HS ...erstauntes Entsetzen...

  • ...und zwar nicht wegen der Schüler!!!


    Hallo Ihr Lieben!


    Nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt habe, möchte ich hier mal eine dringende Frage los werden:


    Was lasst Ihr Euch von Euren Schülern bieten?


    Ich mache im Moment ein Praktikum an einer HS. Die Schüler sind größtenteils etwa so, wie ich es erwartet habe: d.h. laut, halbstark, cool...aber durchaus ansprechbar. ;)


    Aber über die Lehrer wundere ich mich doch sehr. Mittlerweile habe ich bei dreien hospitiert und bin baff erstaunt was diese sich alles bieten lassen.


    Ein kleines Beispiel: Heute hat es tatsächlich immerhin ganze 8 Minuten (ich habe auf die Uhr geschaut) gedauert, bis alle Schüler der Klasse auf ihrem Platz saßen. Und das ganze unter nettem Zureden wie "Sei doch so nett und setz Dich hin!"


    Ein zweites Beispiel: Ein Schüler hat es während der 30minütigen Bearbeitungszeit einer Aufgabe lediglich geschafft, den ersten Teilsatz der Frage von der Tafel abzuschreiben. Er war zu sehr damit beschäftigt über Autos zu fachsimpeln. Die LP hat das durchaus gemerkt, höflich um Bearbeitung der Frage geben. Das wars. Keine Konsequenzen für den Schüler.


    ALLE Lehrer haben mir vorm Betreten der Klasse gesagt, dass man es langsam angehen muss.


    Und jetzt weiß ich nicht: seh ich das einfach zu eng? Ist das eben einfach so und gut? Oder haben die Lehrer mittlerweile resigniert? Bin ich da noch zu euphorisch?



    ?(



    Wie handhabt ihr das?


    Gruß Sinfini

    Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes. (A. Einstein)


    Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und niemand ging, um einmal nach zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge! (H. Pestalozzi)


    Im ganzen ist man kummervoll und weiß nicht, was man sagen soll. (W. Busch)

  • Schnelle, unüberlegte Resonanz: Eins der wichtigsten Anliegen der "härteren" Schulen, die ich kenne, ist Gewaltprävention. Wenn der Lehrer "eskaliert" - Brüllen, Bestrafen usw. - "eskalieren" die Schüler auch, und zwar schneller, härter und gefährlicher als der Lehrer. Bei meinen wenigen Stunden an diesen Schulen war es dann auch so, dass ichmit meinem "Hier muss mal einer Zug reinbringen" auch erst einmal auf Granit gebissen habe und weniger (!) erreicht habe als die Kollegen mit den sanften, zeitaufwendigen Methoden. Ist vielleicht anders,w enn sich das ganze Kollegium einig ist und versammelt Front macht. Trotzdem müssen gerade diese Schüler lernen, dass es andere Methoden der Konfliktlösung und Handlungsmotivation gibt als Druck. Den Druck, den die meisten von Zuhause/ aus der Clique mitbringen (physische und psychische Gewalt, Abhängigkeit, Gleichgültigkeit usw.), kann die Schule eh nicht "toppen". Also kann sie nur mit Geduld und Freundlichkeit ein Gegenbild entwerfen.


    Wie gesagt, alles ins Blaue,
    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

    • Offizieller Beitrag

    Ich stimme Wolkenstein zu: WENN Jugendliche überhaupt eine Möglichkeit haben sollen, etwas anderes zu lernen, als das, was sie von Clique und zuhause kennen, dann durch das Lehrervorbild: wie denn sonst? Höflichkeit und Geduld sind dann vielleicht auf den ersten Blick keine Sofortmaßnahmen, aber hoffentlich nachhaltiger. Du schreibst ja auch, dass ALLE Lehrer der Meinung seien, man müsse es "langsam angehen": es scheint also nicht nur diese Lehrerin zu sein, die keinen dauerhaften Sinn im ...ja was eigentlich? Brüllen, Strafen, ...? sieht.


    Ich würde an deiner Stelle zwei Dinge tun: erstens würde ich mal beobachten, wie die Lehrerin selbst reagiert, wenn in der Klasse die unruhigen Phasen laufen: ist sie entspannt, ruhig und souverän? Dann kannst du davon ausgehen, dass das nicht Unwillen ist, Ruhe reinzukriegen, sondern Methode.
    Und zweitens würde ich das eigene Erstaunen einfach mal äußern und sie fragen, wie sie warum reagiert: dann bekommst du das vermutlich besser erklärt, als wir es hier nur ratend tun können (bisher haben sich allerdings unsere HS -Kollegen hier noch nicht zu Wort gemeldet: die können es garantiert auch besser beurteilen). Im Gespräch mit den Kollegen lernst du vermutlich mehr als durch reines Beobachten und sich-wundern.


    Zu dieser Frage

    Zitat

    Was lasst Ihr Euch von Euren Schülern bieten?

    So komisch das für einen HS-Praktikanten vielleicht klingt: nix. Begründung: ich muss es nicht - die Schüler am (oder an meinem?) Gymnasium tun einfach (bisher) nix, was größer "konterungswürdig" wäre. Zu 95% sind sie einfach lieb, nett und so vernünftig, wie es in ihrem Alter möglich ist. Die "schlimmsten Disziplinarmaßnahmen", die ich in letzter Zeit so machen musste, sind mal zu bitten ein Briefchen einzustecken, oder eine Mitteilung wegen mehrmals verdusselter Hausaufgaben heimzuschicken, oder ein Gespräch in der Pause zu führen, über das Interesse, das X an der Nachbarin Y im Unterricht zeigt (auf das Y aber keinen Wert legt), oder irgendwelche anderen wirklich nicht nennenswerten Kikifaxen. Da muss ich nicht mal wirklich ernst gucken oder meiner Stimme einen schärferen Ton geben.
    Klingt für dich vermutlich paradiesisch, oder?

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

    Einmal editiert, zuletzt von Meike. ()

  • Ich muss einerseits wolkenstein zustimmen. Als Lehrer sollte man ja wirklich Vorbild sein und viele Kinder, auch in meiner Klasse, werden daheim nur angeschrien oder gleich geschlagen. Die meisten kennen Höflichkeit überhaupt nicht und sie reden manchmal mit mir, wie sie vielleicht mit ihren Eltern reden oder vielleicht auch gern reden würden, aber nicht können, weil es dann gleich eine drauf gibt.
    Bloß ich denke, diesen Hintergrund muss man einfach ausblenden, denn in der Schule gelten eben Regen und Grenzen. Und das ist oft für Schüler schwierig, die vielleicht zu Hause alles dürfen und keine Grenzen kennen.


    Auch ich bin eher der ruhige Typ und meine erstmal alles mit Freundlichkeit lösen zu müssen. Ich denke, so kriegt man das auch im Studium und im Seminar, wenn man überhaupt darauf vorbereitet wird, gelernt. Doch ich widerum bin mit dieser Freundlichkeit und zu großer Gutmütigkeit leider völlig danebengelegen; bei meiner Klasse zumindest.
    Mit freundlichen Worten kommt man bei denen nicht weit und manchmal hab ich echt das Gefühl, dass sie das gar nicht wollen. Sie arbeiten nur mit Druck.
    Viele Fehler macht man natürlich aus mangelnder Erfahrung, dass kann ich jetzt bei mir sehen. Aber diese Fehler werde ich nie wieder machen, bei einer schwierigen Klasse, bei der leider böses Gucken nicht hilft.


    Du hast natürlich Lehrer mit mehr Erfahrung und deswegen würde ich sie auch darauf ansprechen, weiß nicht, ob das deine Mentoren sind. Mit denen kann man ja offen darüber sprechen ohne gleich zu kritisieren.
    Aber denk daran, dieses "die Schüler tanzen einem auf der Nase herum" hat sich schnell. Auch wenn man am Anfang große Vorsätze hat, die können von Schülern schnell wieder über den Haufen geworfen werden!


    Ich finde, Unterricht sollte schon möglich sein, denn darunter leiden ja auch immer diejenigen, die eigentlich was lernen wollen, aber halt doch beim Blödsinn machen mitmachen. Was die Hausaufgaben meiner Schüler angeht, hab ich vielleicht auch resigniert. Sie bekommen von mir Striche, aber ich lasse sie nicht mehr die HA nachschreiben, denn mir ist echt die Lust vergangen, ewig diesen HAs nachzurennen. Nach ein paar Strichen müssen die Schüler nachsitzen, die Eltern bekommen eine Info nach Hause.
    Und es ist ja ihre Übung!


    Nun hab ich aber ein bisschen zu viel gelabert.
    Ich denke, dass man sich nicht von den Schülern alles gefallen lassen sollte, denn dann macht Unterrichten keinen Spaß mehr! Meine Ansicht! Höflichkeit und Geduld gehört zu den Sachen, die Schüler in der Schule sehen und lernen sollen, aber irgendwann ist die Geduld eben zu Ende. Und vielleicht bei deinen Lehrern eben noch nicht, kann man schlecht sagen.


    Grüßle
    Tiggy

    Verstehen kann man das Leben nur rückwärts,
    leben muss man es vorwärts. (Sören Kierkegaard)

  • Ich mag Höfflichkeit in Kombination mit Bestimmtheit, Humor und Hartnäckigkeit. Nicht locker lassen, nicht unfreundlich werden.

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Erstmal vielen lieben Dank für Eure Beiträge!


    Außerdem muss ich sagen, daß mich der heutige Tag etwas "kuriert" hat. Die gleichen Klassen, die bei dem einen Lehrer erst nach 5 Minuten sitzen, KÖNNEN offenbar anders. Und das ohne "Terror" von der LP, sondern mit ein paar flotten Sprüchen.


    Ich muß zugeben, daß ich ja selber nicht genau wüsste wie ich vorgehen würde. Das Schreierei und Schimpferei häufig zu nichts führt, außer dazu daß man selbst auf dem Zahnfleisch geht, ist mir schon klar. Aber ich denke, daß man doch in der Lage sein muß Regeln durchzusetzen OHNE daß es in einen Kampf ausartet.


    Ich denke, daß eine Schule AUCH dazu da sein muß, um mit den Schülern zusammen die Durchsetzung von Regeln zu erarbeiten. Ich will das jetzt mal "Konsequenzen ohne Stress" nennen. Wobei der Stress natürlich immer da ist. Aber ich denke ich würde versuchen die Konsequenzen eben ruhig umzusetzen, anstatt gar nichts zu tun. Abgesehen davon gibt es immer noch andere Schüler die auch ein Recht auf vernünftigen Unterricht haben. Und diese leiden evtl. unter diesem *räusper* "Pädagogengelaber". Irgendwie kommt man dabei nie zum Punkt und Schüler sind erst recht genervt.


    Über weitere Beiträge freue ich mich sehr.


    Gruß Sinfini

    Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes. (A. Einstein)


    Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und niemand ging, um einmal nach zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge! (H. Pestalozzi)


    Im ganzen ist man kummervoll und weiß nicht, was man sagen soll. (W. Busch)

  • Hallo,


    ich erlebe es an der Hauptschule so, dass man sehr stark auf seine eigene Klasse fixiert ist, die man ja viele Stunden in der Woche hat.


    Hier laufen viele Gespräche, Erziehungsmaßnahmen (müssen absolut nicht unbedingt Strafen sein), Elternarbeit, Arbeit an der Klassengemeinschaft und auch am Sozialverhalten etc.
    Meine Klasse habe ich 23 Stunden. Die restlichen 6 Stunden sind Fachunterricht - und hier fehlt mir ehrlich gesagt die Zeit und teilweise auch die Lust, mich in gleichem Maß zu engagieren. Natürlich lasse ich mir nicht "alles gefallen", aber meine Ansprüche in fremden Klassen sind tatsächlich niedriger.


    Das war nicht immer so, aber: Zeit, Nerven und Engagement sind in der eigenen Klasse wesentlich gewinnbringender angelegt. Die anderen Klassen haben schließlich einen "eigenen" Klassleiter, an den man ja Beobachtungen weitergeben kann, so wie ich das auch von den Fachlehrern in meiner Klasse erwarte.


    LG
    Tina

    Ein Hund denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, sie müssen Götter sein!" Eine Katze denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, ich muss ein Gott sein!"

  • Zitat

    Tina34 schrieb am 30.05.2006 18:21:


    Meine Klasse habe ich 23 Stunden. Die restlichen 6 Stunden sind Fachunterricht -


    ist jetzt OT, aber ich bin gerade etwas geschockt ob deiner 29 Stunden


    Wir haben hier in Hessen 27 bzw. ab 35 Jahren 28 Stunden und ich finde das echt schon völlig 'ausreichend'. Weniger weil der Unterricht so extrem anstrengend wäre, aber muss halt doch vorbereitet sein und mich fressen zur Zeit ein wenig die Verwaltungsdinge auf - da bin ich wirklich froh um jede Stunde zwischendurch, die ich mal kopierend/telefonierend/Listen führend im Lehrerzimmer verbringen kann; eine höhrer Wochenarbeitszeit müsste da nicht sein!


    Was die Konzentration auf die eigene Klasse angeht, muss ich Tina34 überwiegend recht geben: Ganz viel Energie fließt in die eigene klasse und die, die ich mit vielen stunden z.B. in einem Haupt- und einem Nebenfach unterrichte. Bei allen anderen hängt es immer sehr von den sonstigen Bedingungen ab - für meinen 10er Ethikkurs mache ich mir auch gern ganz viel Arbeit , andere Klassen (z.B. in einstündigen Fächern) laufen schon mal 'so nebenher'.

    Nehmen Sie die Menschen so wie sie sind.
    Es gibt keine anderen

    Einmal editiert, zuletzt von carla ()

  • Hallo,


    stimmt, 29 ist schon recht viel, zudem nichts parallel läuft. Andererseits hatte ich die 7. schon zweimal, so dass sich schon einiges Material angesammelt hat. Die eigentliche Stundenzahl ist 28, die 29. Stunde ist unbezahlte Mehrarbeit, die irgendwann zurückgegeben werden soll. Da glaube ich aber nicht so recht dran.


    Ich sehe es so, dass es erzieherisch nicht anders zu bewältigen ist, als dass sich jeder Klassenlehrer in der Hauptsache um seine eigene Klasse kümmert, da hat man dann genug zu tun. Ich mache das grundsätzlich nicht mehr, dass ich mich in anderen Klassen nervlich aufreibe sofern es nicht unbedingt notwendig ist. Letztes Jahr hatte ich eine Gruppe 5. - Klässler in Englisch. Da da die Grundlagen äußerst wichtig sind, setze ich mich natürlich in so einem Fall dann doch mehr ein, aber meist in Absprache mit dem Klassenlehrer.


    LG
    Tina

    Ein Hund denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, sie müssen Götter sein!" Eine Katze denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, ich muss ein Gott sein!"

  • Ich denke, es besteht kein prinzipieller Widerspruch zwischen einer freundlichen Grundhaltung und einem präzisen, konsequenten Verhalten gegenüber den Schülern, remus hat es ja schon angedeutet.
    Ich gehe eigentlich davon aus, dass in aller Regel Fehlverhalten von Schülern nicht gegen mich zielt. Deswegen kann ich jemanden freundlich aber bestimmt zurechtweisen und ihm ggf. ohne zu schreien, schmollen, ihn persönlich in Frage zu stellen eine Konsequenz/Strafe aussprechen. Ich frage mich immer wieder, warum das von einem Teil der Lehrer oft als diametral gesehen wird. Normalerweise schreit einen doch auch nicht der Polizist zusammen, wenn er einen Bußgeldbescheid ausstellt... Es kann eigentlich nur damit zu tun haben, dass diese Kollegen erst so spät Konsequenzen ziehen, dass sie selbst schon sehr genervt sind.


    Persönlich haben mir die Hinweise auf das unterschiedliche Verhalten als Klassen- und Fachlehrer gut getan. Ich nehme meinen Kollegen in meiner Klasse alles ab, was ich als Klassenlehrer zu tun habe. Das sind z.B. Entschuldigungen, Strafen bei Zuspätkommen (die eingetragenen Zeiten müssen bei mehr als 20min verdoppelt nachgeholt werden), Gesprächen bei Leistungsstörungen usw. Das sind eigentlich normale Tätigkeiten, die leider aber von zu vielen Kollegen nicht (richtig) erfüllt werden. Anfangs habe ich versucht, als Fachlehrer ein Teil dieses Geschäfts mitzumachen, wenn es der Klasssenlehrer versäumte. Ich musste zum einen schnell feststellen, dass bei 1-2 Stunden Unterricht kaum nachhaltige Verhaltensänderungen bei sonstigem Laissez-faire möglich sind und zum anderen man schnell an die persönliche Belastbarkeitsgrenze kommt.


    Um damit nochmal auf das Ausgangsthema zurückzukommen: In meiner eigenen Klasse hielte ich ein Verhalten, wie von sinfini geschildert, für völlig unakzeptabel. In anderen, schwierigen Klassen kann es durchaus mal vorkommen, dass eine gewisse Zeit vergeht, bis Unterricht möglich ist (das hat aber oft auch mit tausend Kleinigkeiten zu tun, die man am Stundenbeginn regeln muss). Auch dass ich nicht konstant Schülern mit zu langsamen Arbeitstempo auf die Finger klopfe, kommt in fremden Klassen vor.


    Vieles sollte man aber auch relativieren. Ich kann mich noch an den Beginn meines Praktikums erinnern. Ein Kollege, den ich aus meiner eigenen Schulzeit schätzte, hat einen nicht geringen Teil des Unterrichts mit dem Ermahnen von Unruhestiftern, Zuspätkommern usw. zu tun gehabt. Ich fand das damals drastisch, am Rande des pädagogischen Bankrotts.


    Heute sehe ich das anders. Nicht nur der Klassenlehrereinfluss, sondern auch prinzipielle Überlegungen stecken dahinter: Will ich denn, dass ich eine vollkommen ruhig gestellte Klasse habe? Ich persönlich nicht, denn die Unterdrückung von "Unterrichtsstörungen" bedeutet auch, dass ich über die Sorgen und die Nöten (seien es persönliche, didaktische [Unterricht nicht gut gegliedert] oder fachliche) nicht mehr informiert bin. Eine vollkommen zur Ruhe disziplinierte Klasse fände ich schrecklich. Hat man nun 31 Schüler vor sich, dann summiert sich natürlich ein mögliches Grundgeräusch.


    Die Grenzen aller Toleranz sind aber dadurch gesetzt, dass jeder Schüler eine vernünftige Arbeitsatmosphäre vorfinden und der Stoff weitestgehend bewältigt werden muss.


    Ich denke, es wäre spannend, wenn du uns deine Meinung nach ein paar Wochen und vielleicht eigenen Unterrichtsversuchen nochmal schildern würdest.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

  • Zitat

    sinfini schrieb am 29.05.2006 22:33:
    Ein kleines Beispiel: Heute hat es tatsächlich immerhin ganze 8 Minuten (ich habe auf die Uhr geschaut) gedauert, bis alle Schüler der Klasse auf ihrem Platz saßen. Und das ganze unter nettem Zureden wie "Sei doch so nett und setz Dich hin!"


    Ein zweites Beispiel: Ein Schüler hat es während der 30minütigen Bearbeitungszeit einer Aufgabe lediglich geschafft, den ersten Teilsatz der Frage von der Tafel abzuschreiben. Er war zu sehr damit beschäftigt über Autos zu fachsimpeln. Die LP hat das durchaus gemerkt, höflich um Bearbeitung der Frage geben. Das wars. Keine Konsequenzen für den Schüler.


    Ernsthaft? 8 Minuten??? Ich hab schon einige Stunden erlebt, wo die gesamten 60 Minuten keine Ruhe in die Klasse kam und nie alle mal auf ihrem Stuhl saßen und zuhörten. Von Arbeit wollen wir mal gar nicht reden...


    Ich hab auch schon einen Lehrer erlebt, dem seine Schüler mit nem Buch vor dem Gesicht rumgewedelt haben, während er geredet hat. Nix...aber auch gar nix hat er gesagt. In solchen Situationen denke ich mir auch "Nee...nun mach doch mal was!! Kann doch echt nicht sein." :rolleyes: Nun gut, seine Schüler, seine Klasse, sein Unterricht.
    Genauso weiss ich auch, dass ich zuviel habe durchgehen lassen und was ich beim nächsten Mal besser machen will. Hätte mir einer zugeschaut, hätte es gelegentlich wohl auch massive Kritik in diese Richtung gehagelt. Es ist recht einfach von außen zuzuschauen und den Unterricht anderer zu kritisieren, wenn man weder den Lehrer noch die Klasse gut kennt.


    Ich denke, man fängt immer erst mal an mit dieser Einstellung, von wegen, dies und das würde ich mir nicht gefallen lassen, das würde ich anders machen uswusf. Einiges macht man dann vielleicht auch anders, wenn man seine eigene Klasse hat und selbst unterrichtet. Anderes bleibt vielleicht einfach auf der Strecke. ?( Schau doch einfach mal noch etwas länger zu und sieh, wie es sich entwickelt.

  • Ich kann Eure Ansichten gut verstehen.


    Auch Dejanas "Kritik" an meiner Sichtweise ist mir durchaus einleuchtend....aber darum frage ich ja hier ob das "normal" ist.


    Was ich nicht verstehen kann ist, daß man in seiner eigenen Klasse nicht die gleichen Maßstäbe setzt wie in anderen Klassen. Gut, das man es vielleicht einfach nicht schafft sich mit jedem Schüler einzeln auseinander zu setzen, und einem da auch die Energie fehlt wenn man die Klasse nur einmal in der Woche sieht ist mir einsichtig. ABER...wenn ich vernünftigen Unterricht vorbereite, dann muß ich doch zumindest den VERSUCH starten, daß es eine sinnvolle Unterrichtsstunde gibt. Daß man das nicht immer schafft und daß man auch selber Fehler macht, ist mir klar. Jedoch denke ich, daß der Wunsch (bzw. die Pflicht) vernünftigen Unterricht zu gestalten doch für alle Klssen gelten sollte.



    Klar ist der Einsatz in der eigenen Klasse größer. Dort kennt man auch die Verhältnisse besser. Aber das heißt doch noch lange nicht, daß ich mir von anderen Klassen "auf der Nase rumtanzen" lassen muß.


    Wie gesagt habe ich allerdings mittlerweile bemerkt, daß das sehr lehrerabhängig ist. Völlig irrelevant ob Klassenlehrer oder nicht, die einen sind eher die "Netten" die alles durchgehen lassen, die anderen sind die "Coolen", die die Klasse eben mit Sprüchen und Durchsetzungskraft zum Lernen kriegen, und es gibt die, die ihr Ding durchziehen und "knallhart" sind.


    Das ist zumindest mein erster Eindruck, und wenn ich recht überlege erinnert mich das auch an meine Schulzeit. ;)


    Na, mal sehen wie das hier so weiter geht, und vielleicht binich auch einfach noch nicht genug im Schulgeschehen drin um alles überblicken zu können.


    LG
    Sinfini

    Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes. (A. Einstein)


    Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und niemand ging, um einmal nach zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge! (H. Pestalozzi)


    Im ganzen ist man kummervoll und weiß nicht, was man sagen soll. (W. Busch)

  • Hallo,


    noch ein Gedanke zur Situation an der HS: Wir sind eine Pflichtschule, d.h. wir bekommen die Schüler nicht "los". Wenn alle Maßnahmen ausgeschöpft sind - was willst du denn dann noch machen? Als Klassenleiter habe ich immer noch zwischenmenschliche Möglichkeiten, als Fachlehrer mit ein bis zwei Stunden lohnt der Einsatz nicht, da er wirkungslos im All verpufft. Mit der Energie kannst du in der eigenen Klasse weitaus mehr bewirken.


    Das soll jetzt kein Freispruch sein, die den Lehrer von vorne weg von seinem Erziehungs- und Bildungsauftrag loslöst. ;) Aber teilweise ist das rauhe Wirklichkeit.


    Der Schüler, der in einer Schulstunde nur einen halben Satz zusammenbekommt weiß jetzt, am Ende des Schuljahres vielleicht längst, dass seine Schulzeit nicht verlängert wurde oder er die Klasse wiederholen muss. Dann kann man theoretisch froh sein, wenn er den Rest der Klasse nicht behindert.


    Aber: Du wirst später Gelegenheit haben auszuprobieren, ob man in allen Klassen und Gruppen die gleichen Maßstäbe anlegen kann. :D


    LG
    Tina

    Ein Hund denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, sie müssen Götter sein!" Eine Katze denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, ich muss ein Gott sein!"

  • Ok, aber selbst in meiner eigenen Klasse habe ich zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Maßstäbe. Meine Schüler wissen genau, dass ich zu Beginn des Tages erst mal "Verwaltung" mache: Entschuldigungen, nachgemachte Hausaufgaben (und da alle Fächer auf einmal - wenn ich da 3 Mal am Tag anfange, fängt es das nerven an), unterschriebene Arbeiten einsammeln, etc. Während dieser Zeit wird miteinander "geratscht" - diejenigen, die grad was zeigen, wissen, dass es zackig gehen muss. Das Ratschen der anderen darf aber nur so sein, dass keiner behindert wird. Ich sage da auch schon an, womit wir anfangen und wenn ich allen Kram kontrolliert habe (was sich da immer ansammelt!), fangen wir an. Der Geräuschpegel ist da natürlich höher als bei einer Stillarbeitsphase.
    6. Stunde ist schwieriger als 2., in Kunst ists lauter als in Englisch - ganz normal!!!


    Neulich kam der Chef rein, als meine Kids gerade eine Arbeit geschrieben hatten - wir haben die "Abmachung", dass nach Arbeiten erst mal kurz Pause ist, in der ich mich auch nicht um den Lärm kümmere, das brauchen meine Kids da einfach. Vorm Chef hab ich mich da ganz schön geschämt, der meinte aber nur :"Ach, habt Ihr ne Arbeit geschrieben?" - Puh, Glück gehabt!


    8 min brauche ich in meiner Klasse nicht, bis wieder Ruhe ist, aber es kommt mir manchmal auch wie eine Ewigkeit vor. Streng oder gar laut muss ich dabei nicht werden - ein böser Blick genügt fast immer (ist das beim Polizisten nicht auch so?).


    LG!

    Vermeintliche Rechtschreibfehler sind ein Vorgriff auf kommende Rechtschreibreformen und deren Widerruf.

  • Zitat

    sinfini schrieb am 01.06.2006 16:36:
    Auch Dejanas "Kritik" an meiner Sichtweise ist mir durchaus einleuchtend....aber darum frage ich ja hier ob das "normal" ist.


    Es sollte ja gar keine "Kritik" sein, sondern eher ein Erklärungsversuch. :) Da ich selbst noch Studentin bin, mache ich das nämlich auch so. Als Zuschauer kann man auch eine Menge lernen. Was hilft ist, wenn man den Lehrer nach dem Unterricht mal darauf anspricht...und zwar ohne kritisch zu sein. Dann eröffnen sich gelegentlich Welten. Manchmal sind Lehrer mit anderen Klassen auch ganz anders. Deswegen bin ich mir nicht mal so sicher, ob man Lehrer wirklich so nach "knallhart", "nett" und "cool" einteilen kann. Bei manchen Klassen klappt netter und lockerer Unterricht, während die 11. Klasse, bei der ich in Englisch war, nur in absoluter Stille und nach einigem Nachsitzen, Anmotzen und Rausschmeissen und der Übernahme des Unterrichts durch den Konrektor zur Arbeit bereit war. Den hatte ich aber mit seiner eigenen Klasse beobachtet, da war er wesentlich "netter". :D

Werbung