Chaos-Klasse

  • Hallo!


    Ich wende mich mal wieder Rat suchend an euch. Vor einigen Wochen habe ich ein 1. Schuljahr übernommen, da die Lehrerin in Mutterschutz gegangen ist. Sie erzählte mir über die Kinder, dass es insgesamt eine nette Truppe sei, allerdings auch relativ unruhig.
    Im Prinzip hat sie Recht. Bis auf eine Ausnahme sind es wirklich sehr nette, liebe Kinder, lediglich ein Junge hat große Probleme im Umgang mit anderen.


    Durch den Klassenlehrerwechsel hat sich im Unterricht auch einiges verändert. Unmengen an Freiarbeitsmaterial steht den Kindern nicht mehr zur Verfügung (war Privatbesitz meiner Vorgängerin) und trotz Bastelwochenenden kann ich gar nicht so schnell neues Material herstellen wie gewohnt. Zeitgleich mit meinem Dienstbeginn wurde stufenintern beschlossen, dass nun stoffmäßig etwas angezogen werden sollte. Die Folge aus beiden Dingen: Freiarbeitsstunden fallen weg, für die Kinder eine große Umstellung. Außerdem sind viele der sowieso schon unruhigen Kinder nun völlig durch den Wind, was eine unglaubliche Unruhe in die ganze Klasse bringt und auch die anderen "aufputscht" (nach dem Motto: Wenn die so laut sind, können wir auch reden!) Manchmal ist kaum vernünftiger Unterricht möglich, wie ich ihn mir wünschen würde. Gemeinsame Gespräche überfordern viele Kinder zur Zeit, länger als 2, 3 Minuten zuhören geht nicht. Arbeitsaufträge gehen an vielen total vorbei, sie scheinen sich in der Gruppe gar nicht angesprochen zu fühlen (schien vorher bei der Lehrerin kein großes Problem gewesen zu sein). Diejenigen, die zuhören, fallen mir ständig ins Wort. In den Arbeitsphasen (wenn endlich alle verstanden haben, worum es geht) ist es manchmal auch für ein 1. Schuljahr ungewöhnlich laut - manchmal allerdings (und das zeigt mir, dass sie es können) arbeiten sie vorbildlich. Reflexionen am Ende der Stunde sind kaum möglich: nach einer Arbeitsphase, in der intensiv gearbeitet wurde, sind alle viel zu erschöpft, um Entdeckungen mitzuteilen oder anderen zuzuhören. Bewegungspausen bewirken eher das Gegenteil - die Kinder sind noch unruhiger. Die ganze Unruhe macht sich mittlerweile auch im sozialen Miteinander der Kinder aus. Ständig gibt es Streit etc.
    Im Moment gehe ich so vor, dass jeden Morgen der Stundenplan besprochen wird (was machen wir wann, was kommt auf uns zu), damit die Kinder eine Orientierung haben. Das Zuhören bei Arbeitsaufträgen fordere ich konsequent ein (es muss "Totenstille" herrschen), lasse dann das Erklärte noch einmal wiederholen kläre und dann evtl. noch vorhandene Fragen - so funktioniert es einigermaßen, aber es dauert ewig! Oft muss ich 7 oder 8 Kinder extra ermahnen (teilweise mehrmals) ehe alle zuhören. Das zerrt ganz schön an meinen Nerven. Mittlerweile merke ich auch, dass das ständige Ermahnen, noch mal erklären und oft auch schimpfen meine Stimme mitnimmt (zwischen 12 Ref-Stunden und jetzt 28 liegt sowieso ein gewaltiger Unterschied).
    Jedes positive Verhalten wird gelobt (manchmal komme ich mir schon blöd vor, welche Kleinigkeiten ich positiv verstärke), für jede Minute leises (bzw. in angemessener Lautstärke) Arbeiten, bekommt eine an die Tafel gemalte Sonne einen Strahl. Wird es in einer Arbeitspahse (mal wieder) schneller laut als am Vortag, werden entsprechend Strahlen weggewischt.
    Trotzdem gibt es täglich Stunden, die total aus dem Ruder laufen! Das Chaos bringt mich dann manchmal selber so durcheinander bzw. ich bin an drei Ecken damit beschäftigt, einen Streit zu klären, den Arbeitsauftrag noch einmal zu wiederholen etc., dass ich wichtige Dinge dann vergesse (heute hätten die Kinder fast keine Strahlen an der Tafel bekommen, obwohl sie super leise waren in der Stunde vorher) oder etwas dann so umständlich erkläre, dass ich es selber wahrscheinlich auch nicht verstehen würde.
    Stofflich ist es deshalb schwer, mit den anderen 1. Schuljahren mitzuhalten (im Team wird am Ende der Woche immer besprochen, was in der nächsten Woche gemacht werden soll).
    Jeden Mittag komme ich völlig enttäuscht aus der Schule, das auch die sorgfältigste Planung nichts gebracht hat, ich die Kinder nicht zu packen bekomme und bange, dass mein Telefon Sturm klingelt, da sich Eltern über das Chaos beschweren. Bis jetzt hat noch niemand etwas gesagt oder in Gesprächen angedeutet. Trotzdem bin ich unzufrieden.
    Was mich besonders ärgert ist, dass ich mehrmals täglich mit manchen Kindern "aneinandergerate". Damit sie überhaupt auf etwas reagieren, muss ich laut(er) werden. Es tut mir leid, aber sie scheinen auf nichts anderes zu reagieren.
    Offene Unterrichtsformen (Stationen etc.) wage ich im Moment gar nicht zu machen, da ich befürchte, dies würde in das totale Chaos ausarten., denn mittlerweile haben viele Kinder eben auch völlig selbstverständliche Regeln "vergessen".
    Lange Rede, kurzer Sinn: War schon mal jemand in einer ähnlichen Situation? Wie seid ihr vorgegangen? Was würdet ihr mir raten?


    eine auf Ratschläge hoffende


    Sina

  • hallo sina :)


    du hast so viele dinge angesprochen..
    ich fange mal hiermit an:


    Zitat

    Im Moment gehe ich so vor, dass jeden Morgen der Stundenplan besprochen wird (was machen wir wann, was kommt auf uns zu), damit die Kinder eine Orientierung haben.


    das ist für die kinder doch eine große unterstützung!
    mein vorschlag hier wäre, das reden wegzulassen (wenn sie beim zuhören eh schwierigkeiten haben) und mit symbolkarten zu arbeiten. habe das einmal bei einer kollegin gesehen.
    sie hatte laminierte bilder in A6 größe, darauf war zum beispiel ein roter ordner heißt deutsch, ein blauer heißt mathe, turnschuhe bedeuten sport, pinsel+tuschkasten kunst, brötchen und milch für frühstück etc.
    du könntest die bilder einfach an die tafel oder eine pinnwand hängen und fertig. alle wissen wo der tagesablauf zu sehen ist und gut.


    und dann wollte ich dir noch sagen, nimm nicht alles für bare münze, was kollegen dir über ihre klassen sagen.
    ich glaube nämlich nicht, dass deine klasse bei deiner vorgängerin "nie" so war, und es "keine" probleme gab!
    außerdem erscheint mir die eh unsympathisch, denn wenn sie im mutterschutz ist, braucht sie ihre materialien ja nicht und hätte dir beispielsweise ihre freiarbeitsmaterialien da lassen können.. :rolleyes:


    ich kann mir natürlich vorstellen, wie frustrierend das manchmal alles sein muss..
    ich habe zur zeit auch eine erste/zweite klasse ;)
    aber wenn du dich über die situation aufregst, wirst du nur unruhiger und bringst das auch mit in die klasse ein.
    also tief durchatmen, sicher kommen noch weitere tipps! , und du gewinnst mit der zeit mehr erfahrung und routine.
    sabi :)

  • Hallo sina,


    haben deine Kinder Erfahrung mit Stationenarbeit oder mit einem Tagesplan? Ich vermute es, weil ja deine Vorgängerin so viel Material hatte. Ich möchte dir Mut machen, ruhig mal einen Tagesplan zu versuchen; bei mir waren dann die lauten Kinder "gut versorgt" und haben fleißig geschafft. Und ich konnte viel leichter eine ruhige Arbeitsatmosphäre herstellen.
    Viel Erfolg!
    Gruß venti :)

  • Hallo!


    Danke für eure Aufmunterung!


    Sabi: mit diesen Symbolkarten arbeite ich auch, habe ich fast genau so wie von dir beschrieben in meiner Klasse - Erläuterungen erfolgen nur kurz in einem Satz zu jedem Fach.


    Tagespläne etc. kennen sie schon, aber: Jede Kleinigkeit, die ich anders machen würde, wäre wieder eine Katastrophe für die Kinder, deshalb scheue ich noch ein bisschen davor zurück. Habe mir aber fest vorgenommen, es nächste Woche trotzdem zu versuchen. Leider wird man aus dem, was die Kinder sagen nicht schlau, wenn sie beschreiben, wie bei ihnen Arbeit mit dem Tagesplan aussah!


    LG


    Sina

  • Sina,


    sie müssen sich an dich gewöhnen und an die Art, wie DU es haben willst! Die können sich schon umstellen, sie wollen es erstmal nicht. Da darf Frau Lehrerin ruhig durchgreifen, das wird schon.
    Und wenn sie rufen: "Das haben wir bei Frau X aber so gemacht!", dann sag ihnen: "Und ich bin Frau Y, und bei mir macht ihr das so." Und Ende.
    Viele Grüße
    venti :)

    • Offizieller Beitrag
    Zitat


    Bewegungspausen bewirken eher das Gegenteil - die Kinder sind noch unruhiger. Die ganze Unruhe macht sich mittlerweile auch im sozialen Miteinander der Kinder aus. Ständig gibt es Streit etc.


    Hallo Sina,


    ich bin dazu übergegangen nach einer wirklich kurzen Bewegungspause (einmal über den Schulhof flitzen) oder einfach mal zwischendurch Brain-Gym-Übungen zu machen. Es ist erstaunlich wie ruhig und konzentriert die meisten Kinder danach wieder arbeiten können.
    Die Idee mit der Sonne gefällt mir. Hast du Gruppentische? Wir haben an einer Seitentafel die Namen der Gruppen aufgelistet und verteilen oder streichen 'Krönchen'. Es gibt Tages- und Wochensieger, die dann eine kleine Belohnung erhalten (im Moment reicht noch ein Gummibärchen. ;-)) Die Kinder werden regelmäßig umgesetzt, so dass niemand unter einer ungünstig zusammengesetzten Gruppe leiden muss.
    Diese Streitigkeiten kenne ich auch nur zu gut und stehe manchmal fassungslos (auch nach ausführlichem Gespräch mit den Eltern) daneben. Bei hartnäckigen Raufbolden helfen da nur Konsequenzen, die weh tun: Pausenverbot, Sportverbot, Aufräumdienst, ... Diese solltest du aber mit deiner Schulleitung und den Elternvertretern absprechen.
    Einen Tagesplan kann ich nur unterstützen. Wenn du dich sowieso wöchentlich mit den Kolleginnen besprichst, versucht doch mal gemeinsam einen kleinen Wochenplan zu entwerfen.


    Nicht verzweifeln!
    Talida

    Ein Niederrheiner ist einer, der nix weiß und alles erklären kann.
    Hanns Dieter Hüsch

  • Zitat

    sina schrieb am 20.04.2005 18:22:
    Leider wird man aus dem, was die Kinder sagen nicht schlau, wenn sie beschreiben, wie bei ihnen Arbeit mit dem Tagesplan aussah!


    hm, deine vorgängerin ist im mutterschutz, aber nicht aus der welt.. ruf sie doch einfach mal an oder frag ob du vorbeikommen kannst :) - wenn dir selbst das recht ist!
    denn wenn sie tatsächlich regeln und rituale hatte (wochenplan, etc.) die in der klasse funktioniert haben, erfährst du von ihr sicher mehr als von den schülern! :D


    ich kann mir nicht vorstellen, dass sie da nein sagen würde!
    sabi

  • Vielleicht ist es hilfreich, wenn du den Tagesplan schon am Vortag anheftest. Meine Schüler fangen schon beim Reinkommen an, interessiert den Plan zu lesen und nachzufragen.


    In der schlichten Form kannst du die einzelnen Stunden/Stundensymbole an eine Magnettafel heften, in der aufwändigeren Variante auf eine laminierte Tafel , die du mit Klettnoppen versehen hast.


    Daneben kannst du das gleich Modell nochmal für die aktuelle Stunde verwenden.


    Es ist dann sehr wirkungsvoll, wenn du beim Übergang von einer Stunde/Phase zur nächsten ein akustisches Zeichen setzt (bei mir Anschlagen einess Obertonstabes), und mit einen bunten Magnetknopf oder einer bunten Klammer den nächsten Schritt markierst.


    Das setzt Ruhepunkte für die Kinder und hilft ihnen bei der Orientierung. Wenn sie ein wenig fortgeschritten sind, kann ein Kind beides machen.


    [Wichtig: Meinen Klangstab setze ich immer so ein, dass ich danach wirklich auf Ruhe rechnen kann - notfalls wiederhole ich den Ton, aber immer in einer leisen, erwartungsvollen Atmosphäre. Ich hatte mal eine Referendarin, die dazu neigte, genervt heftig auf diesen Stab einzuschlagen; da begann die Wirkung sich schnell abzunutzen.]

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

  • Hallo!


    Ehrlich gesagt, würde ich mich unwohl fühlen, wenn ich hinfahren würde.
    1. Weil ich nicht unbedingt offen zugeben möchte, dass es etwas chaotisch ist (auch wenn ich weiß, dass die Kinder einfach eine Zeit des Umgewöhnens brauchen und das nicht auf Unvermögen meinerseits zurückzuführen ist - aber Kollegen könnten dann so denken, wenn das rauskommt).


    2. Weil das Baby vor zwei Tagen geboren worden ist und sie jetzt (ist das 1. Kind) einige andere Dinge im Kopf hat.


    LG


    Sina

  • Hallo Sina,
    ich kann dich gut verstehen, weil ich bis vor den Osterferien in einer ähnlichen Situation gesteckt habe. Gerade hatte ich sie soweit, dass ich gut mit ihnen arbeiten konnte - und dann kam die Klassenlehrerin schon wieder.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade Erstklässler erstmal Schwierigkeiten mit dem Lehrerwechsel haben. Das ist normal und liegt keineswegs an dir. Wichtig ist, dass du dir nicht versuchst, so zu sein und zu unterrichten wie deine Vorgängerin. Du bist du und hast deinen eigenen Stil. Wenn du Erstklässler fragst, wie sie das vorher gemacht haben oder wie das und das gehandhabt wurde, deuten sie das als Unsicherheit von dir und versuchen das auszunutzen: werden laut, arbeiten nicht... Wenn du dagegen mit fester Stimme von vornherein und klar festlegst: so und so ist das bei mir (auch gegenüber Eltern), traut sich (fast) keiner mehr dagegen etwas einzuwenden.
    Ich weiß nicht, ob du die Kleinen überhaupt fragst. Ich habe jedenfalls in meiner Klasse diese Entdeckung und Erfahrung gemacht. Erstklässler haben eben noch einen starken Drang zum Spielen und versuchen jede Chance dazu zu nutzen.
    Ich finde deinen Tagesplan und die Sonne super. Zieh das konsequent durch und lass dich nicht von
    Äußerungen "Das haben wir bei... immer anders gemacht" oder "bei... durften wir das immer" "... hat aber" verunsichern! Das spüren Kinder.
    Viel Erfolg!
    Alema

  • Hallo!


    Rein theoretisch weiß ich eigentlich, was ich zu tun habe, aber irgendwie schlägt vieles in der Praxis nicht so schnell an, wie ich mir das wünsche. Ich denke, ich werde die offeneren Sachen einfach mal machen - vielleicht klappt es ja dann wirklich besser.


    Wie macht ihr denn einen Tagesplan? Bis jetzt habe ich in meinen früheren Klassen noch nicht mit Tagesplänen gearbeitet, sondern eher mit Stationen, Werkstatt und Freiarbeit.


    Vorstellen würde ich mir das so: Das Angebot wird vorgestellt, erklärt, wo das Material zu finden ist (AB´s etc.), Regeln werden geklärt und dann geht es los. Wer früh fertig ist, hat freie Wahl bei den Freiarbeitssachen.


    Legt ihr alles Material mit den entsprechenden Arbeitsaufträgen und Kontrollblättern an einen bestimmten Platz im Zimmer (wie bei einer Lerntheke)?


    Bablin:

    Zitat

    Es ist dann sehr wirkungsvoll, wenn du beim Übergang von einer Stunde/Phase zur nächsten ein akustisches Zeichen setzt (bei mir Anschlagen einess Obertonstabes), und mit einen bunten Magnetknopf oder einer bunten Klammer den nächsten Schritt markierst.


    Welche Phasen leitest du denn ein? Pausen etc? Eigentlich dürfen die Kinder doch sehr frei arbeiten.


    Klangstab haben wir auch, wird auch sehr sparsam eingesetzt, funktioniert aber ebenfalls nicht so, wie er soll.


    Fragen über Fragen! Wer weiß Rat?


    LG


    Sina

  • Hallo sina,


    wenn die Klasse ruhig genug arbeitet, kann man das genau wie eine Lerntheke aufbauen. Wichtig ist für jedes Kind eine Möglichkeit, abzuhaken oder abzustempeln, was schon bearbeitet wurde. Ich würde mir am Anfang alles nochmal zeigen lassen und auf einer extra Liste abhaken, damit die Kinder verstehen, dass sie zwar eine Reihenfolge frei wählen dürfen, aber dass sie (trotz der Freiheit) etwas arbeiten müssen.


    Die Sache mit dem Klangstab zum Phasen ändern ist wahrscheinlich so gemeint, dass du ihn einsetzt, wenn ihr anfangt mit dem Plan; evtl. vor einer Zwischenreflexion und dann, um das Ende anzukündigen. Dann später zur Pause, zum Hausaufgaben-Aufschreiben, eben zu allen Phasen, die im Laufe des Schulvormittags so anfallen.
    Viele Grüße
    venti :)

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