Zitat
Wer lieber die Privilegien der freien Wirtschaft haben möchte, der kann gerne in diese wechseln.
Ich wage einmal zu behaupten - als eine, die beide Seiten kennt - dass so manche Lehrer in der "freien Wirtschaft" einen anhaltenden Praxisschock erleiden würden.
- 19 Jahre in der vielgepriesenen freien Wirtschaft, die letzten 15 davon bei einem angesehenen Mittelstandsunternehmen, das sogar! tariflich zahlte. Dafür nahm es sich die Freiheit heraus, seine Angestellten übertariflich auszubeuten. 15 Jahre - ein kleines Fazit: ordentliches Gehalt, in etwa Ingenieurniveau. Täglich (täglich) ca. 2-3 Überstunden, mit dem Gehalt abgegolten. Jede zweite Woche Sonntagsdienst, zwischen 8 und 10 Stunden, fürstlich entlohnt mit pauschal 75 Euro (brutto) sowie einem freien Tag in der Woche, den man schätzungsweise nach einem Jahr mal nehmen konnte (aufgrund der üppigen Personaldecke). Regelmäßige Samstagseinsätze, ob für Sonderprodukte oder für Marketingaktionen, entgolten mit einem feuchten Händedruck oder gar nichts (doch, in 14 Jahren gab´s zweimal vom Verlegersöhnchen eine Pizza für die ganze Belegschaft spendiert, für jeden EINE, aber man gönnt sich sonst ja nichts). Was noch - Dienstwagen? Ha, ha. Geschäftsessen? Klar, die Arbeitszeit durfte man abends ranhängen. Recht auf Teilzeit? Lach, lach, O-Ton meines Exchefs: "Junge Mütter kommen entweder ganz wieder oder gar nicht." Wurde mit betrieblichen Zwängen begründet und durchgewunken, Ende der Fahnenstange. Was weiter... Dienstreisen? Klar, auf eigene Kosten und natürlich mit einem Urlaubstag als Dreingabe (der war zu opfern, was sonst, ist ja Privatvergnügen). Jeden Mittwochmorgen VOR DIENSTBEGINN Rapport mit Wochenkonferenz, um sich regelmäßig ordentlich absauen zu lassen. Als dann der Direktkonkurrent auf einen Schlag noch 300 Mitarbeiter schasste, war denn alles klar: Duck dich, halts Maul, ackere - oder flieg raus.
- Ich selbst flog mit Mitte 40 kurz vor dem letzten Gehaltssprung. Weil mein paranoider Psychochef rausgefunden hatte, dass ich mich auf Lehrerin umorientieren und kündigen wollte. Lieber Scholli, manche hier wissen echt nicht, wovon sie reden. Mein heutiger Job - ist stets befristet, an einem traumhaften Gymnasium, mit traumhaften Schülern, ich habe weniger die Hälfte meines früheren Einkommens und bin zehnmal glücklicher und vor allem von dem Gefühl erfüllt, etwas Sinnvolles zu tun. Ja, ich habe 13 Wochen Urlaub im Jahr und kann mich immer noch nicht an diese wahnsinnigen Zeiten gewöhnen. Unsicherheit durch Zeitverträge? Nach meinem fristlosen Rauswurf nach 15 Jahren Schufterei kann ich mich darüber wirklich totlachen.
(Rausgeworfen werden ohne Grund? Doch, das geht. Es geht verdammt viel im deutschen Arbeitsrecht, auch das lernte ich staunend noch im gereiften Alter neu.)
Mein Exarbeitgeber war übrigens nicht einmal ein Extrembeispiel - gut, schon ein krasses Beispiel, aber keine Ausnahme. Das weiß ich aus meinem weiten Bekannten- und Freundeskreis.
Ich war übrigens ca. 10 der 15 Jahre durchaus sehr glücklich in meinem Beruf. Ich dachte allerdings auch, das sei alles normal. :-))
Wer als Lehrer Beschwerde fühlt, sollte sich vielleicht einmal nur drei Wochen für ein Praktikum in ein ganz normales mittelständisches Unternehmen begeben.
- Gehabt euch wohl, mich kriegt niemand mehr aus der Schule raus.