Eine Trennung zwischen gehörlos und schwerhörig macht heutzutage aus vielerlei Gründen keinen Sinn mehr.
Zum einen betrifft das natürlich die Kinder selbst. Eine Hörschädigung ist in ihrer Auswirkung so komplex, dass man heute gar nicht mehr zwischen klassisch gehörlos und schwerhörig trennen kann, bzw. man eher nach den Auswirkungen sortiert (lautsprachlich,bilingual, gebärdensprachlich + kognitive Entwicklung):
- Ich kenne gehörlose Kinder und Jugendliche die weitgehend lautsprachlich erzogen werden. Diese haben meist hörende Eltern und eine dermaßen schlechte Gebärdenkompetenz, dass sie gar nicht in gebärdensprachlichen Klassen unterrichtet werden können.
- Ich kenne aber auch schwerhörige Kinder, die so wenig gefördert worden sind, dass sie ihr Hörvermögen gar nicht richtig ausnutzen können und deren Lautsprache ebenfalls mehr als schlecht ist. Wenn sie Glück haben, ist ihre Gebärdensprachkompetenz in Ansätzen vorhanden oder zumindest besser als ihre Lautsprachkompetenz. Meist haben sie zusätzlich eine Lernbehinderung oder eine geistige Behinderung.
- Ich kenne hochgradig schwerhörige Kinder, die eine so gute Gebärdenkompetenz und eine super Lautsprachkompetenz haben, so dass die Klasse fast schon egal ist.
Durch den technichen Fortschritt gibt es heutzutage nur noch sehr wenige wirklich gehörlose Kinder und Jugendliche. Früher galt man schon als gehörlos, wenn man nur hochgradig schwerhörig war. Heute bekommen schon Babys Hörgeräte und sind nicht mehr "gehörlos". Ich wage auch zu behaupten, dass weit über 90% der gehörlos geborenen Babys im ersten Lebensjahr ein Cochlear-Implantat bekommen.
In den großen Hörgeschädigtenschulen haben wir dann maximal 1-2 Kinder pro Jahrgang, die ausschließlich in Gebärdensprache unterrichtet werden müssten. Wenn ich da an meine Schule denke, sitzen diese Kinder gerade in 3 Klassen der Sekundarstufe. Da diese Anzahl aber nicht für eine eigene Klasse reicht, wird es in der Praxis schwierig. Und wenn so eine Klasse tatsächlich mal zustande kommt (bei uns gerade eine 5.), dann sind diese Kinder nicht zwingend gehörlos, sondern alles von hochgradig schwerhörig bis gehörlos, schlecht lautsprachlich entwickelt und zum Großteil deutlich kognitiv eingeschränkt.
Für uns Lehrer wird dies zum Problem. Zu den "klassisch hörgeschädigten" Schülern kommen nämlich seit vielen Jahren die Kinder mit einer auditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung dazu. Die "hören" eigentlich normal, aber mit der auditiven Verarbeitung im Gehirn stimmt etwas nicht. Diese Schülergruppe hat jedoch oft ganz andere Bedürfnisse und eigentlich müssten sie ebenfalls wieder in eigenen Lerngruppen unterrichtet werden.
Die Konsequenz sieht man dann in meiner Englischklasse: Da ist eben alles dabei... Kognitiv fit mit Wahrnehmungsstörung und normaler Lautsprache, kognitiv fit und völlig gehörlos und praktisch ohne Lautsprache, kognitiv eher unterdurchschnittlich aber lautsprachlich gut gefördert und gute technische Versorgung, lernbehindert mit extremer Wahrnehmungsstörung sowie körperlich massiv eingeschränkt und nichtsprechend.
All diese Kinder sitzen nun in einer Klasse und sollen alle entsprechend im Fach Englisch gefördert werden... Ich glaube Frapper kennt meinen Frust aus dem Alltag. Da ist die Zuordnung eigentlich auch egal.