(Parallele) Vertretung vs. Entfall Sek I NRW

  • Hallo zusammen,


    ich habe eine Frage besonders an die Schulrechtsexpert*innen aus NRW.


    Wir und sämtliche Schulen der Umgebung leiden wie alle anderen auch unter Personalmangel. Nur wird dieser höchst unterschiedlich gehandhabt.


    • Unterricht im Nachmittagsbereich entfällt (gebundene Ganztagsschulen)
    • Unterricht entfällt, auch 1./2. Stunde oder 5./6. Stunde (Halbtagsschulen)
    • Kolleg*innen betreuen bis zu 3 Klassenräume gleichzeitig

    Unterschiedliche Aussagen hierzu sind:


    Unterricht (Ganz- und Halbtagsschule) darf in keinem Fall entfallen, auch nicht in Randstunden.


    Parallele Betreuung in unterschiedlichen Räumen (teilweise parallel zum eigenen Unterticht) ist nicht zulässig.


    Weiß jemand, wie das alles rechtlich in NRW für die Sek I geregelt ist und wo ich eine Auskunft dazu finden kann?


    SL sagt, ist halt so, Lehrerrat weiß nichts.

  • Parallele Betreuung in unterschiedlichen Räumen (teilweise parallel zum eigenen Unterticht) ist nicht zulässig.

    Diese Aussage ist definitiv korrekt. Bereits 1972 hatte der BGH entschieden, dass die Anordnung der "Mitaufsicht" in einer parallelen Klasse eine Amtspflichtverletzung seitens des SL darstellt und eine solche Aufsichtssituation nicht ausreichend ist. Seitdem hat sich nichts an den dem Urteil zugrundeliegenden rechtlichen Rahmenbedingungen geändert. Tenor bereits damals war:


    Zitat von BGH, Urteil v. 19.06.1972, Az. III ZR 80/70

    Es genügt nicht, daß eine Schulklasse, von 14- bis 15jährigen deren Lehrer verhindert ist, von einer im benachbarten Klassenzimmer unterrichtenden Lehrkraft während der Unterrichtsstunde mitbeaufsichtigt wird. Ordnet der Schulleiter eine solche Mitbeaufsichtigung an, so begeht er eine Amtspflichtverletzung.

    Genauer gesagt ging es darum, dass eine solche Mitbeaufsichtigung offenkundig keine ausreichende Beaufsichtigung darstellt und das bereits vorher antizipiert hätte werden müssen. Der BGH lässt sich dann auch explizit darüber aus, dass stattdessen eine Umplanung des Stundenplans der gesamten Schule hätte so erfolgen müssen, dass eine hinreichende Beaufsichtigung möglich gewesen wäre, auch wenn das bedeutet hätte, einzelne Lerngruppen frühzeitig zu entlassen oder, wenn das zu gefährlich erscheint (z.B. weil diese aufgrund fehlender ÖPNV-Verbindungen nicht direkt nach Hause kommen), einzelnen Lerngruppen schulfrei zu geben. Hier erfolgt also bereits eine ganz klare Abwägung von schwierigen Aufsichtssituation vs. Entfall von Stunden zugunsten des letztgenannten Ansatzes.

    • Kolleg*innen betreuen bis zu 3 Klassenräume gleichzeitig

    Als betroffene Lehrkraft einer solchen Anordnung sollte man unbedingt (gerne mit Bezug auf das o.g. BGH-Urteil) remonstrieren, um sich selbst im Falle von Verletzungen von Schülern o.ä. aus der Haftung zu nehmen.

    Unterricht (Ganz- und Halbtagsschule) darf in keinem Fall entfallen, auch nicht in Randstunden.

    Eine Schule, die nicht hinreichend mit Personal ausgestattet wird, kommt da kaum drum herum.

  • Zitat

    Zitat von BGH, Urteil v. 19.06.1972, Az. III ZR 80/70

    Es genügt nicht, daß eine Schulklasse, von 14- bis 15jährigen deren Lehrer verhindert ist, von einer im benachbarten Klassenzimmer unterrichtenden Lehrkraft während der Unterrichtsstunde mitbeaufsichtigt wird. Ordnet der Schulleiter eine solche Mitbeaufsichtigung an, so begeht er eine Amtspflichtverletzung.

    Gilt dies auch an BKs in NRW?

  • Gilt dies auch an BKs in NRW?

    Der notwendige Grad der Beaufsichtigung richtet sich immer nach Alter, Zusammensetzung und Verhalten einzelner Lerngruppen. Man wird insofern an die nötige Beaufsichtigung einer vollen KIasse pubertierender 14- bis 15-jähriger andere Anforderungen stellen müssen als z.B. an einen kleinen Kurs von Volljährigen in der Sek II.


    Soweit ich das überblicke, habt ihr am BK aber auch die erstgenannte Altersgruppe bereits teilweise vorhanden, oder? Dann dürfte da grundsätzlich kein anderer Maßstab gelten.

  • Der notwendige Grad der Beaufsichtigung richtet sich immer nach Alter, Zusammensetzung und Verhalten einzelner Lerngruppen. Man wird insofern an die nötige Beaufsichtigung einer vollen KIasse pubertierender 14- bis 15-jähriger andere Anforderungen stellen müssen als z.B. an einen kleinen Kurs von Volljährigen in der Sek II.

    Eben....ich habe mich da auch schon mal verweigert eine 6. Klasse mit vielen Rüpeln und unerzogenen Kindern neben meiner anderen 6. Klasse zu beaufsichtigen.

  • Soweit ich das überblicke, habt ihr am BK aber auch die erstgenannte Altersgruppe bereits teilweise vorhanden, oder? Dann dürfte da grundsätzlich kein anderer Maßstab gelten.

    Ich wüsste keine Schulform, in der jemand nicht mindestens 15 Jahre alt ist.

  • Seph danke für das BGH-Urteil!


    Ganz klar wird das Ganze aber doch nicht. Wenn jetzt meine SL zu dem Schluss kommt, dass die 15jährigen nebenan durchaus "aufsichtsunintensiv" sind und den "Parallelunterricht" anordnet, ist das ganze dann rechtlich die Einschätzung der SL oder im Fall der Fälle dann doch mein Problem? Also: wer ist haftbar zu machen?


    Wo genau kann ich denn rechtlich entnehmen, dass Unterricht nicht entfallen "darf"?


    Wenn ich das ganze jetzt durch Bereitschaften und Mehrarbeit abdecken würde, könnte die SL dann festlegen, dass jede Kollegin einfach mal 6 Bereitschaften hat? Dies würde ja regelmäßig zu deutlich mehr als 2 Stunden Mehrarbeit in der Woche führen?


    Fragen über Fragen, aber ich bin irgendwie nicht gewillt, die "Personalplanung" meines Bundeslandes durch illegale und/oder halblegale Aktionwn abzufedern oder unbegrenzt Mehrarbeit auszuführen.


    Es bleibt spannend ...

  • Danke für das BGH-Urteil. Ich habe durchaus einige Klassen, die ich nur sehr sehr ungern mitbetreuen möchte. Werde da das nächste Mal dem Vertretungsplaner etwas entgegen halten.

  • 5 Schülerinnen und Schüler der Primarstufe und der Klassen 5 und 6 der Sekundarstufe I dürfen auch bei unvorhersehbarem Unterrichtsausfall grundsätzlich nur zu den im Stundenplan vorgesehenen Zeiten nach Hause entlassen werden.



    https://bass.schul-welt.de/6333.htm

    Ja, wobei sich das eben konkret auf unvorhersehbaren Ausfall bezieht , also auf den ersten Tag einer Krankheit der Lehrkraft.Da ist es bei uns auch so, dass wir ggf.eeine zweite Klasse mit unterrichten müssen oder zumindest beide Klassen betreuen müssen. Da geht es ja darum, dass Kinder nicht früher nach Hause geschickt werden, wenn die Eltern gar nichts davon wissen und die Kinder dann womöglich vor verschlosser Tür stehen. An weiteren Krankheitstagen einer Lehrkraft darf dann schon Unterricht entfallen (bei uns MUSS 2. Bis 4. STD. trotzdem stattfinden, der Rest darf dann entfallen).

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    Ich schließe mich allen Fragen an.
    Wenn man für alle aktuell anfallenden Mitaufsichten und Mehrfachvertretungen Vertretungsbereitschaften bräuchte, dann hätten wir gerade zur Sicherheit um die 8-10 VBs die Woche... Mehrere Langzeiterkrankungen und der normale Winterchaos...
    Wer haftet?

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    Das ganze funktioniert, wenn zwei Faktoren bzw. einer von beiden greifen:

    a) Es passiert während der Parallelaufsicht nichts.

    b) Die KollegInnen kennen die Rechtslage nicht.


    Man hätte also durchaus die Möglichkeit, etwas gegen die im Eingangsposting formulierte Unsitte zu tun. So man denn möchte.

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    Die Unsitte ist die parallele Aufsicht und das Dogma der Vermeidung von Unterrichtsausfall um jeden Preis.
    Gleichwohl haben wir als Schule eine Garantenstellung und müssen dafür Sorge tragen, dass die SchülerInnen zwischen 8 und 13 Uhr betreut und beaufsichtigt sind.

    Unterrichtsausfall, hier natürlich primär der vorhersehbare, kann m.E. für die erste und die letzte Vormittagsstunde angezeigt sein, wenn die Personaldecke zu dünn ist.


    Im Rahmen meiner Pflichten habe ich als Schulleitung dann die Verantwortung, die ungekürzte Erteilung von Unterricht, die Aufsichtspflicht und die Fürsorgepflicht gegenüber meinem Personal unter einen Hut zu bringen. Je nachdem, welche Lösung ich finde, kann ich mir immerhin aussuchen, von wem ich im Anschluss kritisiert werde.

    Eine Patentlösung gibt es nicht, da unser System von Anfang an defizitär organisiert ist und Mangelverwaltung die Kernaufgabe einer jeden Schulleitung ist.

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    • Offizieller Beitrag

    Eine Patentlösung gibt es nicht, da unser System von Anfang an defizitär organisiert ist und Mangelverwaltung die Kernaufgabe einer jeden Schulleitung ist.

    und genau aus der Einsicht rebellieren viele Kolleg*innen nicht.

    Aber bei uns wird bis zur 9. Stunde ("freiwillige Lernzeit") vertreten.
    Vor kurzem durfte doch in der 10. Klasse was am Rand ausfallen, weil 7 oder 8 Vertretungen in der Stunde anfielen.

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