Nun hab ich mich durch diesen Faden gelesen und möchte meine Sicht als offen homosexuell lebender Mann, der seit 19 Jahren (mehr als die Hälfte meines Lebensalters) in einer Beziehung mit dem gleichen Mann (ein Klassenkamerad) lebt und "verpartnert" ist, darlegen.
Diskussion, ob biologische Eigenschaft, anerzogen oder sonstwas:
Die neuesten Forschungsergebnisse kommen zum Schluss (natürlich nur bis sie widerlegt werden), dass der Grund für Homosexualität in der Vererbung (Epigenetik) liegt. Auch die meisten älteren Ergebnisse kommen zu diesem Schluss, wenn auch über andere Erklärungsmodelle.
http://www.zeit.de/2013/11/Homosexualitaet
http://www.welt.de/wissenschaf…-der-Homosexualitaet.html
Davon abgesehen ist eine allein auf Anerziehung gestützte Erklärung, schon aufgrund der etwa gleichen Rate an homosexuellen Tieren, quer durch alle Tierarten, hinfällig. Zudem
müsste es doch eigentlich egal sein, warum manche Menschen homosexuell sind und andere nicht: Wichtig ist doch einzig und allein, das die Menschen mit ihrer jeweils unterschiedlichen Lebenspartnerwahl glücklich sind und niemand geschädigt oder ausgenutzt wird. Genau betrachtet ist auch die, bei dieser Thematik, meist propagierte und als schützenswert dargestellte Familie aus Mutter, Vater und Kind(er) und die geschlechtertypischen Rollenbilder nichts anderes als ein menschliches Konstrukt (ebenso wie der Begriff Familie an sich). Zumindest wüsste ich nicht, das Familie - überhaupt und im traditionellen Sinne - eine biologische Eigenschaft ist. Die Fähigkeit miteinander Kinder zu zeugen ist natürlich zwischen Frau und Mann gegeben und nicht zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren - wobei, falls jemand dies noch nicht weiß, auch ein homosexueller Mann ist fähig ein Kind zu zeugen und eine homosexuelle Frau eines auszutragen. Kommt bei Kinderwunsch auch nicht selten vor.
Es ist in den westlichen aufgeklärten Länder (zum Glück) bereits Konsens, dass keine Wahlmöglichkeit besteht. Und ja, zur Demokratie gehört auch einen solchen Konsens zumindest zu tolerieren.
Zudem wird hier immer mal wieder angesprochen, dass es nur so wenige dieser LSBTTIQ-Menschen gäbe und/oder das die Diskriminierungsrate klein ausfällt. In der Fachliteratur wird von einer Quote von 3-10% allein an homosexuellen Menschen ausgegangen. Nimmt man alle Spielarten hinzu (homosexuelle, bisexuelle, transexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen), so kann man davon ausgehen, dass in jeder Klasse mindestens einer diese Menschen sitzt. Die Diskriminierungsrate ist aller Wahrscheinlichkeit deshalb relativ gering, weil sich kaum einer dieser Menschen traut, sich während der Schulzeit zu "outen" (meine These, nicht wissenschaftlich gestützt). Wobei auch das Schimpfwort "schwul" bereits diskriminierend ist. Schließlich bedeutet es, dass ich als Schwuler wohl so abartig bin, dass man mich als Schimpfwort benutzen kann. So gesehen kann die Rate so klein nicht sein!
Der Bildungsplan:
Es geht es doch gar nicht darum diese Lebensformen als besonders anstrebenswert oder besser als andere darzustellen. Es geht darum, sie einfach hin und wieder im Unterricht vorkommen zu lassen (sei es in Matheaufgaben, in Texten, in Schulbüchern usw.). Dadurch soll erreicht werden, dass Kinder einfach wissen, es gibt neben der traditionellen Familie auch weitere Lebensformen.
Weshalb ich dies gut finde:
In der Regel ist Homosexualität etwas, dass nicht irgendwann passiert, sondern, sobald ein Kind anfängt sich mit seiner Sexualität auseinanderzusetzen, bereits vorhanden ist. Ist dem Kind zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass dies einfach vorkommt und in Ordnung ist, fängt es an sich selbst als nicht in Ordnung zu sehen. Aus eigener Erfahrung (und der von vielen anderen) ist dieser Zustand extrem belastend.
Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Klassenkameraden/innen bereits ihre ersten Beziehungen führen und darüber sowie über körperliche Sexualität reden, kommt es ebenfalls zu einer Belastungssituation. Nur als kleines Beispiel nenne ich Fragen wie: "Warum hast du noch keine Freundin?", oder "Findest du die Susi nicht auch scharf?" Was soll man dann antworten? Man verleugnet sich und den evtl. bereits vorhandenen Freund/die Freundin vor Angst nicht verstanden und ausgegrenzt zu werden. Dies verstärkt das Gefühl, das die eigene Lebensart nicht in Ordnung ist!
Warum spricht aus meiner Sicht nichts dagegen LSBTTIQ Lebensarten bereits in der Grundschule bzw. auch schon im Kindergarten vorkommen zu lassen bzw. zu thematisieren:
Kinder sehen jeden Tag die Lebensform "Mann und Frau". Dabei denken sie, solange sie noch keinen eigenen Bezug zu körperlicher Sexualität entwickelt haben, ganz unschuldig an Liebe und Zusammenleben. Weshalb bitte, sollten sie an körperliche Sexualität denken, wenn es darum geht, dass auch Mann und Mann oder Frau und Frau sich lieben können? Weshalb sollten sie es tun, wenn sie erfahren, das es Frauen gibt, die sich als Mann fühlen, oder Männer, die sich als Frau fühlen? Aus diesem Grund finde ich es wichtig, alternative Lebensformen bereits so früh wie möglich in den Horizont von Kindern zu bringen. Auf jeden Fall, bevor sie sich ihrer eigenen Sexualität bewusst werden! Dann haben sie damit und mit der Pubertät genug zu tun.
Nochmals zur Erinnerung: Es gibt keine Wahlmöglichkeit ob man hetero- oder homosexuell, bisexuell, transgender, transsexuell, queer ist. Es ist also nicht möglich, dass mittels Wissen "Es gibt noch Weiteres als Heterosexualität" jemand in eine LSBTTIQ-Lebensweise getrieben wird. Im Gegenteil, es erleichtert diejenigen, die so empfinden und so sind, dies als in Ordnung zu erleben!
Mir und vielen die ich kenne, hätte es viel Kummer, Selbstverleugnung, Unsicherheit und Selbsthass erspart, wenn es klar gewesen wäre, dass es sowas gibt, ich nichts dafür kann und es in Ordnung ist.
Ich weiss also nicht genau, wo jetzt der Schaden für weiterhin heterosexuell oder gerne auch "der Norm entsprechende" Kinder liegen soll.
Danke fürs Lesen und verzeiht eventuelle Rechtschreib- und Interpunktionsfehler, aber es fällt nicht immer leicht sich selbst einer solchen Diskussion auszusetzen.
P.S. Nur noch kurz zu ICD-10 Transsexualität: Ja, diese ist als Geschlechterrollenstörung deklariert, aber unter anderem vor dem Hintergrund daraus erwachsender psychischer Störungen aus dem Gefühl, dem falschen Geschlecht anzugehören. Auch die empfohlenen Therapien (Verzögerung der Pubertät, psychologische Betreuung und Geschlechtsangleichung) lassen nicht den Schluss zu, dass dies rückgängig zu machen oder zu verhindern sei, sondern, dass die Lösung in der Angleichung des Körpers an die psychische Empfindung zu finden ist. Das bedeutet, dass auch wenn es als Erkrankung gesehen wird, nicht die Lebensweise (fühlt sich dem anderen Geschlecht zugehörig), sondern der körperliche Missstand (Körper hat das falsche Geschlecht) die eigentliche Krankheitsursache darstellt.