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Im Prinzip, ob wir es wollen oder nicht, haben wir die Aufgabe, unsere Schüler für das spätere Arbeitsleben und den Vorstellungen der Firmenbosse fit zu machen. Es ist halt die Realität, und man kann nicht so tun, dass es zu einseitig und unter unserer pädagogischen Würde sei, unsere Schüler für die Welt da draußen zu präparieren.
Ich würde meinen Beruf an den Nagel hängen, wenn ich ein derart enges an der wirtschaftlichen Nützlichkeit und Verwertbarkeit ausgerichtetes pädagogisches Selbstverständnis hätte. Aber das ist unser neoliberaler Zeitgeist - die Ära des "Humankapitals" -, den du hier unentwegt propagierst und der sich gaaanz langsam seinem Ende zuneigt. So zu tun, als ob diese Ideologie DIE alles Wahre sei, empfinde ich äußerst undifferenziert. Alle Bildung, die betriebswirtschaftlich unrentabel ist, hat in diesem Weltbild keine Platz, gehört - ich überspitze - ausgerottet. Was wäre aus dem Land der Dichter und Denker, der Aufklärung, geworden, wenn sich die damals führenden Köpfe der betriebswirtschaftlichen Logik hätten unterwerfen müssen?
Wer die entsprechenden Pragraphen in den Schulgesetzen "Aufgaben/Auftrag der Schule" in Gänze(!) liest - ich habe eben in einige online verfügbare reingeschaut - wird verblüfft sein, was da sonst noch drin steht. Da geht es nämlich auch um Bildung und Erziehung - mancher mag es womöglich kaum glauben.
Dass du, lieber Kollege Elternschreck, heute Lehrer bist, liegt daran, dass du die Gnade der Bildung erfahren hast und irgendwann gelernt hast, Verantwortung für dich selbst zu übernehmen (steht im übrigen auch in den Gesetzen). Die Wahrscheinlichkeit, dass du Verantwortung erlernst, ist aber bei weitem geringer, wenn du als Schüler überwiegend(!) nur das abzuarbeiten hast, was dir irgendein geliebter oder gehasster Lehrer Tag für Tag vorgibt! Schüler brauchen Aufgaben, an denen sie wachsen können, ihre Persönlichkeit ausbilden können. Um es mit deinen betriebswirtschaftlichen Gedankengängen zu formulieren: Unternehmen brauchen nicht Marionetten, denen "sie" bei jeder Kleinigkeit hinterher rennen müssen, bei denen sie sich nicht auf die dressierten Mitarbeiter verlassen können, sondern sie "brauchen" verantwortungsbewusst handelnde Menschen.
Welche Verantwortung für sich selbst, für ihre Persönlichkeit, übernehmen die Schüler in deinem Unterricht? Was ist Verantwortung wert, wenn sie allein auf dem Hintergrund begründet ist, dass man als Schüler sonst eine schlechte Note bekommt? Welchen Sinn können Schüler in dem Unterricht bei dir erkennen? Was hat Schule mit ihnen überhaupt zu tun? Früher funktionerte Schule so gut, weil sie auf der Angst vor Strafe durch Eltern und Lehrer fußte. Ich bin froh, dass wir in diesem demokratischen Staat endlich darüber hinweg sind. Das Problem ist nur, dass wir uns jetzt etwas anderes überlegen müssen, um Schüler zur Bildung zu bringen, sie zu motivieren. Dass das nicht mehr möglich ist, wenn man alle über einen Kamm schert, sollte logisch erscheinen. Da helfen dir auch kaum deine ständigen Effizienzbekundungen weiter, die auch nur Teil des neoliberalen Zeitgeistes sind. Effizienz ergibt sich von allein. Dann, wenn ein Schüler Verantwortung für sein Lernen übernimmt. Lernen einfordert. Wann haben die Schüler "Lernen" bei dir eingefordert? In meiner Schulzeit war ich zumindest froh, wenn Unterricht ausgefallen ist - YEAH! FREISTUNDE!
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„Die Zukunft der Bildung heißt Persönlichkeitsbildung. Wir brauchen 'Intelligenz plus Charakter'.”
(Martin Luther King)
Charakter kann man nur nicht "vermitteln". Den muss man sich an bedeutsamen, an sinngebenden(!) Aufgaben erarbeiten, Aufgaben, an denen man wachsen kann.