Vorlesen in der Mittelstufe

  • Hallo zusammen,


    im kommenden Schuljahr werde ich jeweils eine siebte und eine achte Klasse im Fach Deutsch unterrichten (am Gymnasium).


    Ich hatte die Idee, beiden Klassen regelmäßig einmal in der Woche aus einem Buch vorzulesen (circa 10 Minuten lang). Haltet ihr das in der Mittelstufe in diesem Umfang für sinnvoll und könnt ihr mir vielleicht einen tollen Roman empfehlen, der sich dafür eignen würde?


    Viele Grüße


    Junikind

    • Offizieller Beitrag

    In welchem Bundesland bist du denn, dass du denn soviel Puffer in deiner Jahresplanung hast?

    Also: ich wüsste nicht, unter welchem Kompetenzbereich ich es packen würde, bzw. warum das Vorlesen durch die Lehrkraft sein muss, erst recht nicht am Gymnasium im Regelunterricht.
    Was sind deine Ziele dabei?

  • Vielleicht könnte man das in der Klassenlehrerstunde machen, wenn es sowas bei euch gibt und die Schüler abwechselnd lesen lassen. Bei 10 Minuten in der Woche zieht sich das aber. Buchtipp: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl.

  • In welchem Bundesland bist du denn, dass du denn soviel Puffer in deiner Jahresplanung hast?

    Also: ich wüsste nicht, unter welchem Kompetenzbereich ich es packen würde, bzw. warum das Vorlesen durch die Lehrkraft sein muss, erst recht nicht am Gymnasium im Regelunterricht.
    Was sind deine Ziele dabei?

    In Rheinland-Pfalz. Ja, dass ich dann an anderen Stellen kürzen müsste, sind auch meine Bedenken, das müsste man eben genau abwägen. Grundsätzlich sind sowohl der allgemeine Lehrplan als auch die schulinternen Vorgaben bei uns recht allgemein gehalten. Ich unterrichte beide Klassen nur als Fachlehrerin bzw. gibt es der 7. und 8. an meiner Schule auch keine Klassenleiterstunde mehr.


    Es ginge mir vor allem um die Leseförderung; zudem ist insbesondere eine der beiden Klassen recht schwierig und ich könnte mir vorstellen, dass eine kleine Vorlese-Pause in der Mitte der Doppelstunde zur Konzentration beiträgt.

  • Als ebenfalls unkreativer, didaktisch nicht auf dem Stand stehender Deutschlehrer, der vorwiegend Oberstufe unterrichtet:

    Ich finde die Idee gar nicht schlecht, man muss halt sehen, ob es auch angenommen wird.

    Generell kommt aus meiner Sicht in der Schule das Lesen aus reiner Lesefreude, also als Selbstzweck, oft zu kurz. Ich köntne mir vorstellen, weiß es aber nicht, dass jüngere Generationen nicht mehr in dem Maße vorgelesen bekommen, wie es bei uns vielleicht eher noch der Fall war, da wäre das eine schöne Begegnung mit dem Lesen. Und 10min pro Woche finde ich zeitlich unproblematisch, ich finde, das lässt sich in Deutsch ganz gut auffangen, insb. wenn es der Beziehungsarbeit dient.


    Was ich auch schon öfter mal gemacht habe, auch in der Oberstufe, ist, dass ich Bücherkisten mit einer bunten Auswahl an Büchern (Belletristik, Jungedliteratur, Graphic Novels, Stephen King, Fantasy, Krimis etc.) mitgebracht habe. Die Schüler*innen sollten sich dann eins aussuchen, das sie irgendwie anspricht, durften sich einen schönen Platz auf dem Schulgelände suchen und eine Stunde lang einfach schmökern. Am Ende gab es eine kurze Blitzlichtrunde, in der die Schüler*innen kurz gesagt haben, ob ihnen das Buch gefallen hat oder nicht mit einer ganz knappen Begründung.

    Das war eigentlich auch immer ganz schön, aber ich mach es nicht mehr, seit ich kein Auto habe.


    Zur Lektüreauswahl: Ich würde etwas suchen, was wirklich nur Spaß macht. Viele der klassischen Schullektüren sind moralisierend oder behandeln Probleme. Wenn ich Lesefreude fördern möchte, würde ich mir keine Gedanken über den inhaltlichen oder literarischen Anspruch machen. Vielleicht die "Flüsse von London" von Ben Aaronovitch? Sehr abgedreht ist auch "Morgen mehr" von Tilmann Rammstedt. Hier ist auch die Entstehungsgeschichte witzig. Der Roman wurde als Fortsetzungroman im Internet geschrieben. Rammstedt hat die Kommentare unter jeder Veröffentlichung als Inspiration für das nächste Kapitel genommen. Die Kapitel sind entsprechend kurz und es gibt jede Menge inhaltliche Volten, die es sehr witzig und spannend machen. Allerdings ist es schon eine Weile her, dass ich es gelesen habe. Man müsste mal sehen, ob es für eine Mittelstufe geeignet ist.

    • Offizieller Beitrag

    Fällt es didaktisch noch unter Leseförderung, wenn in der Altersgruppe am Gymnasium (also einer Schulform, die zumindest keine Probleme mit dem Lesen an sich haben sollte) rein vorgelesen wird?
    Ich hätte eher kleine Kleingruppen im Blick, wo untereinander der Reihe nach vorgelesen wird? (auch dann als Lehrkraft als eine der Gruppe) (oder alle anderen Maßnahmen der Leseförderung, aber irgendwie irritiert mich die Kombi Schulform / Altersgruppe (also ganze Klasse, keine Arbeitsgemeinschaft oder so).

  • Inwiefern dällt es unter Leseförderung, wenn am Gym in der 7./8. Klasse von der Lehrkraft jede Woche vorgelesen wird?

    Ich oute mich gerade als unkreative, didaktisch nicht auf dem Stand stehende, interessierte Deutsch-Lehrkragt

    Ich schätze, dass ungefähr 2/3 der SuS der 7. und 8. Klasse an meiner Schule nicht regelmäßig lesen. Die Idee wäre ganz platt gesagt, dass zumindest einige von ihnen erfahren, wie schön Bücher sein können und dann vielleicht selbst öfter ein Buch in die Hand nehmen. Selbst wenn das nicht gelingt, dient das Vorlesen eines Romans auch dem Trainieren des genauen Zuhörens, der Identifikation mit Figuren, der Fantasiebildung, Empathiebildung etc.


    Man könnte ja auch einen Roman aus einer Buchreihe auswählen, dann ist die Chance da, dass einige SuS auch die anderen Bände der Reihe lesen.

  • Fällt es didaktisch noch unter Leseförderung, wenn in der Altersgruppe am Gymnasium (also einer Schulform, die zumindest keine Probleme mit dem Lesen an sich haben sollte) rein vorgelesen wird?
    Ich hätte eher kleine Kleingruppen im Blick, wo untereinander der Reihe nach vorgelesen wird? (auch dann als Lehrkraft als eine der Gruppe) (oder alle anderen Maßnahmen der Leseförderung, aber irgendwie irritiert mich die Kombi Schulform / Altersgruppe (also ganze Klasse, keine Arbeitsgemeinschaft oder so).

    Ich bin wegen der Altersgruppe auch unsicher. Vielleicht passt es auch eher in eine 5. Klasse oder man bietet mal eine entsprechende AG an.

  • Danke für die Anregungen! Da sind tolle Vorschläge dabei.

  • Probier' es doch einfach erstmal aus! Wenn es nicht klappt und du merkst, dass es die SuS nicht interessiert, sie es albern finden, sie nicht zuhören,... , kannst du es ja immer noch wieder "canceln".

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

    • Offizieller Beitrag

    eine Kollegin (Klassenlehrkraft) hatte eine AG in ihrer Klasse gemacht, da waren ein paar Mädels dabei, die wenig gelesen haben, und sie haben tatsächlich der Reihe nach selbstgewählte Bücher gegenseitig vorgelesen.

    Halb konkrete Ideen, wenn deine Frage gewesen wäre "wie bringe ich meine SuS, 7. Klasse Gym, zum Lesen?"
    - Kooperation mit der Stadtbibliothek: Besuch, Ausweis machen, dort einiges entdecken

    - oder habt ihr sogar eine Schulbibliothek?

    - habt ihr einen "Sommerleseclub" in der Stadt? Jetzt drüber sprechen, überlegen, wer mitgemacht hat, was toll war, ob man interne kleine solche AKtionen machen kann...

    - herausfinden: warum lesen einige nicht und was verstehen sie unter "Lesen"? Geht es "nur" um Romane? Wie sieht das Interesse (bzw. überhaupt die Informiertheit) für Sachbücher, Graphic Novels, Comics, Lieder/Songs, Gedichte, Kochrezepte, Gebrauchsanleitungen...?
    - einen bestimmten Rhythmus im Schuljahr abmachen, in welchem man bestimmte Aktionen macht? Zusammen zur Bibliothek? mit der Kunstlehrkraft ein Projekt zu Comics oder Graphic novels? Mit einem Sachfach-Kollegen etwas mit Sachtexten / Sachbüchern machen, die man selbst gestaltet? Poetry Slam organisieren? klassen- oder schulintern?

    - geschützte Räume bieten, damit keine*r "gezwungen" wird, etwas vor der ganzen Klasse zu präsentieren...

  • Halb konkrete Ideen, wenn deine Frage gewesen wäre "wie bringe ich meine SuS, 7. Klasse Gym, zum Lesen?"
    - Kooperation mit der Stadtbibliothek: Besuch, Ausweis machen, dort einiges entdecken

    - oder habt ihr sogar eine Schulbibliothek?

    - habt ihr einen "Sommerleseclub" in der Stadt? Jetzt drüber sprechen, überlegen, wer mitgemacht hat, was toll war, ob man interne kleine solche AKtionen machen kann...

    - herausfinden: warum lesen einige nicht und was verstehen sie unter "Lesen"? Geht es "nur" um Romane? Wie sieht das Interesse (bzw. überhaupt die Informiertheit) für Sachbücher, Graphic Novels, Comics, Lieder/Songs, Gedichte, Kochrezepte, Gebrauchsanleitungen...?
    - einen bestimmten Rhythmus im Schuljahr abmachen, in welchem man bestimmte Aktionen macht? Zusammen zur Bibliothek? mit der Kunstlehrkraft ein Projekt zu Comics oder Graphic novels? Mit einem Sachfach-Kollegen etwas mit Sachtexten / Sachbüchern machen, die man selbst gestaltet? Poetry Slam organisieren? klassen- oder schulintern?

    - geschützte Räume bieten, damit keine*r "gezwungen" wird, etwas vor der ganzen Klasse zu präsentieren...

    Die Ideen sind alle ziemlich gut. Allerdings sind manche davon dann doch wieder "zielgerichtet", was zumindest meinem Ansatz bspw. mit den Lesekisten als Vermittelung des "Lesens als Selbstzweck" ein wenig widerspricht.

    Ganz wichtig finde ich aber den vierten Gedankenstrich: Schüler*innen vermitteln, dass "lesen" nicht immer gleich dicke Bücher oder Romane bedeuten muss (besonders gut gefällt mir in diesem Kontext das genannte Beispiel "Kochrezepte"). Ich sag das gerne auch mal Eltern in der Mittelstufe, die sich beklagen, dass das Kind nicht lesen möchte: Erstmal ist es fast egal, was es liest, ob das jetzt Romane oder meinetwegen der "Kicker" ist. Solange man ein wenig den Blick darauf hat, dass die Sprache halbwegs "normal" ist, weswegen ich das doom scrolling auf Reddit oder Social Media in diesem Kontext ausklammern würde.

    Ich glaube, dass wir als Deutschlehrer aufgrund der Kompetenzpläne und Lernziele oft gezwungen sind "gatekeeper" zu sein: "Buch XY ist als Klassenlektüre nicht geeignet, weil es zu einfach, thematisch zu weit weg, zu XY ist". Im Bildungsbürgertum begegnet man dieser internalisierten Einstellung oft, wenn Kollegen - gerade oft Fremdsprachenlehrkräfte - im privaten Gespräch sehr apologetisch "zugeben", dass sie beruflich so belastet sind, dass sie "nur" Krimis oder historische Romane lesen. Und das ist doch Unsinn. Lesen soll erstmal Freude machen, da muss es nicht Juli Zeh sein oder Heinrich Böll oder Saša Stanišić. Und eigentlich sollte man diese entspanntere Einstellung unbedingt den Schüler*innen vermitteln.

    Dass man natürlich im Sinne der Wissenschaftspropädeutik im eigentlichen Unterricht mit anderen Texten arbeitet und auch ander mit den Texten umgeht, ist ja auch okay. Auch diese Diskrepanz kann man Schülern ja vermitteln. Im Übrigen verwende ich auch im Unterricht oft als Beispiele für narrative Strukturen und Elemente eher populäre Filme oder Computerspiele ("Katharsis" am Beispiel von Titanic"; Charakterentwicklung am Beispiel von "The Last of Us", Erzählstrukturen am Beispiel von beliebigen RomComs oder von James Bond und deren Unterminierung am Beispiel von "Game of Thrones" etc.)


    Ich kann auch Spaß an Blumen und Bäumen haben und ein wenig im Garten dilletieren, ohne mich vertieft mit Botanik zu befassen. In der Biologie sieht die Herangehensweise sicherlich anders aus, aber warum sollte nicht ein Biolehrer einfach mal einen lockeren Spaziergang durch einen Blumengarten machen, ohne gleich zu klassifizieren (und was Biologen vielleicht sonst noch so alles machen). Und wenn ich dann selber anfange, mal ein paar Blumen im Garten auszusäen, dann kommt irgendwann die Beschäftigung mit dem eher fachlichen Hintergrund von selbst und intrinsisch motiviert.


    Wie gesagt, ich meine das nicht als Widerspruch, sondern eher so als Ergänzung.

    • Offizieller Beitrag

    ich kann nicht genug Danke drücken.
    Ich war selbst als Kind eine Leseratte. Erst in der dritten Klasse eine Bibliothek und Bücher entdeckt (es gibt/gab bei meinen Eltern kaum Bücher).
    Ich las auf dem Schulhof, ich las beim Treppenlaufen, ich las im Unterricht... bis grob in der 8./9. Klasse meine Französischlehrerin immer wieder meine Bücher kritisierte und nachfragte, warum ich nicht Hugo, Balzac oder Zola lesen würde.

    Sie meckerte sogar bei meinen Eltern über mich.
    Über mich, Klassenbeste und vielleicht unter den 5 Besten der 7-zügigen Stufe, mehr oder weniger eine 1,1 in Französisch, Rechtschreibung und Grammatik.


    Ende vom Lied: ich habe kaum noch gelesen.
    Ja, ich war eine Spätzünderin, habe sehr gerne Jugendliteratur gelesen (bis heute noch! aber heute ist es anerkannter...). Ja, es wäre "cooler" gewesen, Zola & co zu lesen.


    und ja, trotz neu entdeckter Leselust im Studium und später ertappe ich mir regelmäßig, dass ich oft sage, ich würde "nur" XY (bei mir: Fachbücher) lesen.
    Und noch heute Morgen habe ich ein Buch bei der Buchhandlung abgeholt, da würde sich ein Teil von mir schämen, aber eigentlich nicht: in einer Graphic novel verstecktes Sachbuch. Ich freue mich aufs Bett heute Abend.

  • Ich weiß ja nicht, ob das in der Altersklasse noch klappt. Aber ich habe meine schwierige letzte Klasse damit positiv abgeholt. Die haben das Vorkesen sehr geliebt und es hat mal Ruhe in den Haufen gebracht. Sie wollten die Lesezeit bis zum Ende der Grundschule beibehalten, haben selbst die Bücher mit ausgesucht oder auch mal vorgelesen. Viele Kinder kennen das Vorlesen fast gar nicht mehr, bzw.das wohlige Gefühl, das man in der Regel hat

    Aber ich wollte mal der Parallelklasse vorlesen, die das anscheinend nicht kannte. Die konnten leider gar nicht zuhören

    Auch eine Kompetenz.

  • Ich habe eine kleine Klassenbücherei, es sind fast nur Kinderbücher meiner eigenen Kinder, da darf man sich ein Buch ausleihen und wenn man es zurückgegeben hat, ein neues. Das nehmen einige Kinder sehr gerne an. So hat es mein Grundschullehrer auch gemacht und hat mich als Schülerin zum Lesen gebracht, denn ich besaß selbst nur wenige Bücher, die ich aber mehrmals las. Heute unvorstellbar glaube ich.

  • Ich werde die Klassen erstmal kennenlernen, dann kann ich besser einschätzen, ob das mit dem Vorlesen zu den jeweiligen Lerngruppen passt.


    Danke auch für alle weiteren Anregungen / Einschätzungen! :)

Werbung