Heruntergeladene Lesetagebücher und ähnlich kreatives Schummeln

  • Ihr Lieben,


    meine Abendrealschüler bringen mich noch zur Verzweiflung... wir sprechen hier von jungen Erwachsenen von 18 Jahren und älter, die abends mehr oder minder motiviert (viele auch von Eltern wg Kindergeld geschickt) den Realschulabschluss nachholen wollen. Ich komme eigentlich gut mit dem Kurs klar, nur bei der Sache mit dem Arbeitspensum sind wir uns nicht so recht einig. Für viele ist Deutsch zweite Muttersprache, Schreiben und Lesen bei den meisten nidde so dolle. So viel zur Vorgeschichte.


    Nun wurde programmgemäß "Die Physiker" gelesen, wir waren auch im Theater, sie fanden das Stück auch halbwegs erträglich, Schwerpunkt war neben der Texterschließung die Charakterisierung der Hauptfiguren. Als begleitendes Projekt sollten sie ein "Lesetagebuch" anfertigen, was hauptsächlich aus Handlungsübersicht, Notizen zu den Charakteren und einigen kreativen Wahlaufgaben bestand. Form, Abgabetermin und Gewichtung (60% der Sominote für die Zeit) waren weit im Voraus angekündigt.


    Nun sitz ich hier... die Hälfte der Klasse hat gute bis sehr gute Sachen gemacht (parallel die, die auch gute Arbeiten schreiben - wie immer), ein Viertel hat nicht abgegeben, und das letzte Viertel... na ja....
    - eine Schülerin hat wortwörtlich das Tagebuch einer anderen abgeschrieben
    - zwei Schüler haben einen Text aus dem Internet ausgredruckt und ein bisschen umsortiert, sodass die Struktur passte, aber weiter nichts dran gemacht (als sie abgaben und ich ihnen sofort auf den Kopf zusagte, dass das nicht von ihnen sei, haben sie allerdings empört geleugnet)
    - ein Schüler gab ein Lesetagebuch ab, das offensichtlich nicht in seiner Handschrift war, und gab dann zu, dass er das Ganze mit seiner Mutter zusammen gemacht hätte (dem Inhalt nach hat sie deutlich mehr gemacht als er), zur Vermeidung von Rechtschreibfehlern hätte sie es dann geschrieben (wo ist hier der Smiley, der mit dem Kopf gegen die Wand schlägt und in die Tischkante beißt? Der Junge ist 19!!!). Ist ein bisschen ein Sonderfall, ich bin mir ziemlich sicher, dass der junge Mann sowohl ADS als auch Legasthenie hat (ist aber auch sonst keine Leuchte), leider gibt es für die Abendrealschule keinen Legasthenikerschutz.


    Was mach ich mit sowas? Wenn ich streng bewerte, muss ich einem Drittel der Klasse eine Sechs anschreiben, was bei einigen dazu führt, dass sie die Versetzung ins vierte Semester (Abschlusshalbjahr) nicht schaffen. Drück ich beide Augen zu, weil sie eigentlich schlau genug sind, aber keine Lust zur Arbeit, zum Schreiben, Lesen und Nachdenken haben, tu ich denen unrecht, die sich Mühe gegeben haben. Was mir nicht in den Kopf will, ist erstens, für wie blöd mich die Schüler eigentlich halten, zweitens, wie man als erwachsener Mensch drauf kommt, sich selbst mit so einer dummen Aktion so richtig reinzureiten. Kennt sich jemand mit sowas aus?


    Etwas verzweifelt,
    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • Hallo Wolkenstein,


    als diese Möglichkeiten noch neu waren - aus dem Internet etwas herunterladen und ausdrucken - hatten die Schüler das natürlich schneller drauf als die Lehrer. Es gab gute Noten. Gerne auch Kommentare des Lehrers wie "da könnt ihr anderen euch mal eine Scheibe von abschneiden". Mit der Zeit bekamen die Lehrer das auch raus und es wurde schwieriger. Aber auch heute noch merken die meisten Lehrer das nicht. Die Schüler können also mit gutem Grund davon ausgehen, damit durchzukommen.


    Wenn du ihnen klarmachst, dass du diese Links auch kennst, werden sie es hoffentlich lassen.


    Wir hatten sogar schon mit einem Lehrer zu tun, der meinte, so gehe das generell. Nur was im Internet nachzulesen ist, macht Sinn. Selber etwas ausdenken, ist Quatsch. Nur bitte dann mit eigenen Worten nacherzählen.


    Mein Sohn hat lange dagegen gekämpft, aber schließlich aufgegeben. Die letzte Lektüre hat er nicht mehr gelesen. Nur noch die gängigen Erläuterungen runtergeladen. In der Arbeit wiedergegeben und - Eins. "Siehst du, es geht doch." stand drunter.


    Also hab Mitleid mit deinen Schülern. Vielleicht haben sie es so gelernt. Sprich mit ihnen drüber. Die entsprechenden Regeln muss man ihnen vielleicht erst einmal nahebringen.


    Grüße Enja

  • Hallo Wolkenstein,


    blöde Sache. Habe ich damals mit einer 10. Klasse auch erlebt, da das Lesetagebuch "nur" als eine von den restlichen Klassenarbeiten gewertet wurde, habe ich streng bewertet.
    In deinem Fall würde ich auf die 2. Chance zurückgreifen (ein richtiger Umgang mit Medien muss auch erlernt werden!) und entweder eine Klausur stellen (nervig für dich...) oder ihnen im Unterricht die Zeit gewähren, Teile des Lesetagebuchs selbstständig zu überarbeiten, unter deiner Aufsicht natürlich.
    Wenn die Note so sehr abschlussrelevant ist, dürfte eigentlich keiner etwas dagegen haben. Ein Auge zuzudrücken halte ich für gefährlich, so etwas spricht sich schnell herum!


    Gruß,
    Heli

    • Offizieller Beitrag

    Hallo wolkenstein,


    ich kann dir wahrscheinlich nicht weiterhelfen, aber Enjas Ausführungen etwas bestätigen:
    Bei unserer letzten Computerfortbildung stellte uns der betreffende Kollege Präsentationen seiner Sechstklässler vor.
    Von 5 Präsentationen, die ich mir anschaute, waren 2 komplett aus dem Internet übernommen, bei einer waren Textteile von ein- und derselben Seite umgestellt, bei einer waren 95% aus dem Internet, der Rest selber geschrieben, eine hatte das Kind selber geschrieben. (Was eindeutig zu erkennen war an Formulierungen wie "Der Wienerwald ist eine Erholung für Österreich." (Die 2 komplett aus dem Internet übernommenen Werke waren übrigens von zwei Schülern mit Gymnasialempfehlung.)
    Der Kollege ließ nicht erkennen, dass er von dem Klau was mitbekommen hatte. Und er warnte auch niemanden, d.h. einige Kolleg/innen, die durch die FoBi angeregt wurden, werden da auch nicht drauf achten.
    Die Schüler machen das vermutlich zum 1. oder 2. oder vielleicht 3. Mal und nehmen die wichtige Lernerfahrung mit raus "Das kommt gut an, es merkt keiner."
    Wenn das in der weiterführenden Schule häufiger auftritt....
    Hast du deine Schüler denn vorher drauf hingewiesen, dass man aus dem Internet nur zitieren darf mit Quellenangabe?
    Ganz schönes Dilemma, in dem du da steckst.


    Gruß,
    Conni

    • Offizieller Beitrag

    Wir hatten so etwas ähnliches mal bei einem Zeitungsprojekt, bei dem die Schüler in Gruppen Zeitungsartikel schreiben sollten, die dann bei der Lokalzeitung veröffentlicht wurden. Obwohl den Schülern mehrmals gesagt wurde, dass man mit google ganz leicht kontrollieren kann, ob der Artikel aus dem Internet stammt und dass die Zeitung das ganz sicher prüfen würde, gaben zwei Schüler einen Artikel ab, der komplett aus dem Internet runtergelanden war und erzählten noch, wie viel Arbeit sie sich gemacht hätten und dass sie so lange daran gesessen hätten.
    Der Artikel wurde dann mit der Note 6 bewertet, sie bekamen aber die Chance, stattdessen einen neuen Artikel einzureichen, was sie aber nicht taten.
    Das wäre doch eine Möglichkeit, oder? Wenn sie dir in den nächsten 3 Wochen ein selbst geschriebenes Lesetagebuch abgeben, dann wird das bewertet. Damit haben sie eine zweite Chance, müssen sich aber die ganze Arbeit zu Hause machen. Tun sie das nicht, dann ist das eine nicht erbrachte Leistung und somit eine 6.


    Hausarbeiten und geklaute Referate aus dem Internet waren ja sogar in der Uni ein Thema. Ich weiß, dass so etwas an unserer Uni mal vorkam und die Leute ziemlichen Ärger bekamen.

  • An der Uni könnt's ihnen passieren, dass sie ohne Abschluss rausgeschmissen werden, die Plagiatsregeln werden immer strikter, wahrscheinlich genau aus diesem Grund. Wenn die Schüler gemeint hätten, dass das so ok gewesen wäre, hätten sie mir ja nicht versucht zu erzählen, sie hätten ihre Tagebücher selbst verfasst. Ich weiß schon, dass persönlich nehmen Quatsch ist und dass sie anscheinend viel zu oft mit sowas durchgekommen sind... tut halt nur einfach weh, soviel Dummheit und Verwirrung.


    Ich frage mich, seit ich vor einiger Zeit mal was Ähnliches in einer Arbeit eines Schülers erlebt hab, was die Schüler für eine Beziehung zu Sprache haben, dass sie den Unterschied zwischen ihrer eigenen Sprache und den Internet-Texten nicht wahrnehmen. Oder glauben, dass er nicht auffiele. Wir haben vorher lange über den Sinn des Lesetagebuchs gesprochen - war wohl noch zu viel von mir diktiert, sonst wären sie nicht zu dem Schluss gekommen, dass es das Ziel ist, ein möglichst "tolles" Tagebuch abzugeben, anstatt ihre eigenen Gedanken zu zeigen. Ein Teil ist Faulheit, der andere Teil ist vollkommen fehlendes Vertrauen in die eigene Denk- und Sprachfähigkeit, und das ist es, was mich so aufregt. Wie war das? Rechtschreibung und Formulierungsfähigkeit wird immer schlechter? Hm, braucht man ja auch nicht mehr, kann man ja alles runterladen. Wenn da die Schule nicht entschieden einen Riegel vorschiebt, gute Nacht, Marie.


    Immer noch daneben,
    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • Hallo,


    es ist leider nicht so, dass Schüler nichts tun, von dem sie wissen, dass es verboten ist. Das wäre sowohl übermenschlich als auch vermutlich auf lange Sicht sehr unpraktisch.


    Sie tun halt alles, von dem sie meinen, dass es nützt und dass man dabei nicht erwischt wird.


    Grüße Enja

  • Ja, das kenne ich. Leider haben zwei von 20 Berufskollegiaten in ihrer Projektarbeit per copy und paste Texte direkt übernommen. Beide bekamen eine sechs. Das ist aber Teil der Abschlussprüfung und somit laut Schulversuchsverordnung mit einer 6 zu bewerten.


    Für die Zukunft: Erklärung unterschreiben lassen, dass die Arbeit selbst angefertigt wurde und fremde Quellen gekennzeichnet werden müssen. Zuwiderhandlungen sind dann ohne Diskussion eine sechs.


    Ansonsten: Schüler mündlich abfragen, um zu erkennen, inwieweit sie sich mit der Sache auseinandergesetzt haben und dann eine Note bilden.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

  • hallöchen!
    plagiatsfälle hatte ich auch schon - sehr ärgerlich, wenn man vorher auch deutlich darauf hinweist, dass so etwas geahndet wird. ich habe versucht das wie folgt zu lösen: erster nachweislicher schummelversuch wurde von mir mit 6 bewertet. ich habe ihnen dann eine zweite chance gegeben - und diese arbeit dann nochmals bewertet. aus beiden noten habe ich dann die eigentliche note errechnet. gewichtung 50-50.



    gruß, schrumpeldei

  • Plagiatsfälle kommen bei uns (Berufskolleg) leider auch sehr häufig vor. Ich bin da allerdings wenig kompromissbereit, geklaute Sachen kann ich nicht bewerten, weil es die Arbeit von jemand anderem ist. Also gibt es bei mir eine 6 dafür. Zu Beginn eines neuen Kurses (oder bei Zweifeln oder nur Teile kopiert) gebe ich auch die Möglichkeit einer zweiten Abgabe mit eigenem Text, um zumindest die 6 auszugleichen. In der Gymnasialen Oberstufe hatte ich daraufhin auch mal ein recht schönes Referat über Plagiat, die Geschichte des Plagiats und die Folgen.


    Bei mir handelt es sich aber auch um "Erwachsene". Ich achte auch darauf, die Gründe für meine Missbilligung und die daraus folgende Note transparent zu machen und übe mit den Schülern Recherche und korrektes Zitieren.


    Grüße


    Birgit

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

  • Hallo Referendarin,


    hmnja... also ich hab die Tagebücher mit 6 bewertet, eine lange, energische Predigt gehalten und dann als "Ausgleich" (der allerdings die 6 maximal durch eine 4 ersetzen kann) eine ausführliche Buchvorstellung plus Charakterisierung angeboten. Diese Präsentationen finden am 26. Juni statt, dann weiß ich mehr.


    Liebe Grüße,
    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • Referendarin: Wenn man einen gewissen Ruf "erarbeitet" hat, wird es wieder weniger... die ersten Plagiate waren so einfach zu finden.... unterschiedliche Formatierung wie der Resttext oder das 1. Ergebnis bei der Suche über google etc., das langweilt mich dann schon etwas...Schüler glauben gelegentlich, Lehrer, speziell Lehrerinnen, wären solcher Technik und deren Bedienung nicht mächtig... es spricht sich aber schnell herum, wenn es doch anders ist:-)


    Grüße


    Birgit

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

    • Offizieller Beitrag

    @ Birgit
    Ja, du hast ja Recht. Bei Referaten, die mir etwas seltsam scheinen, schaue ich auch gerne über google nach, ob sie auch wirklich von den Schülern sind. Aber ich glaube, wenn sie sich diese kostenpflichtig als pfd- oder word-Dokument heruntergeladen haben, dann finde ich sie nicht über google, oder?


    Schwieriger wird es aber auch, aus dem Internet ausgedruckte und im Unterricht vorgelesene Hausaufgaben nachzuvollziehen. Und das scheint bei meinen Schülern gar nicht so unüblich zu sein.

  • Referendarin:


    Bei den Hausaufgaben ist es doch noch einfacher, da reichen meist zwei bis drei gezielte Fragen...

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

  • Zu Deinen Ausführungen:

    "Was mach ich mit sowas? Wenn ich streng bewerte, muss ich einem Drittel der Klasse eine Sechs anschreiben, was bei einigen dazu führt, dass sie die Versetzung ins vierte Semester (Abschlusshalbjahr) nicht schaffen. Drück ich beide Augen zu, weil sie eigentlich schlau genug sind, aber keine Lust zur Arbeit, zum Schreiben, Lesen und Nachdenken haben, tu ich denen unrecht, die sich Mühe gegeben haben. Was mir nicht in den Kopf will, ist erstens, für wie blöd mich die Schüler eigentlich halten, zweitens, wie man als erwachsener Mensch drauf kommt, sich selbst mit so einer dummen Aktion so richtig reinzureiten. Kennt sich jemand mit sowas aus?"


    >>Es gibt Maßstäbe und Regeln, die bekannt waren. Wenn diese nicht erfüllt wurden: Note 6. Ich frage mich, warum dies problematisiert werden muss. An diesem ganzen Hin -und Her des Verständnis und des Entgegenkommens krankt dieses Schulsystem unter anderem auch. Die Schüler sind wie Du sagtest alt genug. Sie haben die Konsequenzen zu tragen. Mit einem pseudoverständnisvollen Kuschelstil wird man wohl keine Linie in den Laden bekommen bzw. auch nicht ins Schulsystem.

    Suum cuique!


    Um Vorwürfen vorzubeugen,
    gilt bei allen meinen Beiträgen mitzudenken:
    BSE:
    (BETROFFENHEIT SORGE ERSCHÜTTERUNG)

  • dazu
    "mnja... also ich hab die Tagebücher mit 6 bewertet, eine lange, energische Predigt gehalten und dann als "Ausgleich" (der allerdings die 6 maximal durch eine 4 ersetzen kann) eine ausführliche Buchvorstellung plus Charakterisierung angeboten. Diese Präsentationen finden am 26. Juni statt, dann weiß ich mehr. "


    >>Ich ertappe mich ja leider auch dabei so nachsichtig zu sein. Allerdings qwerde ich mir das abgewöhnen. Ich sehe nicht mehr ein so nachsichtig zu sein und dieses und das anzubieten. Die Bringschuld liegt nicht bei mir , sondern auf der anderen Seite.
    Wie sollen diese Schüler jemals Initiative entwickeln, wenn ihnen alles hinterhergetragen wird?

    Suum cuique!


    Um Vorwürfen vorzubeugen,
    gilt bei allen meinen Beiträgen mitzudenken:
    BSE:
    (BETROFFENHEIT SORGE ERSCHÜTTERUNG)

Werbung