Radikalenerlass

  • Hallo miteinander!


    Als ich heute die im Laufe der Woche (Ub....) so liegengebliebenen Tageszeitungen abgearbeitet habe (als exilhessin v.a. die beiden Frankfurter) ist mir bei einem Artilkel in der FR (vom Freitag) vor Überraschung fast der nachmittägliche Käsekuchen im Hals stecken geblieben:



    Soweit ich weiß, wurde dieser Erlass seit Ende der 70ger nicht mehr angewendet und in manchen Bundesländern sogar aufgehoben. Was haltet ihr davon, im in der Zeitung beschriebenen Fall wie auch im allgemeinen? Sollte, und wenn ja welches, politisches engagement für lehrer tabu sein?


    Viele grüße,


    carla

    Nehmen Sie die Menschen so wie sie sind.
    Es gibt keine anderen

  • Update: Die gute Frau Schavan hat's durchgezogen:


    [URL=http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,314347,00.html]http://www.spiegel.de/unispieg…ium/0,1518,314347,00.html[/URL]


    Zitat

    Im Dezember 2003 informierte ihn das zuständige Oberschulamt, es bestünden Zweifel, ob er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten bereit sei. Im April bat das Amt Csaszkóczy dann zu einem "vertieften Einstellungsgespräch". Eine pauschale Distanzierung von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg lehnte er ab und reichte anschließend eine Stellungnahme nach.


    Seitdem lag der Fall - ungewöhnlich lange - beim baden-württembergischen Kultusministerium, das jetzt entschieden hat: Die Einstellung des Lehramtbewerbers sei "wegen Zweifels an dessen Verfassungstreue abgelehnt worden", teilte das Ministerium am Donnerstag mit. Er sei Mitglied einer antifaschistischen Initiative, die sich zu "Militanz als legitimes Mittel im Kampf um die Befreiung" bekenne; die Gruppierung werde vom Landesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft. In das Beamtenverhältnis könne aber nur berufen werden, wer die Gewähr für Verfassungstreue biete.


    "Wer Mitglied in einer extremistischen Gruppierung ist, sich darin aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt und Militanz als angemessenes Mittel der Auseinandersetzung ansieht, kann nicht als Lehrer in öffentlichen Schulen wirken", begründete Kultusministerin Annette Schavan (CDU) ihre Entscheidung, "Demokratie muss sich gerade auch in staatlichen Schulen als wehrhaft erweisen, um Kinder und Jugendliche vor jeder möglichen extremistischen Beeinflussung zu schützen."


    Tja, aber offen rechtsradikale Hochschullehrer beläßt man jahrelang im Amt... (kenne ich in Bonn so ein paar Kandidaten...)
    :rolleyes:


    Und wenn man das Engagement des Lehrers mal mit Inhalt füllt, kommt eigentlich ein anderes Bild heraus:


    Zitat

    Seit 1989 ist der heute 34-Jährige politisch aktiv; von 1992 bis 2002 wurde er vom Verfassungsschutz beobachtet. Als Student zeigte Csaszkóczy Jugendlichen die Spuren des Nationalsozialismus in Heidelberg, machte sich für den Erhalt eines Autonomen Zentrums stark und unterstützte Demonstrationen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen. Er organisierte Proteste gegen Nazi-Aufmärsche und kritisierte deutsche Kriegseinsätze. Daneben ist er seit vielen Jahren Mitglied der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, die sich selbst bezeichnet als "linksradikales" Bündnis von "AnarchistInnen, KommunistInnen, SozialistInnen, Autonomen, Feministinnen und solchen, die sich überhaupt kein Label anheften lassen wollen".

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  • Also im Verfassungsschutzbericht für B-W 2000 (S. 103) wird die anifastische Szene in Heidelberg ausdrücklich als gewaltbereit bezeichnet. Das lässt zumindest Vermutungen über den Kandidaten aufkommen, die sich wohl (unterstellt man dem OSA keine böswillige Absicht) verdichtet haben.
    Ich finde, der Staat hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Verfassungstreue seiner Beamten zu prüfen. Gerade im Bereich der Erziehung, besonders in Fächern wie Gemeinschaftskunde/Geschichte, muss die wehrhafte Demokratie garantieren, dass die Schüler auf der Grundlage der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung erzogen werden.


    Wie kann aber jemand, der gewaltbereite Autonome unterstützt oder nichts gegen eine anarchistische Gesellschaftsordnung einzuwenden hat, eine derartige Erziehung gewährleisten (schon aus dem Gedanken des Vorbildlernens)?


    Mag sein, dass an Hochschulen mehr geduldet wird. Allerdings ist das rechtlich auch diffiziler: An den Hochschulen gilt die verfassungsmäßig verbriefte Freiheit der Forschung und Lehre. Das muss dann ggf. (beamte)rechtlich gegen die Verfassungstreue abgewogen werden. Lehrer haben ausdrücklich keine Freiheit der Lehre, schon deswegen wird hier genauer sortiert werden (müssen).

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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    Zitat

    Ich finde, der Staat hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Verfassungstreue seiner Beamten zu prüfen. Gerade im Bereich der Erziehung, besonders in Fächern wie Gemeinschaftskunde/Geschichte, muss die wehrhafte Demokratie garantieren, dass die Schüler auf der Grundlage der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung erzogen werden.


    Unsere "wehrhafte Demokratie" garantiert jedem das Recht auf freie Meinungsäußerung.
    Sicher gibt es Grenzen, insbesondere für Lehrer; diese sind aber ganz klar definiert.
    Politischer Widerstand gegen faschistische Gruppierungen fällt jedenfalls keineswegs dort hinein!


    Zumal dem "Angeklagten" ja nicht mal nachgewisen werden kann, dass er selber Gewalt ausgeübt hat oder das jemals tun würde.
    Ist die Antifaschistische Initiative in Deutschland verboten?
    Warum ist es einem Lehrer anderenfalls nicht gestattet, dort Mitglied zu sein?
    Was ist das für eine Doppelmoral - außerdem ist es noch gar nicht so lange her, da sollte ein Lehrer vom Schuldienst suspendiert werden, weil er sich zu sehr in Friedensinitiativen engagierte.
    Wenn ich so was lese, frage ich mich, wie weit wir schon wieder sind!
    Sollen Lehrer aus Angst um ihren Job (wieder) brav den Mund halten, sich nicht wehren, den klassischen Untertan abgeben?
    Mal abgesehen von allem anderen ist das ja ein tolles Vorbild für die abgeschlaffte Jugend!


    X(


    Gruß, M.


    P.S.: Was haltet ihr davon, den thread in "Allgemeines" zu verschieben?

  • Zitat


    Politischer Widerstand gegen faschistische Gruppierungen fällt jedenfalls keineswegs dort hinein!


    Zumal dem "Angeklagten" ja nicht mal nachgewisen werden kann, dass er selber Gewalt ausgeübt hat oder das jemals tun würde.


    Liebe Melosine,
    richtig zu zitieren heißt, das Zitat nicht aus dem Zusammenhang zu reißen! Ich habe mir die Mühe gemacht, über die angesprochene Gruppe zu recherchieren. Ich habe dabei eingeräumt, dass nur die Annahme und deren Bestätigung, dass der Kandidat die von mir genannten Ziele unterstützt, eine Ablehnung rechtfertigt. Die wenigen Indizien sprechen wohl aber eher nicht dafür, dass sich der Betreffende außer mittels Wortklaubereien von der Gewaltbereitschaft der Autonemen distanzierem will.


    Man sollte aufpassen, dass man mit dem unterstütztenswerten Kampf gegen Faschismus, nicht falsche Sympathien für Extremisten verbindet. Stellen wir das Recht auf Meinungsfreiheit vor die Verfassungstreue des Beamten, können wir im schlimmsten Fall eine Situation wie zu Weimar haben: Beamte, die die Grundgedanken des eigenen Staates nicht tragen!


    Könnten wir das heute vielleicht doch aushalten? Vielleicht ja, aber bestimmt nicht, wenn der Beamte Schüler erzieht. Das Gewaltmonopol des Staates ist nicht nur ein rechtliches Prinzip. Wenn ich meinen Schüler beibringen will, Konflikte gewaltlos auszutragen, taugt der Kollege nicht, der gewaltbereite Autonome unterstützt (oder wie soll man denn bitte auf dem Hintergrund einer gewaltbereiten automonen Szene den Satz: "Militanz bezeichnet eine widerständische Haltung, die nicht vor Konfrontation zurückschreckt" verstehen?!).


    Es ist nicht in Ordnung Melosine, dass du Strafrecht und das Recht des Staates, geeignete Kandidaten einzustellen durcheinander bringst. Beamte werden nach Eignung und Befähigung eingestellt. Ein Beamter, der sein Recht auf freie Meinungsäußerung benutzt, um gegen gewisse Grundgedanken unseres Staates anzugehen. ist m.E. nicht geeignet. Der Staat hat ihm die Möglichkeit gegeben, seine Berufsausbildung abzulegen, nun muss derjenige eben eine Lehrtätigkeit außerhab des Staatsdienstes suchen. Das ist somit auch kein Berufsverbot.


    Ich möchte jetzt doch eindrücklich darauf hinweisen, dass ich keinesfalls parteipolitisch mit Frau Schavan sympathisiere (eher das Gegenteil). Aber wir sollten endlich mit der Tradition der 68er (die ich sonst überaus bewundere) aufhören, für Gewalt von Links blind zu sein und nur Rechte zu verdammen.


    Ansonsten wünsche ich eine weniger
    X( als 8) Diskussion!

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    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Tja, aber offen rechtsradikale Hochschullehrer beläßt man jahrelang im Amt... (kenne ich in Bonn so ein paar Kandidaten...)


    Also das musst Du etwas genauer erläutern. Sind diese Hochschullehrer rechtsRADIKAL oder stehen sie nur dem rechten Lager sehr nahe?


    Mit Gruß und der Bitte um Belege
    Jules

  • @ Bolzbold: Du hast Post. ;)


    @ Timm: Ich gebe dir im Grundsatz Recht. Allerdings scheint mir die Entscheidung im vorliegenden Fall doch etwas fragwürdig. Daß besagter Lehramtsstudent und -referendar über 10 Jahre hinweg vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, heißt ja wohl in Klammern auch, daß nichts Handfestes dabei herumgekommen ist. Und daß die Sache vom OSA ins Ministerium verlagert wurde, das sich mit der Entscheidung viel Zeit gelassen hat, scheint mir doch auch ein Indiz zu sein, daß es keine zwingenden Gründe gegen eine Übernahme gibt - sonst wären diese sofort vorgebracht wurden. Die Verzögerungstaktik, das ist jedenfalls mein Eindruck, sollte wohl den Umstand vertuschen, daß hier "nach Nase" entschieden wurde.


    Die Aktivitäten, die in dem Spiegel-Artikel aufgeführt werden, sprechen eher für politisches Engagement denn für tatsächliche Militanz. Und es ist ja nicht so, daß der Staat gegen seine Beamten nicht vorgehen kann, wenn sie dann erst mal in Amt und Würden sind. Gesetzt den Fall, dieser Mensch betriebe Gewaltagitation, so würde sich das gewiß in nullkommanichts herumsprechen und in der Probezeit wäre er sofort raus. Und bei längerem Dienst winkt dann der Katalog disziplinarischer Möglichkeiten.


    Und anders als unser Außenminister hat dieser Lehrer sich offenbar nur verbal tätlich gezeigt. Ich weiß selbst noch nicht, wie ich mich zu diesem Sachverhalt eigentlich stellen soll, aber - als Philosoph - würde ich gern Kants klassische Unterscheidung zwischen dem "öffentlichen Gebrauch der Vernunft" und ihrem "Privatgebrauch" (aus seinem Aufklärungsaufsatz) ins Spiel bringen; letzterer ist zu verurteilen, aber müßte ersterer nicht jedem erlaubt sein?

    Einmal editiert, zuletzt von philosophus ()

  • Danke erstmal an philosophus für seine maßvollen Worte. Zwei Dinge möchte ich dazu anmerken:
    1. Nach dem, was ich aus den Artikeln herauslese, hat das Ministerium nicht die Sache an sich gezogen. Dem Einstellungserlass gemäß ist das OSA für den entsprechenden Entscheid zuständig. Nach dem Gespräch mit dem Kandidaten wurde negativ entschieden und in der folgenden Stellungsnahme hat der Bewerber wohl Widerspruch gegen den Enscheid des OSA eingelegt. Damit endet im normalen Verwaltungsverfahren der Widerspruch bei der nächsthöheren Behörde (=Kultusministerium). Dass man hier lange geprüft hat, spricht doch eher für die Sorgfalt. Was mich wundert ist, dass nach der Ablehnung des Widerspruchs von dem Bewerber der nun offene Klageweg nicht beschritten worden ist (zumindest konnte man nirgendwo etwas darüber lesen). Macht sich der Kandidat wohl doch keine Illusionen über den Erfolg einer evtl. Klage?
    2. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass nicht erst eine strafrechtlich relevante Tat (und gerade diese sind abgesehen von Tätlichkeiten im Extremismus-Bereich rar) begangen werden muss, um sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu wenden. Ich spare mir hier, Nazi-Vergleiche zu strapazieren, aber wir wissen alle, dass es neben Gewalttätern auch die geistigen Brandstifter gibt!

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    2. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass nicht erst eine strafrechtlich relevante Tat (und gerade diese sind abgesehen von Tätlichkeiten im Extremismus Bereich rar) begangen werden muss, um sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu wenden. Ich spare mir hier, Nazi-Vergleiche zu strapazieren, aber wir wissen alle, dass es neben Gewalttätern auch die geistigen Brandstifter gibt!


    Und gerade hier muss man der Objektivität halber darauf hinweisen, dass es von beiden Seiten - also von Linken wie von Rechten - geistige Brandstifter gibt.
    Wir haben sowohl den Stalinismus als eine Extremform des Kommunismus als auch die Nazis als eine Extremform des Nationalismus kennengelernt - das sollte man nicht vergessen.
    Beide Seiten weisen mitunter Tendenzen auf, die mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind.

  • Ich glaube nicht, daß das jemand in diesem Thread in Frage stellt. Auch Timm, den du offenbar im Auge hast, weist ja indirekt daraufhin.


    Interessanter als die Frage, was schlimmer sei - rechtsextrem oder linksextrem -, scheint mir das hinter diesem Fall liegende Problem zu sein:


    Wie verträgt sich das (verbeamtete) Lehrerdasein mit anti-institutionellen Affekten, die da offenbar eine Rolle spielen?


    Und was Schule angeht, so handelt es sich - sag ich als Philosoph 8) - um eine Institution, die sich von anderen dadurch unterscheidet, daß sie Bedingungen schafft, in denen ihre eigene Existenz problematisiert wird: z. B. im Philosophieunterricht (Staatstheorie, Anarchismus, Institutionenlehre), im Pädagogikunterricht (Entschulungsdebatte), im Deutschunterricht (Individuum vs. Gesellschaft, Bildungsroman) etc. Kein Finanzamt, kein Landgericht stellt sich selbst in dieser Form theoretisch [!] zur Disposition.


    Was ich sagen will: Es gibt zwar keine Freiheit der Lehre in dem Sinne wie es an der Universität der Fall ist, aber andererseits hat auch Schule die Besonderheit, daß sie nicht einfach als Input-Output-Maschine funktioniert: Das Bildungsziel "Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung" ist ja schon latent paradox. Und wenn ein Lehrer wie im vorliegenden Fall sich quasi ehrenamtlich in einer antiinstitutionellen Organisation betätigt, sehe ich das nicht schon in notwendigem Widerspruch zu seinem Lehrerdasein. Wenn freilich agitiert wird, sieht die Sache aber anders aus. Aber, Hand aufs Herz, diese Befürchtung scheint mir ähnlich irrational wie die, ein Kopftuch könne an sich die Schüler religiös disorientieren.

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  • Zitat

    Csaszkoczy selbst zeigt sich erstaunt über den Rummel um seine Person. "So krisengebeutelt ist der Kapitalismus doch nicht, dass er sich von einer lokalen faschistischen Initiative bedroht fühlen muss", sagte er in einem Interview. Zurzeit ist er in Urlaub, die Ablehnung wurde ihm von Freunden per E-Mail zugestellt. "
    taz Nr. 7447 vom 28.8.2004, Seite 12, 89 Portrait INES KURSCHAT


    Im Originalinterview steht mitnichten der hervorgehobene Begriff. Ahnt die Redakteurin der taz, wie nah sie der Realität trotz Zitatverfälschung kommt?


    @ Timm

    Zitat

    Wie kann aber jemand, der gewaltbereite Autonome unterstützt oder nichts gegen eine anarchistische Gesellschaftsordnung einzuwenden hat, eine derartige Erziehung gewährleisten (schon aus dem Gedanken des Vorbildlernens)?


    Was sollen solche Unterstellungen mit derart schwammigen Adjektiven?
    Michael Csaszkoczy hat den Klageweg beschritten. Die GEW unterstützt ihn dabei.

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