Notenbildung: Kaufmännisch Runden?

  • Hallo zusammen,


    von zahlreichen Kollegen habe ich gehört, dass Noten immer abgerundet werden. Beispiel: Wenn der (sowieso schon "gnädige") lineare Punkte/Notenschlüssel eine Note von 2.4998 ergibt, so wird bei der Umsetzung auf Zehntelnoten eine 2.4 daraus.


    Ich selbst hatte das bisher auch immer so gehandhabt, aber irgendwie zweifle ich langsam doch, ob man damit den Schülern einen Gefallen tut. Hier die Begründung meiner Zweifel:


    Vor allem in mehrstündigen Fächern mit vielen Klassenarbeiten und Kurztests wird m.E. dem Schüler dadurch sehr viel "geschenkt". Das hat zur Folge, dass sich Schüler gerade noch so versetzt werden, obwohl sie eigentlich nicht auf 5.3 sondern eigentlich auf 5.6 stehen. (Hintergrund ist ein "Extremfall", der in diesem Schuljahr vorgekommen ist).


    Gerade in zweijährigen Schularten des beruflichen Schulwesens sind derartige Leistungen ein klares Signal dafür, dass der Schüler sich dringend anderweitig orientieren muss. Wie meine Erfahrung zeigt, fallen genau diese Schüler dann im zweiten Jahr durch die Prüfung. In den meisten Fällen stellen sie (und ihre Eltern)sich erst dann der Frage, ob sie wirklich für diesen Berufszweig geeignet sind.


    Es ist nicht mein Ziel, den Schülern schlechtere Noten zu bescheren und damit die Klassen zu verkleinern . Aber die Gefahr einer dem Schüler entgegenkommenden Notenbildung liegt nach meiner Meinung in einer unnötigen Erhöhung der Schulzeit, was zu einem deutlichen volkswirtschaftlichen Schaden führt. (Nun ... zumindest theoretisch, wenn man davon ausgeht, dass alle arbeitswillig sind und auch genügen Lehrstellen vorhanden wären).


    Mich würde mal Eure Meinung zu diesem Thema interessieren.


    Sind Euch eigentlich rechtliche Grundlagen bekannt, die gegen eine kaufmännische Rundung von Noten sprechen würden?


    Ich konnte in den Verordnungen nichts dergleichen finden (Baden-Württemberg).


    Cheers,


    Drew

    Until he extends his circle of compassion to include all living things, man will not himself find peace.
    Albert Schweitzer 1875-1965

  • Hm, so ganz ohne rechtliches Hintergrundwissen und ohne Erfahrung in dem Schulzweig, nur aus Mama-Sicht *g*:
    Ich denke, die Schüler stecken in einem absolut blöden Alter, nichts motiviert sie, schon gleich gar nicht schlechtere Noten.
    Du sagst, ihr hattet einen so einen Extremfall, ich denke, damit hält sich der volkswirtschaftliche Schaden in Grenzen.
    Und so wie es Moment mit Lehrstellen aussieht, kann man eigentlich nur versuchen, den Kindern so lange wie möglich Bildung angedeihen zu lassen - immer noch besser, als wenn sie danach mit 'Nichts' und ohne Perspektive dastehen.
    Bei manchen jungen Menschen 'braucht' es leider etwas länger, und plötzlich werden sie wieder vernünftig, und bereuen es, diese Jahre nutzlos verstreichen lassen zu haben.


    Klar gibt es immer Fälle, bei denen das Mitziehen nichts bringt, aber das sind Einzelfälle, hoffe ich.


    In Skandinavien bleibt kein Schüler sitzen - nicht alle werden deshalb klug und toll ausgebildet, aber keiner muss als Versager dastehen; ich denke, das ist etwas viel Wichtigeres für ihr weiteres Leben, als ihnen viel kognitives Wissen mitzugeben.


    (Ich würde Noten, so wie WIR sie haben, ohnehin abschaffen - wie oder was will man mit 5 bzw. 6 Noten korrekt und gerecht beurteilen?)

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Drew,
    rechtliche Grundlagen sind mir leider auch nicht bekannt, inzwischen habe ich aber festgestellt- 5 Schulen- 5 verschiedene Arten der Notenbildung.
    Bei uns ist am häufigsten der Modus, dass nach der zweiten Stelle hinter dem Komma nicht gerundet, sondern abgeschnitten wird. Also: 2,499999 = 2,49=2 (Mathematiker mögen mir verzeihen)
    Bei 2,50-2,55 muss begründet werden, warum der Schüler die bessere Note bekommen soll (steigende Tendenz in den Arbeiten, außergewöhnliches Engagement usw.) ab 2,55 gibt es i. d. R. die schlechtere Note.
    Ich bezweifele allerdings stark, ob man den Schülern durch die bessere Note wirklich einen Gefallen erweist, einige "ruhen" sich dann auch schon mal aus. Das mit dem "Nichtsitzenbleiben" habe ich in einem Collège in Frankreich erlebt: Ein Schüler wusste vor lauter Frust gar nicht mehr, was er machen sollte, er wurde mehr schlecht als recht "mitgeschleppt" - und die Binnendifferenzierung hätte im Prinzip zwei Klassen früher ansetzen sollen.... Das arme Kerlchen war nur noch frustriert, weil er sich wie der Klotz am Bein der Klasse gefühlt hat. Freiwilliges Wiederholen gab es irgendwie in dieser Schule nicht... Ich denke, der Junge hat sich mehr als Versager gefühlt, als jedes Kind hier bei uns, das mal ein Jahr wiederholen muss. Abgesehen davon, dass es inzwischen Studien gibt, die belegen, dass viele Wiederholer das Jahr dann doch noch als Sprungbrett benutzt haben... in eine recht schöne Berufskarriere.
    Ich denke, keinem ist geholfen, wenn man den Schülern etwas vormacht.
    Liebe Grüße
    Hermine

    "Ein Mann, der noch keinen Fehler begangen hat, hat noch nie etwas getan."
    Sir Robert Baden-Powell, Earl of Gilwell

  • Hallo,
    wenn man die ermittelte Note nicht für aussagekräftig hält, sollte die Notenfindung im Vorfeld so geändert werden, dass sie zumindest einigermaßen repräsentativ ist. Man kann doch nicht am Schluss das Ergebnis nach Gutdünken abändern. Zwischen einer 3,45 und einer 3,6 (ca.) habe ich ja auch einen pädagogischen Ermessensspielraum, bei dem ich das Leistungsverhalten im Einzelfall in Betracht ziehe. Aber letztlich bin ich Lehrer geworden, um Schülern was beizubringen, und nicht um 3 Stellen nach dem Komma auszurechnen!

    Live moves pretty fast, if you don't stop and look around once in a while, you might miss it.

  • Aus der Notenbildungsverordnung Ba-Wü, §7,2:

    Zitat

    Die Bildung einer Note in einem Unterrichtsfach ist eine pädagogisch-fachliche Gesamtwertung der vom Schüler im Beurteilungszeitraum erbrachten Leistungen.


    Ergänzendes Schreiben des KM vom 5.7.1996; IV/5-6615.21-96/7

    Zitat

    Die Bildung einer Jahresnote ist "nicht das Ergebnis einer rein arithmetischen Rechnung, sondern eine ganzheitliche, pädagogisch-fachliche Gesamtwertung."



    Quelle: GEW-Jahrbuch Ba-Wü

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    Einmal editiert, zuletzt von alias ()

  • Hallo,


    es gibt keine Vorschriften zum Runden, wenn es sich nicht um eine Abschlussprüfung handelt. Dazu ging dieses Jahr auch ein extra Schreiben vom RP oder Kumi heraus, in dem darauf hingewiesen wurde.
    Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, möglichst lange möglichst genau zu rechnen ist. Wenn du willst, such ich dir morgen das Schreiben an der Schule raus.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

  • Ich kann auch nur das Zitat von der pädagogisch-fachlichen Gesamtwertung wiederholen, ob ein Schüler jetzt 2,4 oder 2,6 steht, ist egal. Es gibt aber immer noch Lehrer, die ihre Note nur arithmetisch ausrechnen, was bei den Schülern für Verwirrung sorgt, weil sie auch versuchen über einen Schnitt ihre Zeugnisnote zu errechnen.
    Dies ist wohl vor allem bei mathematisch-naturwissenschaftlich orientierten Lehrern der Fall.


    Außerdem gibt es nicht nur einen linearen Notenschlüssel zur Ermittlung der Einzelnoten und somit der Endnote, sondern auch mündliche und praktische Leistungen, die in die Zeugnisnote einfließen.(§7,1 Notenbildungsverordnung)


    In Drews Beitrag geht es um Klassenarbeiten und Kurztests, die mündliche Note kommt gar nicht vor. Diese gibt ja sehr oft den Ausschlag für eine bessere oder schlechtere Zeugnisnote.

  • Hi all,


    vielen Dank für Eure Gedanken und Anregungen zu diesem Thema.


    müllerin: Im Prinzip hast Du schon recht, aber der Haken an der Sache liegt m.E. an der gesamten Organisation des Schulsystems bei uns.


    Die "problematischen" Schularten haben in der Regel eine Dauer von 1 Jahr (Berufsfachschule, BVJ) oder 2 Jahren (2-jähr. Berufskollegs). Mir stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, in dieser kurzen Zeit die erforderlichen Schlüsselkompetenzen zu vermitteln. Meine Eltern hatten Jahre damit verbracht mir Kompetenzen zu vermitteln, die meine heutigen Schüler offensichtlich nie erfahren haben.


    Ich möchte und werde hier niemanden beschuldigen. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Wenn keine Lösung erreicht werden kann (und danach sieht's ja stark aus), dann muss sich eben das Schulsystem anpassen (z.B. eine einzige durchgängige Schulart, andere Methoden, andere Leistungsbeurteilung).


    Die neuen Methoden, die momentan von manchen als "Rettung" aus dieser Problematik propagiert werden, funktionieren unter den aktuellen Umständen nicht. Per se halte ich diese Methoden nicht für schlecht und wende sie auch immer wieder im Unterricht an. Solange ich aber 34 Schüler (davon 20 verhaltensauffällige und knapp die Hälfte mit einer ausgeprägten Lese- und Schreibschwäche) in einer Klasse habe, werde ich als einzelner Lehrer in einem ohnehin zu kleinen Klassenzimmer die aus den Medien berühmte Idylle einer skandinavischen Schule nicht erreichen.


    In einem derartigen Umfeld schadet jeder "mitgezogene" Schüler denjenigen, die ernsthaft an ihrer Entwicklung interessiert und motivierbar sind.


    Es ist eben ein Fehler im System. Interessant ist übrigens auch die Tatsache, dass auch in meiner Region immer von Lehrstellenknappheit geredet wobei hier viele Lehrstellen unbesetzt bleiben. Sehr oft vermittle ich Schüler, die sich dann jedoch meist innerhalb der Probezeit vom Betrieb trennen (oder "getrennt werden").


    Im Gespräch mit den entsprechenden Schülern bekomme ich zu hören:
    "Nee, das ist ja schlimmer als Schule." oder "7 Stunden am Stück, da hat man ja gar keine Freizeit mehr." Die Betriebe bezeichnen die Jugendlichen als "ungeeignet" oder nennen eine "völlig weltfremde Einstellung zu Geld und Arbeit" als Gründe. Dummerweise sind das keine Einzelfälle.


    German: Ja, die mündliche Note hatte ich nicht erwähnt. Trotzdem existiert sie aber natürlich auch bei mir (als mathematisch-naturwissenschaftlich vorbelasteter Lehrer).


    Was ich zugeben muss ist, dass ich dieser Note vielleicht nicht ausreichend Gewicht zukommen lasse. Nur sehr schlechte mündliche Noten würde eine entscheidene Wirkung zeigen.


    Weshalb ich die mündliche Note nur so "zaghaft" einbringe, kann ich nur vermuten ...


    Vor allem in großen Klassen und im praktischen Laborunterricht stellt eine "absolut kugelsichere" mündliche Benotung ein Problem dar. Auch für die mündliche Note gilt die Notentransparenz, d.h. ich muss beispielsweise genau begründen können, weshalb der Schüler X eine mündliche 3 und keine 2,5 bekommen hat. Streng genommen gehört dazu, dass den Schülern bereits am Anfang des Schuljahrs genau die Kriterien mitgeteilt werden welche die mündliche Leistung beeinflussen. Bei Fremdsprachen könnte beispielsweise die Grammatik und/oder die Aussprache und/oder den Wortschatz oder was auch immer genannt werden.


    Ich persönlich führe äusserst genau Buch über die mündlichen Noten. Das heisst, jeder Schüler kann zu jeder Stunde erfahren, weshalb er an welchem Datum genau diese mündliche Note erhalten hat. Und genau deshalb schützt die mündliche Note nicht vor den "Grenzfällen".


    Wie ferrisB. schon gesagt hat: Ich kann ja keinem Schüler am Ende einfach mal 'ne 9 im mündlichen geben, damit er die Gesamtnote erreicht, die er objektiv verdient hätte.


    Womit ferrisB. ebenfalls Recht hat (Asche auf mein Haupt ... ich gelobe Besserung) ist, dass mein Problem mit einer Änderung in der Notenfindung gelöst werden kann.


    Ab nächstem Jahr also ...
    - Die Schüler zu festgelegten Terminen mündlich prüfen (genauso wie bei KA Terminen)
    - Die mündliche Note wesentlich höher gewichten
    - Die Klassenarbeiten vom Niveau und den Bewertungskriterien so anpassen, dass die Aussage der Note repräsentativ für die Leistung ist


    (Übrigens hatte ich während meiner eigenen Schulzeit, allerdings in einem anderen Bundesland, einmal erfolgreich(!) eine mündliche Note angefochten, was für den Lehrer größere Probleme mit sich brachte. Vermutlich rührt daher mein "Transparenzfimmel" ...)


    Danke nochmals für Eure Anregungen.


    -- Drew

    Until he extends his circle of compassion to include all living things, man will not himself find peace.
    Albert Schweitzer 1875-1965

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