Seiteneinstieg und Umgang mit Stressfaktoren

  • Liebe Grüße in das Forum,


    ich bin neu hier und brauche Tipps von Lehrern, die schon etwas länger im Beruf stehen als ich. Kollegen vertraue ich mich ungern an, da ich dann nicht weiß, wo die Gesprächsinhalte dann landen (nur eine alteingesessene Kollegin weiß Bescheid). Ich denke ihr wisst was ich meine😉


    Vor 2 Jahren hatte ich mich mit 40 Jahren als Seiteneinsteigerin (Sek 1 +2) beworben und wurde angenommen. Ich war in der Erwachsenenbildung und im Projektmanagement. Die Nachquali am Studienseminar für 1 Fach war hart, aber nach 1 Jahr bestanden. Jetzt arbeite ich an einer kleineren Brennpunktschule mit Klassenleitung seit letztem Jahr in Vollzeit (Deutsch 80% / Ethik 20%). Bis zu den Herbstferien ging es halbwegs gut, mal 1 oder 2 Tage (kind)krank (das soll wohl normal sein, weil man an in einem neuen Virenpool arbeitet und meine Kinder vieles aus der Schule mitbringen).


    Seit den Herbstferien habe ich das Gefühl, das Pensum erschlägt mich und ich habe neben der Müdigkeit mit( Panikattacken im Unterricht zu kämpfen - seit zwei Wochen auch im privaten Bereich (beim Autofahren, Einkaufen, plötzlich abends auf der Couch) und genau das macht mir jetzt Angst. Wegrennen geht nicht und ist auch nicht sinnvoll, zumal ich so gern unterrichte - hört sich plakativ an, ist aber tatsächlich so. In den Pausen - nun ja - ihr wisst wie das läuft mit dem "Abschalten". Wie ihr sicher auch, arbeite ich oft am Wochenende (sonntags vermehrt an die 6h) und halte guten Kontakt zu den Eltern meiner Klasse - was das Klassenklima sehr verbessert hat und mir hilft. Aufstehen 4.30 und dann durch bis 21.30 mit kaum Pausen zum Luftholen. Zusätzlich die Dienstberatungen, Fachschaften und mein Mann ist im Schichtdienst (viel Spät, stereotypische Rollenverteilung - bin schon dabei das zu verändern), zwei minderjährige Kinder und eines davon seit 1,5 Jahren psychisch krank mit Depressionen und Ängsten. Den Unterricht kann ich nicht aus dem Ärmel schütteln und bereite vieles so vor, dass es die Schüler motiviert und "abholt". Es macht auch Spaß. Die Schulbücher sind meines Erachtens alles andere als geeignet - seit Corona ist ein Deutschbuch der 5 für die 6 oder 7 geeignet - so vieles fehlt bei den Kindern in Sachen Kompetenzen - auch sozial und methodisch. Ich bin schon froh, wenn sie einen Füller und ein Blatt Papier haben. Empathie und Perfektionismus (Angst davor nicht gut genug zu unterrichten) runden das Ganze ab ...


    "Andere schaffen das auch!" - das schwirrt mir im Kopf rum, wenn ich mein Kollegium sehe und wird von einigen in meinem Umkreis auch so gesagt. "Lehrer möchte ich mal sein" und " Ach irgendwann ziehst du einfach was aus der Schublade und musst nichts vorbereiten" - und " Du hast so viel Ferien - das gleicht aus".


    Mir wurde bereits geraten, einfach mal für 2 Wochen aus dem Dienst zu gehen - vor diesen Ferien und damit etwa 4 Wochen zu pausieren. Nur wird das am Allgemeinen nichts ändern und ich habe so schon zu kämpfen damit auszufallen - schlechtes Gewissen und die Schulleitung reagiert auf so etwas sehr persönlich...


    Hattet ihr am Beginn eurer Lehrtätigkeit ähnliche Probleme? Wie seid ihr damit umgegangen? Das, was ich bereits ausprobiert habe, wirkt nicht dauerhaft (insbesondere binauraule Beats und viel Spazierengehen).


    Vielleicht hört sich das auch alles nach Jammern an - aber ich möchte nicht einfach aus dem Job, zumal es tatsächlich genau das ist, was ich richtig gut kann ...


    Vielen lieben Dank bereits jetzt ...

    • Versuch dir einen Tag am Wochenende völlig schulfrei zu halten.
    • Versuch zu Hause eine örtliche und zeitlich Abgrenzung zur Arbeit für die Schule zu schaffen. Arbeitszimmer, wo du die Tür zumachen kannst. Selbst gesetzte feste und eingegrenzte Vorbereitungszeiten.
    • Klingt jetzt blöd, aber guck dass du genug Schlaf bekommst. Macht einen großen Unterschied.
    • Nicht jede Stunde muss eine High-Light-Stunde sein. 08/15 Übungsstunden sind auch wichtig. Wenn du eine Knallerstunde pro Monat und Lerngruppe schaffst, bist du vermutlich in den oberen 20%.
    • Arbeite nach dem Pareto-Prinzip und mach dir auch die Erwartungen des Dienstherren klar. Je nach Schulform hast du für Vor- und Nachbereitung ca. 30min pro Unterrichtsstunde. Das justiert ein bisschen die Erwartungen.
    • Wenn deine Klasse darin geübt ist, schaffen dir kooperative Lernformen Luft im Alltag, weil du nicht immer voll im Fokus stehst.
    • Guck, ob du Parallelkollegen hast, mit denen du dich absprechen und Unterrichtsideen/material austauschen kannst.
    • Investiere gezielt in den Beziehungsaufbau zu deinen Lerngruppen. Jede Stunde, die du darein investierst, z.B. mit außerunterrichtlichen Aktivitäten, zahlt sich insbesondere an einer Brennpunktschule 10fach aus. Beziehung ist alles.


    Das erste Jahr ist übrigens das Härteste. Das liegt weniger an fehlenden, fertig aus der Tasche ziehbaren Stunden (, die sind eh eine Legende), als vielmehr an der fehlenden Erfahrung gepaart mit der hohen Stundenzahl. Man ist halt nur formal fertiger Lehrer. In Wirklichkeit geht die Entwicklung noch mindestens 10 Jahre weiter. Es wird aber von Jahr zu Jahr leichter.

  • Mir wurde bereits geraten, einfach mal für 2 Wochen aus dem Dienst zu gehen

    Wenn du nicht gerade krank bist, dann ist das ein Dienstvergehen.

    Vielleicht hast du das jetzt einfach salopp hier geschrieben und die Situation war differenzierter, aber wenn der Rat mit dem Tenor "einfach mal" gefallen ist, dann weiß du, um welchen Kollegen du einen Bogen machen solltest. Der wird dann nämlich auch keine adäquaten Strategien im Angebot haben.

  • Wenn du nicht gerade krank bist, dann ist das ein Dienstvergehen.

    Vielleicht hast du das jetzt einfach salopp hier geschrieben und die Situation war differenzierter, aber wenn der Rat mit dem Tenor "einfach mal" gefallen ist, dann weiß du, um welchen Kollegen du einen Bogen machen solltest. Der wird dann nämlich auch keine adäquaten Strategien im Angebot haben.

    Wobei eine starke psychische Belastung auch eine Krankheit ist. Wenn diese also vorliegt, dann ist es kein Dienstvergehen sondern eine gerechtfertigte Krankmeldung (nach Besuch und Abklärung bei einer Ärztin/einem Arzt).


    Panikattacken etc. klingen für mich nicht nach blau machen und damit nicht nach Dienstvergehen. Wobei die Beurteilung weder durch dich noch durch mich erfolgen kann.

    Tim Finnegan liv’d in Walkin Street
    A gentle Irishman mighty odd.

  • kodi

    Ohne es valide belegen zu können, ist nur so ein Gefühl Stelle ich Mal folgende Behauptung auf: Mindestens 40 des Kollegiums befindet sich in einem psychisch pathologischen Zustand und würde bei eingehender Untersuchung durch einen Facharzt für Psychiatrie eine dienstrechtlich berechtigte Krankschreibung erhalten. Daher ist die ständie Drohung mit der Keule Dienstrecht fehlplatziert. Wer in unserem Berufsumfeld über eine Auszeit nachdenkt, tut dies nach meiner Erfahrung im Regelfall in Übereinstimmung mit dem Dienstrecht.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

    Einmal editiert, zuletzt von chemikus08 ()

  • Das ist eine gute Idee. Insbesondere da dieser auch den Anspruch von Rekonvaleszenz Zeiten berücksichtigt, was man bei Inanspruchnahme von Karenzragen ja normalerweise nicht macht.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Ich danke euch für die Kommentare und eure Zeit! Es tut gut sich mal austauschen zu können. Ich hatte gestern auch noch mehr hier über Stress / Überforderung gelesen. Lehrerin ist eben mehr als viele denken.


    10 Jahre Entwicklung - dann habe ich noch einiges vor mir...

  • Ich danke euch für die Kommentare und eure Zeit! Es tut gut sich mal austauschen zu können. Ich hatte gestern auch noch mehr hier über Stress / Überforderung gelesen. Lehrerin ist eben mehr als viele denken.


    10 Jahre Entwicklung - dann habe ich noch einiges vor mir...

    Das muss nicht so lange dauern. Ich hatte nach ca. 1,5 Jahren das Gefühl, dass ich mich anfange zu langweilen und mir schon wieder was Neues gesucht hab.

    Es wird besser. Versprochen.

    Aber das Pareto-Prinzip ist wirklich ein Gamechanger! Halte Dich daran und Du wirst sehen: Es macht in der Qualität Deines Unterrichts keinen Unterschied, aber Du gewinnst immens Zeit. Und denk auch daran: Du kannst nicht alle retten.

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