Erfahrung: Berufskolleg/-schule vs Gymnasium

  • Hallo zusammen, ich befinde mich aktuell in der Mitte meines Referendariats an einem Gymnasium im Ruhrgebiet mit den Fächern Englisch und Sport. In einer Pausenunterhaltung hat mir ein Sportkollege empfohlen, nach dem Referendariat auch Berufskollegstellen in Betracht zu ziehen. Seine Begründung: Es gibt mehr Stellen, bessere Beförderungsmöglichkeiten, eine einfachere Verbeamtung, weniger Elternarbeit und aufgrund der älteren Schüler weniger pädagogische Herausforderungen.


    Da mir das System Berufskolleg bisher kaum bekannt ist, habe ich ein paar Fragen an euch: Gibt es hier Lehrkräfte, die beide Schulformen aus eigener Erfahrung kennen und ihre Eindrücke teilen können? Wie unterscheiden sich der Englisch- und Sportunterricht am Berufskolleg im Vergleich zum Gymnasium?


    Welche weiteren Vor- oder Nachteile seht ihr im Unterrichten an einem Berufskolleg im Vergleich zu einem Gymnasium?

  • Also: Ich habe mein Ref. an einer Gesamtschule gemacht, war 6 Jahre am BK und bin jetzt wieder an einer Gesamtschule. Ich war am BK zuletzt sehr unglücklich, aber das hatte nichts mit dem System, sondern eher mit den Menschen zu tun. Zum BK kann ich sagen: Wieso sollte eine Verbeamtung einfacher sein? Das verstehe ich nicht. Du gehst dort genauso wie überall zum AA und ich habe dort sogar 6 Jahre angestellt gearbeitet und wurde erst jetzt beim Wechsel verbeamtet.

    Zu den anderen Aspekten: Ja, es ist viel weniger Elternarbeit und du hast auch nicht die ganzen Gespräche mit den kleinen Schülern. Ist übrigens ein Punkt, über den ich jetzt wieder total glücklich bin. Gehört für mich einfach dazu :)

    Ja, es gibt mehr Stellen. Gerade an Gymnasien ist es sehr schwer unterzukommen, da dort sehr viele Leute hinwollen.

    Bessere Beförderungsmöglichkeiten? Nö, eigentlich nicht. Es muss ja auch eine Beförderungstelle frei sein ;-).

    Pädagogische Herausforderungen hast du auch dort, aber eben nicht diese unruhigen Klassen der unteren Jahrgänge. Da sind es dann Depressionen, Klinikaufenthalte, Todesfälle, Drogen...

    Ich war mit D/SW am BK. Ganz wichtig, du arbeitest in Bildungsgängen. Somit ist es auch kein klassischer Sportunterricht. Wenn du also in der Kinderpflege arbeitest, besprichst du mit ihnen, wie man z.B. Bewegungsspiele in der KITA umsetzen kann und das machst du dann auch im Unterricht. Englisch kommt auf den Bildungsgang an. In der Kinderpflege können sie oft so wenig Englisch, dass die Korrektur ein minimaler Zeitaufwand ist. Die Korrektur ist viel weniger als am Gymnasium oder der Gesamtschule. Aber die Frage ist ja, was du willst? Willst du weniger pädagogische Arbeit, kannst dir aber vorstellen im worst case auch Abendunterricht zu geben? Liegt dir eher die Arbeit mit dem großen? Bist du bereit dich in ein komplett neues System einzuarbeiten?

  • Es gibt mehr Stellen

    Tendentiell ja, kommt aber auch stark auf die Fächer und die Region an. Aber Gymnasien sind meist überlaufener.



    bessere Beförderungsmöglichkeiten,

    Es gibt meist auch mehr A14 Stellen, durch die Bildungsgänge, gibt es mehr Funktionsstellen. Aber auch hier kann es Flauten geben und man muss auch entsprechend was dafür tun.


    eine einfachere Verbeamtung,

    Das macht keinen Sinn, warum sollte es?


    weniger Elternarbeit

    Das stimmt, aber dafür Arbeit mit Betrieben im dualen System



    aufgrund der älteren Schüler weniger pädagogische Herausforderungen.

    Das würde ich so nicht sagen, die pädagogischen Herausforderungen sind einfach komplett anders. Viele im zweiten Anlauf für einen Abschluss, schlechtere Vorbildung etc. Teils auch schulmüde.



    Da sind es dann Depressionen, Klinikaufenthalte, Todesfälle, Drogen...

    Genau das ist auch häufiger behaupte ich mal.




    Wie unterscheiden sich der Englisch- und Sportunterricht am Berufskolleg im Vergleich zum Gymnasium?

    Mach auf jeden Fall vorher eine Hospitation, die Arbeit in Bildungsgängen ist ganz anders und die Bandbreite sehr hoch.
    Das berufliche Gymnasium gibt es natürlich auch, aber Englisch ist in den Bildungsgängen deutlich fachspezifischer. Also abhängig vom Schwerpunkt. Sport ist mehr Team- und Sozialgefüge, als der reine Sport.



    Willst du weniger pädagogische Arbeit, kannst dir aber vorstellen im worst case auch Abendunterricht zu geben? Liegt dir eher die Arbeit mit dem großen? Bist du bereit dich in ein komplett neues System einzuarbeiten?

    Das finde ich gute Ansätze, die man sich fragen sollte.

  • Aus eigener Erfahrung kann ich dir raten: arbeite dich vorab in das System ein und sei dir einfach gewahr, dass du den Vergleich zum Gymnasium nicht ziehen kannst. Meiner Meinung nach weder im berufliche Gym, noch in den HBF Bildungsgängen. Außerdem muss dir auch klar sein, dass du einjährige Bildungsgänge und/oder Klassen der „Ausbildungsvorbereitung“ unterrichten wirst.

    Die Bandbreite kann man bestimmt als spannend empfinden…

    Ich habe mich schnellstmöglich zurück zum GY beworben und bin froh nicht mehr an einem BK tätig zu sein.

    Bezüglich der bessern Beförderungsmöglichkeiten kann man sagen, dass es wesentlich mehr (beispielsweise A14) Stellen gibt, so meine Erfahrung.

  • Ich arbeite am BK und bin dort sehr glücklich. Junge Erwachsene und viel Spaß im Unterricht.


    Kann dir nur einen Tipp geben: Besuche verschiedene Schultypen, indem Du dort einfach anrufst und darum bittest, einen oder mehrere Tage in deinen Wunschfächern hospitieren zu dürfen.

    In der Regel sind die Schulen dafür offen. Parallel erfährst du viel über die Atmosphäre und Details zu den Belastungen und Organisationsformen.


    Wenige Kollegen haben Erfahrungen in beiden von dir genannten Schulformen.

  • BK ist einfach völlig anders als das Gymnasium. Stell Dir ganz viele verschiedene Bildungsgänge wie das Gymnasium unter einem Dach vor. Dabei reicht die Bandbreite von Schülern, die in 10 Jahren keinen Abschluss erlangen konnten bis zu Fachschülern, die auf Bachelor-Niveau unterrichtet werden. Daneben noch Schüler in duales Ausbildung, die gleichzeitig dual an der FH studieren. Da kommen nochmal andere Fragestellungen auf.

    Korrespondenz mit Betrieben ist auch herausfordernd, aber ich denke mir persönlich, dass das einfacher ist, als mit Eltern.


    Hospitiere gern mal oder noch besser: mach Dein Praxissemester an einem BK.

  • Hospitiere gern mal oder noch besser: mach Dein Praxissemester an einem BK.

    Das Praxissemester muss leider in der studierten Schulform erfolgen. Früher war es im Berufsfeldpraktikum möglich, eine andere Schulform kennenzulernen, jedoch ist dies mittlerweile auch nicht mehr so einfach möglich, dass das Berufsfeldpraktikum außerhalb der Schule stattfinden soll.

  • Das Praxissemester muss leider in der studierten Schulform erfolgen. Früher war es im Berufsfeldpraktikum möglich, eine andere Schulform kennenzulernen, jedoch ist dies mittlerweile auch nicht mehr so einfach möglich, dass das Berufsfeldpraktikum außerhalb der Schule stattfinden soll.

    Danke für die Aufklärung.

  • Das Praxissemester muss leider in der studierten Schulform erfolgen.

    Aber müssen die Refs nicht heutzutage nach der UPP oder um das Ende des Refs drumherum 1 oder 2 Wochen in einer anderen Schulform hospitieren? Wir hatten da letztes Jahr nämlich 2 solcher Kandidaten von Gym/Ges, die ne Woche auf 2 hospitierten.
    Das dann auf jeden Fall nutzen!

  • Aber müssen die Refs nicht heutzutage nach der UPP oder um das Ende des Refs drumherum 1 oder 2 Wochen in einer anderen Schulform hospitieren? Wir hatten da letztes Jahr nämlich 2 solcher Kandidaten von Gym/Ges, die ne Woche auf 2 hospitierten.
    Das dann auf jeden Fall nutzen!

    Hab ich noch nie gehört. Aber ich selbst habe OBAS gemacht und unser letzter Refi ist glaub auch schon wieder 1,5 Jahre weg.

  • Hab ich noch nie gehört. Aber ich selbst habe OBAS gemacht und unser letzter Refi ist glaub auch schon wieder 1,5 Jahre weg.

    Doch, das steht so in der Prüfungsordnung. Ich habe auch OBAS gemacht. Es sind aber keine Wochen, sondern zwei Tage.

  • Ich habe vor Ende des Referendariat eine Woche schulartfremd hospitieren müssen. Da war ich am BK. Hat mir direkt mehr zugesagt als die 1,5 Jahre Regelgymnasium.

  • Bei mir war durch Corona eh vieles anders, habe es nur auch noch nie von KuK gehört. Aber die mit Ref sind zuletzt auch teilweise direkt nach der UPP vorzeitig zu uns abgeordnet worden.

    Den Gedanken finde ich durchaus nicht verkehrt.


    Zur eigentlichen Frage kann ich eigentlich auch nur sagen angucken. Die pädagogischen Herausforderungen sind einfach andere als an einem Gymnasium. Die Diversität ist noch größer. Probleme der SuS wurden ja schon angesprochen.

  • Aber müssen die Refs nicht heutzutage nach der UPP oder um das Ende des Refs drumherum 1 oder 2 Wochen in einer anderen Schulform hospitieren? Wir hatten da letztes Jahr nämlich 2 solcher Kandidaten von Gym/Ges, die ne Woche auf 2 hospitierten.
    Das dann auf jeden Fall nutzen!

    Vielleicht hängt das vom Seminar ab? Ich (NRW) musste das vor Jahren selber machen und wir haben jedes Jahr fertige Refis, die "in einer fremden Schulform" hospitieren. Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, bei der SL nachzufragen, ob man das freiwillig machen kann?

  • An BBSen ist eines zu bedenken:

    Mit einem berufsbildenden Fach + allg.-b. hat man es - meiner Ansicht nach - leichter als mit zwei allgemeinbildenden Fächern. Das liegt daran, dass (je nach Bildungsgang mehr oder weniger) Interesse an dem beruflichen Schwerpunkt vorhanden ist, was bei den allg.-b. Fächern teils extrem gering ausgeprägt ist. Dazu kommt, dass Allgemeinbildner auch (je nach Orga-Struktur der Schule) auf viele Fachabteilungen aufgeteilt sein können (also bspw. Bau, Gastro, Elektro, Metall, SozPäd...), was mehr Konferenzen und Abstimmung nötig machen kann.

    Außerdem: Wenn man als Gym-LK an die BBS herangeht mit dem Anspruch, fachwissenschaftlich orientieren Unterricht (wie bspw. an einer Gym-Oberstufe) zu halten, dann wird man in der Regel enttäuscht. Berufliche Gymnasien und Fach-Abi-Schulformen sind nicht das selbe wie Unterricht an einem echten Gym.


    Das ist der kritische Aspekt. Jetzt zu dem Positiven:

    An einer BBS muss man die allg.-b. Fächer teils sehr konkret mit Berufsbezug unterrichten, was sehr interessant sein kann, wenn man sich drauf einlässt. In Englisch fachlich zu kommunizieren, kann Spaß machen. Da bekommst du auch Bezüge zur beruflichen Realität. Sport ist auch nicht das allerschlechteste Fach, weil hier bei vielen eine höhere Motivation besteht.

    Was ich persönlich an einer BBS sehr genieße: Ich fühle mich als Lehrer freier, als das an Gymis der Fall wäre. Durch die Komplexität und den dauernden Wandel des Systems und die älteren SuS sehe ich manche Zwänge und Ansprüche nicht, die ich vom Gym kenne. Kennen heißt in diesem Fall: Aus meiner Perspektive als Papa von Gym-Kindern und aus den Gesprächen mit befreundeten Gym-LK.


    Die Zufriedenheit an einer BBS hängt aber auch stark davon ab, in welchen Bildungsgängen man eingesetzt ist.

    Tim Finnegan liv’d in Walkin Street
    A gentle Irishman mighty odd.

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