Zitat
alias schrieb am 23.10.2006 16:15:
Kann mir mal jemand erklären, was in der Lehrerausbildung falsch läuft?
Ich kenne kaum jemanden, der an diese Zeit nicht voll Grauen zurückdenkt.
Ich denke, dass Referendaren oftmals nicht die Möglichkeit gegeben wird, sich selbst zu entwickeln und einen eigenen Unterrichtsstil zu finden. Wie häufig das so ist, kann ich natürlich nicht einschätzen. Bei mir selbst war es jedenfalls so. Es ist zwar relativ lange her, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass mir ständig vorgehalten wurde, dies oder jenes nicht „eingesetzt“ zu haben. Die Stunde konnte noch so gut gelaufen sein, immer kam hinterher die Frage: „Warum haben Sie ... nicht eingesetzt?“
Genau das erlebe ich zur Zeit auch bei den Referendaren an unserer Schule.
Eine von ihnen hatte vor ein paar Tagen einen Unterrichtsbesuch.
Ich kam zufällig ins Lehrerzimmer, als die Auswertung gerade im Gange war, und ich hörte den Satz: „Die Schüler haben zwar sehr engagiert mitgearbeitet, aber so richtig gut war die Stunde trotzdem nicht. Sie hätten wenigstens in den letzten zehn Minuten noch Methode X anwenden können!“
Rein theoretisch hat die Referendarin (die nach dieser Auswertung psychisch nicht in der allerbesten Verfassung war) nun aus dem Unterrichtsbesuch folgendes gelernt:
Wenn die Schüler engagiert arbeiten, dann muss man trotzdem den Lernprozess abbrechen, um noch alle denkbaren Methoden einsetzen zu können (weil die Dame von der Uni das halt so sehen will). Die Methodik wird also zum Selbstzweck, und was bleibt der Referendarin anderes übrig, als sich in Zukunft daran zu halten?
Übrigens kenne ich die Klasse, um die es ging – eine kluge, aber (noch) relativ schwierige Klasse (Klasse 11, erst wenige Wochen bei uns, also komplett neu zusammengewürfelt, 26 Jungs / 3 Mädchen, teilweise noch „Machtkämpfe“ – manchmal auch mitten im Unterricht).
Wenn diese Klasse „sehr engagiert mitgearbeitet“ hat, dann muss der Unterricht auch sehr gut gewesen sein.
Am selben Tag habe ich mir übrigens noch die Unterrichtsvorbereitung der Referendarin angesehen, und ich glaube, ich bin blass geworden: 20 (!!!) Seiten! Für 45 Minuten Unterricht! Das wird so verlangt.
Wer denkt sich so etwas aus?
Vermutlich wird die junge Kollegin an unserer Schule bleiben und im nächsten Schuljahr eine Vollzeitstelle besetzen. Dann wird sie 26 Wochenstunden unterrichten; das wären dann 520 Seiten Vorbereitung pro Woche. Da habe ich aber noch gar nicht die Nachbereitungen einbezogen.
Alles in allem glaube ich, dass in unserem Beruf während der Ausbildung (und auch darüber hinaus) einfach zu viele Leute etwas zu sagen haben, die – um es mal ganz vorsichtig auszudrücken – von Unterricht nicht besonders viel Ahnung haben.
Gruß
Animagus