Ich schalte mich mal dazwischen und möchte euch ein paar Vorteile der jahrgangsübergreifenden Eingangsstufe nennen:
Die neuen Erstklässler kommen in ein bestehendes soziales Gefüge und wissen nach einer Woche bereits alle organisatorischen Dinge, für die ich zuvor bis zu den Herbstferien gebraucht habe. Die neuen Zweitklässler übernehmen die Rolle, die sie im Jahr zuvor genossen haben, ganz selbstverständlich und wer absolut nicht helfen will (was selten vorkommt) wird von mir auch nicht gezwungen. Aber die Großen fühlen sich dadurch auch groß und wachsen auch zu Hause selbstverständlicher in Aufgaben hinein wie mir von Eltern berichtet wurde.
Meine Schule hat sich das 'Problem' der Zweitklässler ebenfalls lange durch den Kopf gehen lassen. Es war zwar mehr ein Problem der Eltern, aber wir haben verschiedene Änderungen vorgenommen:
- Während die Erstklässler (ab Februar) Englisch haben werden, kommen die Zweitklässler aus zwei Parallelklassen zusammen und haben eine Übungsstunde in Mathe oder Deutsch - frontal und einheitlich (soweit es möglich ist, denn wir haben auch noch GU-Kinder). Im übernächsten Jahr wird ja dann für alle Englisch sein.
- Die Zweitklässler haben eine Einzelförderstunde pro Woche in ihrer Kleingruppe. In dieser Stunde schreiben wir z.B. Tests, besprechen Rechtschreib-/Grammatikübungen oder den Wochenplan. Da nur ca. 12 Kinder in der Gruppe sind, schafft man dann schon eine Menge inclusive individueller Förderung. Auf meinem Wunschzettel für nächstes Schuljahr stehen zwei dieser Förderstunden.
- Durch die geringere Anzahl Erst-/Zweitklässler habe ich diese Kinder bereits nach wenigen Wochen so gut kennengelernt, dass mir mittlerweile Diagnosen und Förderpläne schnell von der Hand gehen.
- Ich habe eine Lehramtsanwärterin und wir trennen öfter die Gruppe, wenn wir im Team auf dem Stundenplan stehen. Trotz der vielen Arbeit, die man mit einer LAA hat, kann ich nur empfehlen, sich am Ausbildungsunterricht zu beteiligen.
- Die Drittklasskollegen loben ausdrücklich das sehr gute Sozialverhalten und die Selbstständigkeit der Kinder, die sie übernehmen. Alle Klassen fanden sich sehr schnell, vielleicht auch, weil wir dazu übergegangen sind, direkt am Anfang des dritten Schuljahres auf Klassenfahrt zu gehen. Es ist nicht alles eitel Sonnenschein. So kämpfen wir sehr mit Eltern, die versuchen, die Lehrer gegeneinander auszuspielen, nach dem Motto 'Das haben wir im 1./2. Schuljahr nicht so gelernt.'. Diese Probleme gibt es aber immer. Es gibt ja auch Schulen, die generell nach dem zweiten Schuljahr einen Klassenlehrerwechsel durchführen.
Nach vier Jahren Eingangsstufe kann ich sagen:
Ich differenziere nur, wenn es absolut notwendig ist. Ein Pflichtprogramm muss schon jeder bewältigen - auch als Hausaufgabe. Nach drei super Jahrgängen in der Klasse, habe ich zum ersten Mal echt schwierige Erstklässler, die mich an meine Grenzen bringen. In einer reinen Jahrgangsklasse wäre ich mit diesen Kindern längst untergegangen! So kann ich in aller Ruhe die vielen schweren Elterngespräche führen, die mich sonst mehr stressen würden (mehrere ADS/ADHS-Kinder, ein potenzieller Förderschüler, ein hochbegabtes Kind) Dank meiner Zweitklässler sehe ich aber jeden Tag ein bisschen Licht ... Im Moment erziehe ich mehr, als dass ich bilden kann, aber da ich die Basis schaffe (die teilweise vom Kindergarten versäumt wurde ...), nehme ich mir den Mut zur Lücke und lasse mich nicht durch festgesetzte Ziele stressen (Nächsten Montag müssen wir im Mathebuch auf Seite 50 sein, sonst können wir den Lerntest nicht schreiben!). Kopierschlachten habe ich abgeschafft. Ich arbeite viel mit Tages- und Wochenplänen, die ich oft einfach nur an die Tafel schreibe - weniger ist mehr. Das klappt prima.
So wie oben beschrieben arbeiten Kolleginnen, die ihr System nicht weiterentwickeln. Sie stecken fest und lassen in ihrer Verzweiflung Abteilungsunterricht laufen oder sie stehen nicht hinter der Mischung, werden aber durch die schulischen Gegebenheiten dazu gezwungen. Wir können uns leider nicht auf Schulbücher stützen. Selbst nach zwei Überarbeitungen passen unsere 'Bausteine' in Deutsch immer noch nicht. Auch ich fluche manchmal und hatte am Freitag das Gefühl noch nie so ferienreif zu sein, aber das liegt wirklich nicht am jahrgangsübergreifenden Unterricht, sondern an anderen gesellschaftlichen Gegebenheiten, die sich im Moment zuzuspitzen scheinen (bildungsferne Elternhäuser, öffentlicher Druck, Aufgabenflut aus dem Mininsterium, ...). Ich versuche, mich davon nicht irritieren zu lassen, denn: Ich möchte keinen Jahrgangsunterricht mehr. Ich liebe meine gemischten Wusel und würde am Liebsten bis zur vierten Klasse mischen.
Talida