Hallo linna,
ich verrstehe Deine Probleme sehr gut. Auch ich hatte große Bedenken in einem ersten Schuljahr bei individualisiertem Arbeiten nicht alle Kinder im Blick haben zu können. Trotzdem habe ich es versucht. Zuerst einmal in kleinen Schritten. Zu Beginn habe ich intensiv mit den Kindern am sozialen Verhalten gearbeitet. Rücksichtnahme spielt dabei immer eine große Rolle. Das dauert und geht nicht von heute auf morgen. Die Kinder haben dann die Möglichkeit bekommen selbständig Material zu ihrem Thema auszusuchen. Danach ging dann langsam jedes Kinde seinen eigenen Weg. Ich dokumentiere stets den Lernfortschritt, um auch selber die Sicherheit zu haben, den Lernstand der Kinder zu kennen. So hat man jedes Kind im Blick und kann jeden beim Lernen begleiten, ohne das Gefühl zu haben, dass einem die Kinder entgleiten. Von Klasse zu Klasse wurde ich immer sicherer und inzwischen weiß ich, dass Geduld zum Beispiel sehr wichtig ist. Nicht jedes Kind hat jeden Tag dasselbe Arbeitspensum, doch im Endeffekt schaffen alle Kinder ihr Pensum und das mit Freude und Motivation. Ich bin auch noch lange nicht zufrieden mit meiner Arbeit, aber jedes Jahr komme ich meinem eigentlichen Ziel, dem selbstorganisierten Lernen ein bisschen näher. Ich kann Dir nur Mut machen einfach mal in einem Bereich mit dieser Arbeit zu beginnen, es klappt wirklich gut und Disziplinprobleme gehören dann schnell der Vergangenheit an. Zur Zeit habe ich ein drittes Schuljahr und merke, dass meine Schüler immer noch gerne zur Schule gehen und mit Begeisterung lernen. Ich begleite ihren Lernprozess, indem ich bei Problemen intensiv helfen kann, Anregungen gebe und viel Material zur Verfügung stelle. Selten sind die Kinder frustriert, da sie wissen, dass jeder das leistet was er leisten kann. Sie haben gelernt, sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Auch wenn das, was die Kinder wissen wollen nicht der momentane Lernstoff der dritten Klasse ist, dürfen sie alles erforschen. Dabei entstehen oft lange, sehr interessante Gespräche. Die Kinder erweitern so ihren Horizont und entwickeln Denkmodelle. Sie reproduzieren nicht, sondern durchdringen ein Thema. Dabei erkennen sie warum es wichtig und spannend ist Neues zu lernen. Reproduziertes Wissen ist nicht von Dauer, denke ich. Habe ich aber etwas selbst erarbeitet, bietet dieses Wissen die Grundlage für nächste Schritte. Auch meine Schüler lernen bestimmte Dinge (wie z.B. das kleine 1x1) auswendig, sie wissen aber, warum das hilfreich sein kann. Zusammenhänge werden deutlich. Das wird eben leider oft im "traditionellen" Unterricht nicht geleistet. Oft ist hier die Form wichtiger als der Inhalt. So habe ich es zumindest oft erlebt. Im ersten Schuljahr kommt es vielen Kollegen noch darauf an, dass die Kinder möglichst sauber die Buchstaben schreiben. Das Schreiben wird nicht im Zusammenhang mit Kommunikation vermittelt, also dass ich mit Schreiben etwas mitteilen kann. So verlieren die Kinder schnell die Lust am Schreiben, weil ihnen der Sinn nicht deutlich wird. Ich könnte jetzt noch viele Beispiele nennen, aber das führt jetzt zu weit. Ich hoffe, dass ich Dir ein wenig vermitteln konnte, warum ich es wichtig finde, den Unterricht wirklich zu reformieren. Dann haben wir später mehr Erwachsene, die wieder selbständig handeln und nicht warten, dass jemand ihnen sagt, was sie tun und lassen sollen.