Beiträge von Powerflower

    Wow, nach laaaanger Zeit gucke ich hier ins Forum, stelle fest, dass mein altes Passwort noch gilt und stoße auf diesen Thread. Einige der ganz alten Lehrerforen-Hasen lesen mich jetzt bei Facebook. Nach dem Referendariatsabbruch habe ich hier tatsächlich noch eine Weile fleißig mitgeschrieben und manche der uralten Beiträge sind mir jetzt peinlich. =O Ich werde hier im Forum nicht mehr wieder einsteigen, aber so viel schon mal: Auch nach einem abgebrochenen Referendariat kann das Leben beruflich doch noch eine schöne Wende nehmen. :_o_)


    Ich war insgesamt etwa 7 Jahre arbeitslos, was auch damit zusammenhängt, dass ich "behindert" bin und bei der Stellensuche extrem begrenzte Auswahlmöglichkeiten hatte. Leider war es auch mein Behindertenstatus, dass die Seminarleiterin es verhinderte, dass ich das 2. Examen machen konnte; sie hatte Angst, dass ich verbeamtet werden könnte, dabei wollte ich einfach nur das 2. Examen machen und dann raus aus der Schule und z.B. in einem Schulverlag arbeiten. Das glaubte sie mir aber nicht. Sie übte so viel Druck aus, dass ich ganz aus dem Referendariat ausstieg. Das fehlende 2. Examen hat mir die Arbeitssuche unglaublich erschwert und ich wäre vielleicht nicht so lange arbeitslos gewesen, das wird sich nun bei der Rente rächen. :cursing:


    Die Arbeitsagentur beurteilte mich sogar als "nicht vermittelbar". Dann aber bekam ich unerwartet über eine Professorin, bei der ich studiert hatte, eine Arbeitsstelle an der Universität. Das war dann das Sprungbrett zu weiteren Arbeitsstellen. Das eine Jahr Referendariat wurde sogar als Berufserfahrung gewertet und beim Gehalt berücksichtigt. Ich war in den vergangenen Jahren in mehreren universitären Projekten, hangelte mich von Projekt zu Projekt, zwischendurch noch zweimal arbeitslos, zwei große Umzüge wegen neuer Arbeitsstelle, beide nicht freiwillig, aber ich hatte keine Wahl. Aber durch die steigende berufliche Erfahrung und eigene Buchbeiträge sowie Fachartikel wurde es immer leichter, eine Arbeitsstelle zu finden, der Behindertenausweis und gute Arbeitszeugnisse unterstützen den Prozess.


    Und dann landete ich an einer Hochschule als Lehrkraft, an der ich bis heute bin, derzeit eine halbe Stelle, aber mit der Möglichkeit aufzustocken und wieder an einem wissenschaftlichen Projekt zu arbeiten. Vor einem Monat die freudige Nachricht: Mein Vertrag wird entfristet. :thumbup::thumbup:


    Ich bin also jetzt quasi wieder Lehrerin, nur für Studierende, und das ist sehr viel entspannter als pubertierende Schüler/innen zu unterrichten. Ich unterrichte in einem Fach, das mit meinem studierten Fach verwandt ist und kann sogar aus der Praxis heraus lehren. Das Gehalt ist auch relativ nahe dem einer Sonderschullehrerin, allerdings eine Ecke schlechter im Vergleich zu anderen Hochschulen/Universitäten, ein Wermutstropfen dafür, dass ich langsam auf die 50 zugehe. Trotzdem: Nun bin ich fest angestellt. Es ist zwar anstrengend, aber schön. :_o_)


    Ein happy end und vielleicht macht die Geschichte einigen Mut, die den "Traum" vom Lehrberuf aufgeben mussten. Oder auf Umwegen doch noch lehrend tätig werden können.

    In NRW bekomme ich Dolmetscher gerade noch, wenn ich 2 Monate vorher bestelle, aber ich bestelle auch immer lieber 3 Monate vorher. In NRW und in Berlin ist die Situation recht gut, aber in anderen Bundesländern ist die Situation deutlich schlechter, ausgerechnet in den Gegenden um München und Hamburg ist es auch schwierig, obwohl Millionenstädte. Ich sehe einen Zusammenhang zu den Schulen, in NRW wohnen sehr viele hörgeschädigte Menschen, die z.B. von der Kollegschule in Essen und anderen Förderzentren kommen, da gibt es auch viele Aktivitäten und entsprechende Verbände.


    Außerdem ist der Markt tatsächlich angespannt, einerseits weil der Bedarf steigend ist (höhere Bildung und/oder steigendes Selbstbewusstsein unter schwerhörigen und gehörlosen Menschen), und andererseits weil der Dolmetscherverband neuerdings durchgesetzt hat, dass die Ämter nur noch bestimmte zertifizierte Dolmetscher finanzieren dürfen; jedenfalls gilt das für NRW. Für mich hat das zur Folge, dass ich deutlich günstigere Kommunikationsassistenzen (also keine Dolmetscher) vor Ort nicht mehr bezahlt bekomme, dabei ist ihr Stundensatz erheblich geringer. Aber ich kämpfe darum, das ich freie Wahl habe, und habe schon einmal bei einem Termin preisgünstigere Assistenzen durchsetzen können. Die Konkurrenz unter den Dolmetschern ist stark und nimmt immer mehr zu.


    In den Schulen hingegen finde ich ausgebildete Dolmetscher sehr wichtig.

    Zufällig kenne ich mich mit Schrift- und Gebärdensprachdolmetschern aus, zumal ich ersteres im Beruf teilweise nutze...


    Dolmetschen vor Ort liefert viel bessere Qualität als über das Internet. Beim Dolmetschen über das Internet braucht man einen guten und schnellen Laptop, eine gute Webcam (bei Gebärdensprache), eine stabile Internetverbindung, ordentliche Mikrophone mit guter Funkverbindung zum Laptop, eine gute Tonübertragung und ganz wichtig: Kentnisse im Umgang mit der Software und mit der Technik, z.B. wo im Laptop sind die Lautstärkerregler, ist das richtige Mikrophon aktiviert, passen die Anschlüsse, sind die Passwörter für die Software sofort verfügbar? VerbaVoice und Kombia bieten Dolmetschen über das Internet an.
    Die Dolmetscher sind aufgeschmissen, wenn durcheinander gesprochen wird, weil sie nicht sehen, wer gerade spricht, und Störgeräsuche sind ein Dauerproblem, z.B. gekippte Fenster bei stickiger Luft, Papierrascheln, Auspacken von Zeug aus einer Tasche... Ich nutze Internetdolmetscher, wenn wir eine kleine Runde sind (bis etwa 8 Leute), in größerer Runde sind mir Dolmetscher vor Ort lieber. Für das Dolmetschen über das Internet braucht es keinen speziellen Raum, ein mobiler Laptop ist auch möglich. Je größer die Gesprächsrunde, desto komplexer die Technik.


    Internetdolmetscher haben den Vorteil, dass man fast immer welche findet. Dolmetscher vor Ort ins oft nicht leicht zu bekommen, hier in NRW haben Dolmetscher häufig eine Anfahrt von 100 bis 200 km bis zu ihrem Einsatzort.

    Stimmt, aber nicht in diesem Ausmaß wie an Förderschulen - und siehe auch die anderen noch erwähnten Punkte von mir, mir scheint, die hast du unterschlagen. Ich habe Respekt vor dem Arbeitsaufwand von Lehrern an Regelschulen mit großen Klassen (und wenn behinderte Schüler dabei sind, noch mehr). Aber es ist naiv zu glauben, dass der Arbeitsaufwand in Kleinklassen mit behinderten Schülern so viel geringer wäre. Warum beschweren sich so viele Lehrer an Regelschulen über die Inklusion, wenn sie "nur" ein oder zwei behinderte Schüler in der Klasse haben? Weil es angeblich so easy ist, den Unterricht barrierefrei und ansprechend für die behinderten Schüler zu gestalten?

    Der Thread ist zwar schon älter und die Frage wurde schon beantwortet, trotzdem eine Ergänzung dazu: Ja, Gebärdensprachdolmetscher sollen nur dolmetschen und sonst nichts. Allerdings ist es möglich, mit ihnen individuelle Absprachen zu treffen, wo sie die Dolmetscherrolle kurz verlassen können. Das dürfen aber nur diejenigen bestimmen, die auf die Dolmetscher angewiesen sind.


    Ansonsten gibt es hier Leitfäden: http://kestner.de/n/elternhilf…leitfaden-regelschule.htm


    Was mich (und wahrscheinlich auch die betroffenen Eltern) bei all dem neidisch macht, sind die Klassengrößen, die ansonsten an einer entsprechenden Förderschule vorhanden wären (im Artikel wird von einer Klasse mit 12 SuS, die aber geteilt wird, gesprochen...)

    Da gibt es nichts zu beneiden. Der Nachteil von so kleinen Klassen ist, dass du als Lehrkraft gezwungen bist, wirklich jeden einzelnen Schüler zu berücksichtigen und viel Binnendifferenzierung machen musst. Es fällt viel Vorbereitungsarbeit an und du hast Schüer aus schwierigen familiären Verhältnissen. An Brennpunktschulen gibt es die natürlich auch, aber an Förderschulen haben sie eben auch noch eine Behinderung, die die Lösung von Konflikten erschweren kann.

    Gut, Plattenspieler, ich antworte dir trotz deiner Aussagen im anderen Thread, da die Diskussion hier auf eine sachlichen Ebene stattfindet. Ich habe mit dem Zitieren ein Problem und antworte jetzt mal so. (Piksieben, ist es o.k., dass wir dir den Thread "entführt" haben?)


    Das aktuell dominante Modell in Medizin, Psychologie, Sonderpädagogik etc. (ICF) wurde von nichtbehinderten Menschen entwickelt. Und da jene in der Mehrheit sind, ist es klar, dass die von ihnen entwickelten Modelle sich weiterhin verbreiten. Allein schon aus dem Grund, dass viele behinderte Menschen (ohne die alle in einen Topf werfen zu können) viel mehr Mühe haben, Abitur zu erwerben und zu studieren. Dann auch noch zu promovieren, ist ein Kraftakt, schon ohne Behinderung. Deshalb sind behinderte Menschen in den Wissenschaften völlig unterrepräsentiert. Hinzu kommt, dass viele behinderte Menschen im Lauf der Jahre gesellschaftliche Sichtweisen übernehmen und gelernt haben, nicht zu protestieren, sonst werden ihnen Steine in den Weg gelegt.


    Das habe ich im Referendariat sehr deutlich gespürt. Ich habe meine Seminarleiterin nach einem Jahr darum gebeten, mich wenigstens auf dem Weg zum 2. Examen zu unterstützen, um auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen (außerhalb der Schule!!!) zu haben. Ihre Antwort war: "Aber dann werden Sie ja verbeamtet!" (Ich habe einen Schwerbehindertenausweis.) Es war nur mein Glück, dass ich - wohl aus einer Vorahnung heraus -noch schnell den Magister erworben habe. Das fehlende 2. Examen ist bei der Arbeitssuche ein großer Bremsklotz, selbst im außerschulischen Bereich. Da meine Seminarleiterin und auch die Schulleitung es darauf angelegt haben, mir den Weg zum 2. Examen so schwer wie möglich zu machen und mir von ihnen sogar mit Rausschmiss gedroht wurde, wenn ich nicht selbst gehe, habe ich mich schweren Herzens für einen Abbruch entschieden. Ich bin froh, dass ich meiner Seminarleiterin im persönlichen Schlussgespräch noch sehr deutlich meine Meinung über ihr Verhalten gesagt habe und solange Contra gegeben habe, bis sie darauf nichts mehr antworten und mich nur noch betreten angucken konnte.


    Was den Begriff Lernschwierigkeiten betrifft: Der Übergang zu "geistiger Behinderung" ist ohnehin fließend und was spricht dagegen, einen Begriff mit einer neuen Bedeutung zu belegen? Aber da haben wir es schon, es sind Menschen mit akademischem Hintergrund, die darüber entscheiden, welche Modelle und welche Begriffe anzuwenden sind, und die sind mehrheitlich nichtbehindert. Menschen mit Lernschwierigkeiten befinden sich gesellschaftlich auf der untersten Ebene, ihnen wird nachgesagt, dass sie nicht refektiert denken könnten, also hat ihre Meinung keinen Wert. Da haben es Vertreterinnen des Feminismus einfacher, weil es genügend Frauen mit akademischem Hintergrund gibt, die wortstark auftreten können.


    Der Begriff "sonderpädagogischer Förderbedarf" ist scheußlich und aus Sicht der kritischen Behindertenwissenschaft außerordentlich diskiminierend. Das sage ich als jemand mit zwei Studienabschlüssen der Sonderpädagogik (die keine kritische Behindertenwissenschaft ist). Es würde genügen zu sagen, der und der hat diese und jene Behinderung (z.B. ist blind, ist gehörlos, sitzt im Rollstuhl, kann den Rollstuhl nicht selbst bedienen, kann nicht lesen und nicht schreiben), also müssen diese und jene Maßnahmen umgesetzt werden (z.B. Gebärdensprache, Lichtsignale, Braille, Audiobücher, Leichte Sprache, Rampen usw.) statt ihn mit scheinbar schöneren, aber umso mehr verbesondierenden Begriffen wie "sonderpädagogischen Förderbedarf" zu belegen und damit zu diskreditieren.

    Danke, Meike, für den Hinweis. Ich bin ziemlich sprachlos, was Plattenspieler in diesem Thread von sich gibt... tut mir leid, Plattenspieler, aber damit hast du dich für mich als ernstzunehmenden Diskussionsteilnehmer disqualifiziert.


    Aber um auf deine Kritik einzugehen, die andere vermutlich auch schon für sich formuliert haben: Die physische Komponente von Behinderung wird in der Behindertenwissenschaft keineswegs verleugnet, sondern es wird deren Überbetonung kritisiert. Neben dem sozialen Modell von Behinderung wird auch das kulturelle Modell von Behinderung diskutiert, das sich allerdings bislang nicht so sehr durchgesetzt hat. Zum Weiterlesen für die, die es interessiert: http://www.bdwi.de/forum/archiv/themen/gesund/115661.html

    Hallo Plattenspieler,


    ich sollte eigentlich ins Bett, möchte dir aber noch schnell antworten.


    Das ICF-Modell wird von den Disability Studies nicht strikt abgelehnt, aber es betont die medizinische Komponente doch relativ stark und gleichberechtigt neben den anderen Komponenten.


    Auch Menschen mit kognitiven Behinderungen haben eine Organisation, die von ihnen selbst vertreten wird, nämlich den Verein "People First" bzw. "Mensch zuerst" (http://www.people1.de/). Das sind natürlich Menschen mit kognitiven Behinderungen, die in der Lage sind, ihre Wünsche und Forderungen selbst zu formulieren. Sie möchten als "Menschen mit Lernschwierigkeiten" bezeichnet werden und das sollte für alle mit kogitiven Behinderungen gelten. Warum wird dieser Wunsch so missachtet, immer mit dem Argument, dass es notwendig sei, Menschen nach Schwere der Behinderung zu klassifizieren? Aber warum kann nicht einfach zwischen "geringen" und "ausgeprägten Lernschwierigkeiten" unterschieden werden?
    Hierzu eine Stellungnahme von "Mensch zuerst": http://www.people1.de/was_mensch.html - Sicher können sie nicht für alle kognitiv behinderten Menschen sprechen. Aber das tut auch niemand von den anders behinderten Menschen, dass sie für alle sprechen... "Kognitiv behindert" ist übrigens eine gute Kompromisslösung.


    Der Begriff "Förderbedarf" wird auch kritisiert, weil er negativ konnotiert ist und ALLE Menschen (mit und ohne Behinderung) irgendeinen Förderbedarf haben, nur eben in unterschiedlichem Ausmaß in unterschiedlichen Bereichen. Hubert Hüppe, ehemaliger Behindertenbeauftragter sagte mal, dass der Begriff "Förderschwerpunkt Hören/Lernen/Sehen/..." irreführend sei, weil eine Behinderung nicht "weggefördert" werden könne. Statt z.B. von "Schülern mit Förderbedarf im Bereich Hören" wird vorgeschlagen, lieber von "schwerhörigen Schülern" oder "gehörlosen Schülern" zu sprechen.


    Du findest die Bezeichnung "Wissenschaftler_innen" unsinnig. Menschen, die "zwischengeschlechtlich" sind, begrüßen sie aber in der Regel sehr. Und ich würde es mir nie anmaßen, eine bestimmte Ausdrucksweise, die weitgehend anerkannt ist, als "unsinnig" zu bezeichnen. So akzeptiere ich es auch, wenn andere die maskuline Schreibweise bevorzugen.


    Ich möchte diese Ansichten niemandem aufzwingen, aber das sind die Ansichten aus der kritischen Behindertenwissenschaft, die feinste Formen von Diskriminierungen aufdeckt, wo andere behaupten würden, dass das überempfindlich sei. Was sich kaum jemand bewusst macht, dass es gerade die ständigen klitzekleinen Diskriminierungen sind, dir kränkendsind, weil man sich so schlecht dagegen wehren kann. (Ha, ich vermeide eigentlich auch das Wörtchen "man", aber ich lasse das jetzt mal stehen...)


    Ganz ähnlich ist es bei Mobbing, die Kränkungen finden meist sehr versteckt statt, viele kleine Kränkungen, die sich summieren und gegen die gemobbte Person sich kaum wehren kann, weil niemand außer ihr die Diskriminierungen wahrnimmt. Manche Handlungen erscheinen nach außen hin sogar positiv, obwohl sie (je nach Kontext) in Wirklichkeit beleidigend sind, z.B. Sätze wie "Lassen Sie das mal, das wird Ihre Kollegin übernehmen, die kann das sehr gut und Sie sind entlastet."


    Irgendwie kommen wir vom Thema ab... ist allerdings auch meine Schuld.

    Hallo, Piksieben, deine Frage ist überhaupt nicht bescheuert, sondern sehr berechtigt. Darf ich ganz weit ausholen...? Wenn ich als ehemalige Vielschreiberin hier eh nicht mehr unterwegs bin... es ist merkwürdig, nach langer Zeit hier wieder was zu schreiben...


    Weil mein Posting so lang ist, habe ich mal Zwischenüberschriften eingebaut.


    Für die, die mich nicht kennen, eine Kurzvorstellung: Ich war mal Referendarin und habe nach einem Jahr abgebrochen. Seither arbeite ich in der Wissenschaft voriwgend zum Thema Behinderung.


    Ich wurde auf diesen Thread aufmerksam gemacht, weil ich - ganz unbescheiden gesagt - Expertin bei diesem Thema bin, als "behinderte Frau" oder "Frau mit Behinderung", die Sonderpädagogik studiert hat, ein Jahr Referandariat in einem Förderzentrum gemacht hat (und dann abgebrochen) und sich seither beruflich wie privat mit Disability Studies (frei übersetzt: Forschung und Lehre über das Behindert-Werden von Menschen) auseinandersetzt, behindertenpolitisch aktiv ist und viele verschiedene behinderte Menschen sowohl privat als auch beruflich kennt.


    Ich freue mich sehr, dass es hier einige so reflektierte Gedanken gibt, die den Nagel auf den Kopf treffen. Ich fange mal mit der Ausgangsfrage an und hole weiter aus.


    Bezeichnungen: "Behinderte Menschen" - "Menschen mit Behinderung" - "Behinderte" - Menschen mit Handicap"
    Wie Meike schon schreibt, gibt es nicht mal unter behinderten Menschen Einigung, welche Bezeichnung angemessen ist. Die gängigsten Bezeichungen sind "behinderte Menschen" und "Menschen mit Behinderung", die von der Mehrheit der direkt betroffenen Menschen auch verwendet wird. Aber ganz egal, welchen der beiden Begriffe ihr verwendet, einige werden sich immer falsch bezeichnet fühlen. Ich bevorzuge "behinderte Menschen" - Grund siehe unten.


    Behindertenaktivisten, die sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen, bevorzugen den Begriff "behinderte Menschen", weil sie davon ausgehen, dass jene nicht von Natur aus behindert sind, sondern durch Barrieren und Vorurteile behindert werden. Wäre beispielsweise die ganze Welt rollstuhlgerecht gebaut, wären Menschen im Rollstuhl nicht mehr behindert. Genau aus diesem Grund lehnen viele von ihnen die Bezeichnung "Menschen mit Behinderungen" ab, weil sie beinhaltet, als würde der Mensch seine Behinderung wie einen Rucksack mit sich tragen. Aber andere wiederum lehnen die Bezeichnung "behinderte Menschen" ab aus dem Grund, den CKR auch nannte.


    Was überhaupt nicht geht, ist die Bezeichnung "Behinderte" als Substantiv, weil der Mensch dadurch komplett auf die Behinderung reduziert wird und das negativ konnotiert ist. Das ist auch der Unterschied zum harmlosen Begriff "Mann" oder "Autofahrer". Plattenspieler hat das kurz und bündig und sehr gut begründet.


    Manche Menschen - leider auch behinderte - bezeichnen sich als "Menschen mit Handicap" oder "gehandicappte Menschen". Für die oben genannten kritischen Behindertenwissenschaftler ist diese Bezeichnung ein no go. Es wird vermutet, dass "Handicap" in Verbindung mit "cap in hand" (Kappe in der Hand) steht, was eine Umschreibung für Betteln ist. Daneben gibt es das Argument, dass Handicap aus dem Sport (Golf und Pferderennen) kommt.


    "Wie behindert ist das denn?!" - "behindert" als Schimpfwort
    Der Ausruf "Wie behindert ist das denn?!" oder "Das ist ja voll behindert" wird aus behindertenwissenschaftlicher Sicht auch sehr kritisch betrachtet, eben weil es negativ konnotiert ist und davon ausgegangen wird, dass Sprache unser Denken beeinflusst. Genauso kritisieren homosexuelle Menschen den Ausruf "Das ist ja voll schwul." Ich finde es super, wenn einige von euch Ausrufe dieser Art anmahnen. Wer viel Zeit hat, kann zum Einfluss der Sprache auf unser Denken im Zusammenhang mit der Behindertenthematik hier einen schönen Artikel vom Behindertenpolitiker Dr. Peter Radtke lesen: http://www.peter-radtke.de/artikel/sprache.php


    Alternative Bezeichnungen für "behinderte Menschen" beim Schreiben
    Piksieben, du sprichst von "Sprachverrenkungen". Im Grunde hast du recht, aber wir sollten hier zwischen Sprechen und Schreiben unterscheiden. Im mündlichen Sprachgebrauch (Ex-Deutsch-Referendarin lässt grüßen) ist "behinderte Menschen" so ziemlich die übliche Bezeichnung, die auch weitgehend akzeptiert wird. Bei wissenschaftlichen Artikeln (und auch Vorträgen) sind sprachwissenschaftlich schöne Lösungen folgende Bezeichnungen, die weitgehend anerkannt sind:
    - selbstbetroffene Menschen
    - von Behinderung betroffene Menschen
    - Menschen, die als behindert klassifiziert werden
    - Menschen, denen das Merkmal "behindert" zugeordnet wird
    - Menschen mit Behinderungserfahrungen
    - Menschen mit Diskriminierungserfahrungen in Bezug auf körperliche Merkmale (dazu gehören auch Sinnesbehinderungen)
    - ...


    Ich finde, es gehört zum Respekt, die von den direkt betroffenen Menschen bevorzugten Bezeichnungen zu verwenden. Ich sage mittlerweile "schwarze Frau" statt "farbige Frau", weil die direkt betroffenen Rassismus-Wissenschaftler das wünschen. Bei Unterhaltungen sind sprachliche Reduktionen o.k., bei wissenschaftlichen Vorträgen und Artikeln sind die "Sprachverrenkungen" angemessen.


    Menschen sind nicht behindert, sondern werden behindert
    Weiter oben habe ich vom Behindert-Werden der Menschen geschrieben. Damit ist gemeint, dass Menschen nicht so sehr durch körperliche Merkmale, sondern durch Vorurteile und Barrieren behindert werden. Gäbe es überall Braille, Wegleitsysteme für Langstöcke (nicht "Blindenstöcke" ;) ), menschliche Assistenzen, Assistenzhunde, Audiobücher usw., wären blinde Menschen nicht mehr behindert. Unterhält sich eine Gruppe von gehörlosen Menschen in Gebärdensprache und ein hörender Mensch ist darunter, der nichts versteht, dann ist er der Behinderte, während die gehörlosen Menschen nichtbehindert sind.


    Prof. Swantje Köbsell unterscheidet zwischen dem medizinischen (inidividuellen) Modell von Behinderung, das in der Sonderpädagogik verbreitet ist, und dem sozialen Modell von Behinderung, das in den Disability Studies vertreten ist. Mehr dazu: http://www.hs-emden-leer.de/fi…g_Koebsell_Emden_2013.pdf (damals noch als "Dr." unterwegs gewesen)


    Ein Blogtext von Christiane Link erklärt den Unterschied auch ganz gut verständlich: http://blog.zeit.de/stufenlos/…esellschaftliche-aufgabe/


    Das Thema "Behinderung" in der Schule
    In manchen Klassen wird je nach Lehrplan ja Behinderung als Thema behandelt. Mein Tipp ist, behinderte Menschen mit behindertenpolitischem Hintergrund in den Unterricht einzuladen oder behinderte Menschen, die selbstbestimmt wie nichtbehinderte Menschen leben und arbeiten. Gute Anregungen für den Unterricht in kindgerechter Form finden sich dort: http://www.inklusion-als-menschenrecht.de/


    Literaturtipps
    Wer tiefer in die kritische Behindertenwissenschaft einsteigen möchte, dem seien beispielhaft folgende Namen genannt: Swantje Köbsell, Theresia Degener, Anne Waldschmidt, Gisela Hermes, Heike Raab, Rebecca Maskos, Michael Zander, Udo Sierck. Sie sind alle selbst betroffen. ;)


    Zum Begriff "Disability Studies" kann ich diesen Text empfehlen: http://www.disabilitystudies.de/agdsg.html#vortrag1


    Besonders empfehlen kann ich die folgende Website "Leidmedien" (absichtlich mit "d" geschrieben), die sich sehr kritisch mit der Darstellung von behinderten Menschen in den Medien auseinandersetzt und auch Sprachliches auseinanderpflückt: http://leidmedien.de/


    Nur am Rande zum Schluss...
    Als jemand, die sich mit Diskriminierungen verschiedener Arten befasst (nicht nur auf behinderte Menschen bezogen), bevorzuge ich eigentlich die Schreibweise "Wissenschaftler_innen", weil es Meschen gibt, die sich weder als eindeutig weiblich noch als eindeutig männlich definieren (z.B. inter- und transsexuelle Menschen). Aber ich wollte die politische Korrektheit in meinem Posting nicht auf die Spitze treiben...


    Um zurück zum Ausgangsposting zu kommen: Ausrufe wie "Das ist voll behindert, ey!" sollten tatsächlich konsequent unterbunden werden. Siehe hierzu auch Leidmedien: http://leidmedien.de/journalis…pps/begriffe-von-a-bis-z/

    Bei der Formel "nen" habe ich manchmal den Eindruck, dass die bewusst grammatikalisch falsch verwendet wird. Ich finds gruselig. O.k., "finds" ist jetzt auch nicht korrekt, also vielleicht "find's"? :D


    Der Apostroph ist auch so eine Unart. Ich finde es erschreckend, wie viele Akademiker ihn verwenden statt des korrekten Genitivs, z.B. "Peter's Geburtstag". Erlebe ich gerade an der Hochschule immer wieder. :S


    Plattenspieler, hier regt sich niemand auf und irgendwelche Luxusproblemchen hat jeder. Die lenken so schön von den wirklichen Sorgen ab. ;)

    Von kleinem geselligen Lokal bis hin zu größeren Events mit hochpreisigen Abenden - selbstverständlich auf Firmenkosten.


    Da wäre ich mir mal nicht so sicher. Ich arbeite in der Hochschule und muss auch selbst zahlen, bei meinem Ein-Euro-Job (an einer anderen Hochschule) war das ebenso, für mich als Arbeitslose ausgesprochen ärgerlich, weil wir auch in piekfeine Lokale gingen.
    Geschenkchen durch andere (so wie ihr durch Eltern, Schüler) können wir nicht erwarten. Letztes Jahr waren wir chinesisch essen. Eigentlich mag ich das nicht sonderlich, aber meine Kollegen waren begeistert von der Idee, und da wir nur ein kleines Team sind, wollte ich keine Spielverderberin sein. Dieses Jahr fällt die Weihnachtsfeier wegen Krankheitsfällen wahrscheinlich aus.


    Da einige hier die mangelnde Wertschätzung durch die Schulleitung kritisieren, kam mir der Gedanke, dass umgekehrt die Schulleitung sich vermutlich auch Zeichen der Wertschätzung wünscht, aber vielleicht auch keine oder nur ganz wenig erhält?

    Interessant, was aus diesem Zitat


    Ich würde eben nur versuchen, dass die möglichst wenig Macht über meinen Unterricht bekommen und möglichst wenig diejenigen stören, die wirklich etwas lernen wollen. Deren Recht ist viel wichtiger, denn diese Leute werden später eventuell promovierte Physiker / Chemiker oder Mediziner, nicht die Chaoten, denen bringt viel Aufmerksamkeit nur Bestätigung ihres Verhaltens. Kurz an der Leine halten, wenig Raum geben, bloss nicht in den Mittelpunkt stellen diese Leute!


    geworden ist.


    Ich sehe auch, dass hier verschiedene Leute aus verschiedenen Pespektiven argumentieren und unter ein- und demselben Sachverhalt was anderes verstehen.


    Der eigentliche Ausgangspunkt der Auseinandersetzung ist hier aber, dass ein Student aus der Lehrerperspektive, über die er noch gar nicht verfügt, Tipps und Empfehlungen gibt. Bei Referendaren, die ernsthafte Probleme, kommt das nicht gut an, wenn jemand mit einem deutlich geringeren Kompetenzenstand praxisbezogene Tipps gibt und dabei den Eindruck erweckt, als wären diese von ihm erfolgreich umgesetzt worden. Damit habe ich ein ernsthaftes Problem. Wenn ich hier Rat suche, gehe ich davon aus, dass der, der mir praxisbezogene Empfehlungen gibt, diese selbst erfolgreich angewandt hat.


    Vielleicht sehen erfolgreiche Referendare und fertige Lehrer das gelassener. Aber ich nicht, die damals mächtig gekämpft und verzweifelt Hilfe gesucht hat. Traian offensichtlich auch nicht. "Wir sprechen uns 14 Tage vor deinem Examen nochmal" ist schon eine deutliche Aussage.

    Aktenklammer, das würde niemand bestreiten, kann aber gleichzeitig auch nicht heißen, dass man die Probleme machenden Kinder einfach aussiebt - zumal sie dann garantiert lebenslang Probleme machen und zwar umso größere je größer sie selbst werden. Was es allerdings in der Tat nicht geben wird, ist eine Lösung zum Nulltarif.
    Aufgabe des Lehrers ist, sich nach vorhandenen Lösungen umzusehen, diese einzufordern und zu suchen, und kein Kind einfach aufzugeben, weil es nicht ins Raster passt.


    Das war es, was ich meinte.


    Ich habe bei "Gewalt" die enge Definition gemeint, die sich auf körperliche Schmerzen bezieht (es sei, der Stuhl wird willentlich auf jemand anderen geworfen, aber davon ging ich oben nicht aus). Natürlich sind die genannten Beispiele auch eine Form von Gewalt, aber die sind an den Schulen in meinem sonderpädagogischen Bereich nicht ungewöhnlich und gehören zu den harmloseren Varianten. Als Lehrer meiner Schulart musst du damit jedenfalls umgehen können. So langsam wird mir klar, warum ich im Referendariat gescheitert bin, wenn so viele hier diese beiden Beispiele als so dramatisch betrachten...

    Lehrer sollten in der Lage sein, mit stühlewerfenden und kaugummi-in-die-Haare-pappenden Schülern fertig zu werden. Sind sie dazu nicht in der Lage, haben sie ihren Beruf verfehlt. Diese Beispiele gehören wirklich zu den ganz harmlosen Dingen, die Schüler sich einfallen lassen, zumindest an Förder- und Brennpunktschulen. Grenzen sehe ich vielmehr dann, wenn ernsthaft Gewalt gegen andere ausgeübt wird oder der Unterricht unzumutbar zum wiederholten Male gestört wird.


    Das Psychiatriebeispiel hinkt. Hier handelt es sich um erwachsene Menschen, die sich für eine Therapie entschieden haben. Schüler haben aber grundsätzlich erst mal ein Recht auf Bildung. Differenzieren musste ich ganz viel, das wollte die Seminarleitung sehen. 8|

    Silicium, Schüler, die Stühle durch den Raum werfen und Kaugummi in die Haare schmieren, sind aber noch "sehr normal". :huh: Die findest du sogar an Gymnasien. Lehrer sind nicht nur zur Vermittlung von Bildung verpflichtet, sondern haben auch einen Erziehungsauftrag. Natürlich gibt es immer Grenzen und dann sollte Hilfe von außen geholt werden.


    Mich würde ja mal interessieren, ob du schon für einen längeren Zeitraum alleine vor einer Schulkasse gestanden bist (und nicht nur ein einzelnes Stündchen). Schüler sind in den ersten Stunden ohne zweite Lehrkraft im Raum meist erst mal die reinsten Lämmer, aber dann gehts los und du darfst als Lehrer zeigen, was du drauf hast.


    Sicher kann es sein, dass du dich im Ref gut schlägst. Dennoch finde ich es unangemessen, Tipps aus einer Pseudo-Lehrerperspektive zu geben und dabei den Eindruck zu erwecken, als würden sie auf erlebte Erfahrung basieren.

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