Zu schüchtern fürs Lehrerdasein?

  • Hallo zusammen,


    ich bin schon das ganze Wochenende am Grübeln. Vielleicht unbegründet, vielleicht doch aus gutem Grund - ich weiß es nicht.


    Ich studiere im 5.Semester Grundschullehramt (Englisch/Deutsch) und befinde mich gerade in einem 6-wöchigen Praktikum an einer kleinen Schule. Am Montag geht Woche 5 los. Ich habe bisher kleine Sequenzen übernommen, neulich mein erstes Material mitgebracht - lief so semi. Meine Mentorin hat von Anfang an eher kritisiert statt gelobt. Versteht mich nicht falsch: Kritik ist wichtig. Aber jetzt macht mir das ganze ein wenig Bammel.


    Zu mir: ich bin immer schon ein eher schüchterner Mensch. Ich beobachte lieber und brauche etwas Zeit, um aufzutauen. Ich bin liebend gerne in der Gesellschaft von Kindern, es hat mir immer schon Spaß gemacht jemandem etwas beizubringen oder Sachen zu korrigieren. Dazu kam dann das relativ gute Gehalt, gute Aussichten für den Ruhestand und da dachte ich: studier ich doch einfach Lehramt.


    Jetzt im Praktikum sammle ich so meine ersten Erfahrungen. In Woche 1 meinte meine Mentorin zu mir, dass meine Körpersprache nicht gut wäre. Okay, ich hatte oft die Arme verschränkt. Hab ich mir zu Herzen genommen und geändert. Woche 2: meine Mimik sei zu neutral. Sie wüsste nicht, ob ich Spaß hätte oder genervt wäre. Auch ok, versuche ich halt mehr zu lächeln. In Woche 3 war alles relativ schick, ich hab ein paar Aufträge für Woche 4 bekommen. Und gestern hieß es dann plötzlich, ob ich nicht über eine Berufsberatung nachdenken wolle. Mein Einstieg war nicht gut, die Schüler haben mich nicht gehört als ich sie in den Sitzkreis gerufen hab. Gerade für das Ref sieht sie bei mir erhebliche Schwierigkeiten und man müsse den Beruf mit Leib und Seele wollen und leben. Unterrichten könnte man lernen, aber die Kinder abzuholen und bei sich zu behalten eher weniger. Es ging um schwierige Eltern, schwierige Kinder. Darum, dass sogar sehr erfahrene Lehrkräfte total an ihre Grenzen kommen. Meine Mimik ist wohl immer noch nicht einschätzbar.


    Ich bin halt ein schüchterner Mensch. Wenn ich nur unter Kindern bin ist das kein Problem, sobald ein Erwachsener aber da sitzt und mich beobachtet und bewertet schaltet sich bei mir irgendwie der Kopf aus. Generell wurde ich schon oft gefragt, wieso ich denn Lehrerin werden will. Ich war immer eine stille Schülerin, krieg immer noch Herzrasen vor Präsentationen in der Uni. Ich muss dazu sagen, dass es mir Spaß gemacht hat, meine Sequenz zu unterrichten, solange alles lief. Ich hab meine Mentorin hinten drin vergessen. Aber ich weiß nicht ob ich es schaffe, 24 Kinder selbstischer im Griff zu behalten und deren Eltern auch noch gerecht zu werden. Gefühlt nehmen die sich Sachen raus, das kann man sich nicht vorstellen. Aber wem sage ich das :angst:


    Ich hab auch eine Vorgeschichte mit sozialer Phobie als ich so um die 16 war, die konnte ich aber zum Glück mit Medikamenten und Therapie ablegen und bin schon lange raus aus dem Thema. Trotzdem ist meine Persönlichkeit halt einfach so wie sie ist. Sätze wie „Lach doch mal!“ und „Komm mal mehr aus dir raus!“ hab ich gefühlt schon 3000 mal in meinem Leben gehört.

    Keine Ahnung ob ich so ein Praxissemester und noch schlimmer das Ref schaffen kann. Eigentlich wollte ich mich nicht mein Leben lang von meiner Schüchternheit von Sachen abhalten lassen, aber was wenn es nun mal nicht anders geht?


    Das Gespräch am Freitag hat mich meine ganze Motivation gekostet und am liebsten würde ich mich vergraben und am Montag nicht in die Schule fahren. Nach dem Gespräch saß ich noch zur Hospitation in der Klasse und musste mir die Tränen verkneifen. Auf dem Klo hab ich dann doch geheult. Ich hab sogar schon nach alternativen Berufen geschaut, falls ich doch nicht das Zeug zur Lehrerin habe.


    Vielleicht ist hier ja irgendjemand, dem es ähnlich ergangen ist oder der vielleicht einen Referendar/eine Referendarin begleitet, die ähnlich ist wie ich? Können solche Leute es schaffen? Oder soll ich es doch lieber bleiben lassen? Zumal mich die anderen Herausforderungen des Berufs genauso belasten: Elterngespräche, stundenlanges Vorbereiten, verhaltensauffällige Schüler. Irgendwie hab ich mir den Beruf idyllischer vorgestellt, so wie zu meiner Schulzeit in 2008 eben. War vielleicht naiv. Ich weiß es nicht.


    Ich bin für jede Antwort dankbar, auch wenn ich sie vielleicht tief in mir drin nicht hören will.

  • Was sagen die Menschen in deinem Umfeld, die dich gut kennen zu deiner Berufswahl? Kannst du dir vorstellen intensiv an dem Teil zu arbeiten Emotionen klarer zu zeigen? Ob du privat schüchtern bist oder nicht ist nämlich letztendlich nicht relevant, solange es dir gelingt beruflich in eine professionelle Rolle zu schlüpfen, zu der klare mimische Arbeit gehört, stimmliche Arbeit, die Fähigkeit Emotionen ggf. überdeutlich darzustellen, damit sie auch nonverbal eindeutig und verständlich sind, zu der aber natürlich auch schwierige Gespräche mit SuS, Eltern, KuK gehören, denen gegenüber du in deiner professionellen Rolle souverän agieren können musst.


    Ich habe auch mit sozialen Phobien lange gekämpft und noch immer manchmal ein Thema, was man mir allerdings nicht anmerkt oder angemerkt hat, da ich immer schon sehr eloquent war und sehr aktiv, so dass ich deutlich extrovertierter wirke als ich tatsächlich bin. Ich habe gelernt, das für mich zu nutzen im Rahmen der beruflich erforderlichen Extroversion, die mir auch noch im Ref oft schwer gefallen ist (nicht zuletzt, weil die Beobachtung durch andere Erwachsene schwer aushaltbar war für mich), inzwischen aber etwas ist, was ich sehr genieße, weil es schön ist aus mir selbst ausbrechen zu können/ dürfen/ müssen. Privat bin ich auch weiterhin eher introvertiert bis manchmal regelrecht misanthrop. Beruflich habe ich inzwischen kein Problem mehr damit, mich bei Bedarf zum Affen zu machen, vor allem, da ich merke, dass mein Unterricht lebendiger, schülerbezogener, mitreißender geworden ist, seitdem ich mich mehr öffne, Emotionen bei Bedarf überdeutlich zeige mimisch und gestisch unterstreiche.


    Im Ref wurde mir geraten, das ein wenig wie Theaterspiel zu betrachten, wenn ich vor einer Klasse stehe. Im Theater muss auch überdeutlich mimisch, stimmlich, gestisch gearbeitet werden, damit Zuschauer: innen die gewünschte Intention korrekt erfassen. Genau dasselbe gilt für uns als Lehrkräfte. Mir hat das sehr geholfen. Vielleicht wäre das auch für dich ein Ansatzpunkt, ebenso wie der Umstand, dass nicht dein schüchternes privates Du vor der Klasse steht, sondern die angehende Lehrerin, sprich eine völlig neue Rolle mit professionellen Eigenschaften, die du noch lernen kannst, wenn du das willst.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Wenn dir die Arbeit mit den Kindern Spaß macht, ist das doch schon einmal ein wichtiger positiver Ansatz, mit dem du arbeiten kannst. Viel kritischer wäre es doch, wenn dir das missfallen würde. Deine Ausführungen klingen für mich auch so, als wenn es menschlich zwischen dir und deiner Ausbildungsleiterin nicht passt. Ihre Bemerkung, der Job wäre nichts für dich, finde ich höchst unprofessionell. Das kann man nach so kurzer Zeit im Rahmen eines Praktikums überhaupt nicht von außen beurteilen. Hat sie dir denn ganz konkret Tipps gegeben, was du verbessern kannst und wie? (für mich klingt das eher nicht danach) Gab es auch mal positives Feedback? Hat du die Möglichkeit, bei einer anderen Lehrerin mitzugehen?


    Vieles im Lehrerjob ist Handwerk, das man im Referendariat lernt. Vieles lernt man auch durch Erfahrung. Daher würde ich jetzt nicht direkt, zu einem Zeitpunkt, wo du noch nicht einen Tag im Referendariat warst, die Flinte ins Korn werfen. Zu dem Punkt mit deiner Schüchternheit, Unsicherheit: Hast du die Möglichkeit, zur psychologischen Studienberatung zu gehen und dir dort Unterstützen zu holen? Es werden zudem immer mal wieder Angebote an den Unis von den Unis geschaltet oder mit viel Glück sogar Seminare, wo es um selbstsicheres Auftreten, Stimmbildung etc. geht. Schüchternheit per se ist jetzt kein Ausschlusskriterium, um Lehrerin zu werden. Unter den SuS und auch im Kollegium gibt es schüchterne, zurückhaltende Kandidaten. Wir sind eben alle unterschiedlich. Dein Ziel, wenn der Lehrerberuf weiter dein Ziel ist, ist es, zu einem professionellen, sicheren Handeln zu gelangen, ohne dich zu verbiegen bzw. deine Persönlichkeit zu verstecken und Theater zu spielen. ( Das willst du ja bestimmt auch nicht deinen SuS später vermitteln) Unsicherheit merken die SuS ganz schnell, mangelnde Authentizität aber auch, die eben nichts mit der gewünschten Rollenklarheit zu tun hat.

    Viel Erfolg auf deinem Weg!

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