Problemklasse - Was neues probieren oder auf die Abgabe zum Halbjahr "hoffen"?

  • Hey zusammen,

    ich weiß, hier tummeln sich sehr ähnliche Beiträge, aber vielleicht kann mir ja jemand mit Rat und Tat beistehen (oder meinen Frust zumindest nachvollziehen). Ich habe nach den Sommerferien meine 6er als 7er behalten (Gesamtschule, Fach Englisch, recht okay-es Einzugsgebiet) - ich war damals recht spontan im Februar in die Klasse gekommen, musste recht schnell dort einen UB zeigen und hatte auch die erste Klassenarbeit direkt 2 Wochen später geschrieben. Das - gekoppelt mit anfänglich typischer "Reffi-Nettigkeit" bin ich bei den SuS als ein ruhiger und "netter" Lehrer angekommen.

    Das recht sich seit den Sommerferien. Vor allem 5-6 SuS sprängen quasi dauerhaft meinen Unterricht. Es geht so weit, dass ich nicht mal richtig mehr Wissen vermitteln kann (was sich auch in der letzten KA widergespiegelt hat, in der keiner der SuS das will-future bilden konnte). Strichlisten gefolgt von Abschreib-/Nachholaufgaben fruchten kaum, Elterngespräche und Zusammenarbeit mit den Klassenleitungen genauso, denke auch die Beziehungsarbeit leidet immens, vor allem was die "Störenfriede" angeht. Ich hab mich sogar auf ein Belohnungssystem überreden lassen, wobei ich kein Fan von "Belohnen, was Grundanforderung sein sollte" stehe.

    Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht und eine Idee, was noch zu tun sei? Mittlerweile ist mein einziger Lichtblick der Gedanke, die Lerngruppe bald abgeben zu dürfen. Aber natürlich werde ich in Zukunft öfter mit solchen Lerngruppen konfrontiert. Lustigerweise wird in UBs meine "ruhige Art" immer wertgeschätzt, von SuS (aus Reflexionsgesprächen mit der Klasse und der Klassenleitung) höre ich raus, dass sie mich "zu nett" und "nicht streng genug" finden, trotz der oben genannten Maßnahmen und strenger Bewertung.


    Help?

  • Du kannst nicht darauf bauen, deine Klasse im Halbjahr abzugeben.


    Das Problem wird vermutlich nicht die "Strenge" sein, sondern die Konsequenz.


    Überlege dir ein klares gestuftes Vorgehen und zieh das ohne Ausnahme durch. Kontrolliere dich dabei auch ehrlich selbst. Wenn z.B. deine Interventionsschwelle schwankt, dann läuft das ins Leere.


    Sprich für extrem massive Störungen eine Möglichkeit ab, den Hauptstörer temporär für die betroffene Stunde aus der Lerngruppe zu nehmen.


    Kontrolliere deinen Unterrichtsaufbau und maximiere die effektive Lernzeit, minimiere die freien Lücken, differenziere so, dass jeder Schüler zu jeder Zeit auch etwas machen kann. Beschäftigte Schüler haben wenig Zeit zu stören.


    Nutze die Macht über die Sitzordnung und damit die Gestaltung des sozialen Lernarrangements in deinem Unterricht. Idealerweise abgestimmt mit dem Lehrerteam der Klasse. Zur Not ist sie in deinem Unterricht halt anders.


    Nutze die unterschiedlichen Distanzzonen im Unterricht und beweg dich durch die Klasse. Störungen sind in der Regel im Abstand > 2-3m.

    Setz den Adlerblick gezielt ein, schau immer wieder (ohne erkennbares/vorhersehbares Muster) in die Bereiche des Klassenraums, in denen du gerade nicht stehst. Damit erzeugst du das Gefühl, dass du immer alles mitbekommst.


    Diskutier Sanktionen nicht im Unterricht. Wenn einer bockig wird, sagst du "Du machst das entweder jetzt oder du bleibst gleich in der Pause (direkt nach der Stunde) zum Gespräch". Alle anderen Schüler sind bei dem Gespräch nicht dabei. Du legst es extra in die Pause des Schülers, um es für ihn unattraktiv zu machen. Die Ankündigung und dass nur der Betroffene dabei ist und damit die Ungewissheit, was da genau passiert, sorgt für einen Halo-Effekt auf andere Schüler.


    Investiere in die Schüler-Lehrer-Beziehung. Schüler lernen zu einem Großteil für ihre Lehrer.

    Als ersten Schritt musst du jetzt deine aktuellen, verständlichen negativen Erwartungen an die Lerngruppe/Unterrichtssituation aktiv beiseite schieben, weil Schüler die sofort spüren und entsprechend darauf reagieren.


    Noch ein Kommentar zum Thema Noten:

    Die sind als Steuerungsmittel ungeeignet, weil für die Schüler zu weit von der Situation entkoppelt. Der Zusammenhang zwischen Lernverhalten und Noten ist ihnen nur abstrakt und kognitiv klar. Selbst wenn der zeitliche Abstand klein genug für das "Fühlen" eines Ursache-Wirkung-Zusammenhang gegeben ist, dann erzeugt die Frustration durch schlechte Noten eher eine Verstärkung des devianten Verhaltens. Anders sieht das nur aus, wenn du es schaffst Erfolgserlebnisse und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu generieren.


    Bezüglich der persönlichen Weiterentwicklung:

    Die Handlungsmuster, die du im Ref und in den ersten Jahren danach erwirbst und einübst, werden maßgeblich dein weiteres Berufsleben prägen.

    Von daher lohnt es sich wirklich, auch sich selbst etwas genauer zu reflektieren und solche Situationen aktiv anzugehen und nicht im Sinne einer "Fluchtstrategie" auf die Abgabe der Lerngruppe zu hoffen. Kollegiale Hospitationen können da extrem hilfreich sein, wenn sie einen klaren umgrenzten Auftrag haben und zielgerichtet sind, z.B. Beobachtung der Intervention, des Raumverhaltens oder der Unterrichtsdurchführung hinsichtlich Vermeidung von Totzeiten und Maximierung effektiver Lernzeit.


    Und ja, ich weiß, dass uns die manchmal etwas schwerfallen, weil sie an den UB-Stress im Ref erinnern.

    Falls du noch im Ref bist, kannst du deinen Mentor im Ausbildungsunterricht bitten, stundenweise solche Beobachtungsschwerpunkte zu setzen und die Feedback zu geben. Meistens sind die Lehrerverhaltensweisen relativ konsistent und nur die Auswirkungen je nach Lerngruppe unterschiedlich stark ausgeprägt.


    ... so genug des langen Beitrags. Sieh es als Ideensammlung und guck, was davon für dich passt.

  • Womit movitierst du die SuS fachlich, wie strebst du Freude am Lernen an?

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Bei alledem würden sich mir auch als Schüler die Haare sträuben, und ich würde bewusst oder unbewusst Abwehrmechanismen entwickeln, damit mein Lehrer merkt, dass er mich abholen, begeistern muss.

    Wie sieht's aus mit Rollenspielen, Hörspiel-, Video-, Podcastproduktionen o.ä.? Wo werden die SuS aktiv?

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Eine Klasse abzugeben, in der es herausfordernde SuS gibt - das kann man machen, vielleicht kommt dir die SL entgegen, weil du ja noch lernst. Bekommen wirst du dann eine andere Klasse, in der es dann andere herausfordernde SuS gibt - die gibt es nämlich - sorry fürs Spoilern - in jeder Klasse.

    Du solltest dir also lieber Strategien zulegen, wie du damit umgehst. Willkommen im Lehrerleben: pädagogische Herausforderungen sind Hauptbestandteil deines Jobs, du solltest sie akzeptieren und lösen, genauso wie du von deinen SuS erwartest, herausfordernde Lernsituationen zu meistern.

  • Wobei ich noch ergänzen möchte: das heißt nicht, dass du dir dafür nicht Unterstützung suchen solltest. Besprich das Problem mit der KL, mit anderen Fach-LK usw. Diese Herausforderungen sind eben normaler Alltag und für die SuS ist es wichtig, dass sie erfahren, dass alle Erwachsenen gemeinsam im Team zusammenarbeiten. Dafür haben wir heutzutage multiprofessionelle Teams in der Schule. Also nicht unter der Bettdecke verkriechen, nicht die Klasse abgeben, nicht jammern, sondern aktiv andere Kolleginnen und Kollegen ansprechen und selbst aktiv werden!

  • Überlege dir gut, ob du sonderlich viel Zeit in eine Klasse investieren willst, in der du keine UBs machst. Bei einer 7 brauchst du nicht mit viel Vorbereitung versuchen Kinderaugen zum leuchten zu bringen, wenn du davon nichts ins Examen mitnimmst.


    Die Störenfriede können in einem Nebenraum arbeiten. Am Ende der Stunde sammelst du die Hefte ein und malst sie in einer Pause rot aus. Das geht schnell und du kannst das machen, bis die Botschaft ankommt. Dafür brauchst du keine Strichliste führen oder den Extraaufgaben hinterherlaufen und kannst nebenbei Noten für das Halbjahr sammeln.

  • Überlege dir gut, ob du sonderlich viel Zeit in eine Klasse investieren willst, in der du keine UBs machst.

    Was ist das denn für eine merkwürdige Einstellung?

    "Och, das Schuljahr hat ja nur noch 3 Monate, da bemühe ich mich nicht mehr darum, Struktur in die Klasse zu kriegen, krieg die wahrscheinlich nächstes Jahr eh nicht wieder."

    Ich weiß nicht, ob ICH da einfach was grundlegend missverstanden hab, was unseren Job angeht...

  • Es gibt immer wieder Klassen, die man gerne abgibt, und welche, die man am liebsten für immer unterrichten möchte. Deine Frage zeigt ja, dass du sie gerne abgeben möchtest, aber bis dahin durchaus an einer Lösung arbeiten möchtest.


    Ich denke, Kodi hat es bereits auf den Punkt gebracht: Konsequenz deinerseits und kein Leerlauf im Unterricht.


    Motivierende Unterrichtssituationen mit Rollenspielen, Hörspiel-, Video-, Podcastproduktionen o.ä., wie Websheriff sie vorgeschlagen hat, würde ich in deiner Situation momentan nur umsetzten, wenn dabei die Gefahr für Unterrichtsstörungen nicht größer wird. Wenn du sie also so planen kannst, dass jeder Schüler jederzeit genau weiß, was er zu tun hat. Grundsätzlich hat Websheriff aber natürlich recht, spannender motivierender Unterricht hält die Schüler besser bei der Stange als langweiliges Aufgaben bearbeiten im Buch.

  • Was ist das denn für eine merkwürdige Einstellung?

    "Och, das Schuljahr hat ja nur noch 3 Monate, da bemühe ich mich nicht mehr darum, Struktur in die Klasse zu kriegen, krieg die wahrscheinlich nächstes Jahr eh nicht wieder."

    Hat er nicht geschrieben. Ich vermute, was gemeint ist: in einer Klasse, in der man keine Prüfung macht, sollte man von laminierten Stationenarbeiten wegkommen, auf die man bereits seine Prüfungsklassen trainieren muss. Hinkommen zu mehr Pragmatismus: wer stört, sitzt extra und schreibt bis es langweilig wird.

  • Ich empfehle folgendes Buch:


    Thomas Unruh


    "Der Lehrer-Coach"


    Verlag: AOL


    ISBN: 978-3-8344-5482-9


    Das Beste, was ich seit langem zur Thematik lesen durfte. Darin geht es z.B. darum, dass man sich selbst oftmals nicht darüber bewusst ist, wie man die eigene negative Grundstimmung körpersprachlich zum Ausdruck bringt und so auf die SuS überträgt.

  • Was ist das denn für eine merkwürdige Einstellung?

    "Och, das Schuljahr hat ja nur noch 3 Monate, da bemühe ich mich nicht mehr darum, Struktur in die Klasse zu kriegen, krieg die wahrscheinlich nächstes Jahr eh nicht wieder."

    Ich weiß nicht, ob ICH da einfach was grundlegend missverstanden hab, was unseren Job angeht...

    Als ausgebildeter Lehrer kannst du dir solche Herausforderungen gut leisten. Aber Referendare sollten ihre Zeit und Kraft gut einteilen. Auf dem Examenszeugnis wird leider nicht vermerkt, dass der Referendar die 7b jede Woche mit Methodenzauber in den Griff bekommen hat.


    Merkwürdiges Vorgehen. Erinnert mich an eine andere Diskussion, wo ein Seiteneinsteiger von Demut als positives Erziehungsmittel sprach... :staun:

    Demut lernt jeder früher oder später. Mit dem "Vorgehen" (eher kleines Lehrereinmaleins) kannst du immerhin in Ruhe in der Restgruppe unterrichten, sammelst mündliche Noten für die Störenfriede und eventuell lernen diese was daraus.

  • Danke für die Ratschläge und die Buchempfehlung.

    Ohne in eine Rechtfertigungsspirale zu treten nur zur Klärung: ich gebe die Klasse ab, weil ich dann in die Examensvorbereitung gehe und danach mit dem Ref durch bin - die Formulierung schien zu sehr nach "ich kriegs nicht hin und will sie abgeben" zu klingen. Gemeint war eher: wie schaffe ich es noch die Kurve zu kriegen obwohl es schon seit Schuljahresbeginn so mies läuft. Ich sehs jetzt als Chance mit den Vorschlägen noch rumzuprobieren und fahre dann in Zukunft ein strengeres/durchdachteres Konzept von Tag 1. Thanks.

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