ZitatGheistersäge schrieb am 15.10.2005 14:32:Wenn der Sohn deiner Freundin seit 4 Jahren dieses Verhalten zeigt, dann hätte er vielleicht mal in Therapie gehen sollen.
Im Kontext "Therapie" muss man vor allem bedenken, dass eine Psychotherapie überhaupt nur dann erfolgreich begonnen und durchgeführt werden kann, wenn der Leidensdruck des Patienten so stark geworden ist, dass er selbst eine Heilung als notwendig erkennt. Die Krise, die durch den Bruch mit der Realität und der Konflikt mit sozialen Anforderungen ist deshalb kein Unglück, sondern unbedingt notwendig - sie ist eben die Katastrophe, durch die Katharsis überhaupt erst möglich wird. So gesehen, ist grenzenlose Verständnis und grenzenlose Toleranz alles andere als hilfreich - so wird nur verzögert, dass sich ein Patient an die Profis wendet, die er braucht. Die Schule und die gesellschaftlich verbindlichen Regeln, die von ihr eingefordert werden, sind dabei notwendig, denn sie spiegeln die Normalität wieder, der sich der Patient schließlich früher oder später stellen muss. (Um Fragen vorwegzukommen - ich bin kein Therapeut, aber ich weiß aus eigener Erfahrung sehr genau, wovon ich rede, werde das hier aber nicht diskutieren.)
Und jetzt, wo ich dieses gesagt habe, noch ein weiteres: ich halte den reflexhaften Hang zur Pathologisierung von Kindern und Jugendlichen, wenn es mal zu Erziehungs- oder Lernproblemen kommt, für ausgesprochen fatal. Kinder und Jugendliche sind ebenso wie der Rest der Gesellschaft im Regelfall geistig und seelisch gesund. Psychische Erkrankungen sind als Quelle von Verhaltens- oder Lernauffälligkeiten erst einmal Ausnahme zu betrachten. Schulen sind keine Krankenhäuser und wir täten gut daran, erst einmal unsere Möglichkeiten als Erzieher und Didaktiker auszuschöpfen, bevor wir jemanden als krank deklarieren - was ist das denn eigentlich für ein Menschenbild, das hier propagiert wird?`
Nele