Ehrenkodex für grosse Kinder

  • Meine Lieben


    Es gibt hier im Forum immer häufiger Anfragen und Fallbeispiele zu Gewalt und Vandalismus an diversen Schulformen. Wie allgemein bekannt ist, arbeite ich an einer vorstädtischen Mittelschule in der Schweiz, unsere Schüler*innen sind im Schnitt 15 - 19 Jahre alt, das Leistungsniveau entspricht der gymnasialen Oberstufe bzw. der Fachoberschule in Deutschland. Das Einzugsgebiet ist für die Schulform eher speziell, wir haben im Vergleich viele Jugendliche aus bildungsfernen und einkommensschwachen Elternhäusern, der Anteil mit Migrationshintergrund ist überdurchschnittlich (was nicht "schlecht" ist, nur für den Kontext). Ich hätte lange Zeit gesagt, unsere Klientel ist disziplinarisch absolut pflegeleicht, wenn vielleicht auch etwas "rumpelig". In letzter Zeit beobachten wir aber einen dramatischen Anstieg an Fällen von physischer und psychischer Gewalt unter den Jugendlichen sowie gegenüber Lehrpersonen und auch zunehmenden Vandalismus in Form von Müll auf den Boden schmeissen, Wände beschmieren, etc. Wir sind ein relativ junges Kollegium, keineswegs konservativ und dementsprechend auch nicht irgendwie "überempfindlich" gegenüber vielleicht nicht ganz angepasstem Verhalten. Dennoch ist es so, dass unterdessen alle latent überfordert sind, wie man mit den Auswüchsen noch umgehen sollte - schlichtweg, weil wir es aus der Vergangenheit nicht gewöhnt sind. Die Idee ist nun, gemeinsam eine Art Ehrenkodex zu entwerfen und zu überlegen, wie man den durch- bzw. umsetzen könnte. Meine Frage daher in die Runde: Wie läuft das bei euch so? Was habt ihr an Vereinbarungen, Regeln, etc.? Wie wird gewährleistet, dass sich alle dran halten? Was passiert, wenn nicht? Ich suche einfach nach Inspiration, ich bin mir ansonsten sicher, dass wir als Kollegium gemeinsam eine konstruktive Lösung finden werden. Danke euch für jeglichen Input. :rose:

  • Wir haben natürlich eine Hausordnung, die wir Vereinbarung nennen und die alle Schüler (und Erziehungsberechtigten) unterschreiben müssen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass diese als "Kodex" wahrgenommen wird. Allerdings haben wir jetzt auch nie ernsthafte Versuche unternommen, es so zu framen, um zu sehen, ob sich daraus ein größeres Gefühl der Selbstverpflichtung ergibt.

    Meine Erwartung wäre, dass es nicht so schrecklich viel bringt, da es dafür keine gesellschaftliche "Kultur" gibt, zumindest in Deutschland. Das Gegenteil habe ich während des Studiums in den USA erfahren, wo Studierende zu Studienbeginn tatsächlich einen Eid auf den "Honor Code" geleistet haben, dass sie nicht betrügen etc.

    Professoren haben zum Teil zu Beginn von Klausuren die Aufgaben ausgeteilt, einen Studierenden bestimmt, der die Klausurenbögen am Ende einsammelt und sind dann gegangen. Als in Deutschland sozialisierter Student habe ich genau einmal versuch, zum Nachbarn rüberzusehen, nur um völlig entsetzte Reaktionen zu bekommen. Das wäre meiner Meinung nach in Deutschland undenkbar.


    Bei uns hilft eher, die Ressourcen zu investieren, eine gewisse Identität mit der Schule aufzubauen, durch (freiwillige) Schulkleidung, Schüler bekommen bei der Einschulung Trinkflaschen mit dem Schullogo für die Wasserspender geschenkt, Schulsong und Aktionen, in denen die Schüler die Räumlichkeiten aktiv mitgestalten können etc. Das ist keine 100% Lösung, hat aber spürbare Auswirkungen.

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    Ich glaube, die Zeiten, in denen ein Ehrenkodex von den SchülerInnen als bindend erachtet wurde, sind weitgehend vorbei. Dafür gibt es zu viele schlechte Vorbilder und Personen, mit denen man sich identifiziert, die dem entgegenstehen. Die sozialen Netzwerke tragen ihr übriges dazu bei. Heute gilt das Motto "wenn jemand ein Problem mit meinem Verhalten hat, ist das sein/ihr Problem", oder "wenn alle anderen sich mal nicht so anstellen würden, wäre mein eigenes Verhalten doch gar nicht so schlimm." Das Problem hat/ist erst einmal der/die andere, nie man selbst. Diese Grundhaltung macht einen Ehrenkodex oder dessen Befolgen mehr oder weniger unmöglich.


    Mit einzelnen SchülerInnen ist das tatsächlich möglich, aber mit Lerngruppen insgesamt meiner Erfahrung nach nicht mehr. Für meine letzte 8. Klasse hätte ich gleichwohl die Hand ins Feuer gelegt, weil ich da sicher sein konnte, dass sie dies sogar nahezu vollständig eingehalten hätten. Bei vielen anderen Klassen hätte ich das hingegen nicht getan.


    Bestes Beispiel für die Schwierigkeit, sich an so etwas wie einen Ehrenkodex zu halten, ist unser Forum. Da stehen die Egos mancher UserInnen einem wie auch immer gearteten Ehrenkodex diametral entgegen. Wir könnten testweise einen solchen hier einführen und schauen, wie schnell er spätestens von NeuuserInnen gebrochen wird. Ein Teil dieses Kodex könnte sein, dass wir primär sachlich konstruktiv helfen, keine inkriminierenden Suggestivfragen stellen und dem Gegenüber erst einmal zuhören. (Da müssen wir bei vielen UserInnen bereits Abstriche machen.) Ein anderer Teil könnte sein, dass man sich nicht aus Scherz in einem Forum anmeldet. (Völlig illusorisch.) Oft ist es hier so, dass das Posten an sich als Freibrief erachtet wird, sich in jedweder möglichen und unmöglichen Art und Weise gegenüber dem/der TE zu verhalten.


    So dürfte das auch in Schule sein. Regeln stellen einen Eingriff in die angemaßte, einem scheinbar per Naturrecht zustehende Freiheit dar. Dies liefert gleichzeitig die Legitimation, diese Regeln zu brechen auf der Basis klassischer Täter-Opfer-Umkehr. Paradediskussion darüber findet man in den sozialen Netzwerken, wenn es um Blitzer oder Tempolimits geht.

  • ...Müll auf den Boden schmeissen, Wände beschmieren, etc.

    Gibts einen Ordnungsdienst an eurer Schule oder kann man die Schüler sonst in die Reinigung der Schule einbeziehen?

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Ich hab kürzlich in dem Klothread einen Beitrag verlinkt, indem SuS ihre Schultoiletten gestaltet haben mit Fliesenmosaiken und Grünpflanzen. Ich denke, wenn etwas selbstgemacht ist, wird mehr darauf geachtet, aber ob das eine realistische Lösung für viele Schulen sein kann?


    Bei meinem Kind an der Schule geht's auch übel zu diesbezüglich und das ist kein schlechtes Einzugsgebiet. Lösung der Schule: Klos sperren und Sportfeld nicht mehr zur Verfügung stellen in der Pause. Das ist sicher die Bequemste und m.E. denkbar schlechteste Variante. Dann lieber Müllsammeldienst mit dem Hausmeister am Nachmittag und jeder muss mal ran, wenn man die Assis nicht ermitteln kann.

  • Nein, warum denn? Ich weiß letztlich ja nicht mal, ob es nicht auch mal irgendwo Müll hinwirft oder an die Klowände gemalt hat. Ich hoffe es natürlich nicht, aber naja. Und selbst wenn es stets brav war, wenn sich alle an der Schulhausgestaltung beteiligen, passt das doch.

  • Gibts einen Ordnungsdienst an eurer Schule oder kann man die Schüler sonst in die Reinigung der Schule einbeziehen?

    Ja, ja, wir haben die Möglichkeit unsere Schüler*innen zu "büssen". Dann gehen sie eben Müll sammeln, Kopierpapier auffüllen, sowas. Das Problem ist in den letzten 1 - 2 Jahren, dass wir schon gar nicht mehr genügend sinnvolle Aufgaben haben für diejenigen, die gebüsst werden müssten. Unterdessen haben wir eine von einer Handvoll Lehrpersonen freiwillig organisierte "Arreststunde", in der alle gesammelt werden, die irgendwas ausgefressen haben. Da gilt dann Handy- und Laptopverbot, sie dürfen sich ausschliesslich analog beschäftigen. Wer nichts Analoges zum Arbeiten hat (Lektüre lesen oder so), malt stumpfsinnig Mandalas aus oder bohrt in der Nase.


    und DU würdest als Mutter nicht dagegen protestieren, wenn dein Kind am Nachmittag Müllsammeldienst hätte?

    Na, da machen sich bei uns schon sehr eindeutig kulturelle Unterschiede bemerkbar. Die Eltern vom Buuremaitli aus dem hintersten Fricktal werden sich niemals beschweren, wenn es Müll sammelt weil es unentschuldigt gefehlt hat. Die Fortsetzung kneife ich mir jetzt, sonst wird mir wieder Rassismus vorgeworfen, auch wenn es halt noch so wahr ist.


    Als in Deutschland sozialisierter Student habe ich genau einmal versuch, zum Nachbarn rüberzusehen, nur um völlig entsetzte Reaktionen zu bekommen. Das wäre meiner Meinung nach in Deutschland undenkbar.

    Ja, das ist hier halt schon auch was anderes, nur mache ich an der Uni die gleiche Beobachtung wie an der Schule: Es werden mehr, die sich nicht (mehr) zu benehmen wissen. Ich bin je nach belegter Veranstaltung mit zwei unterschiedlichen Jahrgängen unterwegs, bei den jüngeren gibt es schon deutlich mehr Ausfälle als bei denen, die jetzt im 5. Semester sind. Kann natürlich sein, dass es die Tröten dann auch einfach noch rausschmeisst. Grundsätzlich ist es aber hier auch so, dass die Prüfungsblätter ausgeteilt werden und keiner schreibt was anderes als Namen und Matrikelnummer aufs Deckblatt, bis Assistenz oder Prof gesagt hat, man dürfe jetzt beginnen. Es hat auch mit ca. 120 Studierenden im Hörsaal niemand mit der praktischen Prüfung im Programmieren begonnen, bevor nicht offiziell der Timer gestartet war. Man hört ja, wenn jemand auf der Tastatur tippt. Wir haben in der Informatik etwa 1/3 Studierender aus Deutschland, man merkt durchaus einen kulturellen Unterschied.


    Regeln stellen einen Eingriff in die angemaßte, einem scheinbar per Naturrecht zustehende Freiheit dar.

    Das bringt es auf den Punkt. Ich glaube, dass wir uns im Vergleich immer noch über Luxusprobleme beklagen, aber es hat eigentlich keiner von uns ein Einsehen dafür, dass die Dinge schlechter werden sollten. Ich habe irgendwie das Gefühl, wir waren zu lange zu nett und haben zu viel geschwätzt. In einer meiner Abschlussklassen fehlt regelmässig bis zu 1/3 bei Prüfungen - ohne einen Funken von schlechtem Gewissen. Ach, mir steht der Pfurz im Bauch quer, ich bleib mal lieber daheim. Wir sind mit der neuen Schulleitung dran, die Schrauben kräftig anzuziehen, aber es ist mühsam. Ich habe eigentlich keine Lust, die ganze Zeit rumzunörgeln.

  • Ja, ja, wir haben die Möglichkeit unsere Schüler*innen zu "büssen". Dann gehen sie eben Müll sammeln, Kopierpapier auffüllen, sowas.

    Das ist eine Sache, aber ich dachte eher daran, dass z.B. jede Klasse ein "Revier" hat, was sie sauberzuhalten hat. Also als Aufgabe übers Schuhljahr oder Halbjahr, nicht nur, wenn sie da Müll hinterlassen haben. Wenn da andere deren Arbeit nicht achten klären die das zunächst untereinander.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Hm, ja, das wäre tatsächlich eine Idee, werde ich mal vorschlagen.

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