Wechsel zu Gymnasiallehramt? Sorgen.

  • Okay, also letztlich gibst du den Schwächeren Lernhilfen und Übematerial an die Hand, weil sie zu Hause nicht unterstützt werden. Das ist natürlich sehr nett von dir, aber ich glaube trotzdem, dass das nicht der Normalfall ist.

    Die meisten Kolleg*innen am Gymnasium, die ich kenne, erwarten, dass die Jugendlichen selbständig lernen oder sie müssen eben die Schulart verlassen.


    Edit: 5/6 ist hier Orientierungsstufe, ist das nicht überall so?

  • Ist die Frage ernst gemeint? Auch am Gymnasium hat man die Bandbreite von "kommt kaum mit" bis "ist ständig unterfordert". Das gilt selbst in der Oberstufe

    Ist das so? Naja, vielleicht bei euren Übertrittsquoten schon, ja. Ich kenne das Geschriebene von der Fachmittelschule aber definitiv nicht vom Gymnasium. Wer nicht mitkommt oder zu faul ist, der fliegt raus. Wir diskutieren im Klassenkonvent an der Maturabteilung kaum jemals darüber (wenn überhaupt jemals ... ich glaube, ich kann mich ehrlich an nichts dergleichen erinnern), ob man jemanden kurz vor knapp speziell fördern sollte, wir diskutieren aber sehr oft darüber, wie wir Leute, die nicht hinterherkommen, möglichst frühzeitig loswerden. Wir unterstützen und helfen sehr viel im zwischenmenschlich-sozialen Bereich, aber - um es ganz platt auszudrücken - wer zu doof für die Matura ist, bekommt kein Papierli. Natürlich nutze ich Zeiten während Übungsphasen oder auch im Selbstlernsemester, um bei Schüler*innen, die mit dem Inhalt Mühe haben, zu sitzen und zu erklären. Natürlich mache ich mit einzelnen Schüler*innen auch mal nach dem Unterricht noch ab um irgendwas noch mal genauer anzuschauen. Aber *im* Unterricht lösen alle die gleichen Aufgaben und ich kommuniziere einfach, was man mindestens verstanden haben muss, um in der nächsten Prüfung auf eine 4 zu kommen. Das reicht ja, was soll ich da noch gross "differenzieren" mit unterschiedlichen Aufgabenniveaus. Ich bereite auf die allgemeine Hochschulreife vor, an der Uni gibt's auch keine unterschiedlichen Aufgaben für die Schlauen und die nicht ganz so Schlauen.


    Fachmittelschule ist wie erwähnt was anderes, da geht's bei uns wirklich von Scheitern am Dreisatz bis könnte genauso gut an der Maturabteilung sein, fürchtet sich aber vor sich selbst. Aus genau dem Grund unterrichte ich auch sehr gerne FMS, die didaktische Herausforderung ist eine ganz andere als an der Maturabteilung. Rumgedreht würde ich mich mit nur FMS irgendwann in der fachlichen Tiefe anfangen zu langweilen. Ich wüsste schon zu gerne, wie es mir heutzutage wohl an einem deutschen Gymnasium in der Oberstufe erginge ...

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    Okay, also letztlich gibst du den Schwächeren Lernhilfen und Übematerial an die Hand, weil sie zu Hause nicht unterstützt werden. Das ist natürlich sehr nett von dir, aber ich glaube trotzdem, dass das nicht der Normalfall ist.

    Sorry: Das hört sich wie von jemandem an, der keine Ahnung vom Lehrerberuf hat und mir erklären möchte, dass ich zuviel Zeit in meine Arbeit reinstecke und ALLE anderen Lehrer*innen sich nur die Jahre / Jahrzehnte alte Unterlagen aus dem Schrank ziehen.


    Nein, glaub mir, ich habe zur Zeit WIRKLICH nicht die Kraft, viel mehr reinzustecken, als ich brauche (gut, ich arbeite nicht AUSSCHLIEßLICH mit dem Buch, wenn du es so meinst). Ich arbeite sehr weit von meinem Anspruch und bin durchaus frustriert, aber ich mache das, was ich brauche,

    1) damit mir meine Lerngruppen nicht (noch mehr) explodieren

    2) um nicht den Schnitt NOCH MEHR unten zu haben

    3) um noch die abzuholen, wo es Hoffnung gibt.


    Die meisten Kolleg*innen am Gymnasium, die ich kenne, erwarten, dass die Jugendlichen selbständig lernen oder sie müssen eben die Schulart verlassen.

    Tja, Sachsen teilt sich vielleicht nicht umsonst die vorderen Ränge mit Bayern.
    Ich bin in NRW und werde mich nicht anmaßen, über Vorurteile über sächsische und bayrische Lehrkräfte zu urteilen, meine Schüler*innenschaft sowie die Systembedingungen (Übertritt-, Bestehens- und Wiederholungsregelungen) lassen ein Verhalten wie von dir beschrieben, nicht zu.
    Und meine Schüler*innen kleben bis zum bitteren Ende (wo sie dann auch keinen Schluabschluss haben, ist aber so), ich habe sie also im Unterricht (oder nicht, man muss ja nur alle 19 Tage kommen, um keine zu riesigen Probleme zu haben)

  • GS oder Gym? Da muss man wissen, was man will. Mag man es, sozialpädagogisch zu arbeiten und kann man einfache Inhalte auf verschiedenen Niveaustufen gut erklären und veranschaulichen, erfreut man sich an kindlicher Unbefangenheit und Begeisterungsfähigkeit, mag man Beziehungsarbeit und Elternarbeit, ist man ein guter Kommunikator in alle Richtungen, hat man Bock auf Feiern, Feste und Aufführungen - dann ist man an der Grundschule ganz gut aufgehoben. Entertainer muss dafür aber nicht sein. Kreativ im Sinne von Basteleien und Deko bin ich auch nicht, geht auch ohne. Mag man es aber, fachlich tief zu arbeiten, komplexe Diskussionen mit Schülern zu führen, hat man eher wenig Interesse an Erziehung und Beziehung, schrecken einen umfangreiche Korrekturen nachmittags, am Wochenende und in den Ferien nicht ab, dann go for Gymnasium. Es sind zwei völlig unterschiedliche Schulformen, beide auf ihre Art anstrengend und herausfordernd, weshalb die Gleichbezahlung in den meisten Bundesländern absolut angebracht ist. Ehrlich gesagt, du kennst dich am besten. Eigentlich müsstest du wissen, wo dein Schwerpunkt liegt. Du schreibst, dir fehlt fachliche Tiefe (spricht für Gym), du bist ungeduldig bei langsamen Lernprozessen (spricht gegen GS, allein durch die Inklusion sind langsame Lernprozesse an der Tagsordnung).

  • Sorry: Das hört sich wie von jemandem an, der keine Ahnung vom Lehrerberuf hat und mir erklären möchte, dass ich zuviel Zeit in meine Arbeit reinstecke und ALLE anderen Lehrer*innen sich nur die Jahre / Jahrzehnte alte Unterlagen aus dem Schrank ziehen.


    ...

    Nee, ich schrieb lediglich von eigenen Erfahrungen. Ich hatte außerdem Friesin gefragt, von der ich mich erinnere, dass sie Latein unterrichtet. Und Seph meinte ja ebenfalls, dass an bayerischen Gymnasien Differenzierung üblich sei, was ich ebenfalls überraschend zur Kenntnis nahm, da gerade Bayern funktionierende Realschule hat.


    Ich wollte nicht dich persönlich angreifen, dass du zu viel machst.

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    Keine Angst, ich habe es nicht als Angriff auf mich gewertet (wenn überhaupt: auf die Gymnasialzunft!). Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand heutzutage auch nur ohne minimale Differenzierung auskommt.

    Aber vielleicht (ganz sicher!) ist meine Schule so untypisch, dass ich vergessen habe, wie ein ‚richtiges Gymnasium‘ ist?

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    Friesin , wie differenzierst du in Latein oder Kunst? Würde mich ernsthaft interessieren. Und wie kommen die SuS in den Klausuren klar, wenn im Unterricht differenziert wurde? Bei uns gab es das früher tatsächlich nicht und ich sehe es bei meinen Kindern auch nicht, daher: klärt mich gerne auf.

    Indem ich den Leistungsschwachen mehr und andere Hilfen gebe, Texte anders vorentlaste, andere Texte bearbeite. Im sogenannten Huckepackkurs (Grund- und Leisutngskurs gemeinsam mit einer Extrastunde für den LK) in Klasse 11 und 12 differenziere ich immer, anders kämen die unterschiedlichen Niveaus nicht jedes zu seinem Recht. Da werden auch unterschiedliche Klausuren geschrieben.

    In Kunst läuft es ähnlich:
    in der Mittelstufe sieht die Differenzierung so aus, dass ich mehr oder andere Hilfestellungen /Arbeitsaufträge gebe, bei kunsthistorischen Themen sind die Differenzen ähnlich gering wie im Geschichtsunterricht.
    Warum sollte das nicht möglich sein?

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    das Gymnasium in der Schweiz hat auch eine viel ältere Schüler*innenschaft (oder? Es sind doch "nur" die letzten 4, oder manchmal 6 Jahre?) und die anderen Schularten haben vielleicht eine bessere Anerkennung.
    Ich sage es mal so: auf dem Dorf in Niedersachsen war das Gymnasium auch anders, und meine Schwiegereltern und Mann können bis heute nicht verstehen, warum so viele Eltern ihr Kind an ein Gymnasium anmelden würden, wenn die Empfehlung es nicht hergibt. Die Kids aller dort gebliebener Freunde meines Mannes (es sind ja auch im Prinzip alle und von der 10er Clique haben nur 2 das Abitur, mein Mann nach Umweg auf der Realschule) sind an allen Schulformen und haben im Anschluss alle einen Job / eine Ausbildung und werden sich mit ihrer jeweiligen Ausbildung ein schönes Häuslein bauen können. Trotz Preissteigerungen und so.
    Es sind trotz nur 100km weltweit unterschiedliche Umweltbedingungen.

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    Okay, also letztlich gibst du den Schwächeren Lernhilfen und Übematerial an die Hand, weil sie zu Hause nicht unterstützt werden. Das ist natürlich sehr nett von dir, aber ich glaube trotzdem, dass das nicht der Normalfall ist.

    Die meisten Kolleg*innen am Gymnasium, die ich kenne, erwarten, dass die Jugendlichen selbständig lernen oder sie müssen eben die Schulart verlassen.


    Edit: 5/6 ist hier Orientierungsstufe, ist das nicht überall so?

    die wenigsten Schwächeren werden in den Problemfächern am Gymnasium von den Eltern unterstützt. "Das kann ich selbst nicht (mehr), heißt es immer von Elternseite.
    Nachhilfe wird oft gegeben, ja, doch über deren Sinn zu debattoieren wäre ein anderes Kapitel.
    Unsere Schule bietet eine preisgünstige Nachhilfebörse von Schülern für Schüler an.

  • Es kommt immer darauf an, mit welchem Ziel du Differenzierung betreiben möchtest. Leistungsdifferenzierung nach unten wird an Gymnasien nicht stattfinden, da das einfach dem Grundverständnis dieser Schulform widerspricht. Am Anfang der Sek I und dann am Anfang der Sek II werden mit den Schülern Lernmethoden besprochen, die sie verwenden können, vor allem, wenn sie merken, dass ihnen das eine oder andere Thema doch nicht so leicht fällt. Im Gymnasialbereich wird aber in solchen Fällen mehr Selbstinitiative der Schüler erwartet als z.B. im Real-/Mittelschulbereich.


    Da das Gymnasium bereits die höchste Schulform im Sekundarbereich ist, differenzieren wir auch nach oben. Hochbegabte Schüler bearbeiten Sternchenaufgaben, erhalten Knobel- oder Känguruwettbewerbsaufgaben. Im Leistungskurs dürfen sich die besonders fitten Schüler auch mal an einer Aufgabe aus einer Anfängervorlesung aus dem Studium versuchen. Die Prüfungen selbst sind für alle Schüler gleich.

    Ich habe keinen Muttersprachler im Unterricht, aber hier ist es oft der Fall, dass die schriftlichen den mündlichen Kompetenzen (etwas) hinterherhinken. Hier würde ich, hätte ich einen solchen Schüler (m/w/d), vor allem in den ersten 3 Lernjahren, verstärkt Schreibanlässe anbieten. Und auch hier wären die Klassenarbeiten aber die gleichen.

  • chilipaprika Du schreibst explizit von der Oberstufe. Natürlich ist Sek I was anderes. Wie geschrieben, die Art von Förderung und Differenzierung kenne ich an der FMS, in der gymnasialen Oberstufe widerspricht das diametral dem Ausbildungsziel. Wer mit dem bereitgestellten Material keine 4 schafft, hat an der Uni nichts verloren.

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    Ich sprach nicht von der Oberstufe (also nicht in meinen Beispielen), aber ich dachte (korrigiere mich bitte!), wenn du vom (Schweizer) Gymnasium sprichst, hast du eher Formen des Kurzgymnasiums im Blick (weil doch verbreiteter?) und damit automatisch reifere Schüler*innen, wo man mehr nach Motivation sortieren konnte.
    In vielen BL in Deutschland entscheiden die Eltern, so dass nicht wenige Schüler*innen aufs Gym in die 5. Klasse kommen, um noch "alle Chancen zu haben" (was die meisten meiner Eltern meinen: runterrutschen ist kein Problem, dann hat das Kind immernoch Gymnasialluft gehabt, und man weiß nie, es gibt genug, die eben bis zum Ziel hochrutschen...)

  • Wenn am Gymnasium die Entwicklung so ist, dass hier sehr viel Differenzierung wegen der Schülerschaft stattfinden muss, frage ich mich, weshalb man in manchen Bundesländern diese Schulform überhaupt weiterführt. Da wäre doch insgesamt eine Gesamtschule viel sinnvoller.


    Durch die vielen Hilfsaufgaben "nach unten" macht man den Schüler insgesamt auch nicht wesentlich schlauer. Er braucht eben Unterstützungsmaßnahmen in der Differenzierung. In der Folge muss man dann das Abitur leichter machen, um offiziell den Verbleib an der Schulart zu legitimieren, was allerdings einen Niveauverlust bedeutet. Da ist ja gerade unser Dilemma. Indem die Schularten bleiben, aber nicht mehr klar definiert und immer mehr gewertet werden, gibt es gerade bei den früheren anspruchsvolleren Schularten so ein Wischiwaschi- Niveau.


    Als ich als Lehrerin angefangen habe, galt die Hauptschule noch als die Schulart, wo man eine gute Schulbildung bekam, wenn man einen handwerklichen Beruf ergreifen wollte.


    Vielleicht muss man in der Alternative zu einem stark gegliederten Schulsystem eine Schulart kreieren, wo jeder auf seinem Niveau lernen kann und dann gemäß seiner Begabung einen qualitativ hohen Abschluss erreichen kann. Eine verbesserte Gesamtschule?

  • kann man einfache Inhalte auf verschiedenen Niveaustufen gut erklären

    Ich finde deinen Beitrag#44 gut. Zusätzlich einige Anmerkungen:


    - Es sind aber auch komplexe Inhalte (in 3/4), die man auf das Niveau der Schüler und altersangemessen herunterbrechen muss ohne dass die Fachlichkeit verloren geht. Das ist manchmal eine größere Herausforderung.

    - Feiern, Feste, Aufführungen: Kommt auf die Schule an. Wenn man etwas professionell einübt, hat man auch etwas fürs Fach getan (Musik, Deutsch).

    - umfangreiche Korrekturen: Es fallen in der Grundschule verstärkt Kontrollen der Hausaufgaben an, Kontrollen des in der Schule Fabrizierten, Aufschriebe von Schülerbeobachtungen, Lernentwicklungsgespräche, Zeugnisberichte....

    - Elternarbeit: Hier fallen bei einer Klasse mit verschiedenen individuellen Problemen noch viele Gespräche mit anderen Berufen an, die in Therapien oder in die Beratung einbezogen sind.

  • Caro07 Volle Zustimmung. Ich habe überhaupt kein Problem damit, verschiedene Niveaus zu unterrichten, aber bei uns sind die Anforderungen und das jeweilige Ausbildungsziel sehr klar definiert. Ich gebe mir die Antwort auf meine weiter oben gestellte, rhetorische Frage selbst: Ich würde an keinem deutschen Gymnasium unterrichten wollen. Vielleicht in Bayern oder Sachsen grade eben noch so, aber dann würde mir an einer staatlichen Schule wiederum das mittlere Niveau fehlen.


    Mir scheint, wer das mittlere Leistungsniveau nicht unterrichten will und nicht differenzieren will oder kann, studiert in Deutschland besser gar nicht mehr auf Lehramt.

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