Was 1966 als "unschöne Schrift" galt...

  • Der Aufsatz ist im Heft der erste der 4. Klasse, wurde also nach gerade einmal 3 Grundschuljahren verfasst. Der Schüler war damals noch nicht lange 9 Jahre alt (ist Ende Juni geboren), wurde also relativ früh eingeschult.

    Ich finde nicht nur die Schrift bemerkenswert, auch der Wortschatz ist ein ganz anderer als man es heute erwarten würde. Die Satzgrenzen werden alle erkannt. Der Schüler bildet komplexe Sätze, kennt die Kommaregeln. Das bringen gymnasiale Schüler in der Mehrheit in der gesamten Unterstufe so nicht hin! Und ich betone noch mal, der Schüler war kein Überflieger, sondern tat sich damals schwer, die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium nach Klasse 4 zu schaffen.

    Der Fokus ist per Lehrplan auch ein anderer.

    Was lernen heutige Schüler denn deiner Meinung nach, was damals nicht vermittelt wurde?

  • Übertreib mal nicht, mag in eurem Einzugsbereich so sein. Es ist aber mitnichten so, dass die Kinder flächendeckend alle nur noch scheisse schreiben und ihr unseren Job machen müsst. Es ist ob der Fülle der Lehrpläne nicht mehr möglich ihnen eine perfekte Schönschrift beizubringen, wie es früher mal vor 40-50 Jahren möglich war. Der Fokus ist per Lehrplan auch ein anderer.

    Leserlich schreiben können die allermeisten Kinder trotzdem, die aus der Grundschule entlassen werden. Zumindest ist das bei uns so und bei allen Kolleginnen die ich kenne.

    Weder übertreibe ich, noch habe ich geschrieben, wir würden euren Job machen müssen, sondern nur geschrieben was wir an meiner Schule machen (müssen), weil es bis auf einen Einzugsbereich sonst nicht mehr ausreichend funktioniert vom Schriftbild her. Wir haben schlicht 5er, die noch über drei Linien kreuz und quer schreiben, verschiedene Buchstaben nicht sauber schreiben können, so dass man diese nicht voneinander unterscheiden kann oder Groß- und Kleinschreibung erkennt, den Stift mit quasi geballter Faust halten, so dass schon nach wenigen Sätzen die Hand verkrampft, etc.


    Das liegt nicht daran, dass die anderen Grundschulen schlechter/ weniger arbeiten würden, sondern zu viel Zeit für andere wichtige Aufgaben draufgeht, um auch das noch umfassend genug üben zu können.

    Wir haben mit unseren Grundschulen gesprochen und wissen, dass diese das so gut machen wie irgend möglich, aber Zeit fehlt, Förderstunden fehlen, Personal fehlt und unsere gemeinsame Klientel mit sehr großen Lücken und Baustellen in die Schule kommt, für die- wie wir als weiterführende Schule wissen- vier Jahre nicht ausreichend sind, diese zu schließen.


    In meiner Aussage steckte keinerlei Vorwurf gegenüber der Arbeit der KuK aus dem Primarbereich. Die war nur eine simple Feststellung, was an meiner Schule erforderlich ist im Umgang.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

    Einmal editiert, zuletzt von CDL ()

  • Der Aufsatz ist im Heft der erste der 4. Klasse, wurde also nach gerade einmal 3 Grundschuljahren verfasst. Der Schüler war damals noch nicht lange 9 Jahre alt (ist Ende Juni geboren), wurde also relativ früh eingeschult.

    Ich finde nicht nur die Schrift bemerkenswert, auch der Wortschatz ist ein ganz anderer als man es heute erwarten würde. Die Satzgrenzen werden alle erkannt. Der Schüler bildet komplexe Sätze, kennt die Kommaregeln. Das bringen gymnasiale Schüler in der Mehrheit in der gesamten Unterstufe so nicht hin! Und ich betone noch mal, der Schüler war kein Überflieger, sondern tat sich damals schwer, die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium nach Klasse 4 zu schaffen.

    Was lernen heutige Schüler denn deiner Meinung nach, was damals nicht vermittelt wurde?

    Vermutlich ist der Hefteintrag eine Reinschrift und wurde vorher korrigiert. Grundschulaufsätze werden zuerst auf den Block geschrieben und verbessert, bevor sie in einem Heft landen. Wenn 1966 nicht sogar noch auf die Tafel geschrieben wurde. Ich bin ca. 10 Jahre jünger und hatte in der Grundschule auch immer noch eine Tafel. Heft war so etwas wie Königsdisziplin und hatte einen besonderen Stellenwert. Da stand mit Sicherheit kein Erstentwurf eines Aufsatzes.

    Kein Lehrer würde eine Schönschreibnote auf den Erstentwurf eines Aufsatzes geben. Wie würde das bei schlechten Schülern aussehen, wo alles rot ist? Für mich ist dieser Aufsatz eine überarbeitete Endfassung, die in Schönschrift ins Heft kam. So etwas mache ich heute auch. Habe dafür ein Geschichtenheft, in das die Kinder die Aufsätze eintragen und auf der dafür extra vorgesehenen Seite auch ein Bild zu dem Aufsatz malen. Kennt jeder GS/Lehrer.


    Du siehst es auch an den beiden Regeln, die erarbeitet wurden. Vermutlich wurde jeder Aufsatz der Klasse auf treffende Verben untersucht und dahingehend verbessert. Daher auch die auffallend gute Verwendung dieser. Auch, dass man immer in derselben Zeit schreibt, wurde geübt und sich gemerkt.

    Dass man in der Realschule Schwungübungen machen muss, halte ich definitiv für übertrieben.

  • Geübt werden sie die Aufsatzart bestimmt, aber der Aufsatz ist durchaus individuell, finde ich. Kann sein, dass der Schüler ihn während der Schulaufgabe auf einem Schmierblatt vorgeschrieben und dann übernommen hat. Andererseits sieht man am letzten Satz, dass der Schüler aber auch am Aufsatz selbst noch Änderungen vorgenommen hat.

  • Dass man in der Realschule Schwungübungen machen muss, halte ich definitiv für übertrieben.

    Nochmal: Wir machen das nach Rücksprache mit den Grundschulen, von denen unsere SuS kommen, weil es schlicht erforderlich ist aus unserer Perspektive, aber auch aus deren. Die wissen, wen sie abgeben mit welchen noch vorhandenen Lücken (was teilweise auch mit daran liegt, dass immer mehr Kinder erst im Laufe der Grundschulzeit überhaupt erst nach Deutschland migriert sind), wir wissen, wen wir aufnehmen und welche Probleme diese Lücken in der Schriftführung unseren SuS bereiten.


    Wenn das bei dir an der Schule bzw. im Anschluss daran nicht nötig ist ist das doch großartig. Ich arbeite in einem völlig anderen Einzugsbereich mit offensichtlich anderen Herausforderungen für alle Schularten.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

    Einmal editiert, zuletzt von CDL ()

  • Das mag sein. Meine Klassenbesten schreiben übrigens 2seitige DIN A4 Aufsätze mit vllt. 1 Rechtschreibfehler in schönster Schrift in Klasse 4. Die würden hier vmtl. auch bewundert. Auf Anhieb solche Hefteinträge bekommen aber viele nicht hin.

    Ich finde es übrigens völlig in Ordnung, in EINZELFÄLLEN auf Schreibschrift zu verzichten und die Kinder weiter drucken zu lassen, wenn sie es einfach nicht hinbekommen. So einen Fall hat man in der GS immer mal wieder. Fände es dann seltsam, wenn sie in der weiterführenden Schule Schwungübungen machen müssten und zur Schreibschrift gezwungen würden. Hier akzeptieren die weiterführenden Schule jede Schrift, wenn sie in sich gut leserlich ist. Habe gerade einen Schüler an die Realschule abgegeben, der nur Zweien hat, aber die Schreibschrift einfach nicht hinbekommt. Er durfte weiterhin drucken und ich hoffe, dass er jetzt keinen Ärger bekommt deswegen.

  • Mir ist an der weiterführenden Schule völlig egal, ob die Kinder drucken oder Schreibschrift schreiben, Hauptsache ich kann es lesen. Und das ist bei vielen echt ein Problem. Die Schrift ist häufig so, wie von CDL beschrieben. Die Zeilen gehen völlig ineinander über, die Abstände zwischen den Wörtern sind zu klein und auch die Buchstaben selbst sind unleserlich.


    Zauberwald, der Aufsatz von 1966 kommt nicht von einem damaligen Spitzenschüler, sondern von einem, der erstmal auf die Hauptschule übergetreten ist.

  • Ich finde es übrigens völlig in Ordnung, in EINZELFÄLLEN auf Schreibschrift zu verzichten und die Kinder weiter drucken zu lassen, wenn sie es einfach nicht hinbekommen. So einen Fall hat man in der GS immer mal wieder. Fände es dann seltsam, wenn sie in der weiterführenden Schule Schwungübungen machen müssten und zur Schreibschrift gezwungen würden. Hier akzeptieren die weiterführenden Schule jede Schrift, wenn sie in sich gut leserlich ist.

    Wenn die Schriften gut leserlich sind und/oder die SuS auch in Druckschrift schnell genug schreiben können für die Schule dann ist das doch wunderbar. Damit können wir auch problemlos leben. Das wäre kein Grund gewesen für uns, unsere 5er nachzuschauen. Da darfst du uns durchaus zutrauen, dass wir als weiterführende Schulen uns keine unnötige Arbeit zusätzlich und freiwillig aufhalsen. Wir haben schließlich genau wie ihr im Primarbereich auch so schon genügend Aufgaben.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Zauberwald, der Aufsatz von 1966 kommt nicht von einem damaligen Spitzenschüler, sondern von einem, der erstmal auf die Hauptschule übergetreten ist

    Dass du das so arg betonst suggeriert ein bisschen, dass schön Schreiben das einzige Kriterium für den Übertritt ans Gymnasium sein müsste bzw dass man aus diesem Aufsatz ein besonderes Mass an Intelligenz herauslesen können müsste. Ehrlich, ich habe Schülerinnen an der FMS, die dir in ebenso blumiger Sprache jensten Mist daherschwurbeln und ansonsten gar nichts können, am Gymnasium Schülerinnen, die im Vergleich zu diesem Aufsatz grauenhaft schreiben und ein 5er Zeugnis haben. Es ist ein schön geschriebener Aufsatz aus einer anderen Zeit. Die Person dahinter ist ansonsten unbekannt und es wurde sicher auch 1966 schon auf die Leistungen in Mathe und Sachkunde geschaut. Mein Bruder ist Jahrgang 1969 und nach heutigem Kentnisstand Legastheniker. Ich habe später für seine Facharbeiterausbildung mit ihm gelernt, im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich hätte der mindestens an der Realschule mithalten können. Er hat nicht mal einen qualifizierten Hauptschulabschluss.

  • Antimon, mir ist die Person und ihr Werdegang ja bekannt. Und ich weiß, dass der Schüler auch in Mathe und Sachkunde fit war. Ich bin einfach erstaunt, wie hoch das Niveau und die Anforderungen damals waren.

  • Antimon, mir ist die Person und ihr Werdegang ja bekannt. Und ich weiß, dass der Schüler auch in Mathe und Sachkunde fit war. Ich bin einfach erstaunt, wie hoch das Niveau und die Anforderungen damals waren.

    Das ist mir schon klar, dass *du* die Person kennst. Ich habe dich nur drauf hinweisen wollen, wie es rüberkommt. Mag sein, dass die Anforderungen ans Schreiben damals höher waren. Die Welt war damals auch noch weniger komplex, die Anforderungen sind in vielen anderen Bereichen sehr viel höher geworden. Unsere Schülerinnen und Schüler schreiben ihre Aufsätze unterdessen am Laptop, unsere Deutsch-Lehrpersonen haben schlichtweg keine Lust mehr, sich überhaupt noch mit deren Handschrift auseinanderzusetzen.

  • Es geht hier doch um die Grundschule. Dass die Anforderungen in anderen Bereichen in der Grundschule so viel höher geworden sind, sehe ich nicht so. Welche sollen das sein? Englisch in der Grundschule, ja okay. Aber sonst? Musik und Kunst finden kaum statt, Sachkunde war bei meinen Kindern auch eher wenig in die Tiefe gehend.

  • Mir wäre neu, dass die Primarschule die Kinder nur im Fachwissen bildet. Vielleicht war das 1966 noch so und vielleicht ist das der entscheidende Unterschied.

  • Man kann nicht heute auf morgen die Anforderungen spontan hochschrauben, aber wenn von Anfang an hohe Anforderungen angesetzt werden, wird dies von Kindern und Jugendlichen als "normal" empfunden und sie passen sich automatisch dem mit der Zeit an.

    Wir sind da schon irgendwo fähig, zu lenken, welche Kompetenzen wie schnell oder wie langsam erworben werden.

  • Ich bin gerade ein wenig verwirrt: Ich, Jahrgang 68, Schulzeit in BW, kann mich nicht an eine Schriftnote erinnern.... :/

    Ich (Jahrgang 1960) hatte in NRW in der Grundschule eine Note in Handschrift. Wir hatten auch explizit "Schönschreiben" im Stundenplan und haben auch noch Sütterlin schreiben gelernt.

    Es könnte alles so einfach sein - ist es aber nicht.

  • Ich habe gerade meine alten, noch vorhandenen Hefte aus der Grundschulzeit in Ba- Wü (in den Mitt60igern) angeschaut. Die Schrift war die LA. Der Eindruck von der Schrift deckt sich mit dem von gingergirl. Die Schrift wurde streng benotet, kann man sich heute schlecht vorstellen. Vor allem, dass man in kurzer Zeit eine schöne Schrift entwickeln kann. Ich bin umgelernte Linkshänderin, dennoch war meine Schrift im 2. Schuljahr sehr schön und auch im 3. Schuljahr. Im 4. Schuljahr habe ich angefangen zu experimentieren und die Schrift meiner Lehrerin nachgemacht, die nicht ganz konform war. Im Schnitt bekam ich eine 2 für meine Schrift, wobei ich heute nicht sagen könnte, was man da hätte noch besser machen können.


    Schriftnoten gab es in den Schönschreibheften und bei allen Sorten von Diktaten (geübte und ungeübte). Bei geübten Diktaten hatte man bei 0 Fehlern die Note 2. Vielleicht zählte die Note nicht fürs Zeugnis, denn ich hatte im Rechtschreiben meistens eine sehr gute Note. Bei Aufsätzen, die doch so einige Nacherzählungen beinhalteten, gab es nur die Aufsatznote. An Entwürfe kann ich mich nicht erinnern. Ich meine, dass man eher darauf geachtet hat, dass man möglichst ohne Fehler und schön schreibt. Meine Aufsätze waren, wenn ich das mit heute vergleiche bzw. was ich von guten Schülern erwarte, eher kurz, enthielten aber vom Wortschatz her Wörter, auf die heutige Grundschüler nicht unbedingt standardmäßig kommen.


    Was mir auf noch aufgefallen ist: Wir haben viel abgeschrieben. Das, was wir teilweise in Deutsch abgeschrieben haben, war zwar - heute würde man sagen - altbacken, aber sprachlich von den Wörtern her auf höherem Niveau. Auch bei den Heimatkundeheften staune ich, was wir da alles eingetragen haben. Es war allerdings eher Wissensvermittlung mit Schwerpunkt Biologie und Heimatkunde (davon Geschichtliches und Erdkundliches). Wir haben so nicht experimentiert, höchstens mal uns irgendetwas in Natura angeguckt.


    Leistungskontrollen (Noten) gab es in Deutsch in Ba-Wü nur in Diktaten (nannte sich Rechtschreiben, waren aber nur Diktate) und Aufsätzen. Ansonsten gab es noch Noten im (Vor)Lesen und in der Schönschrift. An eine Sprachkundearbeit oder eine Heimatkundearbeit kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht gab es da mündliche Noten.


    Im Zeugnis hat man in Deutsch keine allgemeine Note bekommen, sondern es war ab der 2. Klasse aufgeschlüsselt in Lesen, Aufsatz, Sprachkunde, Rechtschreiben und Schrift. Aufsatz und Sprachkunde wurden erst ab dem 2. Halbjahr der 3. Klasse bei mir erfasst.

    Kopien bzw. diese lila Spiritusabzüge gab es in der Grundschule so gut wie nicht.


    Am Gymnasium gab es nach meinen Unterlagen von Klasse 5 bei Diktaten zusätzlich Schriftnoten.

    Einmal editiert, zuletzt von Caro07 () aus folgendem Grund: Ergänzung

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