Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte – Erfahrungen und rechtliche Schritte?

  • Hallo zusammen,

    ich stehe vor einem Problem und würde gerne eure Erfahrungen dazu hören.

    Im kommenden Jahr soll ich eine Klassenfahrt begleiten. Dabei ist mir aufgefallen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden gemäß § 5 Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden kann und die wöchentliche Arbeitszeit überschritten wird. Da Lehrkräfte nach Dienstschluss nicht den Aufenthaltsort der Klasse verlassen dürfen, entstehen auch faktisch Bereitschaftszeiten.

    Ich habe versucht, das Thema über den Dienstweg und mit zuständigen Stellen zu klären, aber bekomme entweder ausweichende Antworten oder gar keine Rückmeldung. Statt einer konkreten Antwort zur Ruhezeit gibt es lediglich Informationen zur Vergütung von Mehrarbeit bei Teilzeitbeschäftigung.

    Da sich hier aus meiner Sicht klare Verstöße gegen arbeitsrechtliche Vorschriften ergeben, überlege ich, den Sachverhalt vor das Arbeitsgericht zu bringen.

    Mich interessiert:

    • Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?
    • Wie geht ihr mit dieser Problematik um?
    • Gibt es in euren Schulen bereits Regelungen?

    Zudem frage ich mich, warum es trotz klarer Urteile des EuGH (2019) und des BAG (2022) bisher keine verbindliche Umsetzung der Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte gibt. Wird dieses Recht irgendwo in Deutschland bereits von einer Lehrkraft eingeklagt? Wie seht ihr das?

  • Es fehlen die Angaben zu Bundesland, Schulform und Klassenstufe, daher nur generell:


    Wenn du diesbezügliche Bedenken hast und die Fahrt selbst planst, dann plane entsprechend Personal und Ruhepausen ein. Wenn du nicht für die Planung verantwortlich bist, sind deine Möglichkeiten bundeslandabhängig.

  • Das Arbeitszeitgesetz gilt nicht für Beamte. Jedes Bundesland hat eigene Regelungen für Landesbeamte und Verordnungen für Lehrkräfte.

    Mein und dein Bundesland z.B. lässt obige Fragen (absichtlich) offen. Fahrten sind da auch nicht Mehrarbeit (außer für TZ-Kräfte), sondern Arbeitszeit.

  • Dabei ist mir aufgefallen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden gemäß § 5 Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden kann und die wöchentliche Arbeitszeit überschritten wird. Da Lehrkräfte nach Dienstschluss nicht den Aufenthaltsort der Klasse verlassen dürfen, entstehen auch faktisch Bereitschaftszeiten.

    Dann liegt ein klassischer Planungsfehler bei der Konzeption der Fahrt vor. Allen Unkenrufen zum Trotz lassen sich Fahrten durchaus so planen, dass Ruhezeiten und die wöchentliche Maximalarbeitszeit eingehalten werden können. Eine Maßnahme hierfür kann das Bündeln mehrerer Klassen und die damit verbundene Rotationsmöglichkeit von Einsatzzeiten mehrerer Lehrkräfte sein. Damit haben wir tatsächlich ganz gute Erfahrungen gemacht.


    Zudem frage ich mich, warum es trotz klarer Urteile des EuGH (2019) und des BAG (2022) bisher keine verbindliche Umsetzung der Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte gibt. Wird dieses Recht irgendwo in Deutschland bereits von einer Lehrkraft eingeklagt? Wie seht ihr das?

    Keiner Lehrkraft ist es verboten, bereits jetzt eine eigene Arbeitszeiterfassung durchzuführen und daraus Maßnahmen zur Steuerung der eigenen Arbeitszeit abzuleiten. Es fehlt bislang schlicht ein zentral organisiertes Verfahren, an das sich alle zu halten haben.

  • Vielen Dank für eure Antworten.

    Ich bin angestellt, daher gilt für mich das Arbeitszeitgesetz. Unabhängig vom Bundesland müsste die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von 11 Stunden ja auch bei Klassenfahrten gewährt werden.

    Wie kann diese Ruhezeit in der Praxis sichergestellt werden? Drei Lehrkräfte scheinen mir bei einer 24h-Betreuung nicht ausreichend. Müsste dann nicht eine größere Anzahl an Lehrkräften mitfahren? Und wenn Bereitschaftszeiten über Nacht anfallen, wären dann nicht auch Zuschläge fällig?


    Planungsfehler? Wie viele Lehrkräfte kann man denn für eine Klassenfahrt planen?

  • Dann liegt ein klassischer Planungsfehler bei der Konzeption der Fahrt vor. Allen Unkenrufen zum Trotz lassen sich Fahrten durchaus so planen, dass Ruhezeiten und die wöchentliche Maximalarbeitszeit eingehalten werden können. Eine Maßnahme hierfür kann das Bündeln mehrerer Klassen und die damit verbundene Rotationsmöglichkeit von Einsatzzeiten mehrerer Lehrkräfte sein. Damit haben wir tatsächlich ganz gute Erfahrungen gemacht.


    Keiner Lehrkraft ist es verboten, bereits jetzt eine eigene Arbeitszeiterfassung durchzuführen und daraus Maßnahmen zur Steuerung der eigenen Arbeitszeit abzuleiten. Es fehlt bislang schlicht ein zentral organisiertes Verfahren, an das sich alle zu halten haben.

    Das stimmt, aber individuelle Erfassung ersetzt keine rechtsverbindliche Umsetzung durch den Arbeitgeber. Ohne einheitliche Vorgaben bleibt die Arbeitszeiterfassung eine freiwillige Maßnahme ohne rechtliche Konsequenzen. Oder werden die errechneten Überstunden bei dir dann ausbezahlt?

  • Solche Dinge passieren. Erst recht, wenn man noch sehr jung ist. Und 19 Jahre ist sehr jung im System Schule. Sieh den Vorteil: Verschlafen wirst du so schnell nicht mehr, weil du dir bestimmt jetzt Mechanismen zurechtgelegt hast, die das Verschlafen verhindern (mehr Wecker, früher schlafen gehen usw.). Deine Eignung als Lehrer solltest du nicht in Frage stellen, in fünf Jahren wirst du darüber lachen. Und die Schulleiterin hat zwei Wochen später schon tausend andere Sachen im Kopf als den verschlafenen Praktikanten.

  • Im Prinzip hast Du mit allem was Du schreibst Recht. Und wenn man über den Tellerrand hinausschaut und sich mal anguckt wie das bei Sozialpädagogen (außerhalb des Schulbereiches) geregelt wird, da schlackern wir aber mit den Ohren. Die fahren mit einem ganz anderen Schlüssel, so dass in der Tat richtige Dienstpläne mit entsprechender Freizeit geschrieben werden können. In der Freizeit ist dann auch Freizeit, da können die ins Restaurant essen gehen oder schwimmen oder in die Disco. Sie müssen auch erst wieder zum nächsten Dienst gem. Dienstplan erreichbar sein.

    Genau genommen (meine persönliche Ansicht) verstößt das was wir im Schuluniversum da so treiben gegen alles was der Arbeits- und Gesundheitsschutz so vorgibt. Allerdings gelten diese Vorgaben erstmal nur für angestellte Kollegen. Aber ich fände es durchaus interessant, wenn das mal einer exemplarisch durchzieht. Nötigenfalls auch unter Einschaltung der Unfallkasse als eine der zuständigen Sonderordnungsbehörden.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Im Prinzip hast Du mit allem was Du schreibst Recht. Und wenn man über den Tellerrand hinausschaut und sich mal anguckt wie das bei Sozialpädagogen (außerhalb des Schulbereiches) geregelt wird, da schlackern wir aber mit den Ohren. Die fahren mit einem ganz anderen Schlüssel, so dass in der Tat richtige Dienstpläne mit entsprechender Freizeit geschrieben werden können. In der Freizeit ist dann auch Freizeit, da können die ins Restaurant essen gehen oder schwimmen oder in die Disco. Sie müssen auch erst wieder zum nächsten Dienst gem. Dienstplan erreichbar sein.

    Genau genommen (meine persönliche Ansicht) verstößt das was wir im Schuluniversum da so treiben gegen alles was der Arbeits- und Gesundheitsschutz so vorgibt. Allerdings gelten diese Vorgaben erstmal nur für angestellte Kollegen. Aber ich fände es durchaus interessant, wenn das mal einer exemplarisch durchzieht. Nötigenfalls auch unter Einschaltung der Unfallkasse als eine der zuständigen Sonderordnungsbehörden.

    Ich sehe noch viele falsche Vorgehensweisen des Arbeitgebers, die rechtlich nicht haltbar sind. Doch was mich am meisten schockiert, ist die fehlende Gegenwehr – alle nehmen es einfach hin. Dabei ist die Gewerkschaft genau dafür da, solche Praktiken zu verhindern.

    Zudem stelle ich immer wieder fest, dass Angestellte in den Tarifverhandlungen benachteiligt werden. Dass ihr Nettogehalt niedriger ausfällt, weil Sozialbeiträge wegfallen, ist nachvollziehbar. Aber die Anpassung der Arbeitszeit der angestellten Lehrkräfte an die der verbeamteten Kollegen halte ich nicht rechtens – selbst wenn es im Tarifvertrag steht, wird dies anfechtbar sein. Hier werde ich richtig sauer auf die Gewerkschaften, die diese Benachteiligung einfach annehmen.

    Die fehlende Arbeitszeiterfassung wird ein Vorteil für diejenigen sein, die sich die Mühe machen, ihre Überstunden selbst zu dokumentieren und ihre Bezahlung einzufordern. Denn der Arbeitgeber kann ohne Erfassung nicht nachweisen, dass diese Stunden nicht tatsächlich angefallen sind. Viel zu viele sind blind gehorsam und setzen ihre Rechte nicht durch (remonstrieren nicht... soviel zu "Remonstrationspflicht"). Eine klare Orientierung darüber, wie viel Zeit bestimmte Tätigkeiten in Anspruch nehmen oder nehmen sollten, existiert letzendlich auch nicht.

  • Das stimmt, aber individuelle Erfassung ersetzt keine rechtsverbindliche Umsetzung durch den Arbeitgeber. Ohne einheitliche Vorgaben bleibt die Arbeitszeiterfassung eine freiwillige Maßnahme ohne rechtliche Konsequenzen. Oder werden die errechneten Überstunden bei dir dann ausbezahlt?

    Auch eine zentrale Regelung zur Arbeitszeiterfassung führt noch nicht automatisch zur Anerkennung von Mehrarbeit. Diese müsste gezielt als solche angeordnet werden. Oder glaubst du ernsthaft, die Angabe einer Lehrkraft, sie habe diese Woche 2 Stunden länger für die Unterrichtsvorbereitung benötigt, löst auszahlungspflichtige Mehrarbeit aus?


    Es wird eher so sein, dass der Dienstherr die Dienstanweisung ausgeben wird, keine Mehrarbeit zu leisten und die vorgesehenen Aufgaben im zur Verfügung stehenden Zeitrahmen zu erledigen (inklusive unterrichtsfreier Zeit abgesehen vom Jahresurlaub) und Überstunden gerade nicht dulden wird (abgesehen vlt. von wenigen Ausnahmefällen).

  • PS: Diese Weisung, die Arbeit innerhalb der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit zu schaffen, gibt es letztlich auch jetzt schon. Und auch jetzt ist es genau wie bei einem zentral vorgegebenem Verfahren zur Arbeitszeiterfassung bereits möglich, ebenjenes zur Steuerung der eigenen Arbeitszeit zu nutzen.

  • Vieles ist möglich bei der Planung der Klassenfahrt. Manche Jugendherbergen und Gruppenunterkünfte bieten einen nächtlichen Wachdienst an (Warnemünde, Stuttgart, Hamburg, ...?), da kann man als Lehrkraft deutlich entspannter schlafen. Um die "normalen" Vorfälle (wandernde SuS nachts um 3 Uhr) kümmern sich dann die "Profis".

  • Die Steuerung der eigenen Arbeitszeit ist sicherlich etwas, was man auch jetzt schon machen kann, auf eigene Faust sozusagen. Die verpflichtende Erfassung ist aber das Instrument mit dem der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nachkommen muss. Denn es gibt unter den Lemmingen genug, die schön brav ihre 50 Stunden die Woche im Durchschnitt machen und sich darüber nicht beschweren. Hier würden wir uns aber als Personalrat beschweren und erwarten, dass das ausgeglichen wird (durch Freistellung oder Bezahlung).

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Doch was mich am meisten schockiert, ist die fehlende Gegenwehr – alle nehmen es einfach hin. Dabei ist die Gewerkschaft genau dafür da, solche Praktiken zu verhindern.

    Das ist auch der Grund, warum ich in der GEW bzw. dem VLW/VLBS keine Vertretung von uns Lehrern sehe sondern Handlanger der Arbeitgeberseite. Auch wenn sie mangels Mitgliederanzahl keine Verhandlungsmacht haben, gehen sie ja nicht einmal medial gegen die Mißstände auf die Barrikaden. Stattdessen geht es ihnen nur um strahlende Kinderaugen, auch wenn man das komplette Kollegium dafür verheizt.

  • FrageNur

    Der TV-L ist in vielerlei Hinsicht ein Konstrukt, was man sicherlich besser hätte hinkriegen können. Über die Ausnahme 44 nach der die Arbeitszeitregeln des TV-L überall gelten nur bei Lehrern nicht, ärgere ich mich ebenfalls schwarz. Das hätte man dann wenigstens mit einer Zulage ausgleichen müssen. Das Problem ist nur, dass die Gruppe der tarifbeschäftigten Lehrer ca. 10% der Tarifbeschäftigten in NRW (als Beispiel) ausmacht. Dementsprechend groß ist das Stimmrecht in den Verhandlungen. Wir könnten (rein theoretisch) natürlich ausscheren und sagen, nein wir Lehrer wollen weiter verhandeln. Bei unserer Streikmacht würde das mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass der Arbeitgeber uns am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Insofern haben wir da eine ziemlich schwierige Ausgangsposition:

    Nur ein Teil der Lehrer ist überhaupt tarifbeschäftigt.

    Davon ist wiederum nur ein Teil organisiert und Streikbereit. Also eine vollkommen andere Ausgangssituation als wie bei der IGMetall oder der GdL.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Über die Ausnahme 44 nach der die Arbeitszeitregeln des TV-L überall gelten nur bei Lehrern nicht, ärgere ich mich ebenfalls schwarz. Das hätte man dann wenigstens mit einer Zulage ausgleichen müssen.

    Könnte man da nicht wenigstens bei wirklich allen Presseterminen mit Landespolitikern vor laufenden Kameras darauf hinweisen, dass die aktuelle Arbeitszeitregelung unzulässig ist (2003/88 EG), auf das es vielleicht mal von der Presse aufgegriffen wird?

  • Unzulässig ist die Tatsache, dass die tatsächlich geleistete AZ nicht erfasst wird. Die Arbeitszeitregelung selbst sagt in der Theorie aus, dass die Soll Arbeitszeit bei 41 h die Woche liegt.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

Werbung