Frühes Einschulen

  • und ich dachte, unsere Aufgabe als Pädagog*innen (ob Förderschullehrer*in oder nicht) sei es, sich nach dem Kind zu richten

    Nein. Meine Aufgabe als Pädagogin ist es, junge Menschen auf einen Weg zu bringen auf dem sie sich bestmöglichst in die Gesellschaft einbringen können und zufrieden mit sich selbst sind. Es gibt genug Narzissten auf der Welt, ich versuche eigentlich zu verhindern, dass es immer noch mehr werden. Das Thema Hochbegabung und "Underachiever" hatten wir wirklich schon oft genug. Die allermeisten sehr intelligenten Jugendlichen leisten, sind empathisch und sozial sehr gut integriert. Sehr viel häufiger sind die mühsamen Störenfriede obendrein auch gar nicht mal so schlau.

  • Antimon Ich denke es ist im Zusammenhang des Threads eindeutig, worauf chilipaprika hier Bezug genommen hat. Nämlich auf ein individuell ausgerichtetes und stimmiges Lernsetting, das sowohl nach unten als auch nach oben differenziert. Wie du da schaffst einen Zusammenhang zu Narzissmus herzustellen ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Als Pädagoge ist es unsere Aufgabe ein motivierendes Lernsetting herzustellen und dafür muss Anforderung und Fähigkeit irgendwie zueinander passen. Das gilt für schwache Schüler genau so wie für durchschnittliche und hochbegabte.

  • Nämlich auf ein individuell ausgerichtetes

    Das kann ich überhaupt nicht leisten, das kann niemand von uns leisten. Ich habe das schon richtig verstanden und auch genau so geantwortet, wie ich es gemeint habe. Ich habe maximal 24 Nasen pro Klasse vor mir sitzen, bei euch sind die Klassen noch grösser. Ich kann meinen Unterricht nicht auf 24 Individuen ausrichten und das ist auch gar nicht nötig. Mir ist es wichtig, dass ich jedes Individuum als Mensch wahrnehme und ich meine auch, ich bin relativ gut darin, rechtzeitig mitzubekommen, wenn etwas nicht gut ist. Dann frage ich auch nach und nehme mir Zeit, auf der zwischenmenschlichen Ebene. Meinen Fachunterricht richte ich an den Fachinhalten und am Lehrplan aus, der beruht ja auf einem Konsens darüber, was an Kompetenzen zu vermitteln sei.

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    ich glaube, wir sind uns gar nicht wirklich uneinig. Wir deuten bestimmte Wörter anders.
    Denn NEIN: ich habe keine 30 verschiedene Aufgaben im Klassenraum.

    ABER: ich hatte einen (eindeutig sprachlich hochbegabten!) Schüler, der sich alleine Französisch beigebracht hat und nach einer Politikstunde eine Grammatikfrage stellte.
    Wir haben ein Jahr lang eine Stille-Post-Mappe gehabt, mit Aufgaben und Texten, usw.
    Natürlich hätte ich sowas nie für 70 SuS leisten können, aber ich finde: wenn ich regelmäßig Förderpläne schreiben muss (und das muss ich, für jeden mit defizitärer Zeugnisnote, du kannst es dir ausmalen, wie viele es sind, bei jährlich 3-4 Französischklassen), wenn ich diesen Schüler*innen auch halb abgestimmte Materialen geben soll, dann hat der sprachlich begabte Schüler, der sich furchtbar langweilt auch das "Recht" verdient, dass ich ihm ein Buch mit Lektüreaufgaben gebe (mit dem Deal, dass er sie auch im Unterricht machen darf, sobald er die Standard-Aufgaben bearbeitet hat), der mathematisch begabte Schüler darf an der Knobel-AG der höheren Jahrgangsstufe teilnehmen, wir können Drehtürmodelle installieren oder in den Ferien bestimmte Angebote machen, die nach links und rechts gucken und Sachen vertiefen, die nicht im Schulbuch sind.
    Und ich schätze dich so ein, dass ein Schüler, der in eurer ersten Klasse der Schule (sorry, Zählung nicht im Kopf) schon eine super Begabung in Physik/CHemie zeigt, und viel Vorsprung hat, weil er in der Mittelstufe viel mehr gemacht hat (ob alleine oder durch Zusatzangebote), dass du mit ihm auch eine Absprache hättest, was er auch neben dem normalen Lernstoff lernen kann.

    Tue nicht so die "Harte", wir wissen alle, dass du einen weichen Kern hast, ich habe gerade spontan die Geschichte der Matura-Schülerin im Kopf, mit der du stundenlang Experimente gemacht hast, weit über dein Soll hinaus.
    Man kann es NICHT für jeden leisten, aber manchmal merkt man, dass es auch für das eine Kind wichtig ist (UND hat selbst Bock (und Zeit) darauf).

  • ch habe gerade spontan die Geschichte der Matura-Schülerin im Kopf, mit der du stundenlang Experimente gemacht hast, weit über dein Soll hinaus

    Im entsprechenden Rahmen, ja. Sie hat eine experimentelle Maturarbeit gemacht und mich gefragt, ob ich die Betreuung übernehme. Ich kann sowas nicht im normalen Unterricht leisten und ich gehe auch nicht mit ihr "einfach so" ins Labor, weil's ihr langweilig ist, sondern weil sie eine Maturarbeit macht. Ich richte meinen Regelunterricht definitiv nicht an individuellen Bedürfnissen aus, ich schaue, dass es für alle 24 ungefähr passt. Dem einen passt es halt mehr, der anderen passt es weniger. Wenn jemand Fragen hat, setze ich mich dazu und beantworte die. Die einen hängen am Dreisatz, die anderen an der statistischen Thermodynamik. Wer zu mir kommt, bekommt Hilfe, das ist es. Ich habe nicht "auf Verdacht" einfach mal noch dies, das und jenes vorbereitet und habe ich auch noch nie gebraucht. Unsere Schüler*innen sind froh, wenn sie am Abend heimgehen können, zum Glück haben die meisten noch irgendwelche Hobbies, die nichts mit der Schule zu tun haben. Mit einem einzigen habe ich bisher über mehrere Monate mal auch ausserhalb der regulären Schulzeit noch wegen der Chemieolympiade hin- und hergeschrieben, tatsächlich auch bis spät nachts.


    Neben der normalen Unterrichtszeit habe ich tatsächlich viel mehr mit ... sagen wir mal ... "allgemeiner Lebensberatung" zu tun. Keine Ahnung, ob das am Standort meiner Schule liegt oder unsere Schüler*innen vielleicht selbständiger damit sind, sich selbst mit Informationen zu versorgen zu Themen, die sie interessieren. Ich empfehle gute Kanäle auf YouTube z. B. und weiss, dass durchaus einige regelmässig irgendwas schauen und dann hin und wieder auch mal was dazu fragen.

  • Hier ging es ja ursprünglich um ein Kind das demnächst in die Grundschule kommen soll. Ich glaube, in Sachen Individualisierung kann man die Grundschule nur schwer mit der Sekundarstufe I und noch schwerer mit der Oberdtufe vergleichen.

    Zumindest da, wo ich arbeite ( Grundschule, Großstadt NRW, Sozialindex 8, Inklusion) bleibt einem überhaupt keine Wahl als individuelle Lernangebote zu machen. Es gibt Kinder mit deutlich kognitiven Einschränkungen, Kinder die nicht oder kaum Deutsch sprechen, neurodiverse Kinder, hochbegabte Kinder, "normal" entwickelte Kinder

    .. ) wenn man da eine Aufgabe für alle gleich plant, explodiert die Klasse, das funktioniert einfach nicht.

  • in Sachen Individualisierung kann man die Grundschule nur schwer mit der Sekundarstufe I und noch schwerer mit der Oberdtufe vergleichen

    Da magst du schon recht haben. Nur richtete sich meine Antwort an eine Person, die selbst auch nicht an der Grundschule unterrichtet und ich glaube dir immer noch nicht, dass du 30 verschiedene Aufgabenblätter vorbereitest. Du hast vielleicht 3 verschiedene Niveaus, mit denen du die gleiche Klasse versorgst. Die habe ich auch vorzubereiten, nur sitzen die zugehörigen Schüler*innen in unterschiedlichen Leistungszügen in unterschiedlichen Klassen.


    Ich habe mich eingemischt als der Satz fiel "unsere Aufgabe als Pädagog*innen ist es doch..." Nein, ich sehe meine Aufgabe wirklich nicht darin, dem hochbegabten Linus den Hintern hinterherzutragen, am Gymnasium schon gleich gar nicht. Mit dem schaue ich, was es für Fördermöglichkeiten gibt und dann vergnügt der sich selbst. Der braucht meine Kapazitäten für seinen Seelenfrieden am allerwenigsten. Ich habe im Moment im einer Klasse drei Schüler*innen im Schülerstudentenprogramm, ein vierter darf nur deswegen nicht gehen, weil er zu viele Absenzen hat. Nein, letzteres hat NICHTS mit seiner Intelligenz zu tun und der Bub weiss selber, was sein Problem ist. Aufwand habe ich mit denen exakt Null, die sind völlig zufrieden mit sich und dem, was sie tun. Hin und wieder sitzt noch einer nach der Stunde bei mir und fragt irgendwas, dafür muss ich aber nichts vorbereiten, das schüttle ich in aller Regel aus dem Ärmel.

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    Ich habe mich eingemischt als der Satz fiel "unsere Aufgabe als Pädagog*innen ist es doch..." Nein, ich sehe meine Aufgabe wirklich nicht darin, dem hochbegabten Linus den Hintern hinterherzutragen, am Gymnasium schon gleich gar nicht.

    weil ich angesprochen werde: Auch wenn ich am Gym bin, denke ich auch mit und auch wenn es mir für die Grundschullehrkräfte leid tut: so oder so differenzieren sie viel (und viele haben eben 15 Lerntheken in der Klasse, so dass 30 SuS an 17 unterschiedlichen Materialien zeitversetzt arbeiten..) und da ist das Ziel, dass ein Kind aus Langeweile nicht komplett untergeht, doch wichtig.
    Zumindest aus Sicht der Forschung und das Risiko ist da genauso groß bei Menschen am oberen Ende des Leistungsspektrums wie unten. Von den Kids wird aber eher erwartet, dass sie sich gedulden.
    In der Mittel- und Oberstufe sind die "Extra-Angebote" (AGs, Projekte, Wettbewerbe..) wichtiger als der Unterricht selbst, wenn wir nicht von vielbegabte Hochbegabte reden, die dann am ehesten in den entsprechenden Spezialschulen untergebracht sind.
    Eine Art natürliche Differenzierung findet in der weiterführenden Schule schon durch die Wahlpflichtfächer, die Arbeitsgemeinschaften (wenn es sie gibt) und die außerschulischen eigenen Entscheidungsmöglichkeiten, da ist unser Leben als Lehrkraft deutlich vereinfacht.
    (und SOOO oft gibt es nunmal auch keine Hochbegabte, die dann zufällig das eine Fach als Interessensschwerpunkt hat-)

  • nd da ist das Ziel, dass ein Kind aus Langeweile nicht komplett untergeht, doch wichtig

    Nee, das ist schon richtig. Was aber hier auch mehrfach schon geschrieben wurde, und womit ich völlig anekdotisch grad letzte Woche erst mit einem Kollegen im Gespräch war: Hat das Kind denn womöglich andere Baustellen? Das Kind des Kollegen "langweilt" sich eben auch gerne in der 1. Klasse Primar, er würde gerne mehr rechnen. Im emotionalen Bereich hat der aber ein riesen Defizit, der hat genug noch neben dem Rechnen zu lernen. Wenn ich ebenso anekdotisch an meine eigene Primarschulzeit zurückdenke... Ich wäre schon zufrieden gewesen, hätte man mich halt irgendwas lesen lassen bis der Rest dann auch mal wieder so weit ist. Ich habe mich furchtbar viel gelangweilt und war ein stilles, braves Kind. Ich wäre aber echt einfach zufriedenzustellen gewesen und so erlebe ich eben die allermeisten sehr intelligenten Jugendlichen bei uns an der Schule auch. Braucht es da unbedingt irgendeinen Aufriss oder reicht es schon zur Kenntnis zu nehmen, dass das Kind eben schlau ist und dann lässt man zu, dass es sich selber weiter beschäftigt mit etwas, woran es gerade Freude hat? "Gelitten" habe ich später aus ganz anderen Gründen an der Schule. Das Problem war nicht mangelnder Förderunterricht sondern mangelnde Empathie. Kann schon sein, dass ich da als Lehrperson selbst heute ein eigenes Trauma therapiere.

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    Aus einer ähnlichen Erfahrung (und aus einer zweijährigen Weiterqualifizierung im Bereich, wo ich dann plötzlich Eigenerkenntnisse und Eigentherapie hatte) weiß ich: es kann gut gehen. Mensch habe ich mich in der Schule gelangweilt. Ich habe sooooo viele Bücher gelesen und ich wollte aber so sehr, dass die Lehrkräfte mich mögen, dass ich NIE gestört hätte.
    Meine Schwester hat sich hier und da gelangweilt und hat einfach angefangen, Klassenclown zu sein. Nur: dann war sie eben Klassenclown und hat in Mathe, wo sie gar nicht so gut war, den Boden verloren und jahrelang darunter gelitten.
    Also ja: man muss schauen, was für das jeweilige Kind gut ist, und nein, wir können es leider nicht leisten. Und es ist traurig. Ich wüsste gerne, was aus mir in einem Paralleluniversum passiert wäre (nichts, da es in Frankreich und zu meiner Zeit sowieso nicht, keine Drehtürmodelle oder so gab). In der Mittelstufe springen wäre doof gewesen, der BEGYS-Zweig aus RLP wäre für mich die Lösung gewesen (eine Klasse macht die Mittelstufe in 3 statt 4 Jahren, aber alle zusammen), wo gibt es denn sowas..
    Ich werfe sehr viel meinen Eltern vor, auf der Ebene auch viel, aber ich möchte nicht vor einer solchen Entscheidung stehen (nur: ich hätte mich schon länger als 2 Minuten damit auseinandergesetzt).

    *gelitten habe ich auch unter mangelnden Empathie, unter kognitiv schwachen Mitschüler*innen aber auch krass unter Lehrern (sie waren alle männlich), die mich dumm vor der Klasse vorgeführt haben, weil ich auf meinem Pausenhof oder in meinen Freistunden (!!) gelesen habe oder ob ich eine Streberin sei ("intello", ist nicht ganz dasselbe).

  • Ja, also ging es doch grade nicht um das drölfigste Zusatzarbeitsblatt. "Meine" Superschlauen sind eigentlich immer die, die noch die ganze Klasse mit ihrem Wissen versorgen und allein dadurch schon immer noch schlauer werden. Ganz krass erlebe ich das gerade in einer Maturklasse, da kann ich dir schwören, dass einzelne schon längst nicht mehr da wären, gäbe es nicht die zwei superschlauen Frauen und unseren Chemieolympioniken.

  • Die Schüler, die zwar begabt, aber leider auf Abwegen sind, gilt es dann aber auch entsprechend zu fördern.

    Zumindest muss man versuchen, sie mit Aufgaben oder Angeboten zum Lernen zu bringen, im besseren Fall eben zum Lernen im sozialen Bereich oder unbeliebteren Themengebieten.


    Das gelingt bei Kindern, die sich anpassen, leichter, gleichzeitig fallen diese aber seltener auf, weshalb vermutlich Mädchen, die weiterhin als angepasster gelten, weniger oft auffallen. Dann ist der Leidensdruck weniger hoch und die Förder-Notwendigkeit wird geringer beurteilt.

    „Lesen lassen“ ist da meiner Meinung nach vielleicht ein Entgegenkommen, Förderung ist es nicht, auch Helfer-Systeme sehe ich da kritisch, wenn Begabte dann ständig die Stütze für die sein sollen, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht begreifen. In der Grundschulklasse hilft das Kind mit IQ 130 dem Kind mit IQ unter 70? Es gibt da Möglichkeiten, aber die sollte man dosieren.


    Die Begabten, die gerne etwas ausprobieren, sind leichter zu fördern. Gerade in den höheren Anforderungsbereichen bräuchte man aber einfach auch mal Zeit, mit diesen Kindern etwa zu besprechen. Die fehlt vollständig, es müsste auch dafür Stunden geben, wie es an sich auch Stunden geben sollte für Kinder mit Unterstützungsbedarf Lernen und GE und entsprechend abweichendem IQ.


    Bei denen, die alles ablehnen und selten ihre Begabungen zeigen, finde ich die Förderung besonders schwierig.

  • In der Grundschulklasse hilft das Kind mit IQ 130 dem Kind mit IQ unter 70?

    Ne, da hast du schon recht, so weit sind meine auch gar nicht auseinander. Im emotional-sozialen Bereich förderst du sie damit aber schon.



    Gerade in den höheren Anforderungsbereichen bräuchte man aber einfach auch mal Zeit

    Das denke ich mir eben und so schrieb ich es auch: Das könnt ihr gar nicht leisten weil der Rahmen dafür nicht existiert.


    Interessant an der Stelle ist übrigens, wie häufig hier im Forum gegen eine Leistungsdifferenzierung geätzt wird. Mein Leben ist allein deswegen schon viel einfacher, weil ich FMS und Gymnasium getrennt unterrichte. Basel wird in absehbarer Zeit für die Kinder mit IQ 70 auch die Kleinklassen wieder einführen.

  • Das denke ich mir eben und so schrieb ich es auch: Das könnt ihr gar nicht leisten weil der Rahmen dafür nicht existiert.

    Der Rahmen in der Grundschule reicht auch nicht, aber dann …


    explodiert die Klasse, das funktioniert einfach nicht.

    Zudem ist Förderung ein Bildungsauftrag, der nicht auf eine mittlere Position begrenzt ist.


    Weil das System nicht dafür ausgerichtet ist, bleibt es an der einzelnen Lehrkraft hängen und ist häufig auch ihre Mehrarbeit.

    Aus einem Geburtstag neulich war einer Lehrerin der Begriff „Underachievment“ kein Begriff. Verstehe ich nicht.

  • Interessant an der Stelle ist übrigens, wie häufig hier im Forum gegen eine Leistungsdifferenzierung geätzt wird.

    Es wird gegen eine Differenzierung, die über Bildungszweige, umgesetzt wird, geschrieben, nicht gegen eine Leistungsdifferenzierung, die in jeder Unterrichtsstunde erfolgt.


    Dazu denke ich, dass vor allem dagegen geschrieben wird, die Differenzierung ohne Ressourcen umsetzen zu wollen/sollen. Das ist der größte Kritikpunkt, denke ich, denn die Modelle selbst sind gar nicht so verschieden:

    a) Kinder gehören zur Klasse, werden in einzelne Stunden extern gefördert, können aber sonst am Unterricht teilnehmen.

    b) Kinder gehören zu einer anderen Klasse, kommen aber für einzelne Stunden zur Regelklasse hinzu und nehmen am Unterricht teil.

  • Hier ging es ja ursprünglich um ein Kind das demnächst in die Grundschule kommen soll. Ich glaube, in Sachen Individualisierung kann man die Grundschule nur schwer mit der Sekundarstufe I und noch schwerer mit der Oberdtufe vergleichen.

    Zumindest da, wo ich arbeite ( Grundschule, Großstadt NRW, Sozialindex 8, Inklusion) bleibt einem überhaupt keine Wahl als individuelle Lernangebote zu machen. Es gibt Kinder mit deutlich kognitiven Einschränkungen, Kinder die nicht oder kaum Deutsch sprechen, neurodiverse Kinder, hochbegabte Kinder, "normal" entwickelte Kinder

    .. ) wenn man da eine Aufgabe für alle gleich plant, explodiert die Klasse, das funktioniert einfach nicht.

    Ich finde es ehrlich gesagt gar nicht besonders schwer, in der Grundschule zu differenzieren, weil der Lernstoff-Umfang echt überschaubar ist.


    Und ich denke übrigens, dass sich ein hochbegabtes Kind auch in Klasse 2 langweilen wird, wenn die Lehrkraft nicht differenziert. Da wird Schreibschrift geübt, lange Zeit der Hunderterraum und das Rechnen mit Zehnerübergang sowie das Einmaleins erarbeitet, besonders spannend ist das dann ja wahrscheinlich auch nicht.

    Aber die Kinder können Zusatzaufgaben bekommen, lesen, anderen helfen wenn sie wollen, und sollen natürlich auch an den Dingen arbeiten, die ihnen noch schwer fallen (bei der Tochter der TE zum Beispiel malen / zeichnen). Man kann den Kindern auch schon deutlich machen, dass sie, wenn sie etwas schon können, es dann besonders genau oder schön machen sollen. Wie gesagt, wer bis 1000 rechnen kann, aber die Kästchen beim Schreiben der zahlen absolut nicht trifft, der sollte das dann halt beachten, statt zu sagen, ihm ist langweilig.


    Wenn ein Kind emotional und sozial noch nicht reif genug ist, dann wird es trotz fortgeschrittener kognitiver Fähigkeiten in der Schule wahrscheinlich ein paar Schwierigkeiten haben, das liegt dann aber wohl nicht an der Hochbegabung.

  • Meine rein subjektiven Erfahrungen zum Thema:


    Ich bin nicht hochbegabt, hatte aber in meiner Schulzeit viel Spaß an Deutsch und Französisch und habe laut meinen damaligen Lehrer auch ein besonderes Talent für diese Fächer gezeigt. Daher war ich im Unterricht irgendwann regelmäßig frustriert auch gelangweilt, wenn meine Mitschüler dieses Interesse nicht geteilt haben und ich gefühlt ewig darauf warten musste, bis auch der letzte aus der Klasse mit Aufgaben fertig war, die ich wesentlich schneller erledigt hatte. Ich war nie der Typ, der das hat raushängen lassen (finde, Arroganz ist eine sehr unangenehme Charaktereigenschaft ...). Eher im Gegenteil, ich habe oft und auch gern Klassenkameraden geholfen, die Probleme mit dem Stoff hatten und die meisten Lehrer mochten mich, weil ich sehr ruhig war und nie Ärger gemacht habe. Insgeheim habe ich mir aber oft doch gewünscht, dass jemand vielleicht mal mehr auf mich eingegangen wäre, ich z.B. schwierigere Aufgabenstellungen bekommen hätte oder die Möglichkeit zu einem Schülerstudium. (Damals war das leider noch nicht so bekannt und wenn, dann nur für naturwissenschaftliche Fächer). Ich glaube, das hätte mir beides Spaß gemacht und sich positiv auf meine Entwicklung ausgewirkt.

    Eine Lehrerin schlug mir dann irgendwann vor, eine Klassenstufe zu überspringen, weil ich es durch Fleiß und Ehrgeiz geschafft hatte, auch in Fächern gute Noten zu bekommen, die mir nicht von Natur aus lagen. Ich habe mich aber bewusst dagegen entschieden, weil ich genau wusste, dass meine Begabung sich auf den geisteswissenschaftlichen Zweig bezieht und Mathematik und ich in diesem Leben keine Freunde mehr werden ... Bin in der Oberstufe dann auch in Mathe von 2 auf 4 gerasselt 🥴


    Irgendwann hatte ich aber Glück und wir bekamen eine sehr motivierte junge Referendarin in Französisch. Sie bemerkte, wie es mir ging und setzte sich dafür ein, dass ich ein Jahr früher an der DELF-AG und den Prüfungen dafür teilnehmen konnte als üblich. Fand ich toll, endlich neue kognitive Herausforderungen! Habe diese Lehrerin dann sehr vermisst, als sie irgendwann die Schule wechselte, weil ich das Gefühl hatte, endlich erkennt jemand meine Situation und geht auf mich ein.

    In der Oberstufe wurde es dann generell besser, als mit der LK-Wahl die Möglichkeit bestand, eigene Interessen zu vertiefen.

    Eine andere Lehrerin fragte mich irgendwann auch, ob ich Lust hätte, jüngeren Schülern Nachhilfe zu geben; das hat mich dann die Oberstufenzeit über begleitet und mir viel Spaß gemacht.


    Trotzdem war es für mich wie eine andere Welt, als ich nach dem Abi an die Uni gegangen bin und das erste Mal auf andere Leute in meinem Alter getroffen bin, die meine Begeisterung für meine Interessengebieten geteilt und auch gerne gelernt haben. An der Uni hat niemand etwas gesagt, wenn man dicke Romane gelesen hat, in der Freizeit gerne Geschichten oder Gedichte geschrieben hat oder anderweitig kreativ und generell kulturell interessiert war ...

    An der Schule hatte ich, gerade in der Mittelstufe, dagegen oft das Gefühl, ein Fremdkörper zu sein, weil ich größtenteils andere Interessen hatte als viele Mitschüler und gerne gelernt habe. Bin deswegen eine zeitlang leider auch von drei, vier Leuten gemobbt worden.


    Deswegen habe ich ein Herz für alle Lehrkräfte, die in ihren Fächern nicht nur auf die schwächeren Schüler oder die breite Mehrheit schauen, sondern sich auch Gedanken um die leistungsstarken, motivierten Leute machen. Es muss ja nichts Großes sein! Aber hier und da mal eine anspruchsvolle Extraufgabe geben oder ein interessantes Fachbuch ausleihen, auf die Möglichkeit eines Schülerstudiums hinweisen oder zur Teilnahme an Wettbewerben oder AGs ermöglichen, die zum Interessengebiet des jeweiligen Schülers passen ... Das allein kann schon ganz viel ausmachen.

  • ...

    Und ich denke übrigens, dass sich ein hochbegabtes Kind auch in Klasse 2 langweilen wird, wenn die Lehrkraft nicht differenziert. ...

    Eben das. Hochbegabung bedeutet nicht nur, schneller zu sein sondern auch qualitativ auf eine andere Weise zu denken. Bei einem IQ von 70 reicht ein Jahr später einzuschulen ja auch nicht aus.


    ...

    Wenn ein Kind emotional und sozial noch nicht reif genug ist, dann wird es trotz fortgeschrittener kognitiver Fähigkeiten in der Schule wahrscheinlich ein paar Schwierigkeiten haben, das liegt dann aber wohl nicht an der Hochbegabung.

    Und zusätzlich sieht man ja zum Beispiel an Magellans Erfahrungen, dass ein pragmatisches und optimistisches Herangehen Kinder auch robuster machen kann für Frust.

  • Und ich denke übrigens, dass sich ein hochbegabtes Kind auch in Klasse 2 langweilen wird, wenn die Lehrkraft nicht differenziert. Da wird Schreibschrift geübt, lange Zeit der Hunderterraum und das Rechnen mit Zehnerübergang sowie das Einmaleins erarbeitet, besonders spannend ist das dann ja wahrscheinlich auch nicht.


    Aber die Kinder können Zusatzaufgaben bekommen, lesen, anderen helfen wenn sie wollen, und sollen natürlich auch an den Dingen arbeiten, die ihnen noch schwer fallen (bei der Tochter der TE zum Beispiel malen / zeichnen). Man kann den Kindern auch schon deutlich machen, dass sie, wenn sie etwas schon können, es dann besonders genau oder schön machen sollen. Wie gesagt, wer bis 1000 rechnen kann, aber die Kästchen beim Schreiben der zahlen absolut nicht trifft, der sollte das dann halt beachten, statt zu sagen, ihm ist langweilig.

    Das hat mit einer wirklicher Hochbegabung dann wenig zu tun, die Underachiever verkümmern, vermutlich nicht nur sie.


    Ja, man muss die Kästchen treffen und daran üben, man muss aber auch die Möglichkeit bekommen, den Kopf an die Grenzen zu bringen. Da sieht die Differenzierung dann ganz anders aus, Mathe-Rätsel, fremdsprachige Bücher, Referate, Drehtürmodell - im Sinne anderer individueller Aufgaben, die möglichst selbstständig verarbeitet werden können, Wettbewerbe. Und das ist aufwändig.


    Dazu brauchen Kinder in der Grundschule dann eben doch Unterstützung, weil sie das Handwerkszeug, das man dafür benötigt, noch nicht beherrschen, aber die Inhalte durchaus verstehen.


    Gerade dafür fehlt mir ständig Zeit, gerade weil da ja noch eine Menge andere Herausforderungen in der Klasse zu meistern sind. Das Kind erarbeitet sich ein Thema, für einen Vortrag oder eine andere Präsentation braucht es aber Anleitung. Das Kind bekommt eine weiterführende Fragestellung, Kraft aber nur an der Oberfläche. Das Kind bearbeitet herausfordernde Aufgaben in Mathe, die nicht allein rechnerisch zu lösen sind, sondern Vermutungen und Erklärungen erwarten, dann braucht das Kind gerade da zumindest die ersten Male Hilfe, um die Art zu verstehen.


    So, wie ich für die LE und GE-Kinder Zeit brauche, um den nächsten Lernschritt mit den Kindern zu bearbeiten, damit sie die Vorgehensweise verstehen, bevor sie es falsch einüben, so würde ich mir auch Zeit für die anderen wünschen, die sich zusätzlich mit Aufgaben beschäftigen und Unterstützung benötigen, wenn es keine Beschäftigung, sondern eine Förderung sein soll.


    Am Ende braucht es eine Mischung, dass das Kind die einfachen Anforderungen erlernt, dabei aber den Kopf nutzen kann.

  • Aber hier und da mal eine anspruchsvolle Extraufgabe geben oder ein interessantes Fachbuch ausleihen, auf die Möglichkeit eines Schülerstudiums hinweisen oder zur Teilnahme an Wettbewerben oder AGs ermöglichen, die zum Interessengebiet des jeweiligen Schülers passen ... Das allein kann schon ganz viel ausmachen.

    Das passiert bei uns an der Schule alles. Wir bieten Freifächer an, die müssen dann aber auch gewählt werden. Es reicht nicht, wenn *einer* sich für Astronomie interessiert, der Kurs wird nur ab einer gewissen Anzahl an Anmeldungen geführt. Das Freifach Chor läuft immer, sowas wie Astronomie sporadisch. Das Interesse ist nicht wahnsinnig hoch. Mag am Einzugsgebiet liegen, wie erwähnt, die Mehrheit unserer Schüler*innen hat ein Leben ausserhalb des Schulhauses mit entsprechend aufwändigen Hobbies. Zu Wissenschaftsolympiaden melden sich mal 2 oder 3 pro Jahrgang an, dann unterstütze ich auch, so gut ich kann. Auch hier ist das Interesse bei uns nicht besonders gross.



    Trotzdem war es für mich wie eine andere Welt, als ich nach dem Abi an die Uni gegangen bin und das erste Mal auf andere Leute in meinem Alter getroffen bin, die meine Begeisterung für meine Interessengebieten geteilt haben.

    In dem Alter denken doch irgendwie alle, sie sind "anders" und ganz speziell. Der eine interessiert sich für dieses, die andere für jenes. Ich will mal nicht allzu sehr ins Detail geben, aber ich habe grad einen Fall von ... nennen wir es "Lebensberatung" ... in einer meiner Klassen, da war meine Empfehlung, sich einfach mal den Finger aus dem Poppes zu ziehen, auf die anderen zuzugehen und es lustig mit denen zu haben. Dazu braucht es keine hochvergeistigten Gespräche über französische Literatur oder Einsteins Relativitätstheorie, es reichen auch hin und wieder eine Tüte Chips und ein paar dreckige Sprüche. Siehe da, das klappt unterdessen ganz gut. Ich halte hin und wieder die Lauscher hin für irgendwelche abgefahrenen Gespräche und soweit ich informiert bin, hat man auch ausserhalb des Schulhauses 1 - 2 Personen gefunden, die sich gelegentlich "opfern". Das meinte ich ungefähr ein Stück weiter oben, ich möchte als Lehrperson eigentlich eher dazu beitragen, dass ein junger Mensch einen sozial verträglichen Weg findet mit sich und seinen möglicherweise speziellen Interessen und Begabungen umzugehen. Ich hoffe, man versteht mich an der Stelle, denn weiter am Beispiel will ich grade wirklich nichts schreiben.

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