Es bleibt mir allein schon ein Rätsel, wie chiliparika nichts gegen die Personen und Inhalte (!) des Faches Reli hat, aber trotzdem dagegen ist… Wenn man findet, dass die Inhalte der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen dienen, wieso sollte man dann gegen das Fach sein??
Naja, eine von vielen Fragen, die sich mir da stellten, als ich ihre Beiträge las.
Also, wenn es um die Bedeutung und Daseinsberechtigung eines Faches geht, sollte man sich erstmal der Gründe klar sein, aus denen man für oder gegen ein Fach ist.
Die Hardliner sagen vermutlich: Es soll nur das an der Schule unterrichtet werden, womit die Schüler später auch was anfangen können:
Naturwissenschaften, Mathe, Deutsch, Englisch. Wozu weitere Fremdsprachen? Wozu Religion, wozu Erdkunde? Wie viele Schüler studieren später Theologie oder Geographie? Wozu Literatur, der Umgang mit Büchern, die erfundene Geschichten erzählen – verfasst von irgendwelchen deprimierten oder sonst emotional aktiven Leuten…?
Ich behaupte aber, dass ja wohl die meisten Leute der Meinung sind, dass ein gewisses Orientierungswissen in Umwelt (Geschichte, Erdkunde) und Kultur (Religion / Werte und Normen, Kunst, Musik) nun mal auch zum Menschsein dazu gehört. Ein Mensch, der sich mit diesen „weicheren“
Materien nie beschäftigt hat, ist irgendwie nichts mehr als ein Maulwurf, der im Sonnenlicht auf dem Erdboden langkrabbelt und gar nicht mit der Umwelt und der Gesellschaft zurechtkommt, der gar nicht seinen Platz in der Welt findet (nicht pragmatisch gesehen, sondern „identitätsmäßig“).
Nicht nur Theologen, sondern auch ein Großteil der Soziologen sind der Meinung, dass Religiosität ein Bestandteil der Menschseins ist, ebenso wie z.B. Musikalität. Jeder Mensch ist es „zumindest ein bisschen“. Auch diese Teile des Menschenseins dürfen und sollten gepflegt werden, es gehört eben dazu. Überall auf der Welt gibt es Religionen, man wird sie niemals abschaffen (können). Was nun den Religionsunterricht auszeichnet, ist ja, dass
es eine Auseinandersetzung mit sich selbst und mit Religion ist; aber es ist NICHT Kirche in der Schule, Unterweisung, Katechese oder sowas. Das muss auch chilipaprika sehen können. Und wenn man sich mit so etwas Komplexem auseinandersetzt, dann ist das gewiss keine Gehirnwäsche, sondern vielmehr ein Blick über den Tellerrand.
Und DEN haben die modernen Menschen bitter nötig, mehr als jemals zuvor: Mir ist letztens aufgefallen, dass in der aktuellen Zeit (die ja auch die Schüler prägt) so viele Menschen nur an sich denken und um sich kreisen, an nichts anderes mehr denken und von nichts anderem reden als von
ihren Problemen. Bei den Schülern ist mir zudem aufgefallen, dass sie nicht mehr so „ehrfürchtig“ den Lehrern gegenüber sind wie wir es damals zumindest zu einem Teil noch waren: Auch die Schüler, die im Umgang angenehm sind und die sich für den Unterricht interessieren, bewundern weder ihre Lehrer noch sonst irgendwelche Leute. Vorbilder, denen man nacheifert, gibt es nicht mehr. Es ist ja positiv, dass die Menschen ihren eigenen Weg gehen und nicht irgendwelche Leute imitieren wollen; aber Vorbilder werden nicht „nachgemacht“, „kopiert“, sondern geben Orientierungswissen und sowas. In einer Welt, in der das Individuum immer mehr auf sich gestellt ist und zu vereinsamen droht, da ist doch gerade Religion ein geeignetes Fach, um mal das Fenster zur Welt aufzumachen, mal ein bisschen weiter zu schauen, nämlich auf die Welt, auf die Mitmenschen, auf Gott, auf religiöse Dinge, und natürlich besonders auch auf sich selbst - vielleicht mal unter neuen Fragestellungen und Perspektiven. So gesehen hat Religionsunterricht nicht nur eine Bedeutung aus kulturellen Gründen, sondern auch aus Gründen der Orientierung, der Persönlichkeitsförderung und –festigung - und meinetwegen auch der Seelsorge. Ist doch nicht schlimm, wenn jemand für sich aus dem Unterricht mitnimmt, dass Gott für jeden einzelnen Menschen da ist (,wenn das nicht die einzige Erkenntnis bleibt... )
Wer all das nicht mag, kann ja zu Werte und Normen wechseln, wo es aber übrigens auch teilweise um Religion und Religionen geht.
Es ist zwar richtig, dass in Religion erstmal grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass es Gott gibt; allerdings nicht aus Gründen der Gehirnwäsche, sondern darum, um ein bisschen tiefer gehen zu können. Man diskutiert manchmal auch über die Existenz Gottes, und es ist ausdrücklich erwünscht, dass sich die Schüler darüber Gedanken machen, und zwar auch die Schüler, die sowieso schon religiös sind. Aber man kann nicht jede Stunde neu
damit anfangen, ob es Gott denn nun gibt oder nicht. Das würden die Schüler übrigens auch gar nicht wollen.
Dass ein Großteil der Eltern möchte, dass ihre Sprösslinge am Reliunterricht teilnehmen, obwohl die Familie selbst gar nicht religiös aktiv ist, zeigt v.a. eins: In den Familien weiß man gar nicht mehr, wie man mit Religion umgehen soll. Die Eltern wissen keine Antworten auf die Fragen ihrer
Kinder, und irgendwann fragen die Kinder auch nicht mehr. Aber irgendwo haben sich die Eltern vielleicht ein klein wenig Religion bewahrt und möchten, dass sich ihr Kind wenigstens ein paar grundlegende Gedanken in Sachen Religion macht – Was liegt da näher, als es in den Religionsunterricht zu schicken? Zumal der noch relativ fest verankert ist und als „normales“ und frequentiertes Angebot angesehen wird – im Gegensatz zu den kirchlichen Aktivitäten, zu denen sowieso nur diejenigen Kinder und Jugendlichen hingehen, die sich dafür „von Natur aus“ interessieren und die oft auch schon kirchlich sozialisiert sind.
Wie lange dieser Elternwunsch aber noch anhält ist eine andere Frage, denn es ist ja schon zu sehen, dass der Werte und Normen–Unterricht an den Schulen stärker angenommen wird als noch vor einigen Jahren – zu Ungunsten von Religion. Das hat aber unterschiedliche Ursachen, dazu möchte ich jetzt nicht schreiben…
Übrigens: Ist Euch mal aufgefallen, welche Leute heutzutage in die Kirche gehen? Das sind entweder ältere Leute, die damit groß geworden sind, auch wenn diese Leute mittlerweile immer weniger werden, und es sind Leute aus dem Bildungsbürgertum, also Leute, die daran interessiert sind, sich und ihre Kinder geistig und geistlich zu fördern. Arbeiter(kinder) und / oder Leute aus der „sozialen Unterschicht“ sind sehr deutlich weniger anzutreffen. Also, wer heute noch von Religion als Opium fürs Volk spricht – der hat wirklich die Zeichen der Zeit nicht erkannt, muss man sagen…
In diesem Sinne: Gott sei mit Euch!
Hamilkar