Ich war im Referendariat an einer Stelle kurz davor, alles hinzuwerfen ... wegen eines Mentors (nicht wegen meiner Noten, nicht wegen der Arbeitsbelastung, sondern weil der mir das Gefühl gab, ich könne nichts und müsse ständig kontrolliert werden - und das im letzten Ausbildungsabschnitt nach zwei Lehrproben und Zwischenbeurteilungen, die alle sehr gut gelaufen waren).
Davon abgesehen empfand ich die Zeit als stressig, aber von der Arbeitsbelastung durchaus machbar (bis auf das eine Halbjahr, in dem ich jeden Tag über vier Stunden im Zug verbrachte, weil ich keine Wochenendehe mehr führen wollte und mir auch die Wohnung am Ort der Einsatzschule nicht hätte leisten können).
Nach 20 Jahren als Lehrer muss ich aber sagen, dass der Beruf nach dem Ref auf seine Art (fast) genau so stressig und unfair sein kann(!).
Was besser ist: sichere Beamtenstelle und daher keine Existenzangst mehr, wenn eine Stunde nicht so läuft ... also nicht diese existentielle Abhängigkeit vom Wohlwollen. von der Willkür der "Übergeordneten".
Was schlechter (oder genau so übel) ist: Ich hatte im Ref maximal 18 Unterrichtsstunden (das war schon genug) ... jetzt sind es 23. Und nein, es ist nicht komplett so, dass man den Unterricht ja irgendwann mal für alle Fächer und Jahrgangsstufen vorbereitet hat. Ich habe inzwischen altes G9, G8 und in der 5. Klasse neues G9 durch ... und noch viele neue Lehrpläne dazwischen. Davon abgesehen funktionieren Dinge, die vor 20 Jahren noch zu guten Ergebnissen mit Schülern führten, heute nicht mehr. Sicher, eine gewisse Routine ist da, aber ich hab schon das Gefühl, dass die 23 Stunden jetzt durchaus gleichwertig sind (bzgl. Arbeitsbelastung) mit ca. 14 Stunden im Referendariat. 5 Stunden mehr bedeuten ja auch 1-2 Klassen mehr und damit mehr Korrekturen.
Unterrichtsbesuche finden immer noch statt (bei uns kommt der Chef unangekündigt) und auch da ist man abhängig und evtl. einer gewissen Willkür ausgeliefert. Klar, es geht nicht mehr um "Anstellung oder nicht", aber es geht um Beförderung ... und wer lässt sich schon gerne "für Kleinigkeiten zerfetzen"?
Ich muss immer noch mit Leuten klar kommen, "die echt nicht ohne sind", bei denen man ständig aufpassen muss, kein falsches Wort zu sagen ... Schülereltern, Kollegen, Schulleitung ... nicht immer sind alle nette, umgängliche und faire Menschen.
Perfektionismus wird immer noch erwartet, aber halt jetzt für 23 Unterrichtsstunden ... und kein "Referendarsbonus" mehr, den man ab und zu doch hat (auch von Eltern/Schülern etc).
Oberstufenklausuren und Abitur hatte ich im Ref nicht ... das ist nochmal eine Hausnummer, was Arbeitsaufwand und Anspruch an Perfektion betrifft. Ebenso hatte ich keine Klassleitung mit Zeugniserstellung (einschließlich des Erstellens der Bemerkungen).
Was die Fähigkeit betrifft, mit hohen Arbeits- / Stressbelastungspeaks umzugehen, ist das Ref durchaus eine realistische Vorbereitung auf den Beruf (mag jetzt jeder anders empfinden und ist sicher abhängig von den Fächern und der Schule, an der man arbeitet).
Und auch nach 20 Jahren passiert es mir, dass ich mich überfordert fühle ... z.B. dank der Inklusion und ohne Fortbildung mit autistischen Kindern.
Die Erfahrung, dass es Willkür gibt, dass nicht alles fair läuft ... die wird man wohl im Verlauf jedes Berufslebens machen.
Evtl. bin ich aber, was mein jetziges Berufsleben betrifft, gerade auch etwas negativ drauf (Schuljahresendstress mit letzten Korrekturen und Zeugnisserstellung).