Besondere Fremdsprachen - insbesondere “Migrantensprachen”

  • Ich hatte kein Latein und die Lateinklasse war immer besser in deutscher Grammatik. Außerdem gibt es Studienberufe, in denen man sich Fremdwörter besser herleiten und merken kann, wenn man Latein hatte.

    Das Problem sehe ich hier eher darin, dass Grammatik im Deutschunterricht kaum behandelt wird. Das hat fatale Folgen, denn Grammatik spiegelt sich in sehr vielen anderen Teilen des Deutschunterrichts wider. Im Lateinunterricht wird noch Wert auf Grammatik gelegt, in den modernen Fremdsprachen sind diese oft einfach nur eine Randnote (wenn ich daran denke, was meine Fachleiterin von Grammatik hielt...). Klar, dass die Lateiner da besser sind in der Grammatik, aber wenn man daran den Lateinunterricht rechtfertigen möchte, dann ist es um Latein wohl wirklich schlecht bestellt.

  • Wenn die Kinder schon Deutsch könnten und ein Wissen ÜBER Sprache hätten, wäre ich als Fremdsprachenlehrkraft auch sehr happy.

    Meiner Meinung nach entwickelt sich das Bewusstsein darüber gerade MIT dem Erlernen einer Fremdsprache.

    In der Herkunftssprache ist es ein Beschreiben dessen, was man tut, in der Auseinandersetzung mit einer Zweitsprache findet man Unterschiede und erkennt darüber, dass es eine Meta-Ebene benötigt, um über sprachliche Strukturen zu sprechen.


    Mir ist bewusst, dass es auch im Deutschunterricht Grammatik-Themen gibt, aber man kann vieles bewältigen, ohne die Zusammenhänge zu kennen, weil man die Sprache beherrscht. Womöglich gelingt es auch in der Zweitsprache, wenn man sie intuitiv erlernt (oder daraus entstehen die üblichen Fehlerquellen).

    Oft ist im Deutschunterricht zu beobachten, dass Kinder nicht nach Regeln vorgehen, sondern die Anwendung (oder Rechtschreibung) kennen und die Regel gar nicht benötigen, manchmal auch nicht lernen. (Beim Rechnen gibt es ähnliche Vorgehensweisen, auch dann, wenn Kinder sich nicht vom Zählen lösen - sie zählen zuerst die Aufgabe und leiten nachträglich vom Ergebnis die Rechenschritte ab, die sie zuvor nicht nutzen.)

    • Offizieller Beitrag

    Meiner Meinung nach entwickelt sich das Bewusstsein darüber gerade MIT dem Erlernen einer Fremdsprache.

    In der Herkunftssprache ist es ein Beschreiben dessen, was man tut, in der Auseinandersetzung mit einer Zweitsprache findet man Unterschiede und erkennt darüber, dass es eine Meta-Ebene benötigt, um über sprachliche Strukturen zu sprechen.

    Jein.
    Mir wäre es als Fremdsprachenlehrkraft (die zufälligerweise auch Deutschlehrkraft für Deutsch als Muttersprache ist, also die Lehrpläne kennt) sehr geholfen, wenn die Kids Begriffe wie Konjugation kennen würden und auch tatsächlich wüssten, was Konjugieren ist. Wenn ich nicht vor der Einheit zu Konditionalsätze und Passiv schon davor eine eigene schnelle Einheit zu "wie ist es denn auf Deutsch?" einlegen müsste, wäre es auch schöner Luxus.

    Mir ist dieser "integrative Grammatikunterricht" so zuwider. Einerseits führt es dazu, dass die allermeisten Deutschlehrer*innen nur alibimäßig die Grammatik behandeln (ich spreche von der weiterführenden Schule, nur da habe ich Einblicke und Kenntnisse!), andererseits geht es ja nicht nur darum zwei mal einen Konjunktiv I in einem Bericht richtig verwendet zu haben oder einen Konjunktiv II in einem Lied erkannt zu haben, sondern auch Metawissen zu haben, um Texte zu interpretieren.
    Die Nutzung von einem bestimmten Verbmodus in einer Rede muss erkannt und bestimmt werden. Die gehäufte Nutzung von Adjektiven oder Nomen hat eine bestimmte Wirkung. Rhetorik ist heute wichtiger denn je. Sprache IST Macht und zu merken, wie man sprachliche Wendungen, Stilfiguren, usw.. erkennt, um Machtstrukturen zu entlarven, ist Empowerment.

    Nicht jede*r hat vor, in die Soziolinguistik zu gehen oder Diskursanalysen zu machen, aber auch Wortspiele in Werbung, Flyern oder Stellenausschreibungen basieren auf Sprachwissen.

  • Sehe ich anders. Ich hatte kein Latein und die Lateinklasse war immer besser in deutscher Grammatik. Außerdem gibt es Studienberufe, in denen man sich Fremdwörter besser herleiten und merken kann, wenn man Latein hatte.

    Ich hatte ebenfalls kein Latein (habe ich für mein BBS-Lehramtsstudium Englisch zum Glück auch nicht benötigt). Hat mir nie gefehlt. Ich habe auch nicht in Erinnerung, dass zu meiner Gym-Zeit diejenigen (wenigen), die Latein als zweite Fremdsprache hatten, besser in deutscher Grammatik waren. Ich behaupte mal, dass ich selber schon immer sehr gut in deutscher Grammatik war (wie auch mehrere Schulfreund*innen, die alle kein Latein hatten).

    Mehrere meiner Mit-Abiturient*innen, die dann doch noch das Latinum für ihr Studium brauchten, haben dies in der Uni nachgeholt; ein paar hatten Latein schon ab der 11. Klasse als dritte Fremdsprache belegt (das war aber ein sehr kleiner Kurs mit nur 10 SuS).

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Latein ersetzt aber eine Sprache. Jede andere Sprache hat direkten Alltagsbezug, Latein nicht.

    Ganz so pauschal kann man das bezüglich des Alltagsbezugs nicht sagen. Latein war bzw. ist Wissenschaftssprache, es gibt überall und ständig Bezüge, mir fallen spontan die Worte plus und minus ein.

    Natürlich ist Latein heute anders ausgerichtet als moderne Fremdsprachen, weniger auf Kommunikation als auf Sprachreflexion. Um die Spielräume einer (jeden) Sprache kennenzulernen, braucht es in der Konsequenz auch Grammatikwissen.

    Ich persönlich finde es gut, dass es die Wahlmöglichkeit gibt und wenn es überhaupt Wahlmöglichkeiten gibt, wie in anderen Bereichen des Lebens auch. Wem Latein nicht zusagt, der wählt eben etwas anderes.

  • Latein ersetzt aber eine Sprache.

    Nicht zwangsläufig. Auch viele, die nur moderne Fremdsprachen lernen, lernen ja trotzdem in der Schule nur zwei dieser.

    Viele, die Latein belegen, nehmen noch eine dritte, teilweise vierte Fremdsprache schulisch dazu.

    So war es zumindest zu meiner Zeit.

    Jede andere Sprache hat direkten Alltagsbezug, Latein nicht.

    Latein hat für mich deutlich mehr Alltagsbezug als 2/3 der modernen Fremdsprachen, die ich gelernt habe.

  • Latein und Griechisch bilden die Grundlage zum Verständnis unserer heutigen Gesellschaft, Kultur, Politik etc.

    Na, wenn dem so ist, kenne ich nur wenige, die über dieses Verständnis verfügen :D . In meinem Umfeld hatten - siehe oben - nur ein paar Personen Lateinunterricht und ich kenne überhaupt niemanden, der/die in der Schule (Alt-)Griechisch gelernt hat.

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  • Meiner Meinung nach entwickelt sich das Bewusstsein darüber gerade MIT dem Erlernen einer Fremdsprache.

    In der Herkunftssprache ist es ein Beschreiben dessen, was man tut, in der Auseinandersetzung mit einer Zweitsprache findet man Unterschiede und erkennt darüber, dass es eine Meta-Ebene benötigt, um über sprachliche Strukturen zu sprechen.

    Genau das! Und das leistet Latein m.E. auf eine besondere Weise, gerade weil man sich damit nicht irgendwie verständigen kann.

  • Viele, die Latein belegen, nehmen noch eine dritte, teilweise vierte Fremdsprache schulisch dazu.

    So war es zumindest zu meiner Zeit.

    Auch das war zu meiner Schulzeit anders. NIemand von denjenigen, die in meinem Abi-Jahrgang Latein als zweite Fremdsprache gewählt hatten, hat in der Oberstufe noch Französisch dazu gelernt/gewählt. Eine vierte Fremdsprache wurde - und wird bis heute! - an dem (Kleinstadt-)Gymnasium, das ich besucht habe, gar nicht angeboten.

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  • Ich stimme chilli zu. Davon abgesehen finde ich es generell immer problematisch, Fächern oder Wissen den Nutzen absprechen zu wollen. Ginge es in Schule nur um unmittelbaren Alltagsgebrauch, müssten wir verdammt viele Bereiche der Lehrpläne in Frage stellen und eine konsequente Abkehr vom Anspruch der Vermittlung einigermaßen breitgestreuten Allgemeinwissens und einer gewissen humanistischen Grundbildung vornehmen. Halte ich für falsch.

  • Na, wenn dem so ist, kenne ich nur wenige, die über dieses Verständnis verfügen :D . In meinem Umfeld hatten - siehe oben - nur ein paar Personen Lateinunterricht und ich kenne überhaupt niemanden, der/die in der Schule (Alt-)Griechisch gelernt hat.

    Indirekt natürlich schon, es ist dem Nichtlateiner und der Nichtaltgriechin bloß nicht bewusst, was wir alles in unsere Kultur übernommen haben.


    Natürlich kommt man auch ohne Latein durchs Leben, ohne Physik und Chinesisch aber auch. Meine SuS überleben sogar, ohne lesen zu können, aber das bedeutet nicht, dass unsere Gesellschaft das könnte.

  • Ich hatte damals Latein ab Klasse 9, weil ich zu dieser Zeit noch Medizin studieren wollte, und habe es dann bis zum Latinum weitergemacht. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, denn unser Lateinlehrer war sehr "old school" und hat viel Wert auf solide Grammatikkenntnisse gelegt. Das hat mir dann sowohl beim Erlernen und Vertiefen anderer Fremdsprachen als auch später im Studium und aktuell bei der Arbeit als DaF-Lehrerin, die gerade in den Anfangsniveaustufen recht grammatiklastig ist, sehr geholfen. Ich freue mich immer wieder, wenn ich unter meinen erwachsenen Lernenden ein paar sitzen habe, denen ich nicht erklären muss, was "Indikativ", "konjugieren" und Co. bedeuten; das macht die Arbeit deutlich einfacher.

    Im Vergleich zu Französisch, das ich ab Klasse 7 gewählt hatte und später dann auch als Leistungskurs genommen habe, empfand ich Latein schon als trockener und zäher insgesamt. Trotzdem war es meist interessant und ich mochte die vielen geschichtlichen Aspekte im Unterricht.

    Bei Französisch habe ich immer den Klang geliebt als auch die Auseinandersetzung mit literarischen Texten später in der Oberstufe. Fabeln, Stücke von Molière, das Analysieren von Chansons ... Neben Deutsch war es immer mein Lieblingsfach.

  • Ach, die Diskussion hatten wir doch schon oft. Irgendwann haben wir dabei mal festgestellt, dass in Deutschland tatsächlich noch viel häufiger Latein gewählt wird als bei uns. Griechisch wird mit der Maturreform bei uns im Kanton aus dem Kanon der Schwerpunktfächer gestrichen, das gibt's dann also gar nicht mehr. Latein ist knapp davon gekommen, hin und wieder wählen es noch so 5 Nasen pro Jahrgang. Und letztens ist mir mal ein alter Jahresbericht untergekommen, auch vor 20 Jahren hatten wir bei uns an der Schule nur 5 Nasen pro Jahrgang mit Latein, und Griechisch war damals schon nur noch in Münchenstein wählbar, weil es sich nicht gelohnt hat, überhaupt noch eine Lehrperson dafür zu beschäftigen. Kurzum: Wir leben ganz prima ohne Latein* und Griechisch :)


    *Dass die 5 versprengten Lateiner*innen in irgendwas besser wären als der Rest, simmt überhaupt nicht. Oftmals ist sogar das Gegenteil der Fall. Dieses Schuljahr entscheidet sich das beste Maturzeugnis zwischen einem Mann mit Schwerpunktfach Spanisch und einer Frau mit Schwerpunktfach Biologie/Chemie. Unsere Spanisten sind noch auffallend oft ganz oben mit dabei.

  • *Dass die 5 versprengten Lateiner*innen in irgendwas besser wären als der Rest, simmt überhaupt nicht. Oftmals ist sogar das Gegenteil der Fall. Dieses Schuljahr entscheidet sich das beste Maturzeugnis zwischen einem Mann mit Schwerpunktfach Spanisch und einer Frau mit Schwerpunktfach Biologie/Chemie. Unsere Spanisten sind noch auffallend oft ganz oben mit dabei.

    Ist ja legitim. Für manche ist der Punkt in Latein hart, aber immer noch leichter verdient als in der Naturwissenschaft oder einer modernen Fremdsprache. Genauso anders herum. Die spannende Frage ist ja, ob der Mann oder die Frau nicht auch in Latein ebenso gut abschneiden würde. Ich vermute schon. Auch gute und sehr gute Lateinschüler*innen wählen bei uns übrigens nach der 10. und 11. Klasse Latein ab, weil es nicht ins gewünschte Profil passt.

  • Die spannende Frage ist ja, ob der Mann oder die Frau nicht auch in Latein ebenso gut abschneiden würde

    Ich finde das überhaupt keine spannende Frage. Natürlich würden sie, die haben beide im Zeugnis nicht eine einzige Note schlechter als 5.5. Die Frau mit Profil B ist im Schwerpunktfach meine Schülerin, die profitiert von der Wahl des Schwerpunktfachs enorm. Mit Latein könnte sie in unserem System nichts anfangen. Wenn man nicht grade alte Sprachen studieren möchte, ist es für absolut nichts an der Uni noch nötig. Wahrscheinlich wird sie Medizin studieren, in den Nebenfächern Biologie und Chemie hat die an der Uni mehr als ausgesorgt. Ich habe mir unterdessen die Übungsblätter für die Chemievorlesung im 1. Semester besorgt, da wird absolut nichts gefragt, was die nicht schon könnte.


    Ja, man lernt natürlich nicht nur "um zu..." aber natürlich geht es auch darum und genau so unterrichte ich auch als Lehrperson. Wenn die schon bei mir im Schwerpunktfach sitzen, soll es bitte auch nützlich sein. Spanisch halte ich übrigens für total nützlich und ich mag unsere Spanisch-Klassen in der Regel sehr gerne. Das sind oftmals sehr fleissige Schüler*innen, Wörtli lernen halt. Spanisch wird in der 4. Klasse Literaturfach, die müssen schon auch ernsthaft abliefern.

  • Mir ist dieser "integrative Grammatikunterricht" so zuwider. Einerseits führt es dazu, dass die allermeisten Deutschlehrer*innen nur alibimäßig die Grammatik behandeln (ich spreche von der weiterführenden Schule, nur da habe ich Einblicke und Kenntnisse!), andererseits geht es ja nicht nur darum zwei mal einen Konjunktiv I in einem Bericht richtig verwendet zu haben oder einen Konjunktiv II in einem Lied erkannt zu haben, sondern auch Metawissen zu haben, um Texte zu interpretieren.
    Die Nutzung von einem bestimmten Verbmodus in einer Rede muss erkannt und bestimmt werden. Die gehäufte Nutzung von Adjektiven oder Nomen hat eine bestimmte Wirkung. Rhetorik ist heute wichtiger denn je. Sprache IST Macht und zu merken, wie man sprachliche Wendungen, Stilfiguren, usw.. erkennt, um Machtstrukturen zu entlarven, ist Empowerment.

    Du beschreibst doch in unterschiedlichen Fällen integrativen Unterricht.


    Anders ist es, wenn man eine Regel lernt, um sie an Beispielsätzen umzusetzen, die jedoch in keinem Zusammenhang zu einem Text stehen. Dann kann man die Grammatik (hoffentlich), kann sie aber nicht zielgerichtet in der Kommunikation einsetzen, im schlimmeren Fall kaum kommunizieren, nur Papier-Grammatik gelernt hat.

    Das wollte man hinter sich lassen, aber es ist vorstellbar, dass darüber das Wissen um die Meta-Ebene zu kurz gerät … oder immer weniger Schüler:innen Fähigkeiten mitbringen und ausbilden, etwas zu ergründen und zu hinterfragen.

    • Offizieller Beitrag

    Meinem Empfinden nach kann man aber "integrativen Unterricht" erst machen, wenn die Basis stimmt. Eine Gedichtsanalyse ist kein GRAMMATIKunterricht, sondern die (bewussten) Grammatikkenntnisse sind Bestandteil meiner Analysekompetenz.
    Und ja, ab und zu eine Abfrage von Grammatiktermini, Umformung von aktiv in passiv oder eine stumpfe Konjugation fände ich wirklich sinnvoll.

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