtschaftsstandort. Nicht nur als Lehrer, sondern als Gesellschaft können wir es uns nicht dauerhaft leisten, dass viele Lernende in unseren Schulen irgendwann aufhören, ihr Bestes zu geben oder überhaupt noch mitzumachen. Was wir heute in den Schulen erleben, zulassen und vorbereiten, wird in Zukunft unsere Wirtschaft prägen, von der wir letztlich fast alle abhängen. Sorgen machen mit aber auch die vielen jungen Menschen, die sich schon durch unser Schulsystem von der Gesellschaft aussortiert fühlen und für sich keine positiven Perspektiven sehen. Meiner Ansicht nach hat das bereits zu einer gefährlichen Respektlosigkeit gegenüber Polizisten, Lehrern und vielen anderen Berufsgruppen geführt, die in unserer Gesellschaft Ordnung und Infrastruktur aufrecht erhalten sollen. Nicht nur, aber auch darum geht es mir, wenn ich für ein Individualisierung des Lernens und insbesondere der Lerntempi plädiere.

    "Sie müssen mit den Schülern arbeiten, die Sie haben. Unabhängig vom Schulsystem. Eigentlich ganz einfach." schwadroniert ausgerechnet ein Gymnasiallehrer, der gar keine schwierigen Schüler kennt. Zeigen Sie doch mal an einer Hauptschule, was Sie können! Dass Sie im Gymnasium praktisch nur pflegeleichte Schüler haben, ist eine alles andere als vom Schulsystem unabhängige Tatsache.


    Außerdem beschreibe ich hier nicht meine Probleme mit meinen Schülern, mit denen ich gut klarkomme. Mir geht es um die Probleme vieler Schüler, Eltern, Arbeitgeber und Universitäten mit unserem Schulsystem. Und nach meiner Erfahrung mit einer Montessori-Schule sowie einem ganz ähnlich funktionierenden naturwissenschaftlichen Diplomstudiengang bin ich der Meinung, dass Montessori-Pädagogik bei geeigneten Rahmenbedingungen viele unserer Probleme lösen könnte. Schon komisch, dass Lehrer wie Sie auf reformpädagogische Ansätze und Diskussionen so allergisch reagieren, anstatt sachlich darüber zu diskutieren. Das unterscheidet Sie von Wissenschaftlern, die ihre Methoden ständig in Frage stellen und weiterentwickeln - notfalls auch unbezahlt. Aber Ergebnisse solcher Uneigenützigkeit wie das World Wide Web nutzen Sie gerne, nicht wahr? Ohne die unbezahlte Arbeit von Millionen Deutschen wäre unsere Gesellschaft längst zusammengebrochen und könnte Ihr Gehalt nicht mehr zahlen.


    p.s.: Von digitalen Schulbüchern auf iPads und DRM verstehe ich vermutlich mehr als Sie. Ich habe schon ein iBook geschrieben und veröffentliche meine eigenen Texte und Abbildungen unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA-3.0 DE, damit andere Autoren meine Arbeit kostenlos nutzen können. Im Gegenzug profitiere ich von der Arbeit zahlreicher anderer Autoren und Zeichner, die ihre Arbeiten unter ähnlichen Lizenzen auch mir kostenlos zur Verfügung stellen. Digitale Schulbücher sind aber auch bei Schulbuchverlagen billiger, weil die Druckkosten entfallen. Darüberhinaus gehen sie nicht kaputt oder verloren. Sie ermöglichen häufige Updates und machen dadurch Fehlermeldungen durch Lehrer erst sinnvoll. Natürlich braucht man dafür auch Lehrer, die Fehler in Schulbüchern überhaupt erkennen und diese dann auch noch unbezahlt an Verlage melden. Glücklicherweise gibt es solche Lehrer, denen auch ohne eigenen Profit die Verbesserung der Lernbedingungen an unseren Schulen Freude bereitet.

    Sie gehören wohl auch zu den Lehrern, die es nicht vertragen, wenn Schüler intelligenter sind als sie selbst. Nennen Sie Ihre guten Schüler auch schon mal Streber? Auf jeden Fall gehören Sie offensichtlich zu den Lehrern, die nur ja nie zu viel arbeiten. Sie können sich wohl gar nicht vorstellen, dass es in unserem Land Millionen Menschen gibt, die ehrenamtlich arbeiten. In der Grundschulklasse meiner Tochter waren wir immer mehrere Eltern, die ehrenamtlich AGs leiteten. In Sportvereinen leisten unzählige Menschen wertvolle Arbeit für die Jugend. Sie tun das, weil ihnen etwas an den jungen Menschen liegt und sie ihnen helfen wollen. Studenten geben Schülern kostenlosen Nachhilfe-Unterricht und viele ältere Menschen lesen ehrenamtlich Kindern vor. Aber das sehen vielleicht diejenigen nicht gerne, für die Arbeit mit jungen Menschen nichts anderes als ein Job ist.


    Wer die offensichtlichen Mißstände in der Erziehung vieler Kinder und im Umgang unseres Schulsystems mit diesem Problem klein redet, der muss sich schon nach seiner Motivation fragen lassen. Augen zu und durch ist vielleicht bequem, aber solche Lehrer braucht unser Land eher nicht. Ich bekomme für meine Arbeit von den meisten meiner Schüler sehr positive Rückmeldungen, aber weder gibt es einen für jeden Schüler guten Lehrer, noch ist der Lehrer der einzige wirklich wichtige Faktor. Wenn man schon die Hattie-Studie zitiert, dann doch bitte mit Verstand! Den Effekt eines Schulsystems mit völlig freigegebenen Lerntempi und einem externen Prüfungssystem hat Hattie in seiner Metametastudie nämlich gar nicht untersucht. Dazu hätte er normale Schulen mit dem deutschen Fahrschulsystem, den noch nicht völlig verschulten alten Diplomstudiengängen und der Vorbereitung von Schülern auf die immer beliebter werdenden Sprachzertifikate vergleichen müssen, was er aber nicht getan hat, weil das mit einer Metastudie gar nicht möglich ist.


    Ich habe während meines Studiums in jedem Semester mehr gelernt als während meiner gesamten Zeit im Gymnasium. Und viele meiner Kollegen in der Wissenschaft haben das gleiche erlebt. Als ich trotz zahlreicher freiwilliger Praktika nach etwas mehr als 8 Semestern meine letzte Diplomprüfung bestand, waren viele andere Studenten noch nicht mit dem Grundstudium fertig. Die Universität zu Köln hat das damals möglich gemacht, weil sie jedem Studenten erlaubte, so schnell und so viel zu studieren, wie man wollte und konnte. Manche wollten lieber das Leben genießen oder waren überfordert, viele mussten während des Studiums arbeiten und brauchten deshalb länger. Aber das war kein Problem, weil sich die Studenten den Stoff allein oder in kleinen Gruppen weitgehend selbst erarbeiteten. Zu den Prüfungen hat man sich angemeldet, wenn man den Stoff gelernt und die Pflichtpraktika erfolgreich absolviert hatte. Das war 1980 schn fast das System, das ich mir heute für unsere Schulen wünsche. Und vergleichen Sie mal das Zahlenverhältnis von Professoren zu Studenten mit der Lehrer-Schüler-Relation!


    Wenn Studenten das können, dann könnten das auch viele Schüler. Man müsste sie nur machen lassen. Ein Beweis dafür sind die Schüler, die neben der Schule noch erfolgreich studieren. Schade, dass sie dafür in einer Universitätsstadt wohnen und an eine Universität ausweichen müssen. Warum schaffen es nicht auch die Schulen, begabte Schüler selbständig und ungehemmt lernen zu lassen? Montessori-Schulen schaffen das, aber die gibt es fast nur im Grundschulbereich. Für weiterführende Schulen müsste man das nötige Selbstlernmaterial großenteils erst noch sammeln und erarbeiten. Das wäre allerdings möglich, wenn sich die jeweiligen Fachlehrer vernetzen würden. Und insgesamt würde das die Arbeitsbelastung der Lehrer sogar senken, weil alle Lehrer das erarbeitete Selbstlernmaterial nutzen könnten. Mich freut es jedenfalls, dass es auch Lehrer wie Heiko Przyhodnik gibt, die ihre Freizeit opfern, um ein für Schüler und Schulen kostenloses Schulbuch zu produzieren.

    Dann haben Sie innerhalb weniger Jahre schon sehr viel geleistet, geehrter Biologe !


    Mal ne dumme Frage (Ich weiß, dass ich dumm bin!) : Wie stellen Sie sich die Finanzierung Ihres Schulsystems vor ?
    Etwa so ?

    8_o_)

    Viel zu leisten ist völlig normal für Menschen, die eine Arbeit nicht nur machen, weil sie mit Unkündbarkeit, langen Ferien, hohem Gehalt und einer dicken Pension verbunden ist. Wissenschaftler neigen ganz allgemein dazu, ständig über Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Methodik nachzudenken und diesbezügliche Ideen auch gleich umzusetzen. Das hat aber nichts mit der Finanzierung des Schulsystems zu tun, sondern nur mit dessen Qualität. Überhaupt nichts zur Qualität des Schulsystems tragen übrigens die üppigen Pensionen ehemaliger Lehrer bei, die einer der dicksten Brocken bei dessen Finanzierung sein dürften. Sehr hohe Kosten verursacht unser Schulsystem auch dadurch, dass es massenhaft Analphabeten produziert, die für eine handwerkliche Lehre nicht zu gebrauchen sind und oft lebenslänglich unseren Sozialsystemen zur Last fallen. Extrem teuer und laut Hattie-Studie besonders sinnlos ist außerdem das Sitzenbleiben, das eine Folge des gleichmacherischen Unterrichtens in starren Klassenverbänden ist. Binnendifferenzierter Unterricht macht das Sitzenbleiben überflüssig und spart damit erhebliche Kosten. Weitere Kosten würden dadurch eingespart, dass gute Schüler sehr viel schneller lernen und deshalb Jahre früher die Schulen verlassen würden. Das kann Student eines anspruchsvollen Faches leicht erkennen, wenn er sein Lerntempo an der Uni mit seinem Lerntempo in der Schule vergleicht. Bei intelligenten Schülern kommt es leicht zu Steigerungen um den Faktor 10. Fragen Sie nur mal Studenten der Medizin, Mathematik oder naturwissenschaftlicher Fächer! Es würde deshalb nicht mehr, sondern deutlich weniger kosten, wenn wir alle so unterrichten würden, dass niemand mehr durch gleichmacherisches Unterrichten abgehängt oder ausgebremst würde.


    Guter Unterricht kostet nicht mehr als schlechter Unterricht und gute Lehrer nicht mehr als schlechte. Sich aktiv den Stoff weitgehend selbst erarbeitende Lernende brauchen auch nicht mehr Lehrer. Es würden ebenfalls keine höhere Kosten entstehen, wenn Lernende und Lehrende sich gegenseitig aussuchen und die Lernenden ihre Prüfungen dann ablegen dürften, wenn sie soweit sind. Kosten entstünden zwar bei der Etablierung eines schulunabhängigen Prüfungssystems, aber dafür bekämen Universitäten und Arbeitgeber auch den erheblichen Mehrwert bundeseinheitlicher Transparenz hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten ihrer Bewerber. Und die Schulen würden enorm entlastet, wenn sie keine Klausuren mehr schreiben und keine Noten mehr geben müssten. Man könnte sich auf das Lehren konzentrieren und würde vom Prüfer zum Helfer der Lernenden.


    Insgesamt wäre ein Schulsystem mit flexiblen Lerntempi nicht nur viel effektiver und preiswerter, sondern sogar erheblich billiger. Ich würde darüber hinaus bei den Schulbüchern sparen, indem ich die gedruckten Bücher durch ebooks oder ibooks auf Tablet-Computern ersetzen würde. Dann hätten die Lernenden auch nicht mehr soviel zu schleppen und würden ihr Arbeitsmaterial nur noch selten vergessen. Vor allem aber könnte man dann durch regelmäßige Updates auf der Grundlage von Fehlermeldungen durch Lehrer, Schüler und Eltern die Qualität der Schulbücher steigern.

    Sie haben perfekte Vorstellungen darüber, wie Schule zu funktionieren hat, geehrter Biologe !


    Dann fangen Sie schon mal damit an, geehrter Biologe ! 8_o_)

    Ihre Ironie können Sie sich sparen, denn nach über zwei Jahrzehnten in der Forschung unterrichte ich immerhin auch schon seit 6 Jahren und habe in einem Berufskolleg, einer Hauptschule, drei Realschulen und zwei Gymnasien mit einem breiteren Schülerspektrum gearbeitet als die meisten normalen Lehrer. Ich fange nicht erst an, sondern arbeite seit Jahren mit priat angeschaffter Technik und eigenen Internetseiten an den Voraussetzungen für binnendifferenzierten Unterricht. Ich habe sogar schon Kurse mehrere Monate ohne Gehalt unterrichtet, um die Auswirkungen auf das Schüler-Lehrer-Verhältnis zu studieren, wenn der Lehrer unmotivierte Schüler jederzeit aus dem Kurs werfen könnte.


    Ich muss längst nicht mehr theoretische Vorstellungen in der Praxis überprüfen, sondern meine Kritik am und meine Vorschläge für unser Schulsystem basieren auf praktischen Erfahrungen als Schüler, Vater und Lehrer an den wichtigsten deutschen Schulformen.

    Diese Schüler waren im Grundschulalter.
    Warum wird bei solchen Diskussionen die Baustelle Pubertät immer so gerne außen vor gelassen? Eine Baustelle, die völlig unanbhängig von Wohnort, Elternverhalten, Gedlbeutel auftritt?


    Diese Schüler waren im Grundschulalter.
    Warum wird bei solchen Diskussionen die Baustelle Pubertät immer so gerne außen vor gelassen? Eine Baustelle, die völlig unanbhängig von Wohnort, Elternverhalten, Gedlbeutel auftritt?

    Ich lasse gar nichts außen vor, sondern habe die Vorteile der Montessori-Pädagogik an einem konkreten realen Beispiel geschildert, das ich selbst erlebt habe. Es gibt nunmal fast nur Montessori-Grundschulen. Ich habe zwar auch schon in einem Montessori-Gymnasium unterrichtet, aber das konnte wegen der schulpolitischen Zwänge nicht wirklich die Montessori-Pädagogik umsetzen. Es ergibt einfach keinen Sinn, Schüler unterschiedlich schnell lernen zu lassen, wenn dann doch alle Lernenden einer Klasse am selben Tag die selbe Klausur schreiben müssen. Immerhin durfte ich an diesem Gymnnasium meine klausurfreien Klassen und Kurse im "Neben"-Fach Biologie weitgehend selbständig lernen und die Tests dann schreiben lassen, wenn die einzelnen Schüler sich vorbereitet fühlten.


    Mit der Baustelle Pubertät habe ich keine großen Probleme, obwohl die meisten meiner Schülerinnen und Schüler in der Pubertät sind. Mich nerven pubertierende Jugendliche fast gar nicht und sehr viel problematischer für meinen Fachunterricht sind die mangelhaften Deutschkenntnisse in meinen Klassen bei über 90% Migrationshintergrund. Kinder mit Deutsch als erster Fremdsprache haben in unseren Schulen leider nicht ausreichend und nicht den richtigen Deutschunterricht. Da lässt man tatsächlich genau nach Lehrplan Lernende Goethe-Gedichte analysieren, obwohl sie weder die Rechtschreibung, noch die Zeichensetzung und nicht einmal den Satzbau beherrschen. Deshalb verstehen sie im Fachunterricht die Texte und Aufgaben nicht und können schon gar keine Antworten sinnvoll formulieren. Solche Lernende müssten viele gute Bücher lesen und viele Diktate sowie Aufsätze schreiben. Aber dafür fehlt die Zeit, weil einfach über die Köpfe der Kinder hinweg völlig unangepasste Lehrpläne erfüllt werden.


    Ein weiteres Problem in meiner aktuellen Schule ist die religiöse Indoktrination vieler Schüler. Die hören im naturwissenschaftlichen Unterricht oft gar nicht mehr zu, sobald sie den Eindruck haben, naturwissenschaftliche Erkenntnisse stünden im Widerspruch zur wortwörtlichen Auslegung von Koran oder Bibel im kreationistischen Sinne. Stattdessen fragen sie ständig Lehrer nach deren religiöser Zuordnung. So muss man im Biologie-Unterricht erst einmal wochenlang klar machen, was eine Naturwissenschaft ist, wie die naturwissenschaftliche Methode der Vermehrung von Wissen funktioniert und warum Religion Privatsache sein muss, wo Menschen unterschiedlicher religiöser Ausrichtungen friedlich zusammen leben wollen.

    Mir geht es keineswegs nur um intellektuelle Fähigkeiten, aber meine Antwort bezog sich auf die konkrete Frage nach dem Sinn möglichst hoher Anforderungen.
    Mir reicht es auch nicht, wenn hochbegabte Jugendliche im Gymnasium irgendwie überleben. Meiner Ansicht nach sollten Schulen alle Lernenden ihren Fähigkeiten entsprechend fördern und fordern - nicht nur die mittelmäßigen.
    Nicht wirklich erfreulich finde ich auch die deutsche Fortbildungskultur. Auch in dieser Hinsicht sollte man ruhig mal den Blick über den Tellerrand in skandinavische Länder wagen.

    Dann frage ich mich natürlich, warum z.B. die Russlanddeutschen, aus denen mittlerweile spitzenmäßige Leistungsträger hervorgehen, das ganz gut auf die Reihe kriegen. Kenne konkret ehemalige Realschüller, die bei uns waren, deren Eltern nur mäßig Deutsch konnten und sonst auch nicht besonders priviligiert waren, und später 1er Abis hingelegt haben und jetzt erfolgreich in ihren Berufen sind.

    Versuchen Sie die Sache mit der sozialen Herkunft mal ein wenig differenzierter zu denken. Entscheidend für die Förderung der Kinder sind doch nicht Geld und Einfluss der Eltern, sondern deren vorgelebte Haltungen zum Lernen, zur Anstrengung, zur Eigenverantwortung und ähnlichen Tugenden. Ich schreibe nicht über Ober- und Unterschicht, sondern über bildungsferne und bildungsnahe sowie über erziehungsfähige und erziehungsunfähige bzw. emotional intakte oder eben zerrüttete Elternhäuser.

    Danke. Den Tipp kann ich weiter geben.


    Ich schrieb nichts von Glauben. Aber du meintest ja auch nicht mich.


    Das ist natürlich ein riesiger Unterschied. Doch beantwortet es die Frage nach dem WARUM nicht. Vielleicht bekomme ich die Antwort ja noch.

    Die Antwort habe ich längst gegeben. Lernende sollen deshalb so schnell und viel wie ihnen möglich lernen, damit sie weder über- noch unterfordert werden. Denn nur so können sie ihre intellektuellen Fähigkeiten verbessern.

    Wobei ich von zumindest unserer örtlichen Montessorischule inzwischen weiß, dass die Kinder genau aussortiert werden. Laute und zapplige Kinder werden nicht genommen. Außerdem hat jede Klasse eine Doppelbesetzung. Würde ich auch meiner Klasse alle ADHS-Kinder aussortieren könnte ich auch ganz anderen Unterricht machen.

    Es gibt sogar sogenannte Montessori-Schulen mit Lehrern ohne Montessori-Ausbildung und mit konventionellem Unterricht. In Aachen wurde vor vielen Jahren von der Stadt eine Montessori-Gesamtschule mit Lehrern gegründet, die Montessori-Pädagogik für Unsinn hielten. Leider gibt es das, so wie es auch gute und schlechte konventionelle Schulen gibt. Ich ziehe als Vorbilder die gut funktionierenden Schulen vor und davon gibt es nach meiner Erfahrung immer mehr. So gibt es beispielsweise in Alsdorf bei Aachen ein Gymnasium, in dem sich Schülerinnen und Schüler weitgehend selbst aussuchen dürfen, von welchen Lehrern sie sich Dinge erklären lassen. Und in der vierten Aachener Gesamtschule wird nach dem Vorbild einer bekannten Berliner Schule weitgehend selbständig mit Lernmodulen gelernt. Je problematischer die Schülerschaft, umso kreativer werden einzelne Kollegien. Und bekannte Hirnforscher wie Hüther und Spitzer bringen inzwischen ihre Erkenntnisse in die Beratung einzelner Schulen ein. Ganz pragmatisch an Schulpolitik und Schulbehörden vorbei haben sich in Deutschland wieder viele interessante reformpädagogische Ansätze entwickelt, die Unterricht und Schule oft wissenschaftlich begleitet an die gestiegenen Anforderungen anpassen und dabei in so kleinen, strikt kontrollierten Schritten vorgehen, dass die Lernenden nicht als Versuchskaninchen mißbraucht werden.


    Die Montessori-Schule meiner Tochter war eine ganz normale staatliche Stadtteilschule in dem Sinne, dass sie alle Kinder ihrer Umgebung aufgenommen hat. Zusätzlich gab es in der Klasse meiner Tochter zwei von etwas weiter hergebrachte Kinder mit Hochbegabungen sowie ein lernbehindertes und ein sehbehindertes Kind. Das störte überhaupt nicht, denn die Klasse war ohnehin altersgemischt mit je 7 Kindern der Schuljahre 1-4. Die Kinder haben sich jahrgangsübergreifend die Lernpartner gesucht, die am besten zu ihnen passten. Ältere Schüler fungierten als Paten und Vorbilder der Jüngsten, die sich dadurch sehr schnell an das konzentrierte Lernklima anpassten. Und miteinander gespielt haben sie weitgehend unabhängig von ihren Lernständen. Diese Kinder haben nicht für Tests und Noten gepaukt und anschließend sofort wieder vergessen, sondern Schritt für Schritt richtig gelernt. Vor allem haben sie neben dem Stoff das selbständie Lernen gelernt und den Spaß am Lernen nicht verloren.

    Bevor Sie sich über etwas amüsieren, sollten Sie es vielleicht erst einmal verstehen. Sinnentnehmendes Lesen könnte da schon sehr helfen. Und da Sie sich binnendifferenziertes Lernen offensichtlich nicht vorstellen können, empfehle ich die Nutzung eines Tages der offenen Tür in einer Montessori-Schule. Ich konnte es mir auch nicht vorstellen, bevor ich es erlebt habe.


    Wer glaubt, seine Begabungen, Interessen, Frustrationstoleranz, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitseifer hätten nichts mit der eigenen Familie oder allgemein der sozialen Herkunft zu tun, ist ziemlich naiv und weit hinter dem Stand der Hirnforschung und Epigenetik zurück.


    Übrigens habe ich nicht geschrieben, dass alle Schüler schnell und viel lernen sollen, sondern möglichst viel und schnell. Das bedeutet, dass Geschwindigkeit und Pensum des Lernens individuell an die Voraussetzungen und Fähigkeiten des Einzelnen angepasste werden sollen, damit sie weder über- noch unterfordert werden. Das ist auch in großen Klassen möglich, wenn nicht ein Lehrer das Lerntempo für eine ganze Klasse vorgibt, sondern jeder einzelne Schüler bzw. Zweierteams oder kleine Gruppen weitgehend selbständig lernen und nur gelegentlich die Hilfe von Lehrern in Anspruch nehmen. In Montessori-Schulen ist das völlig normal und funktioniert sehr gut. Voraussetzung ist nur, dass keine vergleichenden Noten gegeben werden. Stattdessen könnten Lernende einzelne Lernmodule mit Prüfungen abschließen, wenn sie soweit sind. Dann brauchen Lernbehinderte natürlich länger für die Erarbeitung des Stoffes als Hochbegabte, aber beide stören sich nicht gegenseitig, halten sich nicht auf und überfordern sich nicht und können deshalb problemlos in einer Klasse bleiben.

    Es lebe Utopia, geehrter Biologe !

    Was sie Utopie nennen, funktioniert problemlos seit Jahrzehnten. In Montessori-Schulen lernen seit über 100 Jahren Kinder selbständig und in ihren individuellen Lerntempi in altersgemischten Klassen mit Lernbehinderten und Hochbegabten und ohne zusätzliche Lehrer. Meine Tochter war in einer solchen Schule und hatte deswegen einen großen Vorsprung, als sie anschließend auf ein Gymnasium wechselte. Erst dort wurden ihre Begabung, Fleiß und Selbständigkeit ein Problem und sie musste eineJahrgangsstufe überspringen sowie zusätzliche Kurse belegen, um nicht völlig unterfordert zu werden. Die theoretische Führerschein-Prüfung sowie DELF und andere Sprachzertifikate zeigen ebenfalls schon seit Jahrzehnten, dass auch schulunabhängige Prüfungssysteme gut funktionieren.

    Aber natürlich bin ich in der Sache bei Euch, dass die soziale Herkunft keine Rolle für die weitere Schullaufbahn spielen darf. Allein die Leistung muss entscheidend sein. Deshalb bin ich ja auch für Aufnahmeprüfungen nach der Grundschulzeit.


    Aber so, wie es jetzt läuft, dass fast jeder Hans und Franz das Gymnasium besucht, ist auch nicht der wahre Jakob. Woher kommen sonst die gegenwärtigen Probleme

    Selbstverständlich spielt in einem selektiven Schulsystem die soziale Herkunft eine entscheidende Rolle für die Schullaufbahn. Und daran würden Aufnahmeprüfungen nach der Grundschulzeit nichts ändern. Vor und während ihrer Schulzeit werden Kinder sehr unterschiedlich gefördert, gefordert, ermutigt und vorgebildet. Sie haben außerdem sehr unterschiedliche gute Lern- und Arbeitsbedingungen. Natürlich haben es Kinder leichter, wenn ihe Muttersprache Deutsch ist, wenn im Kleinkindalter ihre Fragen beantwortet wurden, wenn die Eltern ihnen vorgelesen und mit ihnen gespielt haben, anstatt sie viel zu früh vor Bildschirme zu setzen. Selbstverständlich hilft es, wenn ihnen ein Schreibtisch in einem ruhigen Zimmer und bei Bedarf ein Nachhilfelehrer zur Verfügung stehen. Und wie könnte es keine Rolle spielen, wenn Eltern sich scheiden lassen, ihren Kindern ein leistungsloses Leben als Almosenempfänger vorleben oder einfach keine Zeit für ihre Kinder und deren Probleme haben bzw. sich nicht dafür interessieren?


    Das sind nur einige der Gründe für die große Unterschiedlichkeit der familiären Voraussetzungen unserer Schülerinnen und Schüler. Weil wir die Eltern und damit auch die Unterschiedlichkeit der Lernenden kaum ändern können, bräuchten wir ein Schulsystem und Unterrichtsmethoden, die mit der gegebenen Unterschiedlichkeit umgehen können. Und das haben wir nicht, solange alle Jugendlichen in einer Schulklasse am selben Tag die selbe Klausur schreiben müssen. Nicht Hans und Franz und ihre Unterschiedlichkeit sind das Problem, sondern der unglaublich dumme Versuch, alle Lernenden einer Klasse im selben Tempo lernen lassen zu wollen. Da hilft auch nicht der lächerliche Versuch, die gesunden Lernenden in läppische drei Leistungsklassen einzuteilen. Es gibt keine 3 Leistungsgruppen, sondern ein ganz breites Spektrum.


    Wenn alle Lernenden so viel und so schnell wie möglich lernen sollen, dann müssen sie auf ihren jeweiligen Lernständen abgeholt werden und in ihren eigenen Lerntempi sowie ihren jeweiligen Lerntypen entsprechend lernen dürfen. Das ist auch ohne zusätzliches Lehrpersonal möglich, wenn die Kinder von Anfang an daran gewöhnt werden, weitgehend selbständig zu lernen. Man benötigt dafür nur Selbstlernmaterial, welches sich aber mit den heute zur Verfügung stehenden Techniken durchaus herstellen lässt.


    Natürlich würde die größere Freiheit beim Lernen gleichzeitig eine größere Verbindlichkeit bei den Leistungsnachweisen erfordern, aber das brauchen wir ohnehin. Denn das Abitur ist bereits seit Jahrzehnten kein wirklicher Nachweis einer allgemeinen Hochschulreife und erfolgreiche Absolventen von Realschulen können keinswegs unbedingt Lesen und Schreiben. Schon aufgrund der großen und pädagogisch auch notwendigen Bedeutung der mündlichen Mitarbeit kann man das Abitur schaffen, ohne wirklich etwas zu können. Statt des Etikettenschwindels Abitur, mittlere Reife oder Hauptschulabschluss brauchen wir Zertifikate, die aufgrund bundeseinheitlicher Prüfungen feststellen und bescheinigen, was die Prüflinge zum Zeitpunkt der Prüfung tatsächlich können. Und Hochschulen oder Arbeitgeber könnte verlangen, dass wichtige Prüfungen vor nicht zu langer Zeit (nochmals) abgelegt wurden. Berufsverbände könnten bekannt machen, welche Zertifikate ihre Bewerber vorweisen müssen. Und Lernende könnten mit ihren Eltern selbst entscheiden, ob sie sich auf die Prüfungen in einer Schule, mit Privatlehrern oder allein zuhause vorbereiten wollen. Zählen würde in erster Linie das Ergebnis und weniger die dafür benötigte Zeit. Aber die Flexibilität hinsichtlich der Lerngeschwindigkeit würde verhindern, dass Lernende über- oder unterfordert werden. Ein beispielsweise von den Universitäten, Berufsverbänden, Stiftungen und Vereinen organisiertes bundeseinheitliches Prüfungssystem könnte die Grenzen zwischen Schule und Erwachsenenbildung, zwischen Ausbildung und Fortbildung ebenso überflüssig machen wie die Gliederung unseres Schulsystems.


    Mehr Freiheit und Flexibilität beim Lernen und Lehren auf der einen sowie mehr Verbindlichkeit und Vergleichbarkeit beim Nachweis von Wissen und Können auf der anderen Seite würde es nicht nur den Mittelmäßigen, sondern auch den Minder- und Hochbegabten ermöglichen, ihre Potentiale zu nutzen und vor allem die lebenslang notwendige Freude am Lernen nicht zu verlieren.

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