Mein absolutes Lieblingsthema!!! Und zwar zum einen als Lehrerin, zum anderen als Mutter. Ebenso wie dir ist mir im Deutschunterricht der 5. Klasse aufgefallen, dass die Rechtschreibfähigkeit katastrophal ist. Ich erwarte nie 0 Fehler. Das ist absurd. Aber ich kann es nicht verstehen, dass grundlegendes Wissen, wie die Groß- und Kleinschreibung der verschiedenen Wortarten, beim Großteil der Schüler nicht vorhanden ist.
Nun kam mein Großer in die Schule. Ich muss gleich vorweg sagen: das sind keine repräsentativen Studien, sondern lediglich meine bescheidenen ERfahrungen. Ich habe mir in seinen ersten beiden Schuljahren immer wieder gedacht: "Lieber Gott, wenn das "normale" Vorgehensweise ist, dann wundert mich gar nichts mehr!" Ich habe bei meinem Sohn extrem das SYSTEMATISCHE Erlernen der REchtschreibung vermisst. Es lief grob gesagt folgendermaßen ab:
1. Klasse: Buchstaben lernen und Wörter "abmalen". D.h. links stehen vorgeschrieben Wörter, der Rest der Zeile wird abgeschrieben. So lief mehr oder weniger das ganze erste Schuljahr ab (bzw. das, was für mich ersichtlich war) und ich freute mich, dass mein Sohn kaum Fehler machte. Alle prima. So. Dann kam die zweite Klasse:
Nachdem sie nie einen freien Text geschrieben, ab und an mal im Sprachheft ein Kästchen ausgefüllt hatten a la: "WAS ist ein Verb? Ein Substantiv?...", kam urplötzlich das erste Diktat. Ich traute meinen Augen nicht, mir ist die Kinnlade wirklich runtergefallen. Es gab keine Vorübungen oder etwas, woran ich erkennen konnte, dass nach einer langen Zeit der Vorübung ein längerer Text geschrieben werden konnte. (Diesese Vorgehen ist wohl an anderen Schulen durchaus auch normal!) Das Diktat enthielt alle (Un-)Gesetzmäßigkeiten der deutschen Sprache. "Im Herbst fallen die bunten Blätter auf den Boden. Der Wind wirbelt die Blätter umher...." - so in der Art. Es hieß dann, das Diktat zu lernen, denn in einer Woche würde es geschrieben. Ich diktierte es also meinem Sohn und er konnte nichts schreiben. Nicht einmal die Artikel, von Groß- und Kleinschreibung nicht zu sprechen. Ich rief die Lehrerin an und sagte, dass mein Sohn jedes Wort falsch schriebe. Sie meinte, dass sich alle am Anfang schwer tun würden und dass das mit der Zeit komme. Aha. Das ganze Jahr lief dann so ab: Diktat ausgegeben, Mutter versucht ruhig zu bleiben, zu Hause üben, üben, üben.
Letztendlich war ich vom Deutschunterricht der ersten beiden Schuljahre nur enttäuscht. Mir ist es auch ein Rätsel, wie sich ein Lehrer in diesem Maße selber betrügen kann: Diktate von Müttern mittags bis zum Exzess einüben lassen und sich dann die tollen Ergebnisse der Schüler auf die Fahnen schreiben. Das, was inhaltlich gemacht wurde, hat meinen Sohn nur zusätzlich verwirrt. z.B. haben sie gelernt, dass man alle Wörter groß schreibt, bei denen man die Artikelprobe machen kann. Das hatte und hat zur Folge, dass mein Sohn bis heute fast alle Wörter groß schreibt, denn man kann ja sagen: das Warten, das Fallen, das Gießen. Ja und "blau, grün, schnell, ich, du.."etc. pp. schreibt man auch groß, schließlich kann man das alles sehen - eine weitere Eigenschaft von Substantiven . Er verzweifelt (okay, ich verzweifle...) . Er wendet das Gelernte an und trotzdem ist alles falsch. Das er einfach keine Gesetzmäßigkeit erkennen kann, schreibt er einfach nach Gefühl und das ist nicht gut! Genau dieses Verhalten erkenne ich dann bei vielen Schülern in der Klasse 5 wieder.
Mein Eindruck ist, dass in den ersten beiden Schuljahren viel zu viel und vor allem unstrukturiert eingeführt wurde und ich frage mich nach vielen Gesprächen mit anderen Müttern, ob ich mit meiner Erfahrung tatsächlich alleine dastehe.
Das einzig Positive, was ich dem Ganzen abgewinnen kann: Ich habe selten so viel über Sprache nachgedacht, wie in den letzten 2 Jahren. Schlauer bin ich nicht wirklich. Ich weiß, wie es NICHT laufen sollte! Konstruktiv ist das auch nicht wirklich.
Ich und meine Kollegen haben in unserem Studium gar nie gelernt, wie der Erwerb von Schreib- und LEsefähigkeiten in der Grundschule erfolgt. So haben wir auch keine Ahnung, wo wir sinnvollerweise ansetzen können. In meinem Studium ging man davon aus, dass in Klasse 5 die Rechtschreibfähigkeit vollends entwickelt ist. Unsere Aufgabe sei das Tuning, nicht das Zusammenbauen des Fahrgestells!
Liebe Grüße
Mara