Ich für mich habe beschlossen, dass ich lebe, wie jeder andere auch. Das bedeutet, dass ich mich ständig „oute“. Habe ich Lust die Hand meines Ehemanns zu halten, dann mach ich das. Bin ich wo eingeladen, wo der Lebensgefährte/Ehemann mitgebracht wird, dann mache ich auch das, sofern er Lust hat – und werde bestimmt nicht vorher vorfühlen, ob dies in Ordnung ist, oder ankündigen, dass er ein Mann ist. Werde ich nach meiner Ehefrau gefragt, dann äußere ich, dass diese ein Mann ist. Ich erzähle, wie jeder andere auch, von meinem Leben, wenn ich mich mit Menschen unterhalte, genauso, wie es diese eben auch tun. Alles andere wäre mir zu anstrengend. Da müsste ich immer überlegen, wie umschreibe ich das jetzt, oder erzähle ich jetzt lieber nichts. Für mich ist das die Normalität, die ich von anderen erwarte und deshalb auch genau so lebe.
Es kommt dann natürlich auch vor, dass damit jemand ein Problem hat. Das ist dann aber deren Problem und nicht meines – und ich mache es auch nicht zu meinem. Ergibt sich ja eigentlich auch schon aus der Formulierung.
Bei meinem Direkteinstieg wurde ich schon im Bewerbungsgespräch gefragt, weshalb ich einen Doppelnamen habe. Damit war die Sache schon in den ersten fünf Minuten gegessen. Auch in den meisten Klassen ergibt es sich so meist recht schnell und beiläufig, wenn es von anderen Schülern nicht eh schon bekannt ist. Einer meiner Fachdidaktiker im Direkteinstieg hat des Öfteren seltsame Kommentare von sich gegeben: „Ja, aber wer kocht denn dann bei Ihnen, oder putzt.“ „Da fehlt doch aber eindeutig die Frau in der Beziehung.“ Ja mei, wenn er meint sich als Ewiggestriger outen zu müssen, dann kann ich ihm das ebenso wenig verbieten, wie er mir meines.
Mich wundert hier so ein wenig die Wertung von verschiedenen Diskriminierungen bzw. Herabsetzungen. Das ist meines Erachtens eine individuelle Frage, wie schlimm etwas erlebt wird und hängt von vielen, sich stetig ändernden Faktoren zusammen (z. B. die aktuelle Tagesverfassung). Manches kann am einen Tag verletzend sein und am anderen und durch eine andere Person geäußert, trifft es kaum/nicht. Eine Wertung von außen ist da eher akademisch und nicht lebensnah. Für mich ist auch nicht immer jede unbedachte Äußerung einer Diskriminierung gleichzusetzen. Ich glaube jeder hat anderen Menschen gegenüber Vorurteile, insbesondere bei Minderheiten, mit denen man bisher kaum etwas zu tun hatte. Da ist mir sicher auch schon mal was Blödes über die Lippen gerutscht. Dann bin ich sogar eher froh, wenn mein Gegenüber mich darauf aufmerksam macht.
Allerdings erlebe ich schon auch Diskriminierung. Ich wurde, nur aufgrund meines schwul seins, geschlagen, angespuckt, habe Wohnungen und Arbeitsstellen nicht erhalten, beleidigt, hatte Informationen zur Teufelsaustreibung im Briefkasten …
Oder, für andere vielleicht kaum nachvollziehbar, aber ein Beispiel systemischer Diskriminierung: Wir mussten damals eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen, da die Ehe noch nicht geöffnet war. Auf vielen Formularen des Staates gab es allerdings kein Feld dafür, sondern nur „verheiratet, ledig, verwitwet, geschieden“. Das hat mich zur Weißglut gebracht, ebenso die bis vor drei Jahren grundsätzliche Anrede von einem von uns beiden als Ehegatte und dem anderen als Ehefrau durch die Steuerbehörde bei der Steuererklärung. Wie gesagt: individuelles Erleben. Manch anderen lässt dies kalt.
Auch erlebe ich dies von absolut unterschiedlichen Seiten. Ich erlebe religiöse Menschen aller Religionen als offene Menschen und auch deren intolerante Versionen. Es gibt Menschen mit geringer Bildung die intolerant sind ebenso wie Menschen mit Bildungshintergrund. Jung und Alt, aus allen Gesellschaftsschichten … ich für mich kann da kein Muster erkennen. Wer meint einen blöden Witz machen zu müssen, bekommt einen zurück. Wer meint mich schlagen zu müssen, bekommt eins zurück (nein, ich halte nicht die andere Wange hin). Jemand der mir ungefragt erklären muss, dass mein schwul sein irgendwie nicht in Ordnung ist, dem bin ich dankbar, dass ich hier keine Beziehungsarbeit investieren muss und gleich weiß, dass hier zwei Menschen aufeinander treffen, die sich nicht grün sind – wie es oft auch aus anderen Gründen der Fall ist. Bei all dem ist es mir egal, ob das passiert, weil ich schwul bin oder weil ich blonde Haare habe, oder eine große Nase – es ist, egal aus welchem Grund, nicht angebracht und kann verletzen oder auch nicht.
Weil dies alles für mich vor allem auf der individuellen Ebene die ausschlaggebende Rolle spielt, finde ich es schwierig hier Ratschläge zu geben. Ist man als Person gefestigt und weiß, dass man i.d.R. auch mit schwierigen Situationen zurechtkommt, die ja nun auch nicht täglich passieren, und mag sich nicht immer Gedanken darüber machen, was erzähle ich wann, wo und wem, dann kann man offen damit umgehen. Es ist aber auch absolut nicht verwerflich, sich dem zu entziehen und erstmal abzuwarten, wie sich dies z. B. am neuen Arbeitsplatz gestaltet. Mach es also am besten davon abhängig: „Womit fühle ich mich momentan wohl?“– das ändert sich im Laufe des Lebens sowieso. Meine „ländlichen“ Schüler sind zu mir, unabhängig ob ich nun schwul bin oder nicht, wie zu jedem anderen Lehrer eben auch: nett, freundlich, arschig, nervig, ein Gewinn in meinem Leben, zum kotzen, witzig, kann ich drauf verzichten, mögen mich, mögen mich nicht … deshalb zählt nur, mit was du dich als Lehrperson wohlfühlst. Die Schüler selbst haben bis auf eine Ausnahme bisher noch nie versucht mich auf der Eben meiner Homosexualität anzugreifen. Aber auch da, egal auf welcher Ebene dies erfolgt, ist es nicht angemessen, wird es nicht toleriert – ist es nur ein doofer Spruch, gibt’s eben einen zurück …