Notenfreie Grundschule

  • Moin,


    seit kurzem ist es in Niedersachsen per Erlass erlaubt, auf Noten zu verzichten und stattdessen Berichtszeugnisse oder Kompetenzraster oder andere Formate herauszugeben. Also auch keine Zensuren mehr für Klassenarbeiten, keine mündlichen Noten, einfach Zensuren abschaffen. Das ist natürlich eine Kann-Bestimmung. Jede Schule muss selbst entscheiden. An unserer Schule (GS) entbrennt eine Diskussion darüber. Die meisten können sich das gar nicht vorstellen und halten eine Note für aussagekräftiger als alles Andere. Einige befürchten Mehrarbeit, weil man dann mehr Berichte/Kommentare schreiben muss. Andere sehen den Druck bei Dritt- und Viertklässlern, oft von Eltern gemacht. Insgesamt ist mein Eindruck, dass die jahrzehntelange gängige Praxis in Deutschland Generationen geprägt hat. Zensuren kennt jeder, hatte jeder, müssen also sein. Etwas Neues bereitet Sorge und Unbehagen.


    Was meint ihr? Kann man in der Grundschule auf Zensuren verzichten? Welche Pros und Cons würdet ihr anführen?

  • Nachteil von Berichten: Sie müssen immer positiv formuliert sein, so dass Eltern oft nicht richtig verstehen, was eigentlich gemeint ist und schätzen das Kind meist zu gut ein. Noten versteht jede/r.



    Vorteil von Berichten: Kinder werden nicht gleich durch Noten "eingeteilt", können sich nicht so direkt vergleichen, niemand ist der, der immer die

    schlechteste/beste Note hat.


    Vorteil von Noten: Werden ernster genommen, da offensichtlicher ist, wie gut/schlecht man im Test war

  • Einige befürchten Mehrarbeit, weil man dann mehr Berichte/Kommentare schreiben muss.

    Diese Befürchtung ist nicht ganz unberechtigt. Man sieht es ja an den Erstklasszeugnissen, die zweiseitige Wortgutachten sind im Vergleich zu Dritt- und Viertklasszeugnissen, die aufgrund der Noten viel kürzer gehalten sind.

    Einen Leistungsnachweis zu kommentieren (schriftlich) und dabei auf Stärken und Schwächen einzugehen dauert natürlich länger, als Punkte auszurechnen und eine Note hinzuschreiben.

    Andere sehen den Druck bei Dritt- und Viertklässlern, oft von Eltern gemacht.

    Ja, den sehe ich auch.

    Was meint ihr? Kann man in der Grundschule auf Zensuren verzichten? Welche Pros und Cons würdet ihr anführen?

    An einigen Privatschulen (Montessori zum Beispiel) gibt es keine Noten, sondern sowas wie schriftliche Feedbackbögen. Pro: Die Schüler haben viel weniger Druck, man kann es wertschätzender formulieren als wenn da die Note 4 steht zum Beispiel, man kann auf persönliche Situationen besser eingehen und auch Fortschritte hervorheben. Con: Ab Klasse 5 würden eure Schüler dann quasi ins kalte Wasser geworfen werden und müssten mit Noten klarkommen, die Eltern würden evtl. nach Noten verlangen, es ist weniger vergleichbar.

  • Hier gehen viele Kinder auf die Gemeinschaftsschule, da gibt es dann in Kl. 5/6/7 keine Noten, dafür viele Elterngespräche und Ankreuzbögen. Ich finde es immer etwas seltsam, dass man da von Noten in KL. 3 und 4 wieder für 3 Jahre weggeht....


    Ohne Noten ist es sicher schwieriger, Eltern die Grundschulempfehlung verständlich zu machen.

  • Das ist natürlich ein großes und kontroverses Thema. Ich bin erstmal (positiv) überrascht, dass Niedersachsen diese Möglichkeit einräumt. Im Sinne der pädagogischen Selbstverantwortung der Schulen finde ich diese Freiheit gut und würde sie mir auch für NRW wünschen.


    Zur Frage selbst kann ich erstmal total verstehen, dass die Ersetzung der Noten durch Berichtszeugnisse als großer Mehraufwand für Kolleg*innen gesehen wird. Wir haben in Klasse 1 und 2 Berichtszeugnisse, in Klasse 3 Berichts- und Notenzeugnisse und in Klasse 4 reine Notenzeugnisse, daher kenne ich den Aufwand. Ich bin ein Fan von Kompetenzrastern, weil sie zeitsparend, kompetenz- und fortschrittsorientiert und strukturierend sind. Als Lehrkraft muss ich keinen Text schreiben, sondern kann eine Bewertung durch einfaches Ankreuzen abgeben. Die Rückmeldung auf einer Skala ist einfach zu verstehen und der Fortschritt kann ebenso einfach nachvollzogen werden. Die gewählten und formulierten Kompetenzen legen Schwerpunkte auf die Basiskompetenzen, was mir die Unterrichts- und Leistungserhebungsplanung erleichtern würde. Theoretisch wäre dies auch mit vorgefertigten Textbausteinen möglich, da ist der Aufwand allerdings größer und der Vorteil der Individualität der Berichtszeugnisse wäre auch nichtig.


    Noten werden zu Recht dafür kritisiert, dass sie lediglich scheinobjektiv und wenig vergleichbar sind, soziale Benachteiligungseffekte verstärken und psychologische Probleme bei den Kindern hervorrufen können. Dies wird man aber nicht ändern, indem man Noten einfach nur ersetzt durch eine andere Rückmeldeformen. Damit einhergehen muss eine andere Sicht- und Arbeitsweise: Orientierung an (Basis-)Kompetenzen, individuelle Lernverlaufsdiagnostiken mit gezielten Interventionen und eine kindgerechte wie bestärkende Rückmeldung. Weniger Druck, bei trotzdem hohen Erwartungen und mehr Begleitung.

  • Das ist ja nicht neu, Verzicht auf Noten wird seit 50 Jahren immer mal wieder versucht und dabei regelmäßig als neue Idee verkauft.

    Die Ausweitung über die Eingangsklassen und besondere Schulformen hinaus scheitert dabei immer an der gleichen Stelle:

    Ausführliche Berichte sind schön und gut und die kriegt man ja auch in der Regel immer von der Lehrkraft, wenn man denn nachfragt, aber am Ende des Tages wollen Eltern und Kinder eine (möglichst gute) Note, weil nur die im Ansatz so etwas wie Vergleichbarkeit herstellt und nur die außerhalb der jeweiligen Schule einen Wert hat.

  • Ohne Noten ist es sicher schwieriger, Eltern die Grundschulempfehlung verständlich zu machen.

    Wenn du eine klare Vorstellung davon hast, welche Leistung zwingend nötig ist, um das Gymnasium zu besuchen, solltest du es eigentlich problemlos erklären können.


    Meine Vermutung ist ja seit eh und je, dass diese klare Vorstellung nicht existiert, und Noten die praktische Alternative sind, das zu kaschieren. Aber ich lasse mich immer noch gerne eines Besseren belehren.

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