Hallo,
ich arbeite seit 1979 als Sonderschullehrerin. In den letzten 20 Jahren an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Meine Schule ist in NRW, eine Schule mit sehr guten Erfolgen bei der beruflichen Integration unserer Schüler. Seit Jahren arbeiten wir in Kooperation mit einer Hauptschule zusammen. Es wird Förderdiagnostik durchgeführt und in interativen Lerngruppen gearbeitet, Rücküberweisungen, bei Aussicht auf Erfolg, finden ebenfalls statt. Nun wird auch in unserem Land die Inclusion vorangetrieben.Grundsätzlich finde ich den Gedanken der gemeinsamen Beschulung, speziell für Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen, sehr gut. Allerdings nur, wenn die Bedingungen stimmen. Ich erfahre es im Moment so, dass hier auf Biegen oder Brechen der zweite vor dem ersten Schritt gemacht wird. Erst schicken wir mal die Kinder ins Regelschullsytem: ohne Konzept, ohne rechtliche Absicherung der Kollegen,ohne die entsprechende Fortbildung der Kolleginnen und Kollegen im “Normalschulsystem”, mit einigen Stündchen der Sonderschullehrer. Die Realität sieht so aus, dass es keine vernünftigen räumlichen, materiellen und personellen Voraussetzungen gibt, um die betroffenen Kinder angemessen zu fördern. Da sitzen geistig behinderte Kinder, die eigentlich im lebenspraktischen Bereich gefördert werden müssten, in einer Grundschulklasse und malen den ganzen Tag Hohlbuchstaben oder Zahlen nach, weil die erforderlichen Therapie- und Unterrichtsräume gar nicht vorhanden sind und die Sonderschullehrer nur gelegentlich für sie da sind. Ist das individuelle Förderung? Hyperaktive, lernschwache Kinder, die enorm den Unterricht stören, bringen die Grundschulkollegen an den Rand der Belastbarkeit. Die gelegenliche Anwesenheit der Förderschulkollegen bringt nur wenig Hilfe. Gefördert wird in dunklen, fensterlosen Räumen oder auf dem Flur, weil keine Förderräume vorhanden sind. Der Erziehungsauftrag unseres Berufes bleibt hier vollkommen auf der Strecke. Die Erfolge unserer Arbeit beruhen zum großen Teil auf unserer erzieherischen Bemühungen in Kooperation mit vielen anderen Instiutionen. Wie kann ich im integrativen Unterricht Talente und Stärken fördern? Viele unserer Schüler sind bei uns regelrecht aufgeblüht, haben Verantwortung übernommen, sind viel selbstbewusster geworden. Sie wären im “Normalschulsystem” durch Netz gefallen. Inclusion ja, aber nicht zum Nulltarif und nicht auf Kosten der Städte und Gemeinden. Erst die Voraussetzungen schaffen und dann erst das Schulsystem verändern. Dann gibt es da noch eine andere Seite der Medaille. Was mutet man hier den Sonderschullehrern, spezielle auf dem Lande, zu? Fahrt schön mit dem eigenen PKW zum “Includieren”, auch in 30km entfernte Orte. Wenn ihr einen Unfall auf dem Weg dahin habt, dann müsst ihr die Kosten, die dadurch entstehen selbst tragen. Ihr könnt euch aber auch auf eigen Kosten dagegen versichern. Die Fahrtzeit wird euch natürlich nicht als Arbeitszeit angerechnet. Das könnt ihr schön in euren Pausen beim Pendeln zwischen der Stamm- und Inculsionsschule verbringen. Pausen braucht ihr ja nicht, ihr könnt euch ja beim Fahren erholen. Alle diese Probleme sind vorhanden und nicht geregelt. Da gibt es einen neuen Studiengang ” Entwicklung und Inclusion” an der Uni Siegen. Angedachte Arbeitsorte sind u.A. Grund- und Hauptschulen.Werden wir und unser KNOW HOW überfüssig? Machen die anderen, neuen Kollegen, die Arbeit zu einem kleineren Gehalt? Das Problem der Diskriminierung ist bei Förderschülern zweifellos vorhanden. Wird sie aber durch Inclusion abgeschafft? Werden diese Schüler nicht auch hier vielleicht noch mehr ausgegrenzt? Wird diesen Schülern auch so eine hervorragende Berufsvorbereitung angeboten?
Alle diese Probleme gehen mir in letzter Zeit oft durch den Kopf. Ich sehe unser Kollegium, dass zum Wohl der Kinder unserer Schule, den Spagat vollbringt, die Standards an unsere Schule zu halten und gleichzeitig, die von oben verordnete Inclusion zu verwirklichen. Das bedeutet Konzepte entwicklen, das keine vorhanden, an beiden Schulen an Konferenzen und Teambesprechungen teilnehmen, für Material zu sorgen usw. Ausgeschriebene Stellen für Sonderschullehrer bleiben unbesetzt, weil keine Kollegen auf dem “Markt” sind. Seiteneinsteiger werden eingestellt, die weder testen noch abgeordnet werden dürfen.Sie können studieren,ja, aber auf Kosten des Stundenkontingents der Schule. Leider wird im Moment kein Aufbaustudium an den UNis durchgeführt. Also wieder nichts.Unser enorm hohes Engagemant bekommt langsam Risse, weil die Vielfalt der Aufgaben eigentlich nicht zu bewältigen ist, wenn man seinen Beruf liebt und ernst nimmt.
Inclusion zum Nulltarif ist nicht zu haben. Sie kostet viel, viel Geld und benötigt viel Personal. Warum besetzt man nicht alle Klassen mit Förderschullehrern doppelt, schafft die benötigten räumlichen Voraussetzungen, baut Barrieren ab, bildet entsprechend aus und fort? Das alles in Kooperation und unter Einbeziehung des NOW HOWS der Förderschullehrer. Dann wäre der Traum von Inclusion vielleicht machbar. Sicher nicht von heute auf morgen, aber auf lange Sicht vielleicht. Was hier im Moment statt findet ist reine Augenwischerei, die keinem etwas nützt: Nicht den Kindern mit Förderbedarf, nicht den “Normalschülern”, die auch ein Recht auf Bildung und Förderung haben. Bildung ist teuer und muss sich nicht im wirtschaflichen Sinne rechnen.