Christentum im Ministerium

  • Der neue Kultusminister in Sachsen, selbst Mitglied einer evangelischen, internationalen Kirchengemeinde, schwört uns mit einem Bibelzitat aufs Neue Jahr ein. Wie soll man das finden? Persönlich sein gutes Recht, im Dienst ein Signal und wenn, welches eigentlich?


    Das Sächs.SchulG selbst schreibt zu den Grundsätzen unseres beruflichen Handelns:


    1Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen. 2Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitliche demokratische Haltung vermittelt, die zur Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend beitragen.


    Frage mich, was daraus für Grundsätze abgeleitet werden können und warum die genannten Werte überhaupt als "christliche" definiert worden sind.


    Sind Begriffe mit *christlich* auch in euren Schulgesetzen zu finden? Wird man andernorts auch mit Losungsworten begrüßt?

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    • Offizieller Beitrag

    jup, NDS

    Zitat von Schulgesetz, §2

    Die Schule soll im Anschluss an die vorschulische Erziehung die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln


    jede Woche im Seminar um die Ohren gehauen. (also den Teil mit dem Christentum

  • Um welches Zitat geht es denn genau? Das fände ich an dieser Stelle relevanter als den Umstand, dass dieser der Bibel entstammt.


    Die Landesverfassung BW (Präambel) enthält definitiv auch den Hinweis auf Religion/ Gott, ohne sich dabei aber auf das Christentum namentlich festzulegen, genauso wie bei der Vereidigung optional der Teil mit der göttlichen Hilfe ergänzt werden kann, was zwar auf keine Konfession verweist, wohl aber sehr deutlich den positiven Bezug zu Religion und Glauben zeigt. Paragraph 1 des Schulgesetzes BW (Erziehungs- und Bildungsauftrag) spricht dann explizit unter anderem vom „Geiste christlicher Nächstenliebe“.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Da sagt das Schulgesetz NRW in § 2 Abs. 2 folgendes:

    Zitat

    Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung. Die Schule fördert die europäische Identität. Sie vermittelt Kenntnisse über den europäischen Integrationsprozess und die Bedeutung Europas im Alltag der Menschen.

    Gott ja, aber Christentum wird nicht explizit erwähnt. Artikel 7 des Landesverfassung geht auch in die Richtung:

    Zitat

    (1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

    (2) Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.

    Im Übrigen sind das für mich zwei sehr wichtige Rechtsnormen, denn damit kann ich zum Beispiel gegen die AfD und ihre Argumente angehen. Viele bringen an der Stelle den Beutelsbacher Konsens, der aber als fachdidaktische Überlegung der Politikdidaktik Dienstrecht nicht aushebelt.

  • Das ganze inhaltsleere Geplapper kann man getrost ignorieren. Mehr haben Religionen nicht zu bieten, wichtig klingende Begriffe, die aber gar nichts bedeuten können. So etwas in ein Gesetz zu schreiben, passt nicht in einen Rechtsstaat. Da haben einfach religiöse Fanatikerinnen leergedreht.


    Wie soll den die Ehrfurcht vor einer Göttin ein Bildungsziel sein, wenn man gar nicht Benennen kann, was so eine Göttin sein soll? Ebensogut kann man den kritischen Umgang mit den Ideen von Lord Voldomort zum Bildungsziel erkiesen. Oder die Numeralität von Fritz Vorfluter. Wie will man ein solches Gesetz umsetzen, ein solches Bildungsziel einfordern?


    Und natürlich geht es hier darum, die Religionsfreiheit zu beschränken. Die Möglichkeit an keine Göttin zu glauben, wird hier genau so ausgeschlossen, wie Polytheismus. Und Religionen, zu denen die Ehrfurcht vor Ihrer Göttin nicht passt, sind auch außen vor.

  • RosaLaune, inwiefern kannst du gegen die AfD mit dem Begriff der "Ehrfurcht vor Gott" argumentieren?

    Nee, nicht Ehrfurcht vor Gott. Das würde ich auch streichen. Der Rest des § 2 SchulG und des Art. 7 II Landesverfassung sind aber das, worauf sich Lehrkräfte in NRW berufen können, wenn sie gegen die AfD argumentieren wollen.

  • Übrigens:

    "Besonders problematisch und historisch folgenreich ist jene kurze Passage des Briefes (1 Thess 2,14–16 EU), in der Paulus den Juden kontrafaktisch vorwirft, Jesus ermordet zu haben: Denn ihr habt von euren eigenen Landsleuten dasselbe erlitten wie jene [die Apostel] von den Juden, die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben, die Gott nicht gefallen und die allen Menschen feindlich sind. Dies gilt als frühester Beleg für christlichen Antijudaismus."


    ...schreibt Wikipedia über Paulus' Brief.

  • Übrigens:

    "Besonders problematisch und historisch folgenreich ist jene kurze Passage des Briefes (1 Thess 2,14–16 EU), in der Paulus den Juden kontrafaktisch vorwirft, Jesus ermordet zu haben: Denn ihr habt von euren eigenen Landsleuten dasselbe erlitten wie jene [die Apostel] von den Juden, die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben, die Gott nicht gefallen und die allen Menschen feindlich sind. Dies gilt als frühester Beleg für christlichen Antijudaismus."


    ...schreibt Wikipedia über Paulus' Brief.

    Na, immerhin ist euer Schulgesetz da so ehrlich und spricht von christlicher Tradition und nutzt nicht diesen widerlichen Begriff des christlich-jüdischen Abendlandes.

  • Der neue Kultusminister in Sachsen, selbst Mitglied einer evangelischen, internationalen Kirchengemeinde, schwört uns mit einem Bibelzitat aufs Neue Jahr ein. Wie soll man das finden? Persönlich sein gutes Recht, im Dienst ein Signal und wenn, welches eigentlich?

    Er ist nicht nur Staatsminister für Bildung, sondern eben auch für Kultusangelegenheiten zuständig. Daher passt es schon irgendwie.


    Eigentlich sollten Kultusangelegenheiten gar nicht mehr mit Bildung vermischt werden, zumindest ist das meine Meinung.

  • Der Rest des § 2 SchulG und des Art. 7 II Landesverfassung sind aber das, worauf sich Lehrkräfte in NRW berufen können, wenn sie gegen die AfD argumentieren wollen.

    Ja, z. B. mit der „ Liebe zu Volk und Heimat“ kann man die AfD furchtbar erschrecken.


    Sorry, mit dem wirren Konglomerat von vermeintlich großen Begriffen kann man überhaupt nichts anfangen. Da hat jemand den Phrasomaten einen Gang zu hoch laufen lassen. Mehr nicht.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

  • Ehrfurcht vor allem Lebendigen. Na dann ich auch als Atheist mit Leben. NRW hat die Ehrfurcht vor Gott drin stehen, da kann ich dann schon weniger mit anfangen.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Danke für den Hinweis s3g4 , das scheint tatsächlich eine Bedeutung zu haben:


    "Offiziell wird der Begriff Kultusministerium aber nur noch in etwa einem Drittel aller Bundesländer verwendet (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen); in diesen Ländern gehören die Beziehungen des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften auch weiterhin zum Ressort des Kultusministeriums und werden dort in entsprechenden Organisationseinheiten betreut. In den übrigen Ländern wird das für Bildung zuständige Ressort meist als Bildungsministerium bezeichnet."


    Trotzdem finde ich es befremdlich, gezielt als Lehrerin angesprochen, mit Zitaten von Paulus begrüßt zu werden. Vielleicht schreib ich ihn mal an und frage, was er damit bezwecken wollte und schicke Allahs Segen mit.

  • Sächs. Staatsministerium für Kultus schrieb:


    In der Bezeichnung Staatsministerium für Kultus ist die historisch gewachsene Verbindung von Bildung und Kirche enthalten: So werden hier auch die allgemeinen Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die das Verhältnis von Staat und Kirche betreffen, bearbeitet.


    Was auch immer das genau bedeutet, das klingt ja echt wild.

  • Der Vers ist die Jahreslosung.


    Es gibt Menschen, die diese eher losgelöst vom Kontext als Motto einsetzen.

    Ausgewählt werden häufig Sätze, die auch für sich stehen können.


    Es gibt andere, die auch die Sätze der Jahreslosung in den Kontext des ursprünglichen Textes setzen und daraus die Bedeutung ableiten.

    In diesem Fall ist es der älteste Teil des Neuen Testaments. Paulus richtet sich an eine gerade neu gegründete Gemeinde. Evangelien und anderes Schriftliches gibt es so noch gar nicht, Regeln sind noch nicht festgelegt. Im Alltag als neue Gemeinschaft zwischen Griechen und Römern, anderen Kulten und neben den Juden gibt es viele Fragen, wie man sich positionieren soll.

    Paulus sagt der Gemeinde, dass sie offen sein sollen für unterschiedliche Vorschläge, dass sie aber dann genau prüfen sollen und letztlich - gemeinsam in der Gemeinschaft - das zusammen für gut Befundene behalten sollen.

    An sich ist der Satz der Losung für den kirchlichen Kontext bestimmt gewesen, aber man kann ihn damit auch als Aufruf zur Demokratie werten.

  • Man könnte ihn aber auch in den antisemitischen Kontext setzen, aus dem er anscheinend stammt.


    Also ich meine, man findet überall nette Zitate, sie stammen aber immer aus einem Kontext. Es macht für mich einen Unterschied, ob ich vom frisch gebackenen Kultusminister mit Zitaten von Goethe, dem Koran oder der BILD begrüßt werde, erst mal unabhängig vom Inhalt.

  • Man könnte ihn aber auch in den antisemitischen Kontext setzen, aus dem er anscheinend stammt.

    Gerade bei Paulus findet man auch andere Aussagen, du hast allein die herausgestellte Aussage im Wikipedia-Artikel zum Tessalonicher gefunden.


    „ Er warnte judenfeindliche Christen in Rom, diese Wurzel zu leugnen und so ihr eigenes Heil zu verlieren (Röm 9–11 EU). Sein Römerbrief (verfasst um 56) gilt daher als ältestes Zeugnis gegen christlichen Antijudaismus.[5]

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Antijudaismus


    Zudem steht die Jahreslosung innerhalb etlicher Sätze zum Gemeindeleben.


    Natürlich sind die Aussagen kritisch zu sehen, aber einen Vers herauszunehmen und daraus etwas zu deuten, halte ich für die Aussage zu Juden (die ich im Zusammenhang von 1. Thessalonicher, 2 anders deute) wie auch für Jahreslosungen schwierig, gerade weil man dann alles finden und hinein interpretieren kann.

  • gerade weil man dann alles finden und hinein interpretieren kann

    Und mehr haben Religionen nicht zu bieten. Blabla, Gewäsch und schöne Worte. Aber nichts Verbindliches und erst recht keine Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragen.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

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