Die Meinung, Unterrichten sei doch eigentlich ein einfacher Beruf, ist in der Öffentlichkeit weit verbreitet. Klagen der Lehrer über uninteressierte Schüler und über unzumutbare Arbeitsbedingungen werden selten ernst genommen; schließlich haben Lehrer mehr Ferien als jeder andere Berufstätige - oder?
Zwischen der offiziellen Bewertung von Lehrern und Volkes Stimme gibt es einen erheblichen Unterschied. Offiziell werden Lehrer als tragende Säulen des Gemeinwesens tituliert, in der allgemeinen Meinung jedoch werden ganz andere Urteile gefällt – man kann sie hören, wo immer man auf Eltern schulpflichtiger Kinder trifft. Das eher geringe Ansehen von Lehrern in der Gesellschaft hat wohl vor allem folgende Ursachen:
- Lehrer haben es mit Kindern zu tun, nicht mit Erwachsenen. Das unterscheidet sie von anderen ebenfalls auf den Menschen bezogenen Berufen. Die Geringschätzung der Unmündigen, noch nicht Erwachsenen, färbt auf diejenigen ab, die mit ihnen umzugehen haben. Damit stimmt auch überein, dass das Ansehen eines Lehrers mit zunehmendem Alter der Schüler steigt, die er unterrichtet - vom geringen Prestige der Grundschullehrerin bis zum hohen Prestige des Hochschullehrers.
- Die Berufstätigkeit selbst erscheint als etwas Sekundäres, Uneigentliches: "Who knows, does - who knows not, teaches", sagt man in England. Der Lehrer stellt nichts her, verteilt auch - außer Zensuren - nichts, was andere brauchen könnten; er bewegt sich nicht in gesellschaftlich bedeutsamen Bereichen wie Wirtschaft, Kultur, Forschung oder Politik. Wohl deshalb ist das Ansehen auch höher, wenn es nicht auf der Lehrtätigkeit selbst beruht, sondern auf der dahinter stehenden Fachwissenschaft, wie es beim Gymnasiallehrer zumindest früher der Fall war. Erst auf dem Hintergrund solcher Geringschätzung gewinnen Vorhaltungen über zu geringe Arbeit, zu viel Ferien und zu wenig Einsatzbereitschaft ihre voreingenommene Bedeutung - Lehrer als "faule Säcke" (Gerhard Schröder).
- Erziehen und Unterrichten werden weitgehend als eine Fähigkeit betrachtet, die ohnehin jeder Mensch besitzt, weil ja schließlich jeder irgendwie mit Kindern zu tun hat. Lehrer verfügen über kein wirkliches "Geheimnis", also über keine spezifische Arbeitsweise oder Technologie, die als Besonderheit ihres Berufes gelten könnte. Überhaupt hat der Lehrerberuf von der modernen Technik, von der so viele andere Berufe Erleichterung erfahren haben, kaum profitiert; die Grundkonstellation der "pädagogischen Beziehung", von Angesicht zu Angesicht vor einer Klasse zu stehen, wirkt zwar inzwischen archaisch, ist aber technologisch trotz Internet und Computer nicht zu überwinden. Lehrersein ist auch in dieser Hinsicht ein "unmöglicher Beruf".
- Nicht nur deshalb ist die physische und psychische Belastung enorm gestiegen, wie die wachsende Zahl der krankheitsbedingten Frühpensionierungen und die verbreiteten Burn-Out-Fälle zeigen. Der Öffentlichkeit ist die tatsächliche berufsbedingte Belastung weitgehend unbekannt, weil sie nur auf die Unterrichtsstunden sieht. Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturarbeiten, Konferenzen, Gespräche mit Eltern usw. werden dabei nicht berücksichtigt.
- Während früher die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer allenfalls mit denen der Eltern verglichen wurden, sind inzwischen neue Konkurrenten in Gestalt der Psychologen und Therapeuten in den Ring getreten. Wer heute nach "Fachleuten für das Kind" sucht, wendet sich fast selbstverständlich nicht mehr an Lehrer oder überhaupt an Pädagogen, sondern an Psychologen. Fast sieht es so aus, als seien "gute" Lehrer nur noch ausführende Organe psychologischer Supervisoren, didaktisch-methodische Arrangements nur noch Anwendungen psychologischer Lehrsätze.
- Lehrer sein ist ein Beruf ohne besondere Karrierechancen. Die Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Berufes sind gering, weil entsprechende Stellen sehr knapp sind. Wer Karriere machen will, muss sie außerhalb des Berufes suchen, etwa in der Politik.
- Lehrer neigen zu überhöhten Anforderungen an sich selbst, weil es kein Kriterium dafür gibt, wann sie "genug" geleistet haben, die Erwartungen in diesem Beruf vielmehr stets "nach oben offen" bleiben. Immer kann man noch mehr tun, sich noch besser vorbereiten, sich noch eingehender mit schwierigen Schülern befassen, noch mehr Fachbücher lesen. Da die Öffentlichkeit dieses "Mehr" auch erwartet, stellt sich leicht beiderseitige Unzufriedenheit ein. Weil es für die Lösung dieses Dilemmas keinen klaren Maßstab gibt, verbleibt die tatsächliche Leistung des Lehrers in der Sphäre einer eigentümlichen Unbestimmbarkeit.