Verklemmte Mädels

Santiaguino · 24. August 2004

Halli hallo,

vielleicht könnt ihr mir ja mal eure Meinung sagen: Das Thema ist recht heikel und kompliziert. Ich unterrichte in einer chilenischen 7.Klasse gerade Sexualkunde. Ich bin es gewohnt recht offen an das Thema ranzugehen und auf großes Interesse bei den Schülern zu stoßen. So war es auch im letzten Jahr. Dieses Jahr ist aber alles anders und ich treffe auf riesige kulturelle Abgründe...
Neben zähen Auseinandersetzungen mit den Eltern, läuft auch die Reihe selbst nicht grad toll. Das liegt m.E. v.a. daran, dass die Klasse absolut von 5 starken Mädchen beherrscht wird, welche auch im Macholand die verbleibenden 14 Jungs locker in die Tasche stecken. Die 5 Mädels konnten mich von anfang an nicht leiden, v.a. weil ich Mann und dann weil ich Deutscher bin und auf Deutsch unterrichte. Das sie Sexualkunde bei einem Mann nicht interessiert, haben Sie mir auch so auf den Kopf zugesagt. In der letzten Stunde habe ich dann die Benutzung eines Kondoms durchgenommen, welches großen Ekel bei Ihnen auslöste, die Jungs aber zum Spielen antrieb...
Naja, jetzt zum Kern: sie sollten die Anleitung auswendig lernen, damit sie sich damit wirklich nochmal intensiv auseinandersetzen und im Ernstfall möglichst keinen Fehler machen. Neben Schwangerschaft geht es ja hier v.a. auch um AIDS...
Heute habe ich dann einen Zettel gefunden:"Wir (die Mädchen) werden die Sache mit dem Kondom nicht lernen, weil wir glauben, das uns das im Leben nichts nützen wird..."

Ich bin jetzt etwas ratlos, wie ich hier reagieren soll...
Habt ihr kluge Ratschläge oder Erfahrungen???

**Conni** · 24. August 2004

Hmmmm,
also ich habe im Rahmen des Sexualkundeunterichts von Projekten gehört / gelesen, bei denen Unabhängige in die Schule kommen: Mitarbeiter von Vereinen, meist selbst noch jung, manche setzen das Höchstalter auf 25, eine Frau, ein Mann. Klasse wird geteilt, Lehrer(in) bleibt draußen. Hab auch mit Lehrerinnen gesprochen, die sich solche Leute eingeladen haben in die Klassen und damit gute Erfahrungen gemacht haben.
Ich fürchte, es wird dir nicht weiterhelfen, weil es sowas in Chile nicht gibt? Auch keine AIDS-Beratungsstellen, die du mit der Klasse aufsuchen könntest? Eine Kollegin, mit der du Unterricht/Schüler so tauschst, dass die Mädchen zu ner Frau könnten für den Sexualkundeunterricht?

Mal ganz ehrlich: Wir haben das damals nicht geschafft in Bio, weil unser Lehrer nie mit dem Stoffplan klarkam. Er hat es dann in Kurzfassung als Nachmittagsveranstaltung angeboten. (Nebenbei hat er vorher 2 Jahre anzügliche Bemerkungen gemacht.) Es waren wohl nur wenige Schüler/innen da, meine Freundinnen und ich fanden es doof bei nem Mann und haben lieber im Biobuch gelesen.

Wie sieht es denn sonst mit deinem Verhältnis zur Klasse aus? Lässt sich da was verbessern, wenn du schreibst, die können dich nicht leiden?

Gruß,
Conni

silja · 24. August 2004

Hallo,

kann mich Conni nur anschließen, da auch ich gute Erfahrungen mit Experten gemacht habe, die in die Schule kommen. Ich war mit meinen auch mal bei einer Frauenärztin, sie war super. Zunächst waren alle Schüler beteiligt und am Ende konnten die Jungs eher gehen und die Mädchen noch mehr Infos erhalten oder Fragen stellen.

Das mit dem Ekelfaktor (Mädchen) und dem Spieltrieb (Jungen) habe ich auch so erlebt, finde es aber nicht wirklich dramatisch (solange es nicht ausartet). Bei der Ärztin war es übrigens nicht so! Da haben alle fasziniert zugehört und Fragen gestellt!

LG

Santiaguino · 25. August 2004

Hallo und vielen dank schonmal für eure Antworten!!!

Experten, Beratungsstellen usw. sind hier in der Tat schwer zu kriegen, Bücher gibts auch nicht bzw. sie sind aus den 70ern...

Naja, morgen kommt ne Gynäkologin und spricht mal alleine mit den Mädchen...

Mein Verhältnis zur Klasse ist ansonsten ok, nur zu den Mädels halt eben verkrampft...

Ich denke aber, das ich den Test über diese Anleitung wie geplant schreiben werde, schließlich können sie doch nicht einfach bestimmen, was sie lernen werden und was nicht, und schon gar nicht so...

Schnuppe · 25. August 2004

ein freund von mir hat genau gegenteilige erfahrungen gemacht, die mädels waren interressiert und motiviert, die jungs haben sich geweigert, speziell als es um den gebrauch von kondomen ging...er hat dann die klasse in jungs und mädels geteilt und eine kollegin gebeten, die mädels zu unterrichten und er hat sich mit den jungs zusammen gesetzt, dann klappte es...

eulenspiegel · 25. August 2004

Vorsicht!! Ich finde es heikel, das Thema Sexualkunde in einen Test (mit Noten?) zu verpacken. Denn hier geht es um persönliche Dinge. Bei uns in Ba-Wü ist es (zumindest in der Grundschule) nicht erlaubt und ich finde das auch nur richtig. Dieses Gebiet ist für die Kinder/Jugendlichen peinlich, unangenehm und gleichzeitig aber aufregend und neu. Ich glaube, die Mädels sind im Grunde genommen total verunsichert, dass das Thema Sexualität jetzt in die Schule kommt und dann auch noch in Form eines männnlichen deutschen Lehrers. Kannst du sie nicht wenigstens ein bisschen verstehen?
Klar, ihre Aktion mit der Verweigerung ist nicht gerade die feine englische Art, aber ehrlich: Was willst du mit dem Auswendiglernen denn bezwecken? Wird dadurch der Umgang mit der Sexualität wirklich entkrampft? Vielmehr verschult und damit uninteressant, oder? Und genau das möchtest du ja nicht erreichen, denn die Sache ist superernst und für das Leben der Schüler superwichtig.

Gruß Annette

philosophus · 25. August 2004

Zitat

Nun schwangere 13jährige hat es nicht erst ein Mal auf der Welt gegeben.

In der Tat; die Zahl der schwangeren Teenager steigt sogar derzeit an (siehe hier). Irgendwo, finde die Quelle leider nicht mehr, habe ich sogar gelesen, daß es mittlerweile eine Statistik für Schwangerschaften von Unter10jährigen gibt. (Damit etwas überhaupt statistisch erfaßt wird, muß es ziemlich häufig vorkommen... )

Auf der anderen Seite: Ist Schule heute der einzige Ort, an dem man das lernen kann? (philo, z. B., hat damals die schulische Aufklärung über Sexualität - v.a. Kondombenutzung - verpaßt und es doch irgendwie gelernt .) Vielleicht sollte das Informationsangebot vom Unterricht abgekoppelt werden? Z. B. durch Hinweise auf gute Webseiten wie die von mir in diesem Beitrag verlinkte. Dann wäre etwas die Spannung raus. Vielleicht bringt aber auch der Besuch der Gynäkologin etwas.

Ich bin aber doch eher im Zweifel darüber, ob man Schwangerschaften durch Biotests verhindern kann, in denen Bedienungsanleitungen für Kondome abgefragt werden. Skifahren lernt man ja auch nicht durch das Lesen von Skifahrhandbüchern.

Sabi · 25. August 2004

Zitat

... Heute habe ich dann einen Zettel gefunden:"Wir (die Mädchen) werden die Sache mit dem Kondom nicht lernen, weil wir glauben, das uns das im Leben nichts nützen wird..."

ich glaube irgendwie nicht, dass die mädels verklemmt sind, bzw ich denke sie tun sich nur mit der situation schwer.
ich habe den eindruck, dass da andere dinge mit reinspielen, wie von den anderen schon erwähnt. überleg mal, du bist ein junger mann (dass du zudem deutsch bist hat evtl auch noch was damit zu tun) - welche siebtklässlerin möchte solch intime details mit einem jungen mann besprechen? vielleicht wollen sie nur nicht doof dastehen, oder wollen nicht, dass du denkst sie würden sich mit sex nicht auskennen? du sagst die fünf stecken selbst chilenische jungs in die tasche, wie peinlich wäre es denn dann vor dem netten, jungen lehrer so dumm dazustehen?

nur eine theorie, aber ich war selbst mal siebtklässlerin

allerdings finde ich, dass gerade der umgang mit kondomen auch von den mädchen beherrscht werden muss! grade wegen aids und schwangerschaften! nützen wird es ihnen sicher, ich frage mich wie sie darauf kommen, dass es nicht so sei nur ob man das mit einem benoteten test lernt ist die frage.

ich drück die daumen, dass der besuch bei der gynäkologin was bringt!

grüße, sabi

Santiaguino · 25. August 2004

Hi, ein kurzer Lagebericht und Aufklärung

eulenspiegel:
Das Thema war auch in der Grundschule schonmal dran, ist also nicht neu und was die Tests angeht, halte ich es mit Heike: solange ich keinen Aufsatz über "Mein erstes Mal" schreiben lasse, sondern mich auf biologisches Faktenwissen reduziere, sehe ich hier keine Probleme...

Heike:

Zitat

sprich auch noch einmal mit ihnen darüber, wer aus welchen guten Gründen die Themen für den Unterricht festlegt - und lass, wenn Einsicht hier nicht zu erreichen ist, eben die Noten deutlich sprechen.

DAS ist so das Kernproblem: da Eltern und Schüler eh schon genug Einfluß üben, und die Mädels eben den Rest unterbuttern und teilweise gegen die Lehrer arbeiten, finde ich, ist das Maß jetzt halt voll. Zumal sie mit mir sprechen könnten, oder per Zettel ihre Bedenken äußern, aber einfach so bestimmen: "Wir lernen das nicht und Basta" finde ich absolut unakzeptabel und muss auch klargestellt werden...

@Sabi24:
Klar spielen hier noch andere Faktoren rein, aber verklemmt und zickig sind sie eben trotzdem...

Naja,
die Gynäkologin hat jedenfalls schonmal ne Menge bewegt, Fragen und Unsicherheiten aufgreifen können, meine Motivation klarmachen können und wird sich außerhalb des Unterrichts nochmal mit Ihnen treffen...

Und nachmal zum Test:
eigentlich wars nur ne Hausaufgabe, die Überlegung zum Test kam durch den Zettel, um die Mädels da mal auflaufen zu lassen. Ich habe in der Klasse den Eindruck, dass die Jungs sich da mal dringend ein wenig emanzipieren müssen...

wolkenstein · 1. September 2004

Ewig bleibender Eindruck meiner eigenen Schulzeit: Wir haben uns ein-zwei AIDS-Aufklärungsplakate angesehen, die wir alle doof fanden, und hatten dann 1 Woche Zeit, selbst eine Aufklärungskampagne (Plakat+Infotext) zu entwerfen. Das Ganze war ein Heidenspaß und alle waren ziemlich eifrig dabei. Ist vielleicht jetzt zu spät, aber wär des nix...?

w.

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