Noten in der Oberstufe öffentlich?

    • Offizieller Beitrag

    Justus - ich wollt es mir bestimmt nicht einfach machen - aber ich kenne es , wie gesagt, nur so und habe bisher nie auch nur einmal in Erwägung gezogen, den Schülern am Ende des Jahres einfach eine Note hinzuknallen, ohne dass sie vorher gewusst hätten, was ich von ihnen halte - und somit eine Chance zur Verbesserung gehbst hätten. Kommt mir komisch vor. Und das im Einzelgespräch statt vor der Klasse zu leisten, das mach mal mit 27 Stunden und 170 Schülern...also geht doch fast nur vor der Klasse?


    Und das mit der Selbsteinschätzung ist manchmal gar nicht so schlecht. Allerdings nicht mündlich vor der Klasse, das kann hochnotpeinlich sein - aber man lernt die Schüler ganz gut kennen (und deren Selbstwahrnehmung schätzen!) wenn man sie es schriftlich - allerdings mit ausführlicher Begründung und dies nur nach eigener Offenlegung der Kriterien - tun lässt. Viertelstunde Zeit zum Formulieren - und es kommen Dinge zu Tage, die man echt nicht gewusst hat und bei denen man unendlich viel für den eigenen Unterricht lernen kann. Ich fordere die S. dabei auch immer auf, gleichzeitig Einschätzungen bezgl. meines Unterrichts zu geben. Ich nenn mal zwei Beispiele aus dem letzten Halbjahr um zu zeigen was ich mein:


    "Ich schätze mich selbst auf 5 Punkte mündlich ein. Ich weiß, dass ich zu selten was sage und mich in Gruppenarbeit rausnehme. Ich mach das nicht, weil ich Ihren Unterricht nicht interessant finde, sondern weil so viele Jungs im Kurs sind, die lange in Amerika waren und ich mich wegen meines deutschen Akzents schäme. Sie sehen ja in den Klausuren, dass ich inhaltlich mitkomme. Ich habe mir aber vorgenommen, meine Schüchternheit zu ändern und bin jetzt in einem Konversationskurs. (...) Bitte nehmen Sie mich auch einfach mal öfter dran, wenn ich mich nicht melde. Ich freue mich immer, wenn ich es geschafft habe, was zu sagen. Ich habe auch immer Gedanken zum Thema im Kopf, traue mich aber nicht sie zu äußern."


    "Ich glaube, dass ich 9 Punkte verdient habe. Mein Englisch ist gut und ich sage oft etwas. Ich weiß, dass ich ihnaltlich oft etwas daneben liege und dass Sie sich ärgern, dass ich meine HA so oft nicht mache. Ich habe aber viele Jobs, weil ich von Zuhause kein Taschengeld bekomme. Ich würde aber gerne Referate halten, das ist eine Arbeitsform, die mir Spaß macht. In Gruppenarbeiten bin ich auch immer führend und ich weiß, dass ich mich ansonsten noch etwas steigern kann. Mittelmäßig finde ich angemessen, mit 8 Punkten könnte ich grad noch leben."



    Bei beiden Schülern hatte ich keine Anhaltspunkte aus ihrem Verhalten /Gesprächen, was die Lage der Dinge (Problem mit Akzent beim Mädchen/ keine Kohle wegen alleinerziehender, arbeitsloser Mutter bei Jungen) angeht. Beide konnte ich nach der "Post" besser betreuen und fördern. Und das sind beileibe keine Einzelfälle. Auch Kritik an mir / an Unterrichtsformen habe ich zu lesen bekommen und konnte z.T. Änderungen vornehmen, wenn's sinnvoll war - und Lob kriegt man natürlich auch immer mal wieder.


    Insgesamt haben mir die Schüler immer wieder rückgemeldet, dass sie diese Form schätzen - nicht unbedingt jedes Mal, aber zweimal pro Schuljahr, nämlich in der ´Mitte, wenn man noch was ändern kann.


    Gruß
    Heike

  • Yo Heike,
    im Grunde mache ich ja fast dasselbe wie du, nur mündlich - und ich rücke zuerst mit meinen Einschätzungen raus, die wir dann diskutieren. Vielleicht probier ich's doch noch m mit der Selbsteinschätzung, die Einzelgespräche haben aber den Vorteil, dass man in ein Gespräch kommen kann, ist weniger einseitig. Ein Zeit oder Aufwand-Problem hatte ich bisher nicht, weil ich ja die Kids sowieso selbstständg arbeiten lasse und dann richte ich es eben so ein, dass ich durch eine längee Gruppenarbeit oder einen anderen Auftrag Zeit genügend Zeit gewinne. Meistens reicht dann eine Schulstunde gerade so aus, ich setz mich in eine Ecke oder in der Oberstufe auch raus.
    Gruß,
    JJ

  • Heike schrieb:

    Zitat

    Noten sind öffentlich, Punkt aus.


    Sicher nicht. Die Paragraphen, die du zitierst, verlangen, dass der Lehrer die Noten DEM Schüler bekannt gibt, nicht DEN Schülern!


    Zudem sind wir im Klassenzimmer nicht auf dem Sportplatz, wo Rangplätze vergeben werden. Falls die Schüler das untereinander tun - sollen sie, aber als Lehrer hat man das nicht zu fördern.


    Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt auch im Klassenzimmer. Und wenn Schüler sich innerhalb der Notenskala "norden" (einordnen) wollen, genügt die Angabe des Notendurchschnittes. Dass man besonders gute Leistungen lobend erwähnt, ist dadurch ja nicht verboten.
    Aber Sätze wie:
    "Müller, leider war's diesmal schon wieder nur 5/6!"
    haben im pädagogischen Sprachgebrauch keine Daseinsberechtigung.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Ich meine mich an ein Seminar im Referendariat zu erinnern, in dem deutlich gemacht wurde, dass das Anschreiben des Klassenspiegels schon gegen Datenschutz verstoßen würde (natürlich wird es trotzdem gemacht).


    Ich rede meist auch während des ganzen Schuljahrs immer wieder mit Schülern über den von mir geschätzten Leistungsstand, besonders bei Schülern, wo es nach meiner Meinung eng werden könnte.


    Außerdem führe ich ständige Listen über alle Stunden, in denen ich mit Symbolen (+,o,-) oder kleinen Anmerkungen die Stunden dokumentiere. Diese Listen (das erwähnte ich schon in einem anderen Beitrag) können Schüler bei mir jederzeit einsehen (was grundsätzlich auch Datenschutzprobleme gibt...), dies wird von den Schülern gern und oft genutzt (woraus sich auch verschiedene Diskussionen ergeben: "Warum hab ich in der Stunden nur ein "o" bekommen?), damit ist den Schülern relativ schnell klar, worauf ich achte und es gibt selten Überraschungen zum Jahresende.


    Grüße,


    Birgit

    Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

    Elie Wiesel

    • Offizieller Beitrag

    Hm, jetzt komm ich wieder aus dem Urwald-Bayern daher...
    aber ich muss sagen, dass uns im letzten Seminarabschnitt noch eingehämmert worden ist, dass der einzelne Schüler das Recht hat, seine Noten zu wissen, nicht aber alle anderen Schüler das Recht, die Noten des Einzelnen zu wissen.
    Ich kann mich aber auch an meine eigene Schulzeit erinnern, als manche Lehrer tatsächlich öffentlich meine Note in ungefähr dieser Art rumposaunt haben:" Du kriegst null Punkte mündlich, du kannst ja gleich ins Kloster gehen, dein Schweigegelübde hast du ja eh schon abgelegt."
    Vielen Dank auch! Wäre betreffender Herr etwas sensibler gewesen, hätte ich vielleicht doch auch mal was gesagt...


    Bei mir läuft das Ganze so ab- ich mach jeweils einen Unterrichtsbeitrag aus einer Beobachtung eines oder zwei (max. drei) Schüler über zwei Wochen hinweg. (Schüler weiß nix davon, wird auch ganz normal aufgerufen)
    Nach den zwei Wochen geh ich dann nach der Stunde zu ihm hin und sag ihm freundlich, dass ich von ihm mündliche Noten gemacht habe und welches Ergebnis dabei rausgekommen ist. Das geht meistens im Aufräum/Einpack-Tumult so unter, dass der Datenschutz auch gewahrt ist.
    Und wenn es noch Fragen/Diskussion zur Note gibt, setz ich mich auch gerne nach der Schule oder in der Pause mit dem Schüler hin und kläre das.
    Liebe Grüße, Hermine

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