Liebe Community,
ich bin in meinem Schulalltag gerade an einen Punkt geraten, wo ich so langsam ans Ende meiner pädagogischen Fähigkeiten komme. Es geht um einen Schüler aus einer Parallelklasse meiner Klasse (Jahrgang 8).
Der Schüler - nennen wir ihn J. - hat einen Status (Förderbedarf EuS) und verliert recht schnell die Kontrolle über sich (wird jähzornig, Lehrkräften gegenüber verbalaggressiv, gegenüber anderen Schülern auch körperlich). Ich habe mit J. nichts zu tun, außer dass er in die Klasse eine Tür weiter geht und mit einigen Jungs aus meiner Klasse befreundet ist. Ich unterrichte ihn nicht. Sein Klassenlehrer bestätigt, dass er äußerst anstrengend und der Umgang mit ihm kräftezehrend sei.
Ich muss eine kurze Vorgeschichte schildern, vielleicht hat die mit seinem aktuellen Verhalten zu tun: Vor einigen Wochen stürmte J. am Ende einer Pause in meine Klasse, brüllte und tanzte dort herum und hatte wohl total übersehen, dass ich bereits im Raum war. Ich sprach ihn an und gab ihm zu verstehen, dass er in meiner Klasse nichts zu suchen hat und in seinen Raum gehen soll. Im Gehen - ich hatte mich bereits wieder dem Computer zugewandt - hat er noch irgendwas gemurmelt, was ich nicht verstanden habe, aber in meinem Klassenraum wurde es schlagartig mucksmäuschenstill. Als ich mich umdrehe, sehe ich wie meine SuS mich wie vom Donner gerührt anblicken und ein Mädchen fragte dann: "Haben Sie das gehört, Herr Xiam? J. hat sie 'Spasti' genannt." Da mir andere Schüler bestätigten, dass J. das im Rausgehen gesagt hatte, bin ich in die andere Klasse rüber - dort war inzwischen auch der unterrichtende Kollege eingetroffen - und habe J. auf den Flur geholt, um ihn damit zu konfrontieren. Ich bin allerdings gar nicht zu Wort gekommen, der fing von der Sekunde an, als er mich in der Tür sah, zu brüllen, er habe gar nichts gemacht, die anderen wollen ihn nur reinlegen und dass er Ärger kriegt. Da ein Gespräch nicht möglich war, entschied ich mich, J. bei der Abteilungsleitung abzugeben, damit die den Vorfall klärt, schließlich hatte ich ja Unterricht. Auf dem Weg hat J. das halbe Schulhaus zusammengebrüllt ("Sie hassen mich! Ich hab' nichts gemacht! Sie wollen nur, dass ich Stress kriege, weil sie mich hassen!!!"), im Büro der Abteilungsleitung hat er schließlich vor Frust geheult.
Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es wohl eine Weile gedauert hat, bis J. überhaupt ansprechbar war und der Abteilungsleiter die Angelegenheit klären konnte. Er bekam eine erzieherische Maßnahme (welcher weiß ich ehrlich gesagt nicht, für mich war das Thema durch).
Seit dieser Zeit spricht mich dieser Schüler ständig an, wenn er mir im Schulhaus über den Weg läuft. Er wünscht mir mit überschwänglicher Freundlichkeit einen guten Morgen und erkundigt sich nach meinem werten Befinden, wie das Wochenende war, was ich denn an dem Tag noch vor hätte - kurz, er versucht mich in Smalltalk zu verwickeln, den ich mit ihm aber nicht führen möchte. Es ist schwer zu schildern, man merkt, dass die Freundlichkeit (mit breitem Grinsen vorgetragen) nicht echt ist, sondern eine Reaktion provozieren soll. Sein Publikum - seine Homies aus seiner Klasse - stehen auch immer nur wenige Meter entfernt und verfolgen das Schauspiel kichernd.
Meine erste Idee war, das ganze weitestgehend zu ignorieren um ihm eben die erhoffte Reaktion nicht zu bieten, aber anscheinend ist auch das Ignorieren schon Reaktion genug, weil er daran ablesen kann, dass mich das Verhalten nervt. Zumindest hat es nicht geholfen, er zieht das jetzt seit Wochen durch.
Also habe ich ihn Ende letzter Woche mal beiseite genommen, als er wieder damit anfing, und habe ihm in ruhigen Ton gefragt, was das eigentlich soll. Ich habe ihm erklärt, dass ich nicht mit jedem der gut 1.500 Schüler der Schule Smalltalk auf dem Flur führen möchte und kann, und dass er sich das doch bitte für die Kolleginnen und Kollegen aufheben solle, die ihn auch unterrichten und eine Beziehung zu ihm haben. Die Reaktion war wie zu erwarten: "Aber Herr Xiam, ich bin doch nur nett zu ihnen!"
Im Nachhinein muss ich zähneknirschend eingestehen, dass ich ihn wohl lieber hätte weiter ignorieren sollen, weil ich ihm jetzt natürlich deutlich gezeigt habe, dass er genau das tut, was er erreichen will: mich nerven.
Hat jemand Rat, Ideen, Vorschläge, wie ich da wieder raus komme?