Was können Erstklässler?

müllerin · 15. Mai 2004

Ich habe heuer meine erste eigene Klasse übernommen (eine erste Klasse), und ab und zu frage ich mich, ob ich eine besonders schwache Klasse erwischt habe, oder ob das normal ist so. Ich habe jedenfalls oft Aha-Erlebnisse, wo ich nicht weiß, ob das eben altersgemäß ist so, und ich von den Mäusen zu viel erwarte, oder nur bei meiner Klasse besonders gehäuft auftritt.

Ist es üblich, dass viele Kinder keine Märchen kennen (z.B. Hänsel und Gretel, mehr als die halbe Klasse), dass lange nicht alle einen sicheren Mengenbegriff bis fünf haben, dass viele mathematischen Kenntnisse scheinbar nicht vermittelbar sind (wie z.B. wenn das = Zeichen auf der 'falschen' Seite steht, in Tabellen rechnen, Zahlenstrahl, ...), dass auch in der Fibel nur gut läuft, was genau nach Schema F geht, sobald mal zwei Wortteile selbst zusammengesucht werden müssen, steigt der Großteil komplett aus, dass jedes Lied für sie neu zu sein scheint, dass viele keine Schuhbänder binden können, usw.

Ich habe oft das Gefühl, die Kinder hoffnungslos zu überfordern, wenn ich Arbeitsblätter aus Erstklassvorlagen verwende. Beziehungsweise ist es für mich auch interessant, dass ich scheinbar auf Kiganiveau (?) runtersteigen muss, um die Kids zu 'fangen'. Ist ja schön, dass ich ihnen mit wirklich den einfachsten Dingen Freude bereiten kann (z.B. mit Liedern wie 10 kleine Zappelmänner *g*), aber ist das tatsächlich Erstklassniveau? Sind die Bücher schlecht gemacht, oder läuft das in anderen ersten Klassen besser? Habe ich eine falsche Vorstellung von Erstklässlern?

Ich habe nur meine eigenen Kinder zum Vergleichen, aber demnach müssten meine eigenen um Welten voraus sein, wenn das Niveau tatsächlich das einer ersten Klasse ist.

Ist es in euren ersten Klassen auch so, dass alles was eigene Denkleistung erfordert nicht mehr machbar ist, weil es zu vielen Kindern zu schwierig wird. Kommt das mit den Jahren, oder bleiben wir beim Schema F bis zur Vierten?

Shopgirl · 16. Mai 2004

Hallo
kann dir hier nur mal kurz schildern, was "meine" Kinderrgartler, die ich auf die Schule vorbereitet hab, können mussten
* alleine Schuhe binden
* Zahlenbegriff bis 6 (also Würfel, aber nicht Würfebild) schnell optisch erfassen, ohne nachzählen zu müssen
* Farben und Formen kennen
* usw.

Dass man deinen Erstklässlern mit den 10 kleinen Zappelmännern eine Freude bereiten kann, wundert mich aber doch schon sehr - selbst meine Kindergartenkinder im letzten Jahr fanden das ziemlich fad.

Märchen - leider werden ja heutzutage (fast) keine Märchen mehr erzählt oder vorgelesen, dafür gibt´s ja Video und DVD...und Hänsel und Gretel hat Disney ja leider noch nicht verfilmt Frag sie mal nach Nemo, Tarzan oder Mogli, den kennen sie sicher.

Schuhe binden: Geh mal in ein Schuhgeschäft und schau dich mal bei den Kinderschuhen um - du wirst sicherlich selten einen Schuh zum Binden finden - es lebe der Klettverschluss! Wirklich sehr schade

Schema F: das ist manchen Kindern bis zur 4.Klasse natürlich am liebsten...nur nicht denken müssen, einfach berieseln lassen - sehr bequem...

Noch eine Frage zum Schluss:
Ist es deine erste 1.Klasse?

lg shopgirl :

müllerin · 16. Mai 2004

ja, ist es

sisterA · 16. Mai 2004

Hallo, ich ,ochte auch meinen Senf dazugeben:

Ich glaube schon, dass kinder heute einfach andere Sachen bestimmt auch weniger können als kinder vor 10 Jahren.
Ob du es glaubst oder nicht - auch 5ern kannst du mit kindergartenliedern eine freude machen!!!

Meine tochter ist auch in der 1. Klasse:
ich habe ihr wenig Märchen vorgelesen - dafür haben wir viele andere literarischen Werke gelesen.
ich habe ihr im übrigen bewußt keine Märchen vorgelesen, weil ich persönlich den Grausamleiten in vielen Märchen wenig bis gar nichts abgewinnen kann.

ich glaube in den Familien heute wird in der Tat nicht gesungen und viel zu viel TV geschaut - so dass wir in der schule diese kindlichen bedürfnisse stillen müssen. ( außer der Vater ist Musiker

Warum übernimmst du eine Klasse im Mai?? oder hab ich dich falsch verstanden?
erzähl mal ein wenig mehr???
lg
Isa

Sabi · 16. Mai 2004

hallo müllerin
ich unterrichte zur zeit in drei ersten klassen mit und muss sagen, dass "meine" da zum teil etwas weiter sind als deine, zum teil aber dem was du beschreibst recht ähnlich sind.

schuhe binden können sie - wurde bisher nur einmal gefragt ob ich helfen könne. formen und farben erkennen sie auch alle. mit rechts-links haben so im schnitt 3 pro klasse noch schwierigkeiten. viele lieder kennen sie, selbst die die ich aus meiner eigenen schulzeit noch grade so weiß (kuckuck, kuckuck ruft's aus dem wald..)

ein teil der kinder hat leider überhaupt noch kein hörverständnis wenn man etwas vorliest (von 20 kindern) melden sich auf nachfrage 5/ (von 21 kindern) melden sich auf nachfrage 2). ich hoffe das wird mit der zeit besser!

leseverständnis lässt in einer der klassen auch sehr zu wünschen übrig. aufgabe einer kollegin lautete: male die tiere des tobi-waldes als deine haustiere! ergebnis: diverse eigene haustiere, waldtiere im wald. grade mal ein kind hatte die aufgabe richtig. bin mir nicht sicher ob das ende der ersten klasse nicht anders aussehen sollte.

märchen kennen heute nicht mal die drittklässler wie ich im referendariat mal feststellen musste. die denken wirklich susi und strolch/ 101 dalmatiner wären märchen.. disney sei dank..

was das schema f arbeiten angeht da hatte ich eine erste klasse im ref die nach lernen an stationen und möglichst freien aufgabenstellungen ganz wild war und gute leistungen erbrachte. es sind also nicht alle klassen gleich..

ich hoffe der beitrag hat dir etwas geholfen?!
noch einen schönen sonntag,
sabi

**Hermine** · 16. Mai 2004

Hallo,
ein wenig Off-topic, aber für mich sehr wichtig:
Isa, ich finde es ein wenig seltsam, dass die Märchen so "verteufelt" werden- das ist jetzt nicht persönlich gemeint, ich kenne viele Eltern, die genauso denken und ich finde es sehr, sehr schade, denn in den ganzen Pokemongeschichten und überhaupt in den meisten modernen Geschichten kommen noch viel schlimmere Grausamkeiten vor, die im Gegensatz zum Märchen, nicht als unrealistisch dargestellt werden, ganz abgesehen von den diversen Computerspielen usw.
Lg, Hermine (die in der fünften Märchen durchgenommen hat und die Kinder waren begeistert- und zwar nicht von den Grausamkeiten und sie haben danach sogar sehr vernünftig begründet, warum man die eigenen Kinder Märchen lesen lassen sollte)

Shopgirl · 16. Mai 2004

Hermine,
vielen Dank für deinen Hinweis mit dem Märchen. Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, wieso die Märchen so "verteufelt" werden. Grausam find ich sie garnicht - Bsp. Hänsel und Gretel - Die Hexe muss im Ofen verbrennen...da wird nichts weiter ausgeschmückt, es wird einfach so im Raum dargestellt. Bei Erzählungen oder modernen Zeichentrickserien wird da dann sehr wohl ausgeschmückt - da würde die Hexe im Feuer dann wahrscheinlich fürchterlich schreien usw.
Meine kleine Nichte ist 3 und die liebt Märchen...die Grausamkeiten interessieren sie da garnicht (Bsp. Liest man ihr Schneewittchen vor - grooooße Freude; sieht sie sich die Version von Disney an, dann fürchtet sie sich vor der Hexe - auch ich hab mich als Kind vor dieser Hexe gefürchtet....die ist ja wirklich grauslig!)
lg shopgirl

sisterA · 16. Mai 2004

Hallo Hermine und ihr alle.....
Du hast sicher recht - Marchen haben ihren Reiz und es ist nicht so, dass wir gar keine Märchen kennen, zumal die kita viele Märchen erzählt hat.
ich persönlich mal sie jedoch nicht so gerne - so dass ich sie spontan auch nicht als Lektüre heran gezogen haben ( mir sind sie zu grausam!!!)

..... jetzt stand sie hier gerade und ich hab sie gefragt: sie kennt erstaunlich viel Märchen ..... puh, da bin ich aber froh
ich persönlich habe im übrigen ebenfalls immer versucht, diese diversen Karten von meinem kind fern zu halten! mit erfolg!

vielleicht sollte man auf einem elternabend mal offen über diese Form der Mediengewohnheiten und Vorwissen sprechen ( Fragebogen) dann weiß man einfach mehrt über die Kinder, denen man etwas beibrigen soll!

Jetzt bin ich aber doch neugirig .... gleich hol ich grimms Märchen hervor!

Ps. Da fällt mir ein: Afrikansische Märchen habenwir viele gelesen, bzw. mein Vater hat meiner Tochter und mir eine Zeit lang viele erzählt.
Vielleicht kennen kinder mit Migrationshintergrund andere Märchen und lieder......
isa

**Hermine** · 16. Mai 2004

Auja, leider hatten wir in meiner Fünften nur einen polnischen Jungen, der internationale Märchenvergleich fiel deshalb etwas mau aus, grundsätzlich ist sowas aber auch sehr interessant, z. B. auch Aschenputtel verglichen mit Cinderella usw. Immer wenn ich beim Märchen Angst vor etwas hatte, meinte meine Mama: Aber es ist doch nur ein Märchen!
Das übrigens immer gut ausgeht und die Bösewichte werden bestraft!
Lg, Hermine

müllerin · 16. Mai 2004

Hallo an alle!

Ich habe diese Klasse nach den Weihnachtsferien übernommen - als dann dritte Lehrerin (die erste hatte die Chance eine Stelle in ihrer Heimatstadt zu bekommen, die zweite hat nach drei Wochen k.o. gegeben, weil sie Familie und Schule nicht geschafft hat, die dritte bin nun ich :), ist also eh alles ziemlich durcheinander bei dieser Klasse. Ich habe selbst wenig Schulerfahrung, und weiß halt oft nicht, wie viel 'normal' ist, wie viel auf diese Instabilität zurückzuführen ist, und wie weit einfach die Klasse schwach ist (sind viele Kinder aus sozial schwachen Familien), oder ob ich zu viel erwarte.

Auf die Geschichte mit den Märchen kamen wir, weil in der Fibel Sätze standen, die einem Märchentitel zugeordnet werden sollten, und wirklich kaum ein Kind etwas mit den Sätzen anfangen konnte (so ala 'ich habe ein rotes Käppchen auf und besuche meine kranke Großmutter' - mit Auswahlantwort Rotkäppchen oder Das hässliche Entlein). Ich habe daraufhin angefangen, ihnen diverse Märchen vorzulesen (eben auch, weil ihnen das Zuhören äußerst schwer fällt), und sie sitzen mit ofenem Mund dabei *gg*.

Ich hoffe nur, dass bei uns die Leistungsstandards nicht so schnell eingeführt werden, die könnten meine nie und nimmer erfüllen fürchte ich.
Und sicher macht ein Teil auch aus, dass die Hälfte der Kinder aus ausländischen Familien stammen - aber es waren auh sehr viele Inländer, denen die Märchen offenbar VÖLLIG fremd waren, außer es gibt sie auf Video

elefantenflip · 16. Mai 2004

Hallo Müllerin,
was du beschreibst, kenne ich sehr gut. Bisher war ich in Klassen in Brennpunktschulen eingesetzt, dort ist das ganz üblich.
Von daher habe ich mich ganz von Fibeln gelöst, weil ich empfinde, dass ich oft viel Vorarbeit leisten muss, damit die eigentliche Aufgabe denn auch gelöst werden kann (so wie du das von deinen Märchen beschreibst). Es ist am Anfang viel Arbeit, aber es lohnt sich. In meinem ersten Schuljahr habe ich z.B. Märchen noch gar nicht thematisiert. Ich schaue eher, dass wir die Grunddinge hinbekommen, indem die Kinder dort abgeholt werden, wo sie sind.
flip

philosophus · 17. Mai 2004

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gruß, ph.