Notenfreie Grundschule

  • Hinzu kommt für mich auch eine andere Vorstellung von Begabung hinzu: Es ist eben nicht so, dass man sehr vielen Kindern von Anfang an bescheinigen müsste, sie seien schlicht zu begrenzt in ihren kognitiven Fähigkeiten.

    Ich verstehe gerade nicht, worin sich da deine Vorstellung von meiner z. B. unterscheidet. "Zu begrenzt" für was? Man muss doch einen Bezugspunkt setzen um diesbezüglich eine Aussage treffen zu können. Wenn wir bei Ziffernnoten bleiben, werden "Begabungen" ja in einem Intervall abgebildet. Bei uns im Kanton haben sich alle für den Übertritt ans Gymnasium qualifiziert, deren Zeugnisschnitt im progymnasialen Zweig der Sek I >= 4.0 ist und im mittleren Zweig >= 5.0. Der Bezugspunkt ist also ganz simpel die untere Grenze des Intervalls. Der Unterschied zwischen einem 4er Zeugnis und einem 6er Zeugnis (was es bei uns sowieso kaum jemals gibt) ist enorm, beides qualifiziert aber für den gleichen Bildungsweg. Ich sage ja einem 4er Maturanden gerade nicht, er sei "zu blöd" für die Uni, er ist ja qualifiziert. Ich sage ihm vielleicht, er wird aufpassen müssen, dass er nicht unter die Räder gerät und möglicherweise mehr die Backen wird klemmen müssen als ein 5.5er Maturand.

  • Den Schüler:innen in Klasse 3 muss man überhaupt erstmal erklären, wie das mit den Noten funktioniert.

    Begabungen bildet es in Klasse 3 meiner Meinung nach wenig ab, es spiegelt wider, wie gut das Kind die Anforderungen erkennt, wie viel die Eltern es unterstützen. Ein begabtes Kind, das zu Hause keinerlei Unterstützung erhält (sondern das Gegenteil: Fehltage, zu wenig Schlaf, kein Material etc.), wird immer wieder Rückschritte haben oder hinter den anderen, die gut unterstützt werden, zurückfallen. Da bilden die Noten das Vermögen des Kindes oder die Begabung gar nicht ab.

    Ansonsten sage ich den Schüler:innen und Eltern schon recht genau, was gut ist und was nicht. In Deutsch gibt es eine Note für alle Teilbereiche insgesamt, die keine Aussage darüber zeigt, ob das Kind in allem Durchschnitt ist oder ob es Ausreißer in bestimmten Teilbereichen gibt. Da ist die Note meiner Meinung nach zu wenig aussagekräftig.

    Doch auch ich nehme wahr, dass die Kinder in Klasse 2 anders auf eine Rückmeldung gucken als in Klasse 4. Irgendwann kippt es und die Kinder gucken vor allem auf die Note und weit weniger auf Teilbereiche, gut erledigte Aufgaben, fehlende Sachen. Die Ziffer der Rückmeldung bekommt ein starkes Gewicht, die Rückmeldung selbst wird weniger wahrgenommen.


    Nach Klasse 4 brauchen hier die wenigsten wirklich ein Notenzeugnis, um eine Entscheidung für die nächste Schule zu treffen. Häufig geht es um andere Sachen, vor allem um das Arbeitsverhalten. Das ist in unserem Bundesland ein Text und keine Note.

    Tatsächlich entscheiden einige Eltern sich bewusst für eine Schulform mit Noten oder bewusst für eine Schulform, in der die Noten erst spät gegeben werden.

    Da kann ich durchaus eine Beratung durchführen und den Eltern darlegen, welche Schulart ich für das Kind sinnvoll finde, von den Noten ist das weniger abhängig.

  • Tatsächlich entscheiden einige Eltern sich bewusst für eine Schulform mit Noten oder bewusst für eine Schulform, in der die Noten erst spät gegeben werden.

    Bei Euch können die Eltern wirklich wählen? Es gibt keine Verlosung der Schulplätze mit anschließender Zwangszuweisung für die Kinder, die bei der Lotterie kein Glück hatten?

  • Es gibt vereinzelt Kinder, die ihre Wunschschule nicht bekommen, weil sie die Informationen nicht zu Hause abgeben, die Eltern sich nicht kümmern und sie deshalb die offiziellen Anmeldetermine verpassen.

    Wenn dann die Klassen längst eingeteilt sind, bekommen sie nicht mehr an jeder Schule einen Platz, sondern müssen aus dem wählen, wo noch etwas übrig ist.

    Das betrifft auch manchmal neu zugezogene Familien, wenn einzelne Jahrgangsstufen an bestimmten Schulen belegt sind und es dann keinen Platz mehr gibt.

    Ansonsten weiß ich von keinem abgelehnten Kind im Übergang von Klasse 4 nach Klasse 5.


    Von den weiterführenden Schulen ist mir sonst nicht bekannt, dass in den vergangenen 10 Jahren gelost wurde. Es gab für eine weiterführende SekI-Schule ein Losverfahren, das in den ersten 2-3 Jahren des Schulart-Wechsels angewendet werden musste. Dabei wurde von allen umliegenden Grundschulen der Notenschnitt erfragt und die Schülerschaft dann möglichst entsprechend dieser Verteilung abgebildet. Da gute Schüler:innen auch zum Gym wechseln, gab es da weniger Zulauf, während bei den schwächeren Notenschnitten gelost werden musste.

    Das ist nun aber nicht mehr so und es wurden auch Kinder aufgenommen, die nicht in dem engeren Einzugsbereich wohnen, aber gerne auf diese Schule gehen möchten.


    Übrigens kochen alle diese Schulen nur mit Wasser. Vielleicht liegt es auch daran, dass es keinen Run auf eine bestimmte gibt? Es gibt viel Auswahl und so teilt es sich auch wirklich auf. Auch gibt es immer mal Wechsel zwischen den Schulen, wenn es nicht wie erhofft läuft und man sich dann noch einmal anders entscheiden möchte (Gym-SekI-Schule, aber auch häufiger zwischen den SekI-Schulen).


    KiTa- und Ganztagesplätze reichen nicht aus.

  • Eben, an sich eine vollkommen triviale Erkenntnis. Warum das also so dramatisch sein soll, wenn der Fritz mehr Aufgaben rechnen kann als ich, erschliesst sich mir nicht.

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    Begabungen bildet es in Klasse 3 meiner Meinung nach wenig ab, es spiegelt wider, wie gut das Kind die Anforderungen erkennt, wie viel die Eltern es unterstützen. Ein begabtes Kind, das zu Hause keinerlei Unterstützung erhält (sondern das Gegenteil: Fehltage, zu wenig Schlaf, kein Material etc.), wird immer wieder Rückschritte haben oder hinter den anderen, die gut unterstützt werden, zurückfallen. Da bilden die Noten das Vermögen des Kindes oder die Begabung gar nicht ab.

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    Nach Klasse 4 brauchen hier die wenigsten wirklich ein Notenzeugnis, um eine Entscheidung für die nächste Schule zu treffen. Häufig geht es um andere Sachen, vor allem um das Arbeitsverhalten. Das ist in unserem Bundesland ein Text und keine Note.

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    An diesem Punkt waren wir aber auch schon oft. Wenn Arbeitsverhalten und Unterstützung der Eltern sowohl die Leistungsnoten als auch die Bildungsempfehlung dermaßen stark beeinflussen, läuft m.E. was schief. Das ist ja genau der Grund, warum in Deutschland sozialer Hintergrund und Schulerfolg so krass korrelieren.


    Ich muss die Entscheidung treffen, wem ich nach Klasse 7 die Oberschule, also den Hauptschulabschluss, empfehle und wem, auf der Förderschule zu bleiben und diesen Abschluss abzulegen. Das ist denke ich ähnlich schwierig, denn ich kann nur innerhalb der Klasse vergleichen und die Lehrpläne und Hauptschulbücher ansehen und überlegen, ob das für das Kind realistisch ist. Also mehr nach Gefühl.


    Soundsooft schickt uns die Oberschule den Schüler aber zurück, wenn er schwieriges Verhalten an den Tag legt oder keine Sachen mit hat. Also überlegt man doch wieder: brav und ordentlich genug oder nicht? Unabhängig vom Leistungsvermögen. Das finde ich schwierig.


    Ich schlage mal ganz ketzerisch vor, einen IQ-Test und ein Aufnahmeverfahren einzuführen. Wer Texte ab einer bestimmten Komplexität versteht und einen soliden IQ-Wert erreicht, bekommt die Empfehlung fürs Gym (bzw. entsprechend Oberschule bei uns) und zwar unabhängig davon, ob er oder sie das Hausaufgabenheft vernünftig führt oder die Eltern immer zum Gespräch erscheinen.

  • Cons:

    • Selektion nach Klasse 4 zum Gymnasium bzw. zur IGS könnte rechtlich problematisch werden.
    • Wie werden Umzüge in andere Bundesländer gehandhabt?
    • Wie wollt ihr verhindern, dass bei den Betichtszeugnissen die Eltern in großer Anzahl kommen und fragen: „Und welcher Note entspricht das jetzt?“

    1. rechtlich was? Bei uns spielen die Noten dafür keine Rolle. Eine Empfehlung kann auch ohne Note ausgesprochen werden.

    2. Was soll damit sein? Wen genau interessieren Noten aus der Grundschule?

    3. Die Antwort: entspricht keiner Note, weils keine gibt reicht hier doch.

  • IQ-Test würde ich auf keinen Fall empfehlen. Diese Zahl wird das Selbstbewusstsein des Kindes das ganze Leben lang prägen.

    Abgesehen davon kann ein schlechtes Ergebnis auch an der Tagesform liegen und der Test misst nicht, ob das Kind hohe Hirnleistungen z.B. im Bereich Zeichnen, Komponieren, Texte Verfassen etc. vollbringen kann.. trotzdem wird es sich bei einem niedrigeren Ergebnis für diese abgefragten Fähigkeiten sein Leben lang "nachgewiesen dumm" fühlen bzw. werden die Eltern oder gar Lehrer ein bestimmtes Bild von ihm haben.

    Eignungstests ohne IQ-Ergebnis finde ich in Ordnung. Da kann auch jede Schule selbst Schwerpunkte setzen.


    (Haha, ich benutze mal Großbuchstaben.. der Relaxmodus (Ferien) ist vorbei und ich musste eben Elternmails schreiben ;)

  • Ich denke, dass man an dem Punkt schnell in ein Missverhältnis oder Missverständnis kommen kann.


    Ein Kind, dass keine Unterstützung hat, hat es ungleich schwieriger als die anderen.

    Bis zu einem Punkt kann ich manches auffangen. Ich kann die Begabung sehen, auch wenn das Kind sie nicht immer so einsetzen kann, dass sich diese auch in den Noten zeigt.

    Da denke ich, dass nur wenige dieser Kinder bei Antimon an der Schule ankommen. Aber bis dahin sind ja auch schon sehr viele Schuljahre vergangen, die Kinder können in der Grundschule vielleicht noch anders aufgefangen werden, müssen aber irgendwann selbstständig genug sein, um die Anforderungen erfüllen zu können.


    Ich kann in Klasse 1 und 2 nicht einfach die Hände in den Schoß legen und sagen, dass das Kind zwar schlau ist, aber leider am System scheitert. Ich kann aber eben auch nicht alles auffangen, was das System (Schule und Elternhaus) nicht bieten. Da hilft auch eine Note nicht.

    denn ich kann nur innerhalb der Klasse vergleichen

    Ich vergleiche nicht mit der Klasse, ich vergleiche mit den Anforderungen, mit dem, was erwartet wird. Die Kriterien richten sich nicht nach der Klasse. Am Ende muss jedes Kind aus jeder Klasse an der nächsten Schule möglichst gut mithalten können.

    Ein Kind, das zwar begabt und intelligent ist, aber leider Lernschwierigkeiten hinsichtlich der Aufmerksamkeit und Strukturierung hat und zu wenig Therapie und Begleitung außerhalb der Schule, sodass es auch nach den ersten Schuljahren die Schwäche nicht kompensieren kann, werde ich nicht an die Schule empfehlen, die häufiger selbstständiges Arbeiten und Üben erwartet, sondern an die Schule, bei der ich weiß, dass vom Konzept her eher enger gearbeitet wird und das Kind mehr Anleitung erhält.

    Soundsooft schickt uns die Oberschule den Schüler aber zurück, wenn er schwieriges Verhalten an den Tag legt oder keine Sachen mit hat.

    Ja, erlebe ich auf andere Weise und doch ähnlich. Die Grundschule ist für alle zuständig, danach trennt es sich und es gibt die Möglichkeit, Schüler abzuweisen. Davon wird auch Gebrauch gemacht, an einigen Schulen mehr als an anderen.

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