Mir war danach...
1. Nachtgedanken der Lehrerin Ried
Ich wünsch mir schon an manchen Tagen,
Ich könnt den lieben Gott verklagen,
Wenn alles Leiden dieser Welt
Allein auf meine Schultern fällt.
Ein Kind, zur ersten Stunde matt,
Weil’s noch nicht gefrühstückt hat,
Haut in der zweiten Stunde um sich:
„Der da war’s! Ich war das nich.“
Dritte Stunde, Hausaufgaben,
„Mussten wir die heute haben?“
Zur vierten Stunde kommt dann raus:
Kind ist ganz allein zuhaus.
„Papa säuft, Mama ist wech...“
Die Pause reicht nicht für’s Gespräch.
Fünfte Stunde, andre Klasse,
Wie ich diesen Schulgong hasse,
Sechste, Schulschluss, neu anfangen –
Kind ist leider schon gegangen.
Ich wünsch mir schon an manchen Tagen,
Ich könnt den lieben Gott verklagen,
Wenn alles Leiden dieser Welt,
Allein auf meine Schultern fällt.
Am Elternsprechtag wieder mal
Soviel Hoffnung, soviel Qual.
„Das Kind bleibt am Gymnasium!
Schließlich ist es ja nicht dumm.“
Und wenn die Nachhilfe nicht reicht,
Macht Prügel ihm das Lernen leicht.
Der Nächste dann: Statt sich zu kümmern
Was Lehrer da von Leistung wimmern,
Verklagt er diese „Schreibtischtäter“.
Die Zeche zahlt das Kind dann später.
Da scheitern alle Strategien -
Wie soll man Eltern noch erziehen?
Nach langen Stunden ohne Pause
geh ich mit Magengrimm nachhause...
Ich wünsch mir schon an manchen Tagen,
Ich könnt den lieben Gott verklagen,
Wenn alles Leiden dieser Welt
Allein auf meine Schultern fällt.
Die Lehrer sind’s, die Superfaulen,
Die mir den Schulspaß ganz vergraulen.
Neulich erst hat ein Kollege
- noch nicht alt und sonst ganz rege –
Mal wieder keine Lust zur Arbeit
Und, weil’s so förderlich der Klarheit,
Verkündet: „Ihr steht alle Zwei.“
Er denkt sich nicht mal was dabei.
Faules Kind macht weiter Pause,
Fleiß’ges geht frustriert nach Hause.
War der Notendruck schon schlecht -
Die Notenflucht ist es erst recht.
Verwirrte Schüleraugen welken
Und ich könnt’ wieder Mäuse melken...
Ich wünsch mir schon an manchen Tagen,
Ich könnt den lieben Gott verklagen,
Wenn alles Leiden dieser Welt,
Allein auf meine Schultern fällt.
Dann könnt ich hauen – stechen – schrein,
Möcht’ alles, nur nicht Lehrer sein,
Möcht’ Feuer an die Schule legen
und...
„Frau Ried, ach, kommen Sie mal eben?
Das hab ich ganz allein für Sie gemalt!“
„Die Klassenfahrt für Hakan ist schon bezahlt!
Das war’n die Eltern Husemann,
Weil Anja den Hakan so gut leiden kann.“
„Elternabend? – Frau Ried, ich back die Plätzchen!“
„Unser Sohn, das kleine Schätzchen,
Hat freiwillig ein Buch gelesen!
Dabei ist er früher in Deutsch so schlecht gewesen.“
„Frau Kollegin, haste Stress? Dann reich mal die Statistik rüber
Und hau ab – ich mach das mi’m Rechenschieber.“
„Früher dacht’ ich, Present Perfect raff ich nie...“
„Hallo Frau Ried, morgen haben wir Premiere – kommen Sie?“
Manche Tage sind nicht immer.
Meistens... ein Wort: Hoffnungsschimmer.
Auch wenn’s oft knallt: Kollegen,
Eltern, Schüler... sind ein Segen.
Wolkenstein packt die Klampfe weg und geht wieder an die Arbeit...