In der Theorie finde ich die Idee des Zentralabiturs hervorragend - die unterschiedlichen Ansprüche der unterschiedlichen Schulen und Schulformen sollten einfach nicht dazu führen, dass Schüler mit unterschiedlichen Leistungen das gleiche Abitur bekommen. Gleichzeitig sparen sich die Lehrer die Arbeit der Abivorschläge, stehen aber mit auf dem Prüfstand, da die Ergebnisse ihres Unterrichts sich mit den Ergebnissen anderer messen müssen. Auch subjektive und zwischenmenschliche Ungerechtigkeiten werden stärker gefiltert - bei dem engen Rahmen des Zentralabis kann man nicht mehr so einfach eigene Vorlieben in Themen und Bewertungen einfließen lassen. Alles gute und richtige Dinge.
Die jetzige Form des Zentralabis ist allerdings riesengroßer Schwachsinn, der aus dem weltfernen, aber nicht auszurottenden Versuch entsteht, seinen Kuchen zu behalten und ihn zu essen. Der Anspruch des Zentralabis ist objektive Mess- und Vergleichbarkeit. Der AUFGABENTYPUS ist allerdings - zumindest in Deutsch und Englisch - weiterhin stark interpretatorisch geprägt, versucht also a) etwas zu bewerten, was sich nicht in enge Punktraster zwängen lässt und b) was weiterhin eine sehr gezielte Vorbereitung erfordern würde, was aber durch den gerade für die Grundkurse völlig überfrachteten Lehrplan nicht geht. Ich habe mir die Lösungsraster für die Probeklausuren in Deutsch durchgelesen: Wenn ich mit meinen Süßen das bestimmte Motiv, um das es geht, besprochen hätte, könnten sie das auch. Hab ich aber nicht, weil ich andere Motive für wichtiger gehalten habe. Die Gedichtinterpretation finde ich stark subjektiv (wie das Gedichtinterpretationen nun mal so an sich haben) - heißt das, wenn meine Schüler was anderes (Nachvollziehbares) sehen, darf ich dafür keine Punkte verteilen?
Es hätte andere Möglichkeiten gegeben - die Cambridge Certificates machen vor, wie man sinnvoll vergleichbar testen kann. Das hieße aber:
- endlich anzuerkennen, dass Englisch in der Schule zuerst die Sprache, dann literarische/ landeskundliche Inhalte vermitteln soll - und keine literaturwissenschaftlichen Interpretationstechniken. Shakespeare-Sonette machen das Leben schöner, ins Abi gehört m.E. etwas anderes.
- in Deutsch zumindest bei den Grundkursen ein Gleiches anzuerkennen und freie Hand bei der Auswahl der Literatur zu lassen. Der Galopp durch die Literaturgeschichte, der weder zu schaffen ist noch bei den meisten irgendwelche Spuren hinterlässt, bringt nichts und vernachlässigt die gesammte Literatur des 20. Jahrhunderts total - meine Kleinen kennen Irrungen, Wirrungen (na toll) und werden den Vorleser kennenlernen (noch toller), aber keine Keun, keinen Mann, keinen Tucholsky, keinen Brecht, keinen Böll, keinen Grass, keinen Nadolny, keinen Süßkind, keinen von Düffel... alles, was sie in irgendeiner Form etwas angeht, fällt weg. Ich kann meinem Vorredner nur zustimmen: Das ist systematisches Austreiben von Literatur.
Deshlab: Zentralabi ja, ABER NICHT SO!!!
*Vom Rednerpult wieder herunterkletter und in die Schule flitz*
w.