Besondere Fremdsprachen - insbesondere “Migrantensprachen”

  • Dann ist das offensichtlich keine Rechtfertigung dafür, Griechisch oder Latein als Wissenschaftssprache zu wählen. Es gibt schlichtweg überhaupt keinen rationalen Grund mehr, die alten Sprachen zu wählen. Das ist eine Frage der Schulkultur. Wer in Basel an den Münsterplatz oder in Zürich an die Hohe Promenade geht, hat verbindlich Latein und oft auch noch Griechisch. Häufig sind das sehr leistungsstarke Schüler*innen aus gut situierten Elternhäusern, da ist es eine Frage der Ehre mit Latein und/oder Griechisch Matura zu machen. Meine Schule ist ein typisches Realgymnasium mit einer völlig anderer Klientel. Wer bei uns was auf sich hält, wählt Mathe/Physik als Schwerpunktfach. Die ganz grosse Mehrheit wählt aus absolut utilitaristischen Gründen entweder Wirtschaft/Recht oder Bio/Chemie.

    Nein, ist es nicht, deshalb schrieb ich überwiegend von der Vergangenheit. Was noch am offensichtlichsten "ist", sind die vielen Fachbegriffe und Lehnwörter als eine Remineszenz an diese Zeit. Die Zeiten haben sich eben geändert, weshalb sinnvollerweise moderne Fremdsprachen und Naturwissenschaften auch im volkswirtschaftlichen Interesse in einer globalisierten Welt ins Zentrum gerückt sind.

    Nichtsdestoweniger halte ich den Bildungsbeitrag der alten Sprachen für groß und bereichernd, denn die "alten" Texte wurden von den Menschen über die Jahrhunderte nicht aus Langeweile überliefert, sondern sie haben darin einen überlieferungswürdigen Wert gesehen und der spiegelt z.B. auch faktisch die Wurzeln und die Geschichte unserer Gesellschaft wider, wie es Plattenspieler sachlich schrieb. Das bleibt aber zunehmend im Verborgenen. Leider erntet er dafür überwiegend Unverständnis.

    Du hast im Übrigen auch Recht damit, wie Du in einem anderen Beitrag schriebst, dass die Diskussion über den Wert der alten Sprachen immer wieder aufkeimt. Das nervige daran ist vor allem das (nicht selten gegenseitige) Unverständnis für die andere Seite.

  • Nichtsdestoweniger halte ich den Bildungsbeitrag der alten Sprachen für groß und bereichernd, denn die "alten" Texte wurden von den Menschen über die Jahrhunderte nicht aus Langeweile überliefert, sondern sie haben darin einen überlieferungswürdigen Wert gesehen und der spiegelt z.B. auch faktisch die Wurzeln und die Geschichte unserer Gesellschaft wider, wie es Plattenspieler sachlich schrieb.

    Ich habe sehr gerne De agri cultura gelesen. Ein tolles Werk mit spannenden Einblicken in die frührömische Landwirtschaft, Wirtschaft, das Gemeindewesen und die Sozialordnung. Insofern bin ich froh, dass es überliefert wurde. Aber ich glaube nicht, dass mir etwas fehlen würde, wenn De agri cultura wie die meisten anderen Werke über die Zeit verloren gegangen wäre. Was überliefert wurde, ist aber eben größtenteils Zufall. Der Wert daraus für uns ergibt sich doch erst heute.

  • Zwischen kaum behandelt und generell nicht beigebracht sehe ich doch sehr große Unterschiede. Ich will mich aber nicht an der Semantik aufhängen.

    Na, dann mach's doch nicht ;)


    Dass es generell mehr sein könnte im Deutschunterricht, und v.a. auch in den höheren Klassen, darin sind wir uns ja wie gesagt einig.

    Das würde auch sooo viel bei der Korrektur von Kommasetzung und co. erleichtern. Wenn ich nämlich verstanden habe, wie Sätze aufgebaut sind, dann kann ich eigentlich kaum mehr Fehler dabei machen.


    Mich würde an der Stelle auch noch interessieren, wie es ander Grundschule so mit dem Thema aussieht?

  • Das nervige daran ist vor allem das (nicht selten gegenseitige) Unverständnis für die andere Seite

    Das stimmt doch gar nicht. Ich kann absolut nachvollziehen, dass sich jemand für alte Sprachen und dem Kulturwissen drumherum interessiert. Was mich nervt, ist der ständige Versuch, das als "Grundlage" für irgendwas verkaufen zu wollen. Man liest auch in den Naturwissenschaften keine Originaltexte aus anno Tobak in der Originalsprache um irgendwas besonders toll verstehen zu können. Wie ich weiter oben schrieb, ist oftmals sogar das Gegenteil der Fall, weil das Wissen von damals längst überholt ist. Solche Texte sind von akademischen Interesse und nichts anderes trifft auf die alten Sprachen zu.

  • Solche Texte sind von akademischen Interesse und nichts anderes trifft auf die alten Sprachen zu.

    Latein und ggf. Altgriechisch spielen auch ausschließlich im Gymnasialzweig eine Rolle. In den anderen Schulformen der Sek I können/müssen die Schüler moderne Fremdsprachen wählen.

  • Der Begriff "Realgymnasium" sagt dir was, oder? Zur Erinnerung: Albert Einstein hat an der Alten Kantonsschule Aarau weder Latein noch Griechisch gelernt, dafür Englisch, Französisch und (!) Italienisch.

  • ja, vermutlich. Und wie gesagt: ich spreche von weiterführenden Schulsettings.

    Du hast manchmal ein bisschen was vom dauerbeleidigten Mathelehrer, der sich empört, dass keiner mehr Bruchrechnen kann. Was bei weitem nicht so despektierlich gemeint ist, wie es sicher klingt. Deine Begeisterung für Sprachen in allen Ehren, aber die Zeiten ändern sich nunmal und die Unterrichtsinhalte müssen angepasst werden. Ich kneife mir in Physik die schiefe Ebene und mache dafür auch im Grundlagenfach was zur Halbleiterelektronik. Ich beschränke in der Chemie im Grundlagenfach Stöchiometrie aufs Allernötigste und schaue mir dafür an, was es mit eFuels & Co auf sich hat. Verstehst du, was ich meine? Ich lese gerade Maturarbeiten und ärgere mich über das schlechte Deutsch. Wenn ich aber alte Diplomarbeiten aus meiner Uni-Arbeitsgruppe lese, die sind auch nicht besser geschrieben. Also, was soll's. Hier regt sich übrigens alle Ritt lang irgendjemand über meine schlechte Kommasetzung auf. Guess what, ich achte die meiste Zeit gar nicht drauf. Im Word übernimmt das die Korrekturhilfe für mich.

    • Offizieller Beitrag

    Du hast manchmal ein bisschen was vom dauerbeleidigten Mathelehrer, der sich empört, dass keiner mehr Bruchrechnen kann. Was bei weitem nicht so despektierlich gemeint ist, wie es sicher klingt. Deine Begeisterung für Sprachen in allen Ehren, aber die Zeiten ändern sich nunmal und die Unterrichtsinhalte müssen angepasst werden.

    Jaaa… lass uns dann bitte die Fremdsprache canceln. Glaub mir, ich würde dafür bezahlen, das nicht mehr unterrichten zu müssen.

    In meiner persönlichen Situation an meiner Schule: ich unterrichte gerade nicht, es ist Verwahrung mit Alibifremdsprache.

    Und natürlich ändern sich die Zeiten, aber wir vergeben trotzdem Abschlüsse nach geltenden Lehrplänen. Ich rede nicht von dem, was meine Austauschschülerin vor 25 Jahren gemacht hat. Sondern von Schülern, die NICHT verstehen, dass man Verben konjugiert, und auch nicht, dass das zweite Verb widerum nie konjugiert ist.


    Ich kann damit umgehen, dass Gedichtinterpretation, Entwicklungstheorien, Wirtschaftspolitik oder französisches Drama des 17. Jahrhunderts mässig begeistert. WIRKLICH! Aber ja, Bruchrechnung sollte man können, wenn (!!) man Abitur will, solange (!!) die Lehrpläne sind, wie sie sind.


    Und glaub mir, im Alltag schäme ich mich für meinen Französisch-Unterricht. Mein täglicher Erfolg ist, wenn die Schüler die Aufgabenstellung auf Deutsch verstehen und bereitwillig sind, die Lücken auszufüllen.

    Zum monologischen Sprechen habe ich sie letzte Woche sich auf dem Flur aufnehmen lassen, in der Klasse redet ja keiner.

  • ... Sondern von Schülern, die NICHT verstehen, dass man Verben konjugiert, und auch nicht, dass das zweite Verb widerum nie konjugiert ist.

    ...

    Mein täglicher Erfolg ist, wenn die Schüler die Aufgabenstellung auf Deutsch verstehen und bereitwillig sind, die Lücken auszufüllen.

    Dann behaupte ich einfach mal, dass eure Schule ein anderes Problem hat als mangelndes Interesse am Französischen. Das klingt nach Hauptschulniveau.

  • Wenn du Marie Curie im Original lesen willst, musst du Französisch können. Ist ne wirklich harte Nuss weil zum einen natürlich das Französisch nicht mehr der heutigen Alltagssprache entspricht und man bezüglich der Fachinhalte heute auch einiges ganz anders darstellen würde.

    Das ist aber was anderes, würde ich sagen. Für eine*n Curie-Spezialisten oder -Spezialistin ist es sicher spannend, ihre Handschrift zu lesen und ihre Gedankengänge und Forschungsprozess selbst nachzuvollziehen. Aber ihre Erkenntnisse beruhen nicht auf der Französischen Kultur und Sprache und es ist für Forschende in der Physik nicht von gesteigerter Bedeutung, das Original zu lesen. Zumal ihre Muttersprache Polnisch gewesen sein dürfte...

  • In der Grundschule wird sogar sehr großer Fokus auf Grammatik gelegt, auch noch bis Klasse 6 hoch. Ich trichtere meinen Kindern immer ein, dass sie dadurch auch den Grundstock für das Erlernen der gängigen Fremdsprachen in der Oberschule lernen und es ein Gerüst ist, in dem sie sich sicher bewegen können und womit man auch spielen kann. Ich kenne auch keine Kollegin, die sich davor drücken würde, und spätestens in Klasse 6 sitzen auch bei den meisten die lateinischen Fachbegriffe. Im Stoff wird dann eher auf "Laberthemen" verzichtet, weil man die auch in Fächern wie SU oder GeWi abdecken kann. Ich bedauere manchmal, dass ich bzgl. Lyrik etc nie über Grundschulmaß hinauskomme, aber wir legen nun mal bei uns den Grundstock für Grammatik, Wortschatzbildung und Rechtschreibung.

    Naja und ich persönlich finde Grammatik auch ziemlich toll und unterrichte das sehr gerne :)


    Ich hab übrigens mein Latinum und fand und finde es komplett unnötig. Lebendige romanische Sprachen hätte ich viel lieber gelernt. Aber für Kinder, die nicht gerne sprechen oder eigene Texte schreiben, ist es die optimale zweite Fremdsprache.

  • Das ist aber was anderes, würde ich sagen. Für eine*n Curie-Spezialisten oder -Spezialistin ist es sicher spannend, ihre Handschrift zu lesen und ihre Gedankengänge und Forschungsprozess selbst nachzuvollziehen. Aber ihre Erkenntnisse beruhen nicht auf der Französischen Kultur und Sprache und es ist für Forschende in der Physik nicht von gesteigerter Bedeutung, das Original zu lesen. Zumal ihre Muttersprache Polnisch gewesen sein dürfte...


    Oh sorry, das finde ich jetzt ganz schwach. Ich sehe absolut nicht, warum irgendein philosophischer Text auf Altgriechisch für einen Gymnasiasten eine grössere Bedeutung haben sollte als ein Originaltext von Marie Curie. Das eine wie das andere kann man sich gerne aus persönlichem, akademischen Interesse antun, muss man aber sicher nicht im Sinne einer guten Bildung. Die für die Allgemeinbildung relevanten historischen Quellen sind ja zum Glück alle übersetzt, ich wüsste jetzt jedenfalls nicht, inwieweit der Geschichtsunterricht an einem allgemeinbildenden Gymnasium von den Lateinkenntnissen der Schülerinnen und Schüler abhängen sollte. Und Marie Curie hat ihre wissenschaftlichen Texte nun mal nicht auf Polnisch verfasst, das können halt viel weniger Leute lesen als Französisch. So viel noch mal zum Thema "Wissenschaftssprache". Ich weise bei der Gelegenheit dann auch mal auf Martin Luther hin, der der Meinung war, ein so relevanter Text wie die Bibel, sollte jedem Menschen in seiner Muttersprache zugänglich sein. Das halte ich auch als absolut unreligiöser Mensch für eine ausgesprochen wertvolle Idee.

  • Dann behaupte ich einfach mal, dass eure Schule ein anderes Problem hat als mangelndes Interesse am Französischen. Das klingt nach Hauptschulniveau.

    Das ist kein Hauptschulniveau, das würde dir auch bei uns an der Fachmittelschule jede Französischlehrperson exakt so beschreiben. An der Maturabteilung ist es bei uns im Grossen und Ganzen sicher nicht ganz so arg, aber auch dort wirst du einzelne Schüler*innen finden, auf die die Beschreibung zutrifft. Nicht weil sie ansonsten ungeeignet fürs Gymnasium wären sondern weil sie sich der französischen Sprache schlichtweg verweigern. Es scheint, du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, dass es wirklich so ist. Aber tatsächlich gilt mein grösstes Mitleid allen Französischlehrpersonen an meiner Schule. Es gibt schlichtweg kein anderes Fach, demgegenüber der Widerwille derart ausgeprägt ist. Ich habe in meinen Fächern niemals so schlechte Noten in den Zeugnissen stehen, wie sie da absolut regelmässig im Französisch vergeben werden. Dass bei mir jemand eine ungenügende Maturnote einfährt, ist sehr viel seltener als dass ich eine 6 vergebe. Im Französisch sind regelmässig ganze Klassen ungenügend im Schnitt.

  • Das ist ja bei euch eigentlich noch problematischer als bei uns, da Französisch eine der Landessprachen bei euch ist, auch wenn ich noch im Kopf habe, dass zumindest euer Kanton monolingual deutschsprachig ist (von gelegentlichen Gallizismen in der Alltagssprache natürlich abgesehen).

  • Oh sorry, das finde ich jetzt ganz schwach. Ich sehe absolut nicht, warum irgendein philosophischer Text auf Altgriechisch für einen Gymnasiasten eine grössere Bedeutung haben sollte als ein Originaltext von Marie Curie. Das eine wie das andere kann man sich gerne aus persönlichem, akademischen Interesse antun, muss man aber sicher nicht im Sinne einer guten Bildung. Die für die Allgemeinbildung relevanten historischen Quellen sind ja zum Glück alle übersetzt, ich wüsste jetzt jedenfalls nicht, inwieweit der Geschichtsunterricht an einem allgemeinbildenden Gymnasium von den Lateinkenntnissen der Schülerinnen und Schüler abhängen sollte. Und Marie Curie hat ihre wissenschaftlichen Texte nun mal nicht auf Polnisch verfasst, das können halt viel weniger Leute lesen als Französisch. So viel noch mal zum Thema "Wissenschaftssprache". Ich weise bei der Gelegenheit dann auch mal auf Martin Luther hin, der der Meinung war, ein so relevanter Text wie die Bibel, sollte jedem Menschen in seiner Muttersprache zugänglich sein. Das halte ich auch als absolut unreligiöser Mensch für eine ausgesprochen wertvolle Idee.

    Wie gesagt, Marie Curie hat selbst Französisch als Fremdsprache gelernt, weil sie in Warschau nicht studieren durfte, ihr Gedankengut verliert grundsätzlich nicht an Wert für die Physik oder Chemie, wenn man es übersetzt. Und natürlich ist es gut, dass Menschen, die kein Latein oder Griechisch können, Zugang zu Informationen haben.


    Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass es einen Unterschied macht, ob man in der Philosophie oder im historischen Kontext mit der Übersetzung vorlieb nehmen muss oder das Original lesen kann. So wie es einen Unterschied macht, ob man eine Gedenkstätte besucht oder ein Foto davon ansieht.


    Und wie kodi schrieb, was du ja auch positiv bewertet hast:

    ...

    Reicht doch eigentlich, dass es ein tolles Fach und eine weitere Alternative in der Schule ist und dass man als Geschichtsbuff für europäische Geschichte und Kirchengeschichte damit viele Primärquellen lesen kann.

    Interessant eigentlich, dass Griechisch praktisch gar nicht mehr angeboten wird, während Latein nicht auszusterben scheint.

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