Hallo Morse,
mit Deinem ersten Beitrag sprichst Du ein Thema an, das mich schon lange beschäftigt und das ich für (im negativen Sinne) sehr konsequenzenreich für den Schulalltag halte. Ich unterrichte in einer Großstadt mit fast 10 Gymnasien und der alljährliche Zirkus der Präsentationsveranstaltungen und der spätere Vergleich, wie viele Schüler sich dann wo angemeldet haben, ist schon albern. Wie Valerias schreibt: Erfolgreich ist die Schulleitung mit den meisten Anmeldungen. Was für ein Quatsch!
Ich sehe im Wesentlichen zwei Zusammenhänge:
1. Immer wieder wird suggeriert, unsere Arbeitsplätze hingen vom Bestand einer Schule ab. Das stimmt selbstverständlich nicht, wie Valerianus ja auch schon schrieb. Es ist aber offenbar eine probate Strategie, das ultimative Drohszenario „Schließung / Umwandlung der Schule, wenn zu wenige Schüler angemeldet werden“ aufrechtzuerhalten, um mehr Mehrarbeit außerhalb des Kerngeschäfts als existenziell notwendig darzustellen. Damit muss der Druck, sich zusätzlich zu engagieren, immer weniger von der Schulleitung ausgeübt werden: Jeder, der sich den Schuh „klare Identifikation mit unserer Schule“ anzieht, wird sich selbst genügend Druck machen, um an der massiven Profilierung der Schule weit über das normale Arbeitspensum hinaus mitzuwirken.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass unsere eigentliche Kernaufgabe ist, SuS möglichst gründlich auf das Abitur vorzubereiten, kann einem die Fülle der Arbeitsstunden, die wir auf die Profilierung der Schule verwenden, geradezu als Veruntreuung erscheinen. Es kann nicht sein, dass hunderte Landesbeamte, die in X-stadt an Gymnasien arbeiten, so viel Energie in die Konkurrenz zwischen den Schulen stecken. Am Ende machen die meisten unserer SuS Abitur, egal an welcher Schule. Absprachen bezüglich Schwerpunktsetzungen sind natürlich sinnvoll, aber es sollte nicht Ziel sein, andere Schulen schlechter aussehen zu lassen.
Das Land forciert natürlich die Entwicklung, viel Energie in den Konkurrenzkampf zu stecken, da der Wunsch, sich von anderen Schulen abzusetzen, von systemischen Mängeln ablenkt bzw. diese Mängel freiwillig durch Mehrarbeit kompensiert werden. Die Aufspaltung einer Gruppe schwächt diese natürlich! Wir fühlen uns in der Regel mit Mitgliedern des eigenen Kollegiums solidarisch, aber viel seltener mit den Kollegen anderer Schulen.
2. Noch ein wichtiger Punkt und in meinen Augen verhängnisvoll ist die "Entwicklung der Schule in Richtung Dienstleistungsunternehmen". Es gibt ja schon Schulleitungen, die ganz offensiv sagen: "Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen." Auch wenn das nicht so offen gesagt wird, laufen immer mehr Strukturen in diese Richtung. Wenn wir um Schüler werben / buhlen, begeben wir uns ganz automatisch in eine schwache Position. Wir werben eben, also wollen wir etwas von unseren "Kunden".
Das passt aber überhaupt nicht mit unserer hoheitlichen Aufgabe zusammen, nämlich die Schulpflicht durchzuführen und m Zweifel auch durchzusetzen. Ich bekomme immer Ausschlag, wenn Schüler am Lehrerzimmer klopfen und diejenigen, die zur Tür gehen, dann in Hörweite des Schülers sagen, "XY, Du hast Kundschaft!" Das mag eine Kleinigkeit sein, aber unterbewusst werden Mechanismen bedient, mit denen wir uns in eigene Fleisch schneiden: Der Kunde ist halt König! Und immer mehr Schüler (und deren Eltern) verhalten sich auch so, bollern an die Tür und fordern sofortige Bedürfnisbefriedigung. (So wie Eltern immer wieder am Wochenende sofortige Email-Beantwortung fordern) Das hat selbstverständlich ganz verschiedene Gründe, aber ein Baustein ist auch diese Entwicklung in Richtung "Kunde".
Ich wünsche allen gute Erholung und föne Scherien!
Brasstalavista